Читать книгу Eine Faust-Sinfonie - José Luis de la Cuadra - Страница 10

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Auch muss ich, wenn die Nacht sich niedersenkt, mich ängstlich auf das Lager strecken; auch da wird keine Rast geschenkt, mich werden wilde Träume schrecken.

(FAUST, Faust: Der Tragödie erster Teil)


Teufelsquinten prasselten wie Hagelkörner auf mich herunter. Mein Leib lag auf der Streckbank eines finsteren Gewölbekellers, nackt. Eine Gruppe Jesuitenpriester stand mit Fackeln und Prügeln in den Händen um mich herum. Ein Folterknecht drehte am Streckrad. Ich kannte ihn. Es war der Jesuit von der Taverne, Monsignore Diabelli. Er lächelte verächtlich, während er das Rad immer weiter drehte und mein Körper zu knirschen begann. Der Schmerz durchfuhr meine Wirbelsäule als würde sie mit einem Messer aufgeschlitzt. Die Arme zerrten an den Schultergelenken und drohten sie auszurenken. Ich schrie und brachte nur noch ein Krächzen hervor. Mein Körper wand sich in seinem Schweiß hin und her, obwohl jede Bewegung die Qual verstärkte.

Ein grober Schlächter führte eine Frau in das Verließ und warf sie vor die Streckbank. Er befahl ihr, sich auszuziehen, und als sie sich widersetzte, schlug er mit einem Knüppel auf sie ein. Zwei Folterknechte ergriffen sie, rissen ihr die Kleider vom Leib und setzten sie mitten auf meinen überstreckten Leib. Ich stöhnte auf. Mein Körper schien unter dem Gewicht zu bersten. Ihr Gesicht war aufgedunsen und aus den geschwollenen Lidern flossen Tränen. Ich spürte die warmen Tropfen auf meine Brust fallen. Durch den stickigen Dunst des Kerkers hindurch konnte ich erahnen, dass es sich um die Kurtisane aus der Taverne handelte.

„Fick ihn! Los, fick ihn, Schlampe!“

„Bitte, nicht ihn.“

„Warum nicht ihn?“

„Er sucht etwas anderes.“

„Es interessiert uns nicht, was der Mistkerl sucht. Gott steht hinter uns. Weißt du nicht, wer wir sind? Dass uns der Glaube führt? Wer sich nicht unterwirft, wird in der Hölle schmoren. Wer nicht nach den Gesetzen Gottes lebt, ist des Teufels.“

„Ist es ein Gebot Gottes, was ihr von mir verlangt?“

„Es dient der Reinigung deiner Seele, du Luder. Es ist der Ablass deiner Sünden, ein Opfer für diesen verlorenen Sohn hier. Los schon!“

Die Priester schlugen wieder auf sie ein und der Jesuit am Rad drehte weiter. Die Kurtisane brach auf mir zusammen und stürzte auf meine Brust. Es war nicht mein geschundener Leib sondern das Leiden der Frau, das mich beinahe in den Wahnsinn trieb. Ihre Lippen prallten auf meinen Mund und ich sah in ihre weit aufgerissenen Augen. Entsetzen lag in ihnen. Dann küsste sie mich und sog den letzten Atem aus meiner Lunge. In einer verzweifelten Aufwallung meiner Kräfte schrie ich: „Teufel, hilf mir!“

Nanu?

Befreie mich aus den Klauen Gottes.

Das hör’ ich gern.

In diesem Augenblick spürte ich, wie die Kurtisane mir durch ihren zitternden Mund den Atem zurückgab, mir über die Stirne strich und sanft von meinem Leib glitt. Diabelli lächelte und drehte das Streckrad zurück.

Ich drohte vom Foltertisch zu fallen und klammerte mich mit den befreiten Händen an die Unterlage. Sie war weich, wie eine Matratze, nein, es war eine Matratze. Ich setzte mich auf und

erkannte, dass ich mich im Zimmer meiner Pension befand. Um mich herum war alles schwarz. Nur ein scheuer Lichtschein entwich dem Schlüsselloch der Türe. Im Gang knirschten Schritte, die sich langsam entfernten. Dann war es still, totenstill.

Erschöpft wischte ich mir den Schweiß aus dem Gesicht. Der Albtraum hatte mich ausgezehrt und mein Atem beruhigte sich nur langsam.

War es möglich, dass ich nach dem Teufel geschrien hatte? War ich so verzweifelt, dass ich mich den Kräften der Hölle zuwandte, einen Packt mit dem Teufel suchte? So tief war ich also gefallen. Marthe, verzeih mir den Schmerz, den ich dir zufüge. Sonja und Tobias, verzeiht, was ich euch antue. Agathe, du hattest Recht, als du mich vor diesem Schritt warntest.

Schuldgefühle nagten an meinem Bewusstsein. Ein riesiger Schraubstock drückte auf meine Rippen. Tosender Lärm umklammerte mein Gehör, wurde lauter und lauter. Ich griff in die Schublade des Nachttisches und entnahm ihr das Klappmesser, welches ich auf meine Reise mitgenommen hatte. Ich hielt es fest umklammert in meiner Faust. Dann schlug ich mit beiden Armen gegen die Wand. Was hatte der Teufel gesagt? Er könne mich zu Lust und Sinnlichkeit führen, zu genussvollem Leben? War das die Erlösung? Wo war er den, zum Teufel?

Ich bin da, wo ich dich haben wollte.

Ich wollte niemals so tief sinken.

Beinahe habe ich Mitleid mit dir.

Ich sehne mich nach Liebe.

Stehe zu Diensten.

Nach der reinen Liebe meine ich.

Ich kann dir geben, was du willst, aber ich empfehle dir eine

Liebe, die du auch sinnlich spüren kannst, die nicht ganz so rein

ist, dass sie Vater Gott gefällt.

Stimmt es, dass im Vatikan die Hurerei betrieben wird?

So steht es doch im alten Testament, Hesekiel 23 und so.

Ich kann das mit meinem Verstand nicht fassen.

Ja, dein Verstand ist klein, du großer Wissenschaftler.

Ich öffnete das Klappmesser und richtete die Klinge gegen meine Brust.

Nicht doch! Du bist noch nicht reif für die Hölle.

Ich spürte die Spitze in meiner Haut. Musste man reif sein für die Hölle? Meine Hand zitterte. Das Messer entglitt ihr und fiel zu Boden. Erschöpft ließ ich mich zurück auf das Bett sinken. Ich war nicht mutig genug, mir das Leben zu nehmen. Es war nicht die Hölle, die ich fürchtete, nein, es war der Himmel, dem ich misstraute. Was auch auf mich zukommen würde, ich musste den Weg gehen, zu dem ich mich entschlossen hatte, auch wenn ich gezwungen war, dem Pfad des Teufels zu folgen.

Ich fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Am nächsten Morgen begab ich mich nach unten zum Frühstück. Als ich die Eingangshalle durchquerte, sah ich ihn sofort. Monsignore Diabelli saß in einer Ecke und grinste mich an.

„Guten morgen, Herr Professor. Sie sehen blass aus. Haben Sie nicht gut geschlafen?“

Ich brauchte einen Moment der Besinnung und hielt meine Hände vor das Gesicht. Ein Gedankenblitz durchzuckte mich und ich sah den Folterknecht an seinem Hebelrad vor meinem inneren Auge. Schon wieder drängte kalter Schweiß aus meinen Poren.

„Guten morgen, ja ..., nein, ich habe nicht gut geschlafen.“

Ich sah den Priester lange an. Suchte ich seine Hörner?

„Bitte setzen Sie sich zu mir. Ich möchte auf meinen Vorschlag zurückkommen.“

War da ein hämisches Grinsen?

„Ich wollte eigentlich frühstücken.“

„Gut, dann frühstücken wir doch zusammen. Ich habe Hunger.“

Was blieb mir anderes übrig, als mich zu fügen? Wir gingen in den Frühstücksraum. Der Kellner brachte ein zweites Gedeck. Ohne weitere Worte tranken wir Kaffee, aßen Brot mit Käse und Konfitüre, dazu gab es ein Glas Orangensaft. Der Jesuit langte kräftig zu. Ich dagegen brachte die Bissen kaum herunter, alles wollte mir im Hals stecken bleiben.

Ich dachte an das gestrige Konzert, wie es mich aufgewühlt hatte. An den Kampf Fausts mit Mephisto. An das Liebesdrama, welches zur Vernichtung Gretchens führte. Ich dachte an den Komponisten und fragte mich, was er bei der Erschaffung seines Werks gefühlt haben musste. Wie war es möglich, dass ein Mensch durch Musik ausdrücken konnte, was in Worte kaum zu fassen war? Liszt hatte durch die Quinten Technik eine dämonische Übersteigerung der Jahrhundertschrift Goethes geschaffen. Was hatte ihn dazu getrieben? War das Werk eine Selbstdarstellung des Komponisten, Ausdruck seines eigenen inneren Kampfes? Identifizierte er sich selbst mit der Faustgestalt? Wie konnte er damit umgehen und unbeschadet bleiben?

Ich hatte durch die Erläuterungen im Programmheft erfahren, dass Liszt während mehr als zwanzig Jahren immer wieder nach Rom zurückgekehrt war. In dieser Stadt schien er um sein seelisches Gleichgewicht gerungen zu haben. Er hatte die Nähe des apostolischen Stuhles gesucht, war zwischen Kirche und Karriere hin und her gerissen, ließ sich Priesterweihen geben und machte sich daran, die Kirchenmusik zu reformieren. Abbé Liszt, Komponist, Star und Geistlicher. Er hatte Frau und Kinder verlassen und einen eigenen Weg gesucht. So wie ich?

Der Kellner hatte Kaffee nachgeschenkt.

„Wissen Sie, Professor, man kann sich in Rom leicht verlieren. Hier geht es zu und her wie zwischen Himmel und Hölle. Die Übergänge sind fließend. Und obwohl wir in unserer Stadt den Vatikanstaat beherbergen, neigen die Römer zur Sünde. Vertrauen Sie mir. Werden Sie mein Freund. Ich helfe Ihnen dabei, zu finden, was Sie suchen.“

Der Mann war unheimlich. Er hatte diese einnehmende Art, diese unwiderstehliche Freundlichkeit. Man fühlte sich beinahe als Verräter, wenn man ihm nicht zustimmte. Ein Verführer der Spitzenklasse. Sympathisch und zugleich widerlich. Zudem wippte er eigenartig mit seinem Körper und bewegte ständig seine Beine.

„Können Sie mir ein paar Tipps geben, wie ich zu den Stationen Liszts in Rom gelange? Ich war gestern an einer Aufführung seiner Faust-Sinfonie. Die Harmonien haben mich tief beeindruckt. Die Teufelsquinte und der über sich selbst hinaus wachsende Gegenklang. Ich möchte spüren, was in Liszt damals vorgegangen ist, hier in dieser Stadt, und wer am Ende in ihm gesiegt hat, Faust oder Mephisto. Ich glaube, es könnte mir helfen, meinen eigenen Weg zu finden.“

Die Augen des Jesuiten weiteten sich und um seine Lippen schlich ein Lächeln.

„Ja, die süße Verführung des Gelehrten Faust. Auch Liszt war ihr erlegen. Sehr interessant. Faszinierend. Ein Lehrstück. Ein Meisterwerk des Teufels ... oder Gottes, wie Sie wollen.“

„Sagen Sie Monsignore, auf welcher Seite stehen Sie eigentlich, auf der Seite des Teufels oder Gottes?“

„Ich bitte Sie, Professor. Ich bin Priester des Jesuitenordens und Mitglied des Kardinalskollegiums. Meine Welt ist das Bistum Petri. Sie mögen selbst urteilen, auf welcher Seite der Vatikan steht. Mir können Sie voll vertrauen. Ich habe ein gutes Beziehungsnetz in der Kirche und auch in den Straßen Roms. Ich bin Ihr idealer Gesellschafter in dieser Stadt.“

„Ich wollte mir gestern das Leben nehmen.“

„Um Himmels Willen, wie kommen Sie dazu?“

„Fragen Sie Faust oder Liszt ... oder den Teufel.“

„Herr Professor, ich werde Sie in die Tiefen der Sinnlichkeit führen. Sie brauchen diese Befriedigung in Ihrem Leben. Erlauben Sie mir, Ihnen die Geheimnisse Roms zu zeigen.“

„Welches ist der Preis?“

„Wir sprechen doch nicht über Materielles, nicht über Geld, mein Lieber. Es geht um Fragen wie Sünde und Busse, Gott und Satan, seelische Läuterung. Wir Kardinäle sind die Gesandten des Herrn. Die Gläubigen vertrauen uns. Wir verwalten ihre Seelen bis zu ihrer Reinigung im Purgatorium.“

„Und danach?“

„Das Paradies ist nicht in unseren Händen.“

„Nun, von dieser Sache verstehe ich nichts und will auch nichts damit zu tun haben. Mein einziger Wunsch ist, durch die Begegnung mit dem Lebensweg Liszts zu meinem inneren Frieden zu finden, die Quelle seines harmonischen Systems zu finden.“

„Nun, das ist in etwa, was ich Ihnen vorschlagen wollte. Wenn ich mithelfen kann, Ihre Lebensgeister wieder zu wecken, und natürlich auch die sinnlichen, dann ist meine Mission erfüllt. Was Ihre Seele betrifft, ich begnüge mich mit einem Teil ...“

Es wird spannend. Keine Sorge, der Kirchenmann spricht weise.

Ich bin mir da nicht so sicher.

Feigling.

Mistkerl.

Tu doch was du willst.

Tu ich.

„Ich bin dankbar, wenn Sie mein Reiseführer werden, Monsignore.“

Sofort bereute ich meine Äußerung. Was, wenn dieser Priester ein Gesandter des Teufels war, des Herrn der Finsternis? Was, wenn ich mehr verlor, als ich geben konnte?

„Handschlag?“

Wir standen beide auf und reichten uns die Hand. Ich erschrak, als ich die Kälte fühlte, die aus seiner Gliedmaße strömte. Seine Hand war wie Gelee. Mir schauderte. Hatte mich der Kerl betrogen? War ich ihm auf den Leim gegangen?

„Wir sehen uns.“

Dann war er weg, mein neuer Gesellschafter und Begleiter. Seinen Kaffee und die Reste seines Frühstücks hatte er stehen lassen.

Ich blieb noch lange am Tisch sitzen und starrte auf die Türe, durch welche der Jesuitenpriester verschwunden war. Etwas Seltsames ging in mir vor. Ich fühlte mich plötzlich nicht mehr allein. Auch während des Konzertes hatte ich diese Wahrnehmung eines zweiten Ichs gespürt. In meinem tiefsten Inneren schien sich etwas zu bewegen. Vorsichtig versuchte ich, das lebendig werdende Etwas zu fassen. Ich sehnte mich nach diesem undefinierbaren Begleiter in mir. Aber das Ding entzog sich mir, wollte sich meinem Willen nicht unterordnen.

Ich bin bei dir.

Wer bist du?

Ein Teil von dir. Der Begleiter, der dich verführt, manchmal

betrügt, aber stets das Beste will. Der Teil in dir, der dich zur

Essenz des Lebens bringt.

Lass uns endlich beginnen.

Ungeduld ist ein schlechter Freund.

Dann lass uns die Sache behutsam angehen.

So gefällst du mir. Aber der Weg zum Ziel ist beschwerlich. Du

wirst mich noch manches Mal verdammen, bevor die Finsternis

dem Licht weicht. Bist du bereit, dem Bösen eine Chance zu

geben?

Ich bin zu allem bereit, wenn ich von den Zweifeln und Ängsten

befreit werde, wenn die Erleuchtung auf mich wartet und sei es

durch den Tod. Wenn am Ende der Sinn über die Lasterhaftigkeit

siegt.

So soll es sein.

Ich trank den kalten Kaffee aus und beschloss, einen Spaziergang durch die noch kühle Morgenluft Roms zu unternehmen. Auf dem Weg konnte ich eine Buchhandlung aufsuchen. Ich wollte eine Biographie über das Leben Liszts besorgen, mich mit seinen Stationen in dieser Stadt vertraut machen. Und dann würde ich mich dem Kampf der Quinten stellen.

Eine Faust-Sinfonie

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