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Du bist noch nicht der Mann, den Teufel festzuhalten! Umgaukelt ihn mit Süßen Traumgestalten, versenkt ihn in ein Meer des Wahns;

(MEPHISTO an die Geister, Faust: Der Tragödie erster Teil)


Das Auditorium Parco della Musica ist ein phantastisches Kulturzentrum im Stadtteil Parioli in Rom. Es wurde nach den Plänen des italienischen Stararchitekten Renzo Piano erbaut und 2002 eröffnet. Die Sala Santa Cecilia bietet 2800 Sitzplätze und ist für große Orchester und Chöre bestens geeignet.

Nachdem ich im Konzertsaal Platz genommen hatte, vertiefte ich mich in das Programmheft mit den Erläuterungen zur Faust-Sinfonie Liszts. Die Abhandlung beleuchtete vor allem die Kompositionstechnik. Es war die Rede von einem teuflischen Intervall, das einer halbierten Oktave entsprach und früher als furchterregend und böse galt. Das Intervall, auch Tritonus genannt, wurde als Diabolus in Musica bezeichnet und irritierte wegen seiner verwerflichen Eigenschaft zeitweise die Kirche, während es in neuerer Zeit der Schauerdramatik in der Filmmusik dient.

Dieses teuflische Intervall verwendete Liszt zur musikalischen Charakterisierung Mephistos. Faust teilte der Komponist die aufstrebende übermässige Quinte zu. Die beiden Intervalle stellen die Gegenpole des Seins dar.

Als gegeneinander gerichtete Kräfte gipfeln sie in einer von Liszt nachträglich angefügten Komposition. Es handelt sich um den Chorus Mysticus. Mit diesem gigantischen Chorwerk sprengte Liszt den Rahmen des ersten Teils der Faustdichtung und nahm die Apotheose des Ewig Weiblichen aus dem zweiten Teil der Fausttragödie vorweg.


Schon die einleitenden Harmonien des ersten Satzes zogen mich in ihren Bann. Ich fühlte das Toben der Quintharmonien, die aufwärtsstrebende Kraft Fausts, durch alle Glieder hindurch. Erst als ein liebliches Thema die Führung übernahm, klang die Unruhe des ewig Suchenden ab. Klarinetten und Oboen verkündeten den Wunsch nach Erlösung. Doch schon bald ertönten wieder die Posaunen als Zeichen des wiederkehrenden Gigantismus der Faustgestalt.

Das bist du, Professor.

Nein!

Doch. Du strebst nach dem Höchsten und verfällst dem Hochmut.

Ich suche nur.

Das nachfolgende Liebesthema ließ mich durch seine Sanftheit in eine sinnliche Atmosphäre eintauchen. Diesmal ließ sich Faust in zartere Sphären hinunter, bis gegen Ende des ersten Satzes sein Vorwärtsdrängen wieder überhand nahm.

Beim zweiten Satz mit den Gretchenthemen und den Liebesduetten konnte ich mich entspannt zurücklehnen und die betörende Stimmung genießen. Der Dialog Margaretes mit Faust war friedlich und deutlich sentimental, fast naiv. Nichts deutete auf die Tragödie hin, die noch kommen sollte. Auch als die Musik nach Moll schwenkte, blieb die Stimmung trotz kräftigen Streichern ruhig und glitt in eine seltsame Verklärung. In diesem Moment fühlte ich mich glücklich. Die Harmonien ließen mich miterleben, wie sich Margarete und Faust umschlangen.

Bald bin ich dran.

Bleib wo du bist.

Ich kann es kaum erwarten.

Bitte!

Soll ich dich nicht dorthin führen, wo du schmachtend hin willst?

Im Augenblick genügt mir die Musik.

Der letzte Satz zerstörte alles. Der freche Teufel tanzte daher und setzte sich über alles hinweg. Ein Tritonus nach dem anderen. Trotz aufsteigender Chromatik glitt man immer tiefer in das Ungemach der Verderbnis. Fausts Harmonien wurden zerrissen. Es fühlte sich an, als blickte man in einen zerbrochenen Spiegel. Die Dissonanzen schmerzten. Mephisto verhöhnte, zerrte alles zu Boden, durchkreuzte die Charakterstärke Fausts und trat seinen Widerpart mit Füßen. Ich griff mir an die Brust. Ein gewaltiger Druck hatte sich in mir aufgebaut. Etwas zerriss in mir. Als kämpften zwei Egos miteinander. Die Spannung war unerträglich. Die Posaunen Mephistos durchdrangen meinen Körper bis in die feinsten Fasern der Nervenendigungen. Die richtungslos nach überallhin sich auflösenden Harmonien waren verstörend und stießen mich in einen Abgrund der Verzweiflung.

So, das war ich. Hast du mich erkannt?

Leider.

Hab ich dir gefallen?

Nein.

Du wirst mich schon noch schätzen lernen.

Gott bewahre mich.

So ein hässliches Wort.

Du bist auch hässlich.

Die Erlösung kam mit dem Chorus Mysticus, der Verherrlichung der Mater Gloriosa. Die Macht des orchestrierten Chores versöhnte alle gegeneinander strebenden Kräfte zu einer göttlichen Einheit. Es war, als würde ein leuchtender Schweif vom Himmel auf die Erde herunter stürzen und die Menschheit von ihren Qualen erlösen. Ich war froh, dass die Spannung endlich abnahm und ich mich am Ende des Konzertes am tobenden Applaus beteiligen konnte.

All das blöde Getue. Dieses anzügliche Ewig Weibliche! Pfui,

ich halte mich lieber an das Unzulängliche und Vergängliche.

Mach was du willst. Ich strebe nach Sphären, die dir versagt sind.

Wie zutreffend! Ja, ich strebe nach den Tiefen der Finsternis. Mein

Reich ist die Hölle. Glaub mir, du Knecht Gottes, meine Welt

wird dir mehr geben, als dein gescheites Hirn sich vorstellen

kann. Vergnügen und Lust werden deine Sinne bedienen. In der

Verderbtheit liegt die Befriedigung des menschlichen Seins.

Wann wirst du es begreifen?

Ich bin zu verwirrt, als dass ich dir antworten könnte.

Nimm dir Zeit, mein Lieber, ich kann warten.

Der Zuhörerstrom quälte sich durch die engen Gänge der Stuhlreihen wie zähflüssige Melasse. Ich presste mich zwischen die Gäste und ließ mich von ihnen treiben. Der Druck in meiner Brust verstärkte sich wieder, Enge ergriff meinen Hals. Ich bekam kaum mehr Luft. Alles Leben wollte aus mir weichen. Als mich der Besucherstrom in die Haupthalle ausspuckte, kam ich ins Schwanken und ein Schleier tiefer Melancholie senkte sich über mein Bewusstsein.

Ich erwachte am Boden. Ein älterer Herr half mir auf die Füße.

„Soll ich die Ambulanz rufen?“

„Nein, bitte, sehr freundlich, es geht schon. Nur ein kleiner Schwächeanfall.“

Ich setzte mich auf eine Bank. Der Mann reichte mir ein Glas Wasser, das ich dankbar entgegennahm. Ich wusste nicht, was mir mehr zugesetzt hatte, die Spannung zwischen Faust und Mephisto oder diese lästige innere Stimme, die wie mit Messern in mir herumbohrte. War es mein schlechtes Gewissen, welches mich wie ein innerer Schatten daran erinnerte, was ich im Begriffe zu tun war?

Meine frühere Welt schien wie Ballast auf mich herunter zu stürzen. Ich hatte nicht genug über mein Vorhaben nachgedacht, hatte mein Leben überstürzt verlassen. Mit Reue erinnerte ich mich an die Tränen in den Augen meiner Frau Marthe, an das

Unverständnis und Entsetzen in ihrem Gesicht. Nicht auszumalen, wie ich vor meinen Kindern, Sonja und Tobias dastehen würde. Meine wissenschaftliche Karriere war zerstört. Es gab kein Zurück. Ich war allein, allein mit meinem gespaltenen Ich, einem teuflischen Jesuitenpriester und einer vatikanischen Hure. Nicht zu reden vom Teufel in mir.

Die reife Frucht fällt bald vom Baum.

Könnte sein.

So lieb’ ich dich.

Auf die Liebe des Teufels kann ich verzichten.

Ich erlöse dich von deinen Qualen, lasse dich den Sinn des Lebens

entdecken. Ich zeige dir die wahre Liebe, den Weg in die Seligkeit.

Große Worte.

Worte des Teils, der am Anfang alles war ...

Kommt mir irgendwie bekannt vor.

Langsam begreifst du.

Ich bin jetzt müde.

Also dann, gute Nacht und bis morgen.

Nein, ich konnte das nicht länger aushalten. Es wäre wohl besser, wieder nach Hause zurückzukehren. Ich hatte mir Erleichterung und Befriedigung erhofft und steckte nun tiefer im Schlamassel, als ich es je gewesen war. Sollte ich meinen Freund Daniel anrufen? Er wusste nicht einmal, dass ich aus meinem Leben ausgestiegen war. Meine Schwester Agathe? Sie würde mir durch das Telefon hindurch den Kopf abreißen. Meinen Psychiater konsultieren, den ich während mehrerer Monate aufgesucht hatte? Er würde mich nur fragen, ob ich meine Tabletten nahm.

Ich musste erst mal ausschlafen. Morgen würde ich meine Situation überdenken.

Das Auditorium war schon fast menschenleer, als ich mich auf den Weg zu meiner Pension in der Nähe der Spanischen Treppe machte. Eine Frühjahrsbrise strich durch die Gassen und kühlte meinen Kopf. Ich schöpfte Hoffnung.

Eine Faust-Sinfonie

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