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So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt, mein eigentliches Element.

(MEPHISTOPHELES, Faust: Der Tragödie erster Teil)


Paulina nahm mich an der Hand, als wir zusammen die steinerne Treppe zu den Grabkammern hinunterstiegen. Spärliches Licht fiel von den Kandelabern des Gewölbegangs. Es war feucht und ein erdiger Geruch entwich dem Gemäuer. Vorsichtig tasteten wir uns abwärts, bis wir zu einer terrassenartigen Verbreiterung gelangten. Hier teilte sich der Gang. Paulina zeigte mit einer Kopfbewegung zu einer eisernen Wendeltreppe, die weiter in die Tiefe führte. Von unten stieg kühlere Luft empor. Ich vermutete, dass wir uns bereits viele Meter unterhalb der Ebene des Vatikans befanden.

Am Ende der Wendeltreppe hielt mich Paulina am Arm zurück. Vor uns lag ein Säulengang, von welchem mehrere Räume abgingen. Vor der hintersten Kammer stand die Türe offen und man konnte leise Stimmen hören. Die Kurtisane legte ihren Zeigefinger auf die Lippen. Sie führte mich auf die andere Seite des Stollens, wo wir hinter einem Pfeiler Einblick in die Kammer hatten, ohne dass man uns entdeckte.

Es handelte sich offensichtlich um einen Archivraum. An allen Wänden gab es Regale mit Ordnern und Büchern. In der Mitte stand ein Holztisch mit Stühlen. Zwei ältere Kardinäle saßen einander gegenüber. Paulina flüsterte mir ins Ohr, dass es sich um Monsignore Giuseppe Canonico, Chormeister des Vatikans, und um Kardinal Paulo Espinoza, Generalarchivar der Diözese, handelte.

„Streng dich an, Paulo, du musst diese Komposition finden. Es sind nur noch wenige Tage bis zu unserem Festeggiamento Segreto und ich muss das Ganze noch für den Sixtinischen Chor umschreiben.“

„Aber, Giuseppe, wir haben doch Hunderte von Kompositionen. Muss es denn ausgerechnet diese sein? Schriftstücke, die zu ihrer Zeit vom Papst mit dem Bann belegt wurden sind äußerst schwer zugänglich. Ich muss das ganze Bücherregal an der östlichen Wand abtragen, um an die dahinterliegende Geheimkammer zu gelangen. Und ich weiß nicht einmal, wo ich den richtigen Schlüssel auftreiben kann.“

„Ich habe den Schlüssel. Der Kämmerer des Papstes hat ihn mir gegeben.“

„Maledizione! Wenn das der Papst erfährt, dann wehe uns.“

„Für unsere Rituale müssen wir schon etwas riskieren.“

„Du spinnst ja. Willst du den Papst einladen?“

„Warum nicht?“

„Giuseppe, hast du Gras genommen?“

„Gras werde ich nehmen, wenn sie endlich auf dem Altar ausgestreckt liegt.“

„Wozu brauchst du denn diese vermaledeite Komposition?“

„Diese Musik wird uns in Ekstase versetzen. Und die Ekstase ist das Sine qua non für die jungfräuliche Hochzeit mit dem Teufel.

„Wer ist diesmal der Teufel, du?“

„Ich wünsche mir nichts sehnlicher. Aber du weißt ja, die Gemeinschaft entscheidet. “

„Ich begreife nicht, was es mit dieser Musik auf sich hat, warum sie zur Ekstase führen soll.“

„Weil darin das Ewig Weibliche verherrlicht wird, aber nicht die Mater Immaculata, sondern die entjungferte Maria.“

„Du glaubst also nicht an die unbefleckte Empfängnis?“

„Es steht nichts davon in der Bibel. Das Dogma hat Pio Nono erlassen. Er wollte durch die Unversehrtheit Marias die Erbsünde von der Kirche fernhalten.“

„Heute bist du richtig bösartig.“

„Sagen wir es so: viele von uns wissen nicht, dass das Böse unmöglich verbannt werden kann. Der Teufel steht uns Priestern auf die Stirn geschrieben seit Kain seinen Bruder erschlagen hat. Der Herr hat Luzifer verstoßen, damit er ihn auf dem Schlachtfeld der menschlichen Seelen bekämpfen kann. Unsere Gläubigen sind aber zu schwach, um dem Bösen zu widerstehen. Ihnen muss die Angst vor dem Teufel eingeimpft werden. Sie werden sich gerne von ihren Sünden freikaufen. Ein goldiges Geschäft, mein Lieber. Was wäre die katholische Kirche ohne den Herrn der Finsternis?“

„Glaubst du wirklich, dass wir Kardinäle den Teufel in uns tragen?“

„Ich meine, wir sollten uns nicht schämen und ihn annehmen, so wie Adam die verbotene Frucht aus der Hand Evas angenommen hat. Wir müssen die Weiblichkeit, die sich bei der Erschaffung des Menschen gegen uns versündigt hat, bestrafen und unterdrücken. Sie ist die Verkörperung des Bösen.“

„Du machst mir Angst, Giuseppe, wirklich.“

„Ich werde dir die Beichte abnehmen, damit du deine Seele erleichtern kannst.“

Ich konnte mich vor Entsetzen kaum auf den Beinen halten. Paulina bemerkte, dass ich taumelte und hielt mich fest. Sie flüsterte in mein Ohr.

„Professor, können Sie den Wortwechsel verstehen?“

„Nur zu gut. Ich spreche italienisch, weil ich mit italienischen Forschern zusammenarbeite. Ich wollte, ich hätte nichts verstanden. Es ist kaum zu glauben, was ich höre. Einfach schrecklich. Paulina, Sie brauchen mir nicht zu sagen, wer auf dem Altar dem Teufel geopfert werden soll. Ich habe begriffen. Um welche Komposition handelt es sich denn?“

„Ich weiß es nicht. Hören wir weiter.“

Monsignore Canonico war aufgestanden und grübelte in der Tasche unter seiner Soutane. Er hielt einen schwarzen Schlüssel in der Hand.

„Hier, du musst schnell arbeiten. Ich sehe den Kämmerer noch heute Abend. Die mit dem Bann belegten Akten befinden sich zuhinterst in einem riesigen Schrank. Sie sind nach Jahreszahl geordnet. Die Komposition findest du unter dem Jahr 1870. In diesem Jahr hat Pius das Werk mit einer päpstlichen Bulle verdammt. Die Partitur trägt die Jahreszahl 1857. Obwohl es sich nicht um das Original handelt, wurde der Abdruck von Franz Liszt persönlich signiert. Ich gehe davon aus, dass er mit der Schrift bei Pio Nono war. Wahrscheinlich hatte der Komponist Zweifel an der Lauterkeit seiner Musik. Ich weiß nicht, ob der Papst die Partitur in den Index verbotener Kompositionen aufgenommen hat. Jedenfalls wurde das Werk zu Zeiten Liszts in Rom nie aufgeführt.“

„Wie, hast du gesagt, heißt das Werk?“

„Chorus Mysticus, das Alternativ-Finale der Faust-Sinfonie. Die Apotheose der weiblichen Sinnlichkeit. Ein teuflisches Werk. Es zeigt die verwerflichen Charakterzüge des Komponisten. Er war besessen von Weibern, betete sie an und ließ sich zur Sühne die priesterlichen Weihen geben.“

„Und in deiner Logik war seine Stirne von Satan gezeichnet.“

„Du sagst es.“

Verzweifelt blickte ich Paulina an.

„Ich muss hier raus, bitte.“

Die Kurtisane schien mein Entsetzen zu spüren. Sie ergriff meine Hand und führte mich behutsam zur Wendeltreppe zurück. Als sei der Teufel persönlich anwesend stolperte ich, als wir den Gewölbegang erreichten, über eine Erhebung im Boden und schlug gegen einen Kandelaber. Er fiel krachend herunter.

In diesem Augenblick glitt ein eisernes Tor von der Decke und versperrte den Weg. Offenbar war ein Sicherheitsalarm ausgelöst worden. Die zwei Kardinäle stürmten aus dem Archivraum, polterten die Wendeltreppe empor und blieben vor uns stehen.

„Nanu, die Hure mit einem Freier. Was treibst du hier, Paulina. Du hast heute keinen Dienst, soviel ich weiß. Bianca ist im Plan eingetragen.“

Das Gesicht von Kardinal Canonico verfinsterte sich, als er mich mit seinen Augen musterte. Dann wandte er sich wieder der Kurtisane zu.

„Du weißt, dass es streng untersagt ist, diese Räume mit weltlichen Sündern zu betreten. Ich werde es dem Generalvikar melden müssen. Wie viele Peitschenhiebe hast du für dieses Vergehen verdient?“

„Zehn? Fünfzehn?“ Die Stimme Paulinas war nur noch ein Säuseln.

„Fünfundzwanzig, meine Liebe! Melde dich morgen im Vikariat.“

„Zu Diensten, Eminenz.“

Paulina wollte mich wegziehen, als der Kardinal mich am Ärmel packte.

„Der Ausgang bleibt versperrt, bis wir wissen, wer dieser Herr ist. Er scheint kein Römer zu sein. Wie heißen Sie?“

„Professor Hannes Georg.“

„Interessant. Welches ist denn ihr Gebiet, Herr Professor? Erforschen Sie das Wesen der Begierde?“

Paulina stellte sich schützend vor mich.

„Er ist unschuldig, Monsignore, ich habe ihn verführt.“

„Ist ja dein Beruf. Aber wir haben mit dir einen Vertrag abgeschlossen. Du hast eine kirchliche Anstellung und einen guten Lohn. Dein Arbeitsbereich betrifft ausschließlich die Bedienung der Kardinäle. Schon vergessen?“

„Ich bitte um Vergebung, Euer Heiligkeit. Es kommt nicht wieder vor.“

„Das will ich hoffen. Und nun raus hier. Und vergiss den Peitschentermin nicht. Ihnen, Professor, rate ich gründlich zu vergessen, wo Sie heute waren. Die Arme des Vatikans sind lang und ich möchte Ihnen nicht wünschen, sich mit dem Bischof von Rom anzulegen.“

Kardinal Canonico drückte auf einen Knopf in einer Vertiefung neben dem Eisentor. Sogleich begann sich die Absperrung zu heben und wir eilten rasch nach oben. Meine Knie zitterten.

Als wir vor dem Vatikan standen, fanden wir keine Worte. Wir starrten auf den beinahe leeren Petersplatz. Die Dunkelheit war hereingebrochen und Laternen kämpften vergeblich gegen die Finsternis. Paulina fasste sich zuerst.

„Es tut mir leid, Professor. Ich habe Sie in eine unangenehme Situation gebracht. Für mich ist es nicht schlimm. Das Spiel mit der Peitsche gehört zu unserer Arbeit. Die Ordensbrüder lieben es. Es gibt ihnen Macht über uns. Einige ziehen es vor, von uns Kurtisanen selbst gegeißelt zu werden. Der Schmerz, wissen Sie, er hilft vielen Gottesmännern über das Leid hinwegzusehen, das sie über die Gläubigen bringen. Busse für die Kirche, sozusagen. Auch Kardinäle fürchten das Wort Gottes. Sie haben es ja gehört. Die Angst ist die Waffe der Kirche. Sie hält die Institutionen am Leben, macht sie reich.“

„Sie tragen keine Schuld, Paulina. Ich wollte es ja, wegen der Novizin. Jetzt bin ich alarmiert. Jemand muss sie warnen.“

„Sie weiß von dem Vorhaben der Jesuitenbrüder.“

„Sie weiß es?“

„Ihr Glaube an die Kraft des Guten ist so groß, dass sie überzeugt ist, dem Bösen widerstehen zu können. Evi ist so beseelt von Jesus Christus, dass sie ihr Leben für ihn geben würde.“

„Aber doch nicht für den Teufel“.

Hast du noch immer etwas gegen mich?

Du bist das Krebsgeschwür der Menschheit.

Und doch brauchen mich alle.

Ich könnte auf dich verzichten.

Wer hat dich denn in die Kellergewölbe geführt?

Paulina.

Bist du sicher?

Ich sehne mich nach der Novizin.

Wer hat das Begehren in dir geweckt?

Du?

Wer sonst?

Paulina zupfte mich am Arm.

„Professor, geht es Ihnen gut? Sprechen Sie mit jemandem?“

„Ich ... weiß nicht, ich meine ..., nein, ich glaube nicht.“

„Hören Sie, ich fühle mich in Ihrer Schuld. Ich möchte das Ihnen Widerfahrene gutmachen, Ihnen Zärtlichkeit geben, damit Sie sich entspannen können. Ich lade Sie ein, die Nacht bei mir zu verbringen. Sie haben gehört, ich habe keinen Dienst. Wir können auch das Peitschenspiel machen, wenn Sie wollen. Vielleicht hilft Ihnen der Schmerz, die Verirrungen der Kirche leichter zu ertragen.“

Sie nahm mich am Arm und ich wehrte mich nicht.

Eine Faust-Sinfonie

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