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ОглавлениеEs irrt der Mensch so lang er strebt
(DER HERR, Faust: der Tragödie erster Teil)
Bayreuth
29. Juli 1886, Liszts Sterbezimmer
Ich, Ferenc Liszt, habe mein Leben lang das Höchste gesucht und nur den Teufel in mir gefunden.
Was habe ich nicht alles getan, um mich vom Bösen zu reinigen, zu mir selbst zu finden. Ins Kloster bin ich geflüchtet, um meine Seele zu retten. Zum Priester habe ich mich weihen lassen, als ich den Teufel im Rücken spürte. An den Papst habe ich mich gewandt, um Vergebung von meinen Sünden zu erbitten. In die Einsamkeit habe ich mich zurückgezogen im Bestreben, Gott zu finden. Ich hatte den Willen, die Kirchenmusik zu reformieren, habe mich der sakralen Komposition zugewandt, die Poesie in der christlichen Religion gesucht.
Und doch, in all meinem Bestreben habe ich geirrt. Meine Musik sprach Verderbtheit und Sünde. Das teuflische Intervall durchdrang die reinen Harmonien. Die Geistlichkeit Roms belegte meine Musik mit dem kirchlichen Bann. Meine Kompositionen verrieten die Sinnlichkeit, die in meinen Adern floss, mein Streben nach grenzenloser Befriedigung. Ich wurde zum Faust der sinfonischen Dichtung, zum ewigen Sucher nach der Kehrseite der Welt. Jedes Mittel war mir recht, jeder Verrat an meiner Gesinnung willkommen. Am Ende triumphierte der Teufelsvirtuose in mir. Er war das Geheimnis meines Erfolges. Trunken vom Rausch des Applauses, geschmeichelt vom Beifall meiner Anhänger, glaubte ich das Höchste erreicht zu haben.
Lange ist es her, dass ich in der Kutsche von Rom nach Tivoli in die Villa d’Este reiste und man mir den roten Teppich ausrollte, dass mir Freudentränen des Jubels entgegenströmten. Ich genoss das Bad in der Menge, diese Liebkosungen meiner Seele. Und immer war die sinnliche Weiblichkeit an meiner Seite.
Ohne die teuflischen Verführungen wäre meine Kraft erschöpft, mein Erfolg ausgeblieben, mein Dasein in der Bedeutungslosigkeit erstickt. Wie hätte ich die wesentlichen Dinge des Lebens erkennen können? Nur das fortwährende Ringen des Teufels mit dem Herrn in meinem Inneren öffnete mir den Weg zu den Grenzen menschlicher Erkenntnis, zur Entfaltung der Macht meiner Musik.
Rom, ewige Stadt lustvoller Verführung, wie kostbar bist du mir geworden. Madonna del Rosario, Santa Francesca Romana, Villa d’Este. Heiliger Engel, der du vom Herrn abgefallen bist und dem Menschen ewig dienst. Nie mehr will ich auf dich verzichten, nie dich aus meinem Leben verbannen. Ich brauchte dich, habe dich umarmt und bis zum letzten Tropfen dein verderbliches Blut getrunken.
Jetzt ist die Stunde gekommen, um Rechenschaft über mein Leben abzulegen. Hier in Bayreuth, an der Wahnfriedstrasse 9, unweit des Festspielhauses meines Schwiegersohnes Wagner. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit, weggesperrt, ein Gefangener meiner selbst. Allein vor dem Gericht Gottes. Allein in den Armen des Teufels. Mitten im Ringen der übermenschlichen Kräfte. Schutzlos und nackt den Mächten ausgeliefert, die den Tod verlangen. Wer soll über mich richten, wenn nicht ich selbst? Wo bleibt die letzte Ölung, die mich von den Sünden des Lebens befreit und die man mir vorenthält? Wer spielt mir die Musik, die mich erlösen wird?
Nur das Schluchzen der Weiblichkeit begleitet mich auf meinem letzten Weg. Das Verlangen ist groß, der Schmerz unerträglich. Ich spüre die sanfte Berührung, die kühle Haut, höre die zarten Worte. Die Himmelskönigin spricht zu mir: Wohin gehst du? Ich will zu ihr. Nur sie, nur ihre Vollkommenheit kann meine Seele retten. Nur sie wird mich über den Tod hinaus begleiten.
Herr, ich begebe mich in deine Hände.
Ferenc Liszt starb am 31. Juli, 1886, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, im Beisein seiner Tochter Cosima.