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DER JUNGE AUS EL RAVAL
ОглавлениеEl Raval ist eines der widersprüchlichsten Stadtviertel Barcelonas. Was früher einmal die Aorta dieser aufregenden katalanischen Hauptstadt war, ist zu einem heruntergekommen Viertel geworden. Einst Viertel der Arbeiter und Bohemiens, in dem sich Künstler aus der ganzen Welt ihr Stelldichein gegeben haben, machten sich nun Prostitution und der Drogenhandel breit. Die fast vierzigjährige Franco-Diktatur hatte tiefe Spuren hinterlassen. Leute aus El Raval lebten am Rande der Gesellschaft und standen ständig unter Generalverdacht, kriminell zu sein.
El Raval, das Viertel, das mit seinen 1,2 km2 und mit annähernd dreißigtausend Bewohnern nachweislich das am dichtesten bevölkerte Viertel Spaniens war.
José Maria Cardona Garcia, ein Junge dieses Viertels, welches man auf Grund des schlechten Rufes nur noch Barrio Chino nannte, war hier bekannt wie ein bunter Hund. Ein sympathischer Zigeunerjunge, den alle nur Pepito nannten.
Seine Eltern waren zugewanderte Spanier, die hier Forrasters (Auswärtige) genannt wurden. Der Vater, ein Maler aus Malaga, hatte sich in den frühen fünfziger Jahren mit seiner jungen Frau aufgemacht, sein Glück als Künstler in Barcelona zu suchen.
Eine schwere Zeit, in der sich jeder einschränken musste. Der Bürgerkrieg war erst seit einigen Jahren vorüber und das Land wurde mit eiserner Hand regiert.
Pep kam im Oktober 1956 zur Welt, sein Vater verstarb bereits im Oktober 1958.
Die einzige Erinnerung, die ihm von seinem Vater geblieben war, hing, seit er denken konnte, lebensgroß an einer Wand im Salon der elterlichen Wohnung. Unter dem Bild befand sich eine Kommode, auf der seine Mutter Maria Teresa eine Art Altar aufgebaut hatte. Maria war, wie alle Spanier, streng katholisch. Wenn sie seelischen Beistand benötigte, zündete sie eine Kerze an und sprach manchmal ein halbe Stunde mit ihrem verstorbenen José Luis, der stumm auf sie herabschaute.
Mutter Maria war eine zierliche Andalusierin, die es sicherlich nicht immer ganz leicht gehabt hatte, sich in dieser Zeit mit einem Kleinkind durchzuschlagen. Ihr hübsches und zugleich energisches Gesicht war bereits im jungen Alter vom Leben gezeichnet und ihr schwarzes Haar begann frühzeitig, zu ergrauen. In dieser Zeit war ein starker Wille vonnöten, um einigermaßen über die Runden zu kommen. José, ihr einziger Sohn, musste ohne Vater aufwachsen. Maria wurde von dem kleinen Pep wie eine Ikone verehrt. Obwohl er als Einzelkind aufwachsen musste und von seiner Mutter verwöhnt wurde, hatte er frühzeitig lernen müssen, Verantwortung zu übernehmen.
Man schrieb das Jahr 1975 und aus Pepito war inzwischen ein stattlicher junger Mann geworden. Ein typischer Spanier, der seinen Platz in der Gesellschaft suchte und sich dabei oftmals selbst im Wege stand. Sein breites Lächeln und seine natürliche Freundlichkeit machten ihn zu einem außergewöhnlichen Menschen. Seine pechschwarzen Haare und seine dunklen Augen ließen erkennen, dass Zigeunerblut durch seine Adern floss. Pep war der Spross einer Mischehe und mit allen Pflichten und Rechten Spanier. Er schien alles von seinem Vater geerbt zu haben. Er war mit einem Meter achtundachtzig für spanische Verhältnisse überdurchschnittlich groß. Seine tiefbraunen Augen und seine wohlgeformte Nase passten in sein ovales freundliches Gesicht. Die Mutter seines Vaters, seine Großmutter, war eine sesshafte Zigeunerin aus Sevilla, die der kleine Pep in seiner Erinnerung nur in schwarzen Trauerkleidern kannte. Der Großvater war 1937 im Bürgerkrieg gefallen und seit jener Zeit pflegte sie, sich traditionell in schwarz zu kleiden.
Pep konnte sich gut an sie erinnern, weil sie in der Osterwoche, der Semana Santa, etliche Male zu Besuch bei ihnen gewesen war. Eine Zeit, an die er sich nur ungern erinnerte. Nicht nur, weil er ständig mit seiner strengen Großmutter sein Zimmer teilen musste, sondern, weil sie gerade in der Osterwoche weder eine Prozession verpasste noch eine Kirche ausließ und dabei musste Pep sie ständig begleiten. Der ethnischen Minderheit der Sintis anzugehören, war zu jener Zeit ein einziger Spießrutenlauf. Ganz gleich, ob sie zu der Gruppe der Sesshaften oder Nichtsesshaften zählten. Ein geduldetes Volk, welches sich in Ruinen am Rande der Stadt aufhielt und sich einmal im Monat bei der Polizei zu melden hatte. Gültige oder langfristige Aufenthaltsrechte gab es für sie nicht.
Pep hatte im März 1979 seinen Militärdienst auf den Balearen absolviert und war danach nach Barcelona zurückgekehrt. Er hatte seine Liebe zur Disziplin entdeckt. Er hatte sich angewöhnt, seine Sachen zu ordnen, bevor er zu Bett ging. Eine Marotte, die wohl seiner militärischen Ausbildung geschuldet war. Aus Pepito war ein erwachsener und disziplinierter junger Mann geworden.
Mutter Maria hatte ihren Sohn vermisst. Für einen Besuch in Barcelona hatte es nur zwei Mal gereicht. Die Fähre zwischen Palma de Mallorca und Barcelona kostete 1.200 Pesetas. Er bekam dreihundert Pesetas Wehrsold und das hatte nicht einmal für Zigaretten gereicht Maria hatte ihren Sohn so gut es ging unterstützt, wobei ihr das nicht immer leicht gefallen war. Die Zeiten hatten sich geändert, alles war teurer geworden.
Für Pep hatte ein neuer Lebensabschnitt begonnen und zugleich eine Situation, die er bisher noch nicht kannte. Er war seit seiner Kindheit nie ohne Geld gewesen, während seiner Militärzeit musste er ständig bei seiner Mutter um etwas Taschengeld ersuchen. Irgendetwas musste er tun. Arbeit gab es nicht, es sei denn, er wäre an die Costa Brava gegangen und hätte in irgendeinem gastronomischen Betrieb den Beruf des Kellners erlernt. Aber dafür hatte er nicht sein Abitur gemacht.
Es waren einige Wochen vergangen und all seine Bemühungen, eine Arbeit zu finden, waren fehlgeschlagen.