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DIE UNGLEICHEN FREUNDE
ОглавлениеDer Frühling hatte Einzug gehalten und das Thermometer zeigte bereits 22 Grad Celsius. Pep versuchte zwar, sich nützlich zu machen und half seiner Mutter so gut es ging, aber die Situation wurde für ihn immer unerträglicher.
An einem dieser Tage hatte Maria ihn einmal mehr gebeten, für sie einige Besorgungen im gotischen Viertel zu machen.
Die angrenzenden Ramblas waren voller Leute und man konnte das Gefühl haben, ganz Barcelona sei unterwegs.
Pep hatte sich auf der Terrasse einer Cafeteria niedergelassen, um die Frühlingssonne und die leichte Brise zu genießen, die vom Hafen herüberkam. Er liebte es, hier zu sitzen und die vorbeilaufenden Menschen zu beobachten, die, wie es schien, bereits ihre Sommerkleidung aus ihren Schränken hervorgeholt hatten.
Menschen aus seinem Viertel liefen an der Terrasse vorbei, auf der er saß. Menschen, die er kannte und die mit einem kurzen »Hola, hallo« vorbeihuschten.
Alle Leute genossen die ersten warmen Frühlingstage und es war für ihn lustig zu sehen, wie ein Teil der Leute sich hastig in Richtung Hafen bewegte und der andere in Richtung Plaza Catalunya. Andere, zumeist Touristen, blieben stehen, um sich die schlecht vorgeführte Pantomime anzuschauen.
Es waren junge Menschen aus dem angrenzenden El Raval, die sich auf verschiedene Weise anmalten und den ganzen Tag versuchten, auf einer Stelle zu stehen, oder andere, die irgendwelche Faxen machten, um bei den Touristen einigen Pesetas zu erbetteln. Einige Ausländer ließen sich mit ihnen fotografieren und legten ein paar Pesetas in das Bettelgefäß, welches die Pantomimen vor sich aufgestellt hatten.
Pep war in seine Gedanken versunken und hatte gerade überlegt, ob er auch in der Lage wäre, so etwas zu tun, als er mit einem Lauten »Hola Pep, hallo Pep« angesprochen wurde.
Es war Xavi, dessen voller Name Javier Fernandez lautete. Ein Schulkamerad, der mit ihm Abitur gemacht hatte.
Javier war nicht derjenige, den alle Welt zum Freund haben wollte und Pep hatte während seiner Schulzeit weder von ihm Notiz genommen noch hatte er Kontakt mit ihm gehabt. Dieser Junge war klein, hatte tief liegende Augen und eine viel zu große Nase. Seine nicht so attraktive Erscheinung hatte er immer mit einer gewissen Arroganz zu überspielen versucht.
Eines war Pep natürlich nicht entgangen: Xavi war immer gut gekleidet und verfügte selbst als Jugendlicher über eine Menge Geld, mit dem er sich seine Freunde zu kaufen pflegte.
Javier Fernandez war ein Junge aus gutem Haus. Seine Eltern besaßen mehrere Immobilien in der Innenstadt und in der Nähe des gotischen Viertels.
Mit einem »Freut mich, dich zu sehen« begrüßte Pep seinen ehemaligen Schulkameraden.
»Setz dich zu mir«, sagte er. »Kann ich dich zu etwas einladen?«
»Klar, ich nehme einen Kaffee.« Xavi rief den Kellner herbei, um ihm seine Bestellung zu übermitteln.
»Was machst du so, Pep?«
»Ich habe gerade meinen Militärdienst absolviert und weiß noch nicht so recht, was ich jetzt machen soll. Und du, Xavi, wirst sicherlich bei deinen Eltern im Betrieb arbeiten, oder?«
Javier grinste, und Pep fiel zum ersten Mal auf, dass Xavis Grinsen gut zu seinen tiefliegenden Augen passte.
»Nein, mein Freund, ich war die letzten zwei Jahre auf einer Hotel- und Gastronomieschule und habe gemerkt, dass Gastronomie nicht mein Ding ist.«
Javiers Eltern hatten ein sehr gut gehendes Restaurant auf der Gran Via, das von Xavis älterem Bruder geführt wurde.
»Und was ist mit dem Militär, musst du nicht dahin, Xavi?«
»Der Krug ist gottlob an mir vorübergegangen, dafür hat mein Vater gesorgt, und im elterlichen Betrieb und dann noch mit meinem Bruder zusammen? Das wäre für mich eine Katastrophe«, sagte er kopfschüttelnd und verzog grinsend seine Mundwinkel.
»Ich habe mich bei der Polizei beworben. Geh mal auf die Jefatura de la Policia Nacional, die suchen noch junge Leute mit Abitur. Ich habe mich dort auch beworben.«
Pep schaute sein Gegenüber etwas verwundert an.
»Ich komme aus El Raval und du glaubst, die haben auf mich gewartet?«
»Das macht doch nichts, mehr als dich ablehnen können sie nicht.«
Pep musste über Xavis pragmatische Antwort lächeln. Die beiden redeten noch eine Weile und Pep stellte während der Unterredung fest, dass dieser Javier im Grunde ein schlaues Bürschchen war und die Arroganz aus der gemeinsamen Schulzeit etwas abgelegt zu haben schien. Eine Unterhaltung dieser Art hatte es zwischen den beiden nie gegeben. Xavi hatte während seiner Schulzeit einen anderen Freundeskreis gehabt und sich mit einem aus El Raval abzugeben wäre unter seinem Niveau gewesen. Aber vielleicht hatte sich Pep das alles auch nur eingebildet.
Wobei Kinder, die aus dem Barrio Chino kamen, immer unter besonderer Beobachtung standen. Die beiden Stadtteile, das gotische Viertel und El Raval, waren nur durch eine Allee, die Ramblas getrennt. Trotzdem prallten hier zwei Welten aufeinander, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.
Die Zeiten waren längst vergessen, in denen Pep seine Pausen allein auf dem Schulhof verbringen musste, weil andere Schüler mit ihm nichts zu tun haben wollten. Wer hier sein Abitur machte, war entweder Sohn eines Funktionärs oder der Spross einer Familie mit Geld.
Einige Tage waren vergangen seit der Unterhaltung mit seinem Schulkameraden Javier Fernandez. Pep ahnte noch nicht, dass diese Unterhaltung sein Leben verändern sollte.
Er hatte seit einigen Nächten schlecht geschlafen. Die Sache mit der Polizei ging ihm nicht aus dem Kopf. Seine Angst, abgewiesen zu werden, war so groß, dass er seit Tagen nachdenklich durch sein Viertel lief. Ein Zigeunerjunge aus El Raval bei der Polizei, das war für ihn so irreal wie eine Reise zum Mond. Zum einen gab er seinem Schulkameraden recht, was konnte er schon verlieren? Mehr als eine Absage oder eine rassistische Bemerkung würde er nicht bekommen. Anderseits war er neugierig geworden, wie man auf seine Bewerbung reagieren würde.
Das Gebäude der Polizei befand sich in Via Laietana, in der Avenida, in der sein Schulkamerad Xavi wohnte.
Pep betrat das alte ehrwürdige Gebäude, welches wohl im vorigen Jahrhundert erbaut worden war. Er liebte diese alten staatlichen Gebäude, die mit ihren verzierten Fassaden ziemlich protzig daherkamen. In der riesigen Eingangshalle saß auf der rechten Seite des Foyers hinter einem Tisch ein uniformierter Polizist, der gelangweilt in einer Zeitung blätterte. Die beiden großen Flaggen im Rücken des Beamten schienen die Wichtigkeit seiner Anwesenheit zu unterstreichen. Es dauerte eine Weile, bevor der Beamte von seinem Besucher Notiz nahm. Langsam erhob der Beamte seinen Kopf und schaute Pep prüfend an.
»Que quieres, was willst du?«, fragte der Polizist schroff.
Pep war von der Unhöflichkeit des Uniformierten so erschrocken, dass er am liebsten gleich wieder gegangen wäre. Er brauchte eine Weile, um mit seinem Anliegen fortzufahren. Der unfreundliche Polizist schaute ungläubig und übergab Pep einen Zettel, auf dem er die Zimmernummer und den Namen eines Kollegen gekritzelt hatte.
»Erste Etage, Zimmer 109 bei Comisario Lopez«, sagte der Beamte kurz und bestimmend und schob eine Art Gästebuch über den Schreibtisch, in das sich jeder Besucher eintragen musste.
Pep ging etwas ängstlich die breite Treppe mit dem reichlich verzierten Geländer hinauf, um ins erste Obergeschoss zu gelangen.
Als er an die Tür des Zimmers 109 klopfte, kam aus dem Raum hinter der Tür ein lautes Adelante. Pep bemerkte, dass seine Knie zu zittern begannen, als er das Büro des Comisario Lopez betrat. Ein riesiger Raum, der außer ein paar Sitzmöbeln und einigen Regalen an der Wand sehr spärlich eingerichtet war. Peps flüchtiger Blick fiel auf die Berge von Akten, die auf dem Schreibtisch lagen. Hier herrschte ein Chaos, das man nicht übersehen konnte. Der uniformierte Beamte schaute fragend durch die Aktenberge. Auf dem Schreibtisch stand ein großer Aschenbecher, der so voll mit Zigarettenstummeln war, dass die Asche bereits über einige Teile des Schreibtisches verstreut lag.
Pep stellte sich vor und begann, sein Anliegen vorzutragen.
Comisario Lopez, ein großer kräftiger Mann mit graumeliertem Haar schaute sein Gegenüber nachdenklich an und erhob sich langsam aus seinem klapprigen Bürostuhl. Lopez trug eine braune Uniform, die mit einigen Auszeichnungen versehen war. Er bemusterte den Zigeunerjungen von oben bis unten und begann nun endlich zu sprechen.
»Woher kommst du, José Maria Cardona?«, frage er.
»Ich bin aus Barcelona und wohne in der Carrer Sant Fernando«, antworte Pep höflich.
Lopez drehte sich herum und schaute auf den an der Wand hängenden Stadtplan von Barcelona. Ein aussichtsloses Unterfangen. Er schien in dem Wust der Straßen, die auf dem Plan verzeichnet waren, die Carrer Sant Fernando nicht zu finden.
»San Fernando? Wo ist das?«
»In El Raval«, entgegnete Pep.
Der Comisario schaute verwundert über seine Brille, die er auf der Nasenspitze trug.
»Aha, und du willst dich bei der Policia Nacional bewerben? Ganz schön mutig, mein Freund.«
Lopez war es gewohnt, Leute aus diesem Viertel auf andere Weise kennenzulernen und plötzlich stand ein junger Zigeuner vor ihm und wollte sich bei der Polizei bewerben. Das bekam er im ersten Moment nicht auf die Reihe.
»Hast du Vorstrafen?«
»Nein«, entgegnete Pep entrüstet. Obwohl die Frage nicht unberechtigt war. So einfach war es nicht für einen Jungen aus El Raval, ohne Vorstrafen auszukommen.
»Was kannst du sonst noch, José Maria Cardona?«
Lopez war neugierig geworden. Überhaupt schien sich die Laune des Comisario Lopez jetzt etwas gebessert zu haben.
Pep erzählte kurz und knapp, dass er soeben seine Militärzeit absolviert habe und sein Abitur mit einem Notendurchschnitt von 8,5 bestanden hatte.
Lopez schien beeindruckt und lächelte das erste Mal. Ein kleiner Funke Sympathie schien bei ihm übergesprungen zu sein. Der Polizeikommissar schob nachdenklich seine Brille mit dem rechten Zeigefinger auf dem Nasenrücken hin und her, bevor er fortfuhr.
»Um ehrlich zu sein, José, ich finde deine Bewerbung ausgesprochen mutig und ich möchte deine Unterlagen bis Ende der nächsten Woche auf meinem Tisch haben, dann werden wir mal sehen, was wir mit dir machen. Ist das okay für dich?«
Lopez legte einige Formulare auf den Schreibtisch, die es auszufüllen galt.
»Du bringst mir deinen Lebenslauf, dein Zeugnis und die Beurteilung aus deiner Militärzeit mit, ist das klar?«, sagte er einem Befehlston. »Du solltest dich beeilen, bald beginnen die Lehrgänge«, fügte Lopez hinzu und reichte Pep lächelnd die Hand.
Aus dem alten Griesgram, der eben noch so abweisend auf Pep gewirkt hatte, war ein freundlicher Herr geworden.
Die Verabschiedung war herzlich und Pep versäumte es nicht, sich mit einem freundlichen »encantado de conocerle, es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen«, zu verabschieden.
In den nächsten Tagen hatte Pep es eilig, die von Lopez geforderten Unterlagen zusammenzutragen. Sämtliche Papiere mussten in Original sowie in Kopie vorgelegt werden.
Pep versuchte, eine Kopieranstalt ausfindig zu machen, um seine zusammengetragenen Werke kopieren zu lassen. Schließlich fand er einen schäbigen Laden an der Plaza Catalunya, der von außen seine Dienste als Copisteria anbot. Die Kopien waren grausam und man konnte auf den Fotos, die Pep auf die Bewerbungsunterlagen geklebt hatte, kein Gesicht erkennen. Ihm war es egal, es wurde so verlangt und da waren ja noch die Originale.
Die erste Hürde war genommen, die Scheu war abgelegt und nun wollte er auch wissen, wie die Sache ausging. Pep hatte sich beeilt und begab sich bereits Anfang der Woche wieder in die Via Laietana, um die Unterlagen zu überbringen.
Der Polizist, der an diesem Tag in der großen Halle hinter dem kleinen Schreibtisch saß, war ein freundlicher junger Beamter, der Pep lächelnd mit einem »buenos días« begrüßte.
»Ich habe hier Unterlagen für Señor Lopez, die ich ihm persönlich übergeben muss. Er hat bei meinem letzten Besuch darauf bestanden, die Unterlagen selbst entgegenzunehmen«, sagte Pep.
»Der Comisario ist gerade außer Haus, aber er ist gleich wieder da », erwiderte der Polizist. Es war nicht außergewöhnlich, dass jemand seinen Arbeitsplatz verließ, um in einer nahegelegenen Cafeteria einen Kaffee zu trinken. Dieser Vorgang wiederholte sich in der Regel mehrmals täglich und wurde von allen Leuten praktiziert, ganz gleich welcher Berufsgruppe. Der Kaffee war wichtig und gerade bei der Polizei war nichts so eilig, dass man auf die Pausen hätte verzichten können.
Pep musste nicht lange warten. Er wollte sich gerade auf eine alte Holzbank setzen, als der Kommissar die große Eingangshalle betrat. Lopez entdeckte ihn sofort und kam lächelnd auf ihn zu. Mit einem »Hola José« begrüßte er Pep, der schüchtern seine mitgebrachten Unterlagen in den Händen hielt.
Lopez machte eine kurz Handbewegung, die ihn zum Mitkommen aufforderte.
Der Kommissar war eher der bequemere Typ, der nicht gerne die breite Treppe nahm, um in sein Büro in die erste Etage zu gelangen. Er ging auf den alten Aufzug zu, der sich in der Ecke der großen Halle befand. Pep benutzte diese Fahrstühle mit gemischten Gefühlen und nur im äußersten Notfall. Zu oft gab es Stromausfälle und dann steckte man manchmal stundenlang in diesen Aufzügen fest.
Dieser Paternoster war sicherlich so alt wie das Gebäude und noch aus dem vorherigen Jahrhundert. Man konnte, während sich der Korb ächzend nach oben bewegte, hinaus schauen und sehen, wer auf den Treppen nach unten ging.
Auf der ersten Etage angekommen gingen sie auf das Zimmer 109 zu, welches sich direkt gegenüber dem Aufzug befand. Lopez zog langsam einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und schloss die Bürotür auf.
Der junge José war verwundert, dass selbst die Polizei ihre Türen verschließt. »Wer sollte wohl wagen, hier etwas zu klauen«, dachte Pep.
»Komm«, sagte er und forderte Pep auf, einzutreten.
Lopez setzte sich in seinen verschlissenen Schreibtischsessel und betrachtete die mitgebrachten Unterlagen. Er hatte einige Minuten damit verbracht, sich den Lebenslauf und seine Zeugnisse anzusehen.
Lopez nickte nachdenklich mit dem Kopf, bevor er sich erhob und Pep eine Weile anschaute.
»José, du solltest mir jetzt noch ein Certificado Medico, ein Gesundheitszeugnis vorbeibringen und dann wirst du in den nächsten Tagen von mir hören.«
»Bedeutet das, Sie nehmen mich, Comisario?«
»Noch bedeutet das gar nichts, mein Freund, und jetzt raus, du hörst von mir«, sagte Lopez lächelnd.
Pep verabschiedete sich höflich und verließ das Gebäude in der Erwartung, bald einen positiven Bescheid von Lopez zu bekommen.
Es waren inzwischen zwei Wochen vergangen und Pep hatte sich noch einmal mit Javier Fernandez getroffen. Xavi hatte bereits Nachricht bekommen und müsse sich, so sagte er, am dritten Mai zu seiner Ausbildung in Avila einfinden.
Eigentlich hatte sich Pep längst auf die Ablehnung seiner Bewerbung eingestellt. Trotzdem schaute er täglich und voller Ungeduld in seine Post. Er wusste, dass Briefe innerhalb Barcelonas oftmals zehn Tage unterwegs sein konnten.
Am 15. April war es endlich soweit und er fand das Schreiben, auf das er sehnsüchtig gewartet hatte. Er öffnete hastig das Kuvert und zog ein zweiseitiges Dokument heraus. Pep sollte sich, wie sein ehemaliger Schulkamerad, am besagten dritten Mai auf der Polizeischule in Avila einfinden.
Er wusste nicht so recht, ob er sich freuen sollte. Die Angst, zu versagen, war wieder da. Die Zeit war knapp, es blieben nur noch zwei Wochen, um sich vorzubereiten. Zunächst einmal musste er sich kundig machen, wo dieses Avila überhaupt lag. Pep war, außer in seiner Militärzeit, nie aus Barcelona herausgekommen. Aber auf der anderen Seite war da noch Xavi, der ihn begleiten sollte. Jetzt war er das erste Mal froh, Javier Fernandez zu kennen.
Er hatte von Xavi eine Telefonnummer bekommen, unter der dieser immer vormittags zu erreichen war.
Mutter Maria hatte zwar vor geraumer Zeit ein Telefon beantragt, aber es dauerte immer Monate, bis so ein Antrag bewilligt wurde. So begab er sich einmal mehr in eine schmuddelige Cafeteria in der Carrer Marquez de Barberá.
Er hatte Glück und das Telefon funktionierte, was nur selten vorkam. Entweder hatte der Betreiber nicht bezahlt oder das gesamte Viertel war mal wieder ohne Telefon. Darüber hinaus war das Telefonnetz so veraltet, dass selbst ein Stadtgespräch eine einzige Schreierei zwischen den Telefonierenden war.
Javier war erfreut über die Nachricht, dass er nicht allein auf den Lehrgang gehen musste. Er gab seine Freude zum Ausdruck, indem er seinem neuen Kollegen eine Mitfahrgelegenheit anbot. Um in das 700 Kilometer entfernte Avila zu kommen, wäre man sicherlich zwei Tage mit der Eisenbahn unterwegs. Xavi ließ sich fahren, eine Bahnfahrt kam für ihn nicht infrage. In seiner Familie gab es mehrere Autos und einige, die sie fahren konnten.
Die beiden trafen sich noch zwei Mal, um ihre Reise zu besprechen. Immerhin würden es mindestens 15 Stunden Autofahrt bis in die Kleinstadt nordwestlich von Madrid sein. Zu jener Zeit gab es im ganzen Land nur wenige Autobahnen und eine solche Reise war in den meisten Fällen nur mit Übernachtung zu schaffen. Pep wollte nichts dem Zufall überlassen und je näher der Tag der Reise kam, umso nervöser wurde er.
Es war Mai, und die Temperaturen betrugen, insbesondere im Landesinneren, bereits 26 Grad Celsius.
Avila, eines der historischen Metropolen des Landes, und liegt in Kastilien – León. In dieser Region war es im Winter klirrend kalt, und im Sommer unerträglich heiß. Pep hatte gerade seinen Militärdienst hinter sich gebracht und er musste feststellen, dass er das Ganze noch einmal über sich ergehen lassen musste. Morgens Sport, nachmittags Theorie und Waffenkunde. Die Abende standen zur freien Verfügung, die Pep und Xavi dazu nutzten, die Bars und Kneipen in der näheren Umgebung kennenzulernen.
Sechs Monate waren vergangen und Pep hatte seinen Lehrgang bei der Polizei in Avila absolviert. Er war mit ausgezeichneten Leistungen einer der Lehrgangsbesten geworden. Sein Kollege Javier hingegen hatte sich mit Ach und Krach geradeso durchgemogelt. Nicht etwa durch schlechte Noten im theoretischen Bereich, er hatte sein Abitur mit einem Notendurchschnitt von 9,0 gemacht, sondern sportlich war er eine absolute Null. Auf Sport hatte man bei der Prüfung besonderen Wert gelegt.
Pep glaubte ohnehin, dass bei der Einstellung von Javier der Vater ein wenig nachgeholfen hatte. Es war Xavis dumme überhebliche Art, die ihm fast die Abschlussprüfung gekostet hätte. Pep war sich nicht sicher, ob alle Kinder aus besserem Haus so waren, aber bei seinen Ausbildern hatte Xavi sich keine Freunde gemacht. Xavi musste einfach lernen, zum richtigen Zeitpunkt den Mund zu halten. An seine sarkastischen Bemerkungen, die bei vielen Leuten nicht besonders gut ankamen, hatte sich Pep allerdings zwischenzeitlich gewöhnt. Die beiden waren Freunde geworden, weil Pep aus solchen Situationen immer das Beste zu machen verstand. Er hatte in seiner Umgebung frühzeitig lernen müssen, wie man klug durchs Leben kommt und dazu gehörte auch, Menschen mit ihren negativen Allüren zu akzeptieren. Wenn man dann noch davon profitieren würde, umso besser. Geld hatte für Javier absolut keine Bedeutung und war immer reichlich vorhanden.
Die Abreise aus der Kleinstadt Avila verlief relativ unspektakulär, obwohl beide eine gewisse Wehmut verspürten. Sie hatten bei ihrem sechsmonatigen Aufenthalt viele neue Freunde gewonnen und die angehenden Polizisten aus Barcelona waren in den umliegenden Kneipen gerngesehene Gäste gewesen. Ohne Xavi wären die Besuche in all den Bars und Kneipen nicht möglich gewesen. Pep war der Meinung, dass er Xavi etwas schuldig sei. Ohne die zufällige Begegnung mit seinem kauzigen Freund Fernandez wäre Pep nie und nimmer bei der Polizei gelandet.