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DAS UNBEKANNTE OPFER
ОглавлениеEs war Donnerstag, der letzte Tag im Juli 1980. Die Nächte waren genauso unerträglich wie die Tage. Die Sommerhitze hatte ihren Höhepunkt erreicht. Die Temperaturen überstiegen am Tage die vierzig Grad Celsius und nachts wurde es nicht merklich kühler.
Es war sechs Uhr fünfzehn, als bei Pep das Telefon schellte, welches die Telefongesellschaft erst zwei Tage vorher installiert hatte. Er brauchte eine Weile, um zu begreifen, was diesen Lärm verursachte. Das erste Mal in seinem Leben wurde er privat angerufen.
Schlaftrunken ergriff er den Hörer des Telefons, welches direkt neben seinem Bett auf dem Nachtschrank stand.
Es war seine Dienststelle, die ihm mitteilte, dass auf den Ramblas del Raval eine Frauenleiche gefunden worden war.
Schnell zog Pep sich an und verließ eilig das Haus. Der Fundort der Leiche war nur wenige Minuten von seinem Zuhause entfernt und als er die Ramblas de Raval betrat, sah er auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine riesige Menschenmenge. Es war gerade sechs Uhr fünfundvierzig und noch nicht einmal richtig hell. Die Kollegen der Guardia Civil waren schon vor Ort und damit beschäftigt, neugierige Schaulustige zu vertreiben. Unter ihnen war der Kollege Javier Fernandez, der ebenfalls versuchte, Ordnung in das Chaos zu bringen.
Es dauerte eine Weile, bis Pep sich an den Ort des Geschehens durchgearbeitet hatte und das ganze Ausmaß des Grauens erkennen konnte.
Auf einer Parkbank saß eine Frau, die auf den ersten Blick zu schlafen schien, wäre da nicht die Blutlache gewesen, die sich vor ihr und über die gesamte Bank verteilte. Am Boden lag eine geöffnete Handtasche.
Die Dame war leicht bekleidet. Es war unschwer zu erkennen, dass sie eine Prostituierte war.
Doktor Montes kniete vor ihr und schaute von unten zu ihr hoch. Laura war damit beschäftigt, die Hände des Opfers zu untersuchen.
»Guten Morgen Pep«, begann die Forensikerin.
»Du wohnst nebenan und kommst als letzter?« Pep versuchte, die Bemerkung zu überhören und wandte sich an den Gerichtsmediziner.
»Kannst du schon was zum Todeszeitpunkt sagen, Doc?«
»Keine zwei Stunden, Pep, und das hier ist die Todesursache, mein Freund.
Doktor Montes fasste dem Opfer in die Haare und hob den Kopf an. Blut trat aus dem etwa dreißig Zentimeter langen Schnitt am Hals. Die Augen waren weit geöffnet. Pep war dermaßen erschrocken, dass er kurz davor war, laut loszuschreien.
»Siehst du, das ist der Beweis. Wenn das Blut noch nicht geronnen ist, kann sie eigentlich noch nicht lange tot sein. Du kannst sie ruhig anfassen, Pep, sie ist noch warm.«
»Ne, lass man, Doc, kannst du ihr nicht wenigstens die Augen schließen?«
»Gemach, mein junger Freund, alles zu seiner Zeit«, sagte Doktor Montes grinsend und zündete sich eine Zigarette an.
»Das ist ja ein Overkill«, mischte Laura sich ein.
»Was meinst du mit Overkill, Laura?«
»Das soll heißen, wenn ein Täter auf sein Opfer einsticht, obwohl es schon tot ist. Dann spricht man von einem Overkill. Daran kannst du erkennen, mit welchem Hass der Täter sein Opfer umgebracht hat.«
Laura deutete auf die zahlreichen Einstiche auf der rechten oberen Brustseite der Leiche.
»Hier kannst du sehen, dass kein Blut mehr Ausgetreten ist. Also war sie schon tot, als er sie noch mit dem Messer bearbeitet hat.«
»Hat sie sich gewehrt?«
»Kann ich noch nicht sagen, Pep, ich muss erst ihre Hände untersuchen.«
»Was meinst du, Laura, war es ein Raubmord?«
»Das glaube ich eher nicht. Wer mit solchem Hass sein Opfer tötet, hat es nicht auf Geld abgesehen.«
»Was ist mit der Tasche, die auf dem Boden lag? Hatte sie irgendwelche Papiere bei sich?«
»Die Tasche kannst du gleich mitnehmen, darin ist ein englischer Pass. Er wurde in Gibraltar auf den Namen Hellen Baker ausgestellt, sie ist neunundzwanzig Jahre alt.«
»Um Gottes Willen, da gibt es ja gleich was zu tun.«
»Ihr habt ab jetzt achtundvierzig Stunden, um Angehörige ausfindig zu machen. Dann wird sie verbrannt. Wir sind hier noch nicht so weit, dass wir sie bei solch einer Hitze länger in der Gerichtsmedizin behalten können.«
»Wir fahren gleich ins Präsidium und machen uns an die Arbeit«, sagte Pep und blickte suchend nach seinem Kollegen Xavi.
Inzwischen war der Leichenwagen eingetroffen und die Menschenmenge hatte sich verflüchtigt.
Der Kollege Javier Fernandez hatte sich geschickt aus der Affäre gezogen, indem er mit Hilfe der Guardia Civil die Neugierigen ferngehalten hatte.
»Ganz schon schlau, mein Freund«, sagte Pep lächelnd, »mich lässt du mit dem Desaster allein. Immerhin bist du dafür verantwortlich, dass ich bei der Polizei gelandet bin und nun lässt du mich die Suppe auslöffeln.«
Xavi lachte lauthals. »Trotzdem, wir sollten jetzt mal dort drüben in die Kneipe gehen und Kaffee trinken.«
Pep nickt zustimmend und so schlenderten sie in eine Cafeteria, die schmuddeliger nicht hätte sein können.
Es waren einige Wochen vergangen und Hellen Baker war schon fast in Vergessenheit geraten. Was niemand zu glauben gewagt hatte, wurde Realität.