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Plötzlicher Kindstod

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Die junge Frau, die hinter dem Sarg geht, ist untröstlich. Sie kann und will nicht begreifen, dass sie ihr Kind nun für immer und ewig hergeben soll. Sie fragt sich: „Warum musste dieses Kind sterben? Wie konnte Gott das zulassen?“ Und sie stellt die Frage: „Was ist das für ein Gott, der so etwas zulässt?“

Die trauernde Mutter, die hinter dem kleinen Sarg geht, hat sich ein besonderes Ritual ausgedacht, um sich von ihrem toten Kind zu verabschieden. Sie hat die Kleider und die Spielsachen des Kleinen auf ein Kissen gelegt und trägt sie vor sich her, um sie ihm mit ins Grab zu geben. Alle, die es miterleben, sind tief erschüttert. Man kann sich kaum vorstellen, dass das Leid, das diese junge Frau durchmacht, noch zu steigern ist. Und doch! Der Pfarrer bringt es fertig. Der Geistliche, der das Begräbnis hält, sorgt dafür, dass die Frau vor dem kleinen Sarg noch heftiger zu weinen beginnt.

Der Priester handelt keineswegs in böser Absicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist ihm in diesem Moment einfach eine Fehlleistung unterlaufen, ein Versprecher, wie er jedem einmal passieren kann. Oder aber er war nicht richtig informiert worden und hatte sich etwas Falsches auf seinem Zettel notiert. Er ahnt gar nicht, was er mit seinen Worten anrichten wird. Er verkündet nämlich der trauernden Gemeinde, dass das Kind, das heute begraben wird, „leider nur acht Jahre“ gelebt hat.

Acht Jahre statt acht Monate – dieses Wort fährt der Mutter wie ein Schwert durch die Seele. „Ja, wenn der kleine Michael wenigstens acht Jahre leben hätte dürfen“, denkt sie bitter, „das wäre ein Trost!“ Aber nicht einmal ein Jahr war ihm gegönnt. Schon nach acht Monaten war es mit ihm zu Ende. Und wiederum erfüllt sich das uralte Wort des Propheten: Eine Mutter weint um ihr Kind und will sich nicht trösten lassen.

Mit der Trauer sind nicht nur Mütter vertraut. Mit diesem Problem haben es alle Menschen zu tun. Ausnahmslos alle. Keiner kann sich ihm entziehen. Früher oder später ist jeder damit konfrontiert. Jeden Augenblick kann es aktuell werden. Von heute auf morgen kann es mich treffen. Sei es in der Form, dass ich selber der Trauernde bin und den Verlust eines Menschen zu beklagen habe, der mir viel bedeutet hat. Oder sei es, dass ein Mensch, der mir nahesteht, einen solchen Verlust erlitten hat, und ich nun gefordert bin, ihn in seiner Trauer zu begleiten, ihm beizustehen, ihm zu helfen, so gut es geht – falls es überhaupt geht.

Oft erlebt man in solchen Momenten eine große Hilflosigkeit. Man möchte gern helfen, fühlt sich aber selber genauso hilflos wie die Person, der man helfen will. Man weiß nicht, was man sagen soll. Es verschlägt einem die Sprache. Es bleibt einem im wahrsten Sinne des Wortes „die Spucke weg“.

Was sagt man zu einem Menschen, der einen tragischen Schicksalsschlag erlitten hat? Womit kann man ihn trösten? Ist es überhaupt möglich, mit Worten Trost zu spenden?

Das waren nur einige der Fragen, die Martin Gutl und mich beschäftigt haben, als wir seinerzeit darangegangen sind, gemeinsame Texte zu schreiben. Gutl war eben erst Studentenseelsorger geworden, und ich – der um sechs Jahre Jüngere – befand mich in der Schlussphase meines Studiums, da lernten wir einander kennen. Bald stellte sich heraus, dass wir etwas Bestimmtes gemeinsam hatten: Jeder von uns hatte begonnen, Texte ähnlicher Art über Themen ähnlicher Art zu schreiben – und so kamen wir auf die Idee, wir sollten versuchen, ein Buch miteinander zu schreiben.

Die Tränen haben nicht das letzte Wort

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