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1.1 Forschungsgeschichte

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In der klassischen Antike selbst erfolgte keine systematische Beschäftigung mit der damals zeitgenössischen Sklaverei. Auch im Mittelalter wurde der Unfreiheit im griechisch-römischen Altertum keine besondere Aufmerksamkeit zuteil. Ihre Erforschung begann vielmehr mit dem Renaissancehumanismus im 15. und 16. Jahrhundert, als die philologisch-historischen Wissenschaften im modernen Sinn überhaupt entstanden.2 Die Beschäftigung mit der antiken Sklaverei war einerseits durch das antiquarische Bestreben, jeden Aspekt der Antike zu erfassen, motiviert, andererseits diente sie auch dazu, sich mit der damals gegenwärtigen Sklaverei zu beschäftigen und diese mit Bezug auf die Antike zu rechtfertigen.

In der frühen Forschung stand vor allem die Beschäftigung mit der römischen Sklaverei im Mittelpunkt. Zu den ersten erwähnenswerten Werken gehören De operis servorum von Titus Popma (1608) und De servis et eorum apud veteres ministeriis commentarius von Lorenzo Pignoria (1613), das eine detaillierte Betrachtung der Tätigkeiten städtischer Sklaven in Rom bietet.

Neben den Altertumswissenschaftlern beschäftigten sich stets auch Rechtswissenschaftler mit der antiken Sklaverei. Ihr Ansatzpunkt war das fortlebende römische Recht, das auch nachhaltigen Einfluss auf die moderne Sklavereigesetzgebung ausgeübt hat, so etwa auf den im Jahr 1685 von Ludwig XIV. erlassenen Code Noir.

Einen Meilenstein hinsichtlich der Unfreiheit im antiken Griechenland stellt dann in der Zeit der Aufklärung die preisgekrönte Schrift Geschichte und Zustand der Sklaverey und Leibeigenschaft in Griechenland des Göttinger Philologen und Juristen Johann Friedrich Reitemeier dar (1783/89).3

In der Folgezeit betrachteten Sozialwissenschaftler und Ökonomen die antike Sklaverei sehr kritisch und bewerteten sie verstärkt negativ. Adam Smith unterstrich ihre Ineffizienz, während David Hume ihre negativen Auswirkungen auf das Bevölkerungswachstum untersuchte. Nur vereinzelt finden sich positive Stimmen, etwa von Wilhelm von Humboldt, der sie aufgrund ihrer angenommenen kulturstiftenden Funktion als eine in Kauf zu nehmende Notwendigkeit betrachtet.

Mit der ab dem späten 18. Jh. einsetzenden Abolitionismusbewegung kam es zu einem Aufschwung in der Sklavereiforschung. Nachdem im Jahr 1833 die Untersuchung Inquiry into the State of Slavery amongst the Romans von William Blair erschienen war, verfasste Henri Alexandre Wallon im Jahr 1837 als Preisaufgabe der Pariser Académie des Sciences Morales und Politiques sein Werk Histoire de l’esclavage dans l’antiquité von (veröffentlicht 1847 bzw. 21879). Diese Schrift, die stark durch abolitionistisches Engagement gekennzeichnet ist, stellt die erste umfassende Monographie und Dokumentation zur antiken Sklaverei dar und untersucht die Ursprünge, Bedingungen und Auswirkungen der Sklaverei im Alten Orient, in Griechenland und in Rom.

Neue Impulse in der Sklavereiforschung brachte dann der historische Materialismus, demzufolge das klassische Altertum eine Sklavenhaltergesellschaft war, die einerseits durch den Klassenkampf zwischen Sklaven und Freien geprägt war. Andererseits machte, wie Engels in seiner Streitschrift gegen Eugen Dühring (sogenannter Anti-Dühring) schrieb, die Sklaverei erst die Teilung der Arbeit zwischen Ackerbau und Industrie in größerem Maßstab möglich und damit die Blüte der griechischen Kultur, Kunst und Wissenschaft.

Eine Gesamtdarstellung der Theorie des historischen Materialismus zur antiken Sklaverei verfasste in Italien Ettore Cicotti mit seinem Werk Il tramonto della schiavitù nel mondo antico (1899).

Im deutschsprachigen Raum hat die kurze Darstellung Die Sklaverei im Altertum (1898) von Eduard Meyer die Forschung nachhaltig beeinflusst. In der englischsprachigen Welt war die Gesamtdarstellung The Slave Systems of Greek and Roman Antiquity (1955) von William Lynn Westermann, eine Überarbeitung seines 1935 für Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft verfassten Artikels, für viele Jahre maßgeblich.

Generell erlebte die Erforschung der antiken Sklaverei nach dem Zweiten Weltkrieg eine vorher nie gekannte Dynamik, gleichzeitig erfuhr sie auch eine bis dahin nicht vorhandene Institutionalisierung, die in der Zeit des sogenannten Kalten Krieges auch mit einer ideologischen und methodologischen Blockbildung einherging.

Der Tübinger Althistoriker Joseph Vogt (1895–1986) begründete an der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur im Dezember 1950 das Projekt „Forschungen zur antiken Sklaverei“, eines der größten und ertragreichsten Forschungsvorhaben der deutschen Altertumswissenschaft überhaupt, das in den vergangenen 65 Jahren und noch über sein nominelles Ende im Jahr 2012 hinaus einen immensen Beitrag zur Erforschung der Sklaverei im klassischen Altertum geleistet hat. Unter der Leitung von Joseph Vogt und seinen Nachfolgern Heinz Bellen (ab 1978) und Heinz Heinen (ab 2002; seit 2009 zusammen mit Winfried Schmitz) erschienen nicht nur zahlreiche einschlägige Monographien und Sammelbände, sondern auch ein Corpus der römischen Rechtsquellen zur antiken Sklaverei, eine Bibliographie der antiken Sklaverei, ein mehrbändiges Handwörterbuch der antiken Sklaverei sowie Übersetzungen von russischen Arbeiten zur antiken Sklaverei.4

Diese russischen Arbeiten waren ab 1960 im Rahmen einer neu eingerichteten Forschungsgruppe an der Sektion für Alte Geschichte des Instituts für Allgemeine Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR als Teile einer Gesamtgeschichte der antiken Sklaverei unter dem Aspekt des historischen Materialismus entstanden. Unter den sowjetischen Sklavenforschern ist etwa Elena M. Štaerman hervorzuheben. In der polnischen Altertumswissenschaft spielte Iza Biezunska-Małowist eine herausragende Rolle, in der DDR beschäftigten sich insbesondere Elisabeth Charlotte Welskopf sowie Rigobert Günther mit Fragen der Unfreiheit in der Antike.

In der englischsprachigen Welt waren vor allem die Forschungen von Moses I. Finley (1912–1986) prägend und setzen bis heute Maßstäbe. Finley, dessen Arbeiten durch eine starke Einbeziehung von soziologischen und ökonomischen Fragestellungen, Theorien und Modellen geprägt war, polemisierte stark gegen das Mainzer Projekt, dem er eine beschönigende Verharmlosung der antiken Sklaverei vorwarf. Diese Attacken hatten eine immer noch spürbare mangelnde Rezeption der deutschen Sklavereiforschung in der englischsprachigen Welt zur Folge.5 Als einer der wichtigsten englischsprachigen Experten für die antike, speziell für die römische Sklaverei kann derzeit der britisch-kanadische Althistoriker Keith Bradley gelten. An der Universität Nottingham gründete Thomas Wiedemann im Jahr 1998 das Institute for the Study of Slavery (ISOS, ehemals ICHOS – International Centre for the History of Slavery). Seit dem frühen Tod von Wiedemann wird dieses von Dick Geary und Steven Hodkinson geleitet.

In Frankreich fanden ab 1970 regelmäßige Kolloquien des Centre des Recherches d’Histoire Ancienne der Université Franche-Comté in Besançon statt, aus denen die von Paul Lévêque gegründete Groupe International de Recherches sur l’Esclavage dans l’Antiquité (GIREA) hervorging, ein loser Zusammenschluss internationaler Forscher, der nicht zuletzt durch sein Bemühen, auch marxistische Standpunkte miteinzubeziehen, einen Gegenpol zu den Mainzer Aktivitäten bildet.

Eng mit dem Mainzer Akademieprojekt verbunden war dagegen ein von 2003 bis 2009 unter der Leitung von Elisabeth Herrmann-Otto stehendes Graduiertenkolleg zum Thema „Sklaverei – Knechtschaft und Frondienst – Zwangsarbeit. Unfreie Arbeits- und Lebensformen von der Antike bis zum 20. Jahrhundert“ an der Universität Trier. Im Rahmen dieses Projektes widmete man sich in besonderer Weise einem internationalen, epochenübergreifenden und interdisziplinären Diskurs über die Geschichte der Sklaverei und anderer Formen der Unfreiheit.

Gerade ein solcher Zugang, wie ihn auch Michael Zeuske, der vor wenigen Jahren eine monumentale Globalgeschichte der Sklaverei von ihren Anfängen bis in die Gegenwart vorgelegt hat,6 vertritt, ist wichtig, um dem historischen Phänomen der Unfreiheit gerecht zu werden. Denn in den letzten Jahrzehnten hat gerade auch die Erforschung der antiken Sklaverei massiv von Ansätzen außerhalb der klassischen Altertumswissenschaften profitiert. Genannt werden sollen als herausragende Beispiele etwa die Arbeiten des aus Jamaika stammenden Soziologen Orlando Patterson7 zu Sklaverei und „sozialem Tod“ oder des französischen Sozialanthropologen Claude Meillassoux8 zur Anthropologie der Sklaverei.

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