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1.8 Besondere Formen der Unfreiheit 1.8.1 „Zwischen Freiheit und Unfreiheit“: Heloten, Penesten und Klaroten
ОглавлениеIm 2.Jh. n.Chr. schrieb der Grammatiker Iulius Pollux (→ Quelle 126), dass zahlreiche Personengruppen, namentlich die Heloten bei den Spartanern, die Penesten der Thessaler, die Klaroten und Mnoiten der Kreter, die Mariandyner an der Südküste des Schwarzen Meeres, die Gymneten bei den Argivern und die Korynephoroi bei den Sikyoniern, als „zwischen Freien und Sklaven“ stehend zu betrachten seien. Wie ist das zu verstehen? Hinweise kann die genauere Betrachtung dreier dieser Gruppen, nämlich der Heloten, der Penesten und der Klaroten, im Folgenden geben.
Heloten
Die Helotie19 (→ Quellen 127–129) entstand nach der Einwanderung dorischer Griechen in Lakonien in einem lang andauernden Prozess, durch den bestimmte Bevölkerungsgruppen auf einen unfreien Status herabgedrückt wurden. Diese ursprünglichen lakonischen Heloten sind freilich von den messenischen Heloten zu unterscheiden. Denn die Messenier wurden erst im Rahmen zweier Kriege im 7. Jh. von den Spartanern erobert und ebenfalls helotisiert. Für beide Gruppen von Heloten gilt, dass sie nicht persönliches Eigentum einzelner spartanischer Bürger waren, sondern sie waren offensichtlich vielmehr an ein bestimmtes Grundstück gebunden. Dies war anscheinend auch bei einem Besitzerwechsel von Grund und Boden der Fall. Sie durften nicht verkauft oder verschenkt werden, und sie durften auch nicht von ihren Herren freigelassen werden. Dies konnte nur durch die Gemeinschaft der spartanischen Bürger erfolgen. Die Heloten hatten einen bestimmten Anteil ihres Ernteertrages, wohl die Hälfte, an ihre Herren abzuliefern. Den Rest durften sie offensichtlich behalten; auch sonst konnten sie anscheinend auf ihrem Land mit ihren Familien recht eigenständig leben. Freilich waren sie völlig der Willkür ihrer Herren ausgeliefert. Sie wurden gedemütigt, misshandelt und auch getötet. Jedes Jahr erklärten die Ephoren sogar den Heloten formell den Krieg, damit deren Tötung nicht gegen göttliches Recht verstieß. Die Tötung eines Menschen war nämlich im griechischen Denken immer eine Sünde, auch wenn es sich dabei „nur“ um einen Heloten oder einen Sklaven handelte. Durch die permanente Kriegserklärung wurden die spartanischen Heloten aber völlig recht- und schutzlos, denn diese bewirkte, dass jeder Spartiate jeden Heloten straflos töten durfte. Die Quellen überliefern auch die Institution der sogenannten krypteia, die teils als militärisches Abhärtungstraining unter härtesten Bedingungen, teils als Terrorinstrument geschildert wird, mit dem die Spartiaten die ihnen zahlenmäßig weit überlegenen Heloten in Angst und Schrecken versetzten. Es sollen dabei nämlich junge Spartaner die Aufgabe erhalten haben, nur mit einem Schwert bewaffnet eine Zeit lang allein auf sich gestellt in der Wildnis zu überleben, wobei sie sich tagsüber verborgen halten mussten, während sie nachts Nahrung stehlen und Heloten töten sollten. Die Historizität dieser Nachrichten ist in der wissenschaftlichen Forschung freilich umstritten. Ein solches Vorgehen der Spartaner wäre – abgesehen davon, dass es moralisch zu verurteilen ist – auch militärisch und ökonomisch kaum sinnvoll, beraubt man sich doch wertvoller Helfer im Krieg und kräftiger Arbeiter. Die krypteia erklärt sich jedoch vielleicht aus dem Umstand, dass die Spartaner einem Feind, der im eigenen Land wohnte, durch Terror jede gesellschaftliche und rechtliche Integration verwehren wollten. Die Angst vor den Heloten wurde bereits in der Antike als die Antriebskraft aller Maßnahmen der Spartaner betrachtet, und diese Angst war nicht zuletzt dadurch begründet, dass die Spartiaten gegenüber den Heloten deutlich in der Minderzahl waren. Dennoch fanden sich Heloten als Tross- und Waffenknechte regelmäßig im lakedaimonischen Heer; bereits in der Schlacht von Plataiai sollen jedem der 5.000 dort kämpfenden Spartiaten je sieben Heloten als Knappen zur Seite gestanden haben. In der Ausnahmesituation des Peloponnesischen Krieges kam es dann sogar zur Bildung von Kampfverbänden aus Heloten und Neodamoden („Neubürgern“, das heißt freigelassenen Heloten, die allerdings nicht das Bürgerrecht erhielten). Im Jahr 424 v. Chr. wurde eine aus 1.000 Söldnern und 700 Heloten gebildete Einheit unter dem Befehl des Brasidas nach Thrakien geschickt. Da sich dieser Kampfverband bewährte, wurden seine überlebenden Mitglieder freigelassen; später wurde diese Truppe als Grenzschutz in Lepreon stationiert. Im Jahr 413 v. Chr. wurden 600 Heloten und Neodamoden unter der Führung des Ekkritos zur Unterstützung der Syrakusaner nach Sizilien geschickt. Trotz der beständigen Gefahr, die den Spartiaten durch die Heloten drohte, war deren Rekrutierung offenbar kein größeres Problem. Zwischen 420 und 370 v. Chr. kamen Neodamoden auf vielen, vorwiegend auswärtigen Kriegsschauplätzen zum Einsatz und wurden zu einem bewährten Instrument spartanischer Machtpolitik. Diese Praxis endete mit der spartanischen Niederlage in der Schlacht von Leuktra im Jahr 371 v. Chr.; als im folgenden Jahr Epameinondas nach Lakonien vorstieß, meldeten sich angeblich über 6.000 Heloten freiwillig zum Waffendienst. Die hohe Anzahl führte erneut zu Befürchtungen, die Unfreien könnten sich erheben, und tatsächlich sollen viele Heloten zum Feind übergelaufen sein; zahlreiche Heloten haben sich aber im Kampf bewährt und wurden mit ihrer Freilassung belohnt.
Wie ist aber nun die Ansicht des Pollux, dass die Heloten „zwischen Freien und Sklaven“ standen, zu bewerten? Der von der modernen Forschung gelegentlich angestellte Vergleich mit mittelalterlichen Hörigen und Leibeigenen ist schwierig und hinkt, wie dies historische Vergleiche meistens tun. Eine „Halb(un)freiheit“, wie sie bei Pollux anklingt, gab es im antiken Recht nicht. Andere antike Autoren, etwa Plutarch, bezeichnen die Heloten durch die Verwendung des Begriffs doulos durchaus als Sklaven. „Normale“ Sklaven waren die Heloten aber auch nicht, was die antiken Autoren auch vor Schwierigkeiten stellte. Insgesamt nahmen die Heloten eine zwiespältige Rechtsstellung ein: Sie waren einerseits bereits Unterworfene, also Sklaven, andererseits aber ständig zu bekämpfende Kriegsgegner, also Freie. Ihre Lage ist nur aus dem Versuch der Lakedaimonier zu erklären, ein widerspenstiges und erst nach mühevollen Kämpfen gebändigtes Volk auf Dauer zu knechten.
Penesten
Eine weitere von Pollux genannte Personengruppe waren die thessalischen Penesten (→ Quellen 131–133).20 Ihr Name ist etymologisch wahrscheinlich mit dem griechischen Begriff pénes „arm“ zu verbinden. Wie bei den Heloten soll es sich bei diesen ebenfalls um eine unterdrückte Vorbevölkerung handeln. Archemachos, ein euboiischer Lokalhistoriker wohl des 3. Jh. v. Chr., kolportiert, dass sich diese Menschen einst freiwillig den Thessalern unterworfen und sich zu Arbeitsleistungen und Abgaben verpflichtet hätten unter der Bedingung, dass man sie weder töten noch von ihrem Land vertreiben dürfe (→ Quelle 1). Freilich sind die antiken Überlieferungen vom Ursprung der Penestie problematisch. Wie genau diese Institution entstanden ist, kann nicht mehr mit Sicherheit nachvollzogen werden. Auf jeden Fall handelte es sich auch in Thessalien um einen lang andauernden Prozess, der zur kollektiven Abhängigkeit einer Bevölkerungsgruppe geführt hat. Wann genau dies zeitlich anzusetzen ist, bleibt unklar. Eindeutig belegt ist die Penestie jedenfalls erst in klassischer Zeit. Auch das genaue Ende dieser Institution ist nicht bekannt; ab hellenistischer Zeit sind Penesten jedenfalls nicht mehr nachgewiesen. Ein grundlegender Unterschied zwischen den spartanischen Heloten und den thessalischen Penesten bestand jedenfalls darin, dass die Penesten nicht der Allgemeinheit, sondern einzelnen thessalischen Aristokraten gehörten. Diese waren offensichtlich dazu verpflichtet, ihre Penesten mit Nahrung zu versorgen. Dafür, dass die Penesten regulär im thessalischen Heer Kriegsdienst zu leisten hatten, wie von manchen Forschern vermutet wurde, gibt es dagegen keine überzeugenden Beweise. Der Tyrann Jason von Pherai soll allerdings im Jahr 373 v. Chr. geplant haben, eine große thessalische Flotte zu bauen und die Ruderbänke mit Penesten zu besetzen, doch kam es dazu nicht mehr. Durchaus kamen Penesten allerdings in Privatheeren thessalischer Aristokraten als Kämpfer zum Einsatz. So unterstützte etwa der Magnat Menon von Pharsalos im Jahr 476/475 v. Chr. eine athenische Expedition gegen die Polis Eion mit 300 eigenen Penesten. Ansonsten wissen wir wenig über die Situation dieser abhängigen Bevölkerung. Einer kurzen Nachricht des Aristoteles ist allerdings zu entnehmen, dass diese mit ihrer Lage durchaus nicht zufrieden waren und wiederholt Aufstände gegen ihre Herren unternommen haben (→ Quelle 133). Diese Unruhen blieben offenbar aber lokal begrenzt und scheiterten allesamt.
Klaroten
Bei der Beschäftigung mit der unfreien Bevölkerung auf Kreta ist man zunächst mit terminologischen Problemen konfrontiert. Pollux (→ Quelle 126) spricht von Klaroten und Mnoiten der Kreter, Aristoteles (→ Quelle 130) nennt Perioiken, mit denen es sich genauso wie mit den spartanischen Heloten verhalte, und in der Zusammenstellung bei Athenaios (→ Quelle 1) ist zusätzlich von Aphamioten die Rede. All diese Begriffe, die wie alle Termini einem chronologischen Wandel unterlagen und für die auch mit regionalen Unterschieden gerechnet werden muss, beziehen sich wohl auf dieselbe Personengruppe. In der modernen Forschung wird durchgängig die Bezeichnung Klaroten gebraucht, und sie bezeichnet unfreie Menschen, die – entsprechend den spartanischen Heloten – auf den Landlosen (klaroi), die den Bürgern zugeteilt worden waren, arbeiteten. Wie die Heloten mussten sie Abgaben leisten, deren Höhe uns allerdings nicht bekannt ist. Auf welche Weise der Stand der Klaroten entstanden ist, bleibt ebenfalls unklar. Ähnlich wie in Thessalien ist hier mit länger andauernden Entwicklungen in archaischer Zeit (und wohl kaum bereits in den sogenannten dunklen Jahrhunderten) zu rechnen. Unsere wichtigste Informationsquelle für die Lebensbedingungen der unfreien Bevölkerung auf Kreta sind jedoch nicht literarisch überlieferte Texte, sondern inschriftlich tradierte Gesetzestexte, allen voran die große Rechtsinschrift von Gortyn. Dabei handelt es sich um eine im dorischen Dialekt verfasste Inschrift in zwölf Kolumnen zu je 53 bis 55 Zeilen. Der Text, der in die erste Hälfte des 5. Jh. v. Chr. datiert, stellt zwar keine systematische Kodifikation des in der Stadt Gortyn geltenden Rechts dar, jedoch behandelt er eine Vielfalt von Fragen des Vermögens-, Privat-, Familien- und Strafrechts. Es geht um Adoptionen, Scheidungen, die Rechtsstellung von Witwen und Kindern aus Mischehen, um Erbrecht, um Verkauf und Verpfändung von Eigentum oder um Strafen für Ehebruch und Vergewaltigung. In Bezug auf Unfreie werden auf dieser Inschrift unglücklicherweise nicht die bereits erwähnten, in den literarischen Quellen überlieferten Begriffe verwendet, sondern zwei andere Termini: dolos bzw. woikeus. Ob diese Bezeichnungen die gleiche Personengruppe bezeichneten und ob diese mit den Klaroten gleichzusetzen war, ist in der althistorischen Forschung durchaus umstritten. Aus den Regelungen ist jedenfalls zu entnehmen, dass diese Unfreien gekauft, verkauft und verpfändet werden konnten und dass sie im Strafrecht anders behandelt wurden als Freie. Ihre Herren waren für von den Unfreien verursachte Schäden haftbar. Erstaunlich sind die Regelungen zum Familienrecht: Die Unfreien konnten nicht nur untereinander, sondern auch mit Freien gesetzlich geregelte Beziehungen eingehen. Ihr Status war erblich und richtete sich jeweils nach dem Vater. War der Vater unfrei, so waren dies auch die Kinder und diese gehörten seinem Herrn; war der Vater jedoch frei und die Mutter unfrei, so waren auch die Kinder frei!