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1.10 Freilassung
ОглавлениеGriechenland
Im Hinblick auf die Freilassungspraxis23 gibt es zwischen den Gepflogenheiten in der griechischen und in der römischen Welt deutliche Unterschiede. In Griechenland existierten mehrere Formen der Freilassung: Oft erfolgte sie durch die Übereignung an eine Gottheit oder ein Heiligtum, was wohl einerseits den Zweck hatte, den neuen Status publik zu machen bzw. die Gottheit oder das Heiligtum zum Garanten der Freiheit zu machen, andererseits sollte dies wohl auch die vom Freigelassenen zu erbringenden Leistungen sichern. Daneben gab es aber auch die nicht sakrale, formlose Art der Freilassung. Besondere Formen stellten überdies ein fiktiver Statusprozess (dike apostasiou), in dem der Herr – wie vorher abgesprochen – unterlag, oder die Freilassung auf Beschluss der Volksversammlung nach einem Antrag des Freilassers dar. Nicht unüblich war der Freikauf, für den der Sklave die notwendigen Mittel entweder während seiner Unfreiheit erwirtschaftet und angespart hatte oder durch einen Kredit (etwa vom Freilasser selbst) erlangte, den er nach seiner Freilassung abarbeiten und zurückzahlen musste. Ein Rechtsanspruch auf irgendeine Art der Freilassung bestand freilich nicht. Freilassungen, die ebenfalls als ein Mittel der Sklavenbeherrschung betrachtet wurden, kamen im klassischen Athen wohl nicht allzu häufig vor. Auch wurden freigelassene Sklaven nicht mit vollen Rechten in die Bürgerschaft aufgenommen. In Athen erhielten sie vielmehr den Status von ortsansässigen Fremden (Metoiken), was etwa bedeutete, dass sie keinen Grundbesitz erwerben durften, eine spezielle Steuer entrichten und sich vor Gericht und bei Rechtsgeschäften durch einen Bürger als ihren Patron vertreten lassen mussten. Vielfach blieben die Freigelassenen ihren ehemaligen Herren auch weiterhin, oft bis zu deren Tod, zu Dienstleistungen verpflichtet (sogenannte paramoné). Viele Inschriften in Delphi und aus anderen mittelgriechischen Poleis aus hellenistischer Zeit zeugen von der weiten Verbreitung solcher Verpflichtungen. Das Verhältnis zwischen dem Freigelassenen und seinem ehemaligen Herrn war gesetzlich geregelt. Dass Freilassungen keinesfalls immer als Akte der Menschlichkeit zu werten sind, zeigt das Beispiel alter und kranker Unfreier, die bis zur Erschöpfung ihrer Kräfte ausgenutzt und dann sich selbst überlassen werden konnten.
Rom
Auch in Rom existierten verschiedene Formen der Freilassung (manumissio). Dabei gab es bereits in der Zeit der römischen Republik drei feierliche und offizielle Formen der Freilassung nach dem ius civile: die Freilassung mit dem Stab (manumissio vindicta), die einem Scheinprozess nachgebildet war, in deren Verlauf der Sklave mit einem Stab, eben der vindicta, berührt wurde, die Freilassung zum Zensus (manumissio censu), bei der sich der Freizulassende mit Zustimmung seines Herrn in die Bürgerlisten eintragen ließ (diese Freilassung wurde in der Kaiserzeit aber nicht mehr praktiziert), und die testamentarische Freilassung (manumissio testamento). Als eine Sonderform der testamentarischen Freilassung kann die fideikommissarische Freilassung (manumissio fideicommissaria) betrachtet werden, bei der der Sklave testamentarisch dem Erben des Verstorbenen „auf Treu und Glauben“ übergeben wurde, damit dieser ihn freiließ. Diese Freilassungsarten verliehen die volle Freiheit und das volle römische Bürgerrecht. Daneben gab es verschiedene formlose Freilassungen, die privat vor Zeugen vollzogen wurden, die auch als praetorische Freilassungen bezeichnet werden und ein minderes, latinisches Bürgerrecht verliehen: die Freilassung unter Freunden (manumissio inter amicos), die Freilassung durch einen Brief (manumissio per epistulam), die Freilassung beim Gastmahl oder am Tisch (manumissio in convivio/per mensam) und die Freilassung im Zirkus oder im Theater (manumissio in circo/in theatro). In späterer Zeit trat dazu die Freilassung in der Kirche (manumissio in ecclesia), ursprünglich eine Variante der manumissio inter amicos, die Konstantin dann auf eine Stufe mit den staatlichen Freilassungen stellte und die damit ebenfalls das volle römische Bürgerrecht vermittelte. Die Praxis der römischen Freilassung mit Bürgerrechtserwerb führte in der späten Republik zu einer merklichen Veränderung der Sozialstruktur, die römische Autoren als eine Überfremdung der römisch-italischen Bürgerschaft durch Freigelassene aus dem gesamten Mittelmeerraum werteten. Als Gegenmaßnahme veranlasste Kaiser Augustus zwei Gesetzesinitiativen. Zunächst beschränkte eine lex Fufia Canisia aus dem Jahr 2 v. Chr. die Anzahl der testamentarischen Freilassungen (→ Quelle 110). Ein zweites Gesetz aus dem Jahr 4 n. Chr., die lex Aelia Sentia, verfügte ein Mindestalter des Herrn von 20 Jahren und des Sklaven von 30 Jahren bei der prätorischen Freilassung. Zahlreiche Ergänzungsbestimmungen zielten auf eine Verminderung der Freilassungen insgesamt und eine Begrenzung des Bürgerrechtserwerbs von Sklaven. Darüber hinaus verfügte die lex Aelia Sentia (→ Quellen 111–113), dass Sklaven, die auf bestimmte Arten entehrt (z.B. durch Fesselung, Kennzeichnung mit Strafmalen, peinliche Vernehmung und Verurteilung wegen eines Deliktes, Verurteilungen ad gladium oder ad bestias) und später freigelassen wurden, die Freiheit im gleichen Rechtsstatus erlangten wie dediticii peregrini. So werden Leute genannt, die einmal mit Waffen gegen das römische Volk gekämpft haben, dann besiegt wurden und sich auf Gnade oder Ungnade ergeben mussten. Diese konnten, ungeachtet der Form ihrer Freilassung und ihres Alters, auch dann niemals römische Bürger oder Latini werden. Man verwehrte ihnen sogar den Aufenthalt in Rom bzw. im Umkreis von 100 Meilen. Übertraten sie dieses Verbot, so mussten sie mitsamt ihrem Besitz öffentlich unter dem Vorbehalt verkauft werden, dass sie weder in der Stadt Rom noch im Umkreis von 100 Meilen als Sklaven gehalten noch jemals freigelassen werden durften.
Warum ordneten die Sklavenbesitzer aber überhaupt so viele Freilassungen an, dass Augustus Handlungsbedarf sah? Ein Motiv für den Herrn war etwa die Vergrößerung seines Sozialprestiges durch Vergrößerung seiner Klientel, außerdem winkten Gewinne durch vor der Freilassung ausgehandelte und vertraglich fixierte Werke, die der Freigelassene seinem ehemaligen Herrn schuldete, die sogenannten operae. Zusätzlich stand dem ehemaligen Herrn die Dankbarkeit und moralische Ehrerbietung des Exsklaven zu (obsequium). Dies ging so weit, dass ein Sklave seinen ehemaligen Herrn versorgen musste, wenn dieser verarmte. Freilich hatte der ehemalige Herr und jetzige Patron nicht mehr das Recht über Leben und Tod seines vormaligen Sklaven und die totale Kontrolle über dessen Arbeitskraft und Besitz.
Der Staat profitierte natürlich auch von den Freilassungen, nicht zuletzt durch eine Freilassungssteuer. Die freigelassenen Sklaven, die das Bürgerrecht erhielten, konnten allerdings nicht alle staatsbürgerlichen Rechte ausüben, so waren ihnen etwa staatliche Ämter verwehrt, und sie durften auch nicht in den Legionen dienen. Sie konnten aber eine rechtsgültige Ehe eingehen (freilich nicht mit Mitgliedern senatorischer Familien), und ihre Kinder konnten bereits politisch aktiv werden. Vielfach entwickelten Freigelassene, denen freilich immer ein gewisses soziales Stigma anhaften blieb, einen besonderen wirtschaftlichen Ehrgeiz und brachten es zu großen Vermögen. Um die reichen liberti – bzw. deren Vermögen – für den Staat nutzbar zu machen, wurde das Amt der seviri Augustales geschaffen, die im Kaiserkult tätig waren.
1 Vgl. Finley (1981) 9. Die anderen „Sklavereigesellschaften“ seien in den Vereinigten Staaten, in der Karibik sowie in Brasilien in der Neuzeit zu finden.
2 Einen gerafften Überblick zur Forschungsgeschichte der antiken Sklaverei bieten etwa Finley 1981, 11–78; Deißler 2003; Herrmann-Otto 2009, 34–50.
3 Vgl. dazu Deißler 2000.
4 Vgl. etwa Heinen 2005.
5 Vgl. dazu Deißler 2010.
6 Zeuske 2013.
7 Patterson 1982.
8 Meillasoux 1989.
9 Zu den antiken Sklavereidiskursen ist grundlegend Garnsey 1996.
10 Vgl. Schütrumpf 1993; Papadis 2001.
11 Zum Konzept der inneren Freiheit vgl. Wöhrle 2005.
12 Herrmann-Otto 2005b.
13 Klein 1988.
14 Klein 2000.
15 Hamel 2004.
16 Zum Sklavenleben im klassischen Griechenland vgl. Klees 1998.
17 Vgl. dazu Ameling 1998; Schmitz2013.
18 Unter Pädagogen sind im griechischen Altertum freilich keine Lehrer zu verstehen, sondern unfreie Bedienstete, die die Kinder zu beaufsichtigen und auf dem Weg zum und vom Unterricht zu begleiten hatten.
19 Vgl. Ducat 1990; Luraghi 2002; Luraghi – Alcock 2003; Luraghi 2009.
20 Ducat 1994; Welwei 2008a; Welwei 2008b.
21 Zum Kolonat vgl. etwa Johne 1994; Schipp 2009.
22 Zu den römischen Sklavenaufständen vgl. Rubinsohn 1993.
23 Grundlegend zum Freilassungswesen ist Weiler 2003.