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III
Piper

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Am nächsten Tag bin ich zum Glück noch freigestellt; sonst wäre ich wohl gar nicht aus dem Bett gekommen. Gestern Abend habe ich kaum ein Auge zubekommen, weil ich die ganze Zeit darüber nachdenken musste, wie es weitergeht. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich jetzt hier für immer bleiben soll – oder zumindest für die nächsten Jahre, aber das ist schlimm genug ...

Allie hat mir den Tipp gegeben, mich bei der Familie Davis um einen Nebenjob zu bewerben, auf ihrer Ranch gäbe es immer viel zu tun. „Ach ja, die Mexikaner“, meinte ich, aber sie erklärte verschwörerisch: „Du darfst Danny nicht ganz so ernst nehmen. Er meint viele Sachen nicht so. Ich bin mir sicher, er wäre stolz auf dich, wenn du einen Job hast.“

Das ist nun nicht gerade das beste Argument, aber irgendwie wirkt es beruhigend – obwohl mir ja eigentlich egal sein könnte, was er denkt ...

Ich fand, dass das nicht schlecht klang und ließ mir von ihr den Weg erklären. Sie bestand darauf, mich heute mit dem Pickup hinzufahren, aber ich wollte lieber allein gehen, und schließlich akzeptierte sie das. Ihr Gesicht sah aus, als müsste sie erst noch lernen, wie viel Selbstständigkeit sie mir zutrauen konnte. Aber ich lächelte sie beruhigend an und sie war froh darüber.

Am Abend hörte ich, wie sie es mit meiner Mom besprach, aber die war einfach nur glücklich, dass ich etwas aus eigenem Antrieb tat und mich nicht in mein Schneckenhaus zurück zog. Allie machte sich keine Sorgen mehr und Danny erfuhr davon erst mal nichts.

Ein bisschen befremdlich ist es schon; ich hätte mir gewünscht, dass sich die Sympathien für mich hier nicht ganz so extrem unterscheiden ...

Ich steige aus dem Bett, um nicht weiter darüber nachzudenken. Noch im Pyjama reiße ich das Fenster auf und lasse frische Luft herein. Die Sonne scheint mir ins Gesicht, aber es riecht nach Kuhmist.

„Ach ja, die frische Landluft!“, flöte ich hinaus, ohne nachzudenken.

Auf dem Hof dreht sich Oliver verwirrt um und wünscht mir einen guten Morgen. „Na du hast ja gute Laune!“, meint er und winkt mir zu, während ich unauffällig vom Fenster verschwinde. Mein Gott, wie peinlich ...

Vorsichtig schleiche ich mich die knarrende Treppe hinunter in die Küche. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass alle vernünftigen Menschen noch schlafen, doch meine neue Familie erwartet mich natürlich voller Vorfreude.

„Oh, seht mal, wer da kommt!“ Allie ist kurz davor, mich schon wieder zu umarmen, Mom strahlt in ihrem Dauer-Glücksmodus, nur Danny stichelt: „Du wirst dich umgewöhnen müssen, Piper. Steht man bei euch immer so spät auf?“ Ich beschließe, nicht zu antworten.

Eigentlich ist mir der Hunger schon vergangen; lustlos kippe ich ein paar Cornflakes in die Schüssel – die Hälfte fällt daneben.

Allie springt auf und gießt mir Kakao ein. Mir fällt auf, dass sie dabei so unbeholfen ist, dass sie den extra für mich gemacht haben muss. Ich bedanke mich höflich, aber Danny hat dafür nur einen missbilligenden Blick übrig.

Ich bin froh, dass ich meine Mom schon am Abend um Erlaubnis gefragt habe, allein in die Stadt zu gehen; das erspart mir jetzt nervige Diskussionen. Ich packe meine Anmeldeunterlagen für die Schule in meinen Rucksack – irgendwann muss ich es schließlich hinter mich bringen – und melde mich nur bei Allie ab, weil Mom schon wieder schwer beschäftigt ist.

Als ich aus dem Haus gehe, überlege ich kurz, noch im Stall vorbei zu schauen. Aber dann entscheide ich mich dagegen. Ich beschließe, dass ich heute noch genug Pferde sehen werde – und Mustangs sind ja so viel cooler als Dannys verzogene Ranchponys!

Eine ausgefahrene Reifenspur führt die ewig lange Zufahrt hinunter bis zum Abzweig der Friedhofsstraße. Ich mache meinen mp3-Player an (so ein billiges Ding mit Wackelkontakt), und während Jack Johnson in meinem Ohr mich etwas beruhigt, genieße ich die friedliche Landschaft. Auf dem Weg vor mir tanzen zwei Schmetterlinge, auf den Feldern glitzern noch Tautropfen und ein leichter Wind weht durch mein Haar, das ich offen gelassen habe.

Das neue Jahr ist noch nicht einmal drei Monate alt und für die Jahreszeit ist es eigentlich viel zu warm – sagt das Mädchen aus Kalifornien (das in Pferdebettwäsche schläft).

Nach zwanzig Minuten passiere ich einen Truckstop, nach einer halben Stunde die ersten Wohnhäuser und einen kleinen Shop für Lebensmittel und Haushaltsbedarf. Überhaupt nicht mit den riesigen Supermärkten und Shoppingmeilen in Goldvalley zu vergleichen, denke ich grinsend, aber ich stelle fest, dass mich das am allerwenigsten stört.

Die Straßenblocks sind linear angelegt, sodass man sich kaum verlaufen kann. Als ich die Schule finde, ist es trotzdem schon fast mittags, und jetzt bereue ich mein sparsames Frühstück.

Der Schriftzug Connally High School sticht golden aus der grauen Fassade heraus. Der Klotz sieht aus wie ein Gefängnis – fehlen nur noch die Gitter an den Fenstern – und eine doppelflügelige Tür gähnt mich an, als ob sie mich verschlingen wollte.

Die Treppe hinauf erscheint mir endlos, aber vielleicht gehe ich auch unwillkürlich ziemlich langsam. Die Flure sind leer, wahrscheinlich ist noch Unterricht. Der Reihe nach lese ich die Aufschriften an den Türen und finde schließlich das Sekretariat.

Bewaffnet mit Stundenplan, Bücherliste und Schließfach-Code trete ich ein paar Minuten später wieder auf den Gang. Ich krame den Zettel hervor, auf dem steht, wo sich das Biologie-Zimmer befindet, wo ich den Bezugslehrer für mein Hauptfach finde. Plötzlich läutet es zur Pause, augenblicklich öffnen sich die Türen und ein reißender Strom von Schülern flutet den Gang. Während ich gleichzeitig versuche, auszuweichen und mich an den Nummern der Räume zu orientieren, mustere ich die Jungen und Mädchen, die an mir vorbei laufen. Eigentlich sehen sie nicht viel anders aus als in Kalifornien. Sie haben die unterschiedlichsten Haut- und Haarfarben, asiatische, südamerikanische oder europäische Gesichtszüge, und sie tragen Klamotten, die vielleicht nicht ganz so der letzte Schrei sind wie in Goldvalley. Aber daran kann ich mich hervorragend gewöhnen.

Niemand beachtet mich, während ich mir einen Weg durch quasselnde Mädchencliquen, verwirrte Unterstufler und durchtrainierte Mannschaftssportler bahne, bis ich endlich die Tür zum Biologie-Raum finde.

Als ich schnell hinein schlüpfen will, laufe ich mit einem kleinen stämmigen Mann zusammen. Ich entschuldige mich – ganz im Gegensatz zu ihm, der mich von oben bis unten mustert und mich mit einem seltsamen Grinsen fragt: „Und wer sind Sie, hübsches Fräulein?“

Ich suche einen Moment nach Worten, da drängt sich eine blonde Schülerin an ihm vorbei und begrüßt mich mit einem strahlenden Lächeln. „Ach, du bist die Neue, nicht wahr? Piper?“

Der Lehrer richtet seine Krawatte, ohne mich aus den Augen zu lassen.

Ich nicke, dankbar, dass mir das Mädchen auf die Sprünge hilft. Sie stellt sich mir als Gillian vor, bei dem Mann kann ich mir nur denken, dass er mein Englischlehrer Mr. Harker sein muss. Er starrt mich an wie ein Habicht, was gut zu seiner gebogenen Nase passt, und ich halte mich an Gillian, die mich auf angenehme Art an meine Freundin Sandra erinnert. Sie trägt ihr welliges Haar offen wie sie, und in ihren Augen liegt eine unvoreingenommene Freundlichkeit.

„Soll ich dich ein bisschen rumführen?“, fragt sie mich. „Dann findest du dich besser zurecht, wenn du mit dem Unterricht anfängst!“

Ich ergreife die Gelegenheit, ohne nachzudenken, und drehe Harker den Rücken zu. Erst danach fällt mir auf, dass ich mich gar nicht verabschiedet habe. Wahrscheinlich sind meine guten Manieren auch noch in Kalifornien.

Gillian zeigt mir die Kantine und die Sportanlagen und kommt mit, als ich in der Bibliothek meine Lehrbücher abhole. Ich stelle fest, dass sie dieselben Romane liebt wie ich, und auch dass sie über diese Schule und die Stadt jedes Detail zu wissen scheint. Ich versuche, das Gespräch noch einmal auf unseren Lehrer zu lenken, aber sie übergeht meine Fragen und erzählt mir von den interessanten und den nervigen Dingen an der Schule. Ich hab das Gefühl, dass sie nicht alles sagt, was sie denkt, aber ich höre ihr zu und nicke nur, um sie nicht zu unterbrechen.

Als Letztes gehen wir zu den Schließfächern, wo wir unsere Bücher verstauen.

Ich sehe ein Foto in ihrer Schranktür hängen, einen älteren Jungen mit eisblauen Augen. Ich frage sie, ob das ihr Freund ist, aber sie druckst herum. Schnell macht sie die Tür zu.

„Vielleicht erzähle ich dir das später“, erklärt sie. Ich mache mir keine Gedanken darüber – immerhin kennt sie mich kaum –, aber weil ihr das Thema anscheinend ein bisschen peinlich ist, kommt sie plötzlich doch wieder auf unseren Lehrer zu sprechen.

„Ich kann dir über Harker kann ich dir nicht viel sagen“, meint sie fast entschuldigend. „Er ist erst seit ein paar Wochen auf der Connally High. Aber ich finde, er verdient eine Chance. Hier in der Stadt sind manche Menschen ... ein bisschen komisch.“ Sie grinst schräg.

„Ja, das habe ich schon bemerkt“, erkläre ich. Und weil ich froh bin, mit jemandem reden zu können, erzähle ich ihr, wo ich wohne, und wie meine ersten Eindrücke waren.

„Auf der Ranch von Danny Shore?“, fragt sie mit gespieltem Entsetzen. Aber über ihn scheint sie nichts zu wissen. „Meine Güte, das liegt doch total weit außerhalb ... Hast du ein Auto?“

„Nein, ich kann auch noch gar nicht fahren“, erkläre ich.

Gillian erklärt mir stolz, dass sie in zwei Wochen sechzehn wird. Sie will eine kleine Party machen und lädt mich spontan dazu ein.

Ich kann ihr gar nicht glauben, dass sie das ernst meint – außerdem denke ich immer noch über das Autofahren nach –, aber sie beteuert, dass sie sich wahnsinnig freuen würde.

„Es sind nur ein paar Leute aus der Schule da, die solltest du kennenlernen! Ach ja, und übrigens auch der geheimnisvolle Typ auf dem Foto ...“ Sie zwinkert verschwörerisch. „Wir hören Musik oder schauen uns ein paar Horrorfilme an, das wird super!“ Als sie mich erfreut angrinst, erinnert sie mich an Allie. Warum eigentlich nicht, denke ich, wenn es mir schon einmal jemand leicht macht, sollte ich das wohl auch nutzen.

Wir gehen über den Schülerparkplatz zur Straße, wo der Bus hält und wo man Gillians Geheimtipp nach ganz ausgezeichnete Muffins in einem kleinen Backshop bekommt.

Ich erkläre ihr, dass ich einen Job suche, und frage, ob sie etwas über die Ranch der Familie Davis weiß.

„Die Davis Ranch? Klar, die kennt doch jeder hier!“, meint sie überrascht. „Im Grunde haben wir es dieser Familie zu verdanken, dass unsere Stadt in der Gegend um Amarillo so bekannt ist. Sie züchten schon seit vielen Jahren erfolgreich Mustangs, gute Pferde.“ Plötzlich tut sie, als ob sie mich kritisch von oben bis unten mustern würde, dann fängt sie wieder an zu lachen. „Also wenn du kein Auto hast, solltest du zukünftig mit dem Pferd dorthin reiten! Oder hast du deine Wanderschuhe dabei?“

„Hast du denn ein Pferd?“, will ich wissen.

„Ach, jeder hier hat doch Pferde ... Meinen Eltern gehört die Wertel Farm im Süden der Stadt. Ich werd' mit dem Bus nach Hause fahren, aber du läufst am besten gleich von hier aus, ich erkläre dir den Weg!“ Sie knufft mich in die Seite. „Du hast doch Proviant dabei?“

Der Fluss, dem ich folgen soll, heißt Bloody River, ein seltsamer Umstand, der mich sofort wieder an die Cemetery Road und die stabilen Zäune denken lässt.

Während ich über Gillian nachdenke, höre ich Total Eclipse of the Heart, einen Song, der ihr bestimmt auch gefallen hätte, wenn sie düstere Filme so liebt. Ich kann kaum in Worte fassen, wie glücklich ich über den Zufall bin, sie getroffen zu haben. Das Mädchen aus Kalifornien hat doch mal ein bisschen Glück, denke ich fröhlich, und wandere durch die Mittagshitze.

Die Krieger des Horns - Feuermond

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