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4: REDQUEEN

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Liz Burton sah den Mann, der sich Alex Dempsey nannte, zum dritten Mal in ebenso viel Minuten sterben. Er wirbelte herum und ging zu Boden, während auf seiner Brust ein roter Krater aufriss. Herumwirbeln und fallen, herumwirbeln und fallen. Immer wieder. Jedes Mal, wenn er auf dem Boden aufschlug, spielte sie die Szene erneut ab und hoffte, betete, dass sie diesmal anders ablief. Dass er diesmal nicht fallen würde.

Der Tag hatte gut begonnen. Es lief alles wie geschmiert. Sie hatte viele neue Eisen im Feuer. Die gesammelten Daten über ein halbes Dutzend potenzieller Rekruten liefen in einer endlosen Kette von Banalitäten über ihr Display. Ein entrechteter Anarcho-Sozialist mit radikalen Ansichten und einem Einstellungsproblem. Ein traurig dreinblickender Türsteher, der Voltaire las und gern Faschisten schlug. Ein paranoides Genie, das aus Draht und Spucke ein RFID-Implantat bauen konnte, wenn er nicht gerade darüber schwadronierte, dass die Royals alle Reptiloide waren. Selbst ein ehemaliger Spesnaz-Offizier auf der Suche nach moralischer Klarheit war dabei.

DedSec würde sie alle willkommen heißen. Früher oder später würde jeder mit einem Gewissen oder einem persönlichen Interesse Mitglied des Widerstands sein. So sah Liz es zumindest. Eine Wundertütenarmee der Ungehörten und Ungewaschenen. Genug, um Hobbes’ Leviathan zu Fall zu bringen.

Aber an so etwas dachte sie momentan gar nicht. In diesem Moment dachte sie darüber nach, jemanden zu töten. Und genau darum drückte sie dem Neuen gerade die Mündung ihrer Px4 an den Hinterkopf. Nicht fest, gerade genug, um ihn wissen zu lassen, dass sie da war. »Olly, richtig?«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Dreh dich um.«

»Liz«, begann Krish. Er klang nervös. Krish spielte gern den harten Kerl, aber Gewalt – echte Gewalt – machte ihm eine Scheißangst. So war es mit den meisten hier im Raum. Von ihnen allen hatte nur Liz bis jetzt eine echte Waffe abgefeuert. Und sie war gerade wütend genug, um es wieder zu tun.

Sie sah den jüngeren Mann an. »Halt die Klappe, Krish. Ich will mit unserem neuen Rekruten plaudern. Dreh dich um, Olly.«

Olly tat mit erhobenen Händen, was ihm gesagt worden war. Er war jünger, als sie gedacht hatte. Praktisch noch ein Kind. Schmal und abgemagert, als hätte er mehr als ein paar Mahlzeiten verpasst. Leger angezogen, keine offensichtlichen Tätowierungen oder Narben. Nur ein weiterer Proll, der einen auf starker Mann machte.

Ihn nur anzusehen sorgte dafür, dass sie sich alt fühlte. Sie ging auf die Vierzig zu und auch wenn sie sich in Form hielt, gab es Tage, an denen sie spüren konnte, wie all diese Erfahrungen sie zu erdrücken drohten wie die Hand Gottes. Heute war einer dieser Tage.

Sie musterte Olly von Kopf bis Fuß und schnaubte. »Wie alt bist du?«, fragte sie verächtlich.

Kein besonders beeindruckendes Exemplar, gebe ich zu. Aber das ist kein Grund, ihn zu erschießen, Elizabeth.

»Wenn ich deine Meinung hören will, Bagley, frage ich danach.« Die KI nervte sie. Die falsche Freundlichkeit seiner Persönlichkeit irritierte sie aus Gründen, die sie nur schwer in Worte fassen konnte. Sie war zu alt, um etwas zu vertrauen, dass auf dem ctOS-Netzwerk basierte.

Ein bisschen empfindlich heute, was?

»Klappe«, sagte sie scharf. »Ich musste mir gerade ansehen, wie ein Freund von mir auf offener Straße erschossen wurde.« Noch während sie es aussprach, dachte sie darüber nach. Alex war kein Freund gewesen, nicht wirklich. Etwas mehr, etwas weniger. Sie hatte nie versucht, es zu benennen – und jetzt war es zu spät.

Alex hatte eigentlich gar nicht zu DedSec gepasst. Ein kleiner Dieb, der in seinem ganzen Leben nie auch nur einen politischen Gedanken gehabt hatte. Die Art Mensch, die fand, dass Proteste gut fürs Geschäft waren – was stimmte, wenn das Geschäft Taschen- und Identitätsdiebstahl war.

Aber er hatte gute Ohren und ein gutes Gedächtnis gehabt. Er lauschte und gab weiter, was er gehört hatte, wenn sie fragte. Und das alles nur für den Preis eines Drinks oder vielleicht einer Mahlzeit. Es gab schlimmere Leute, mit denen man zu Abend essen konnte. Alex hatte lustig sein können, wenn er gewollt hatte.

Doch jetzt würde es keine Witze mehr geben. Es blieb nichts übrig außer ein bisschen mehr Wut, die sich zu der übrigen gesellte. Sie zuckte mit der Px4 und Olly riss die Augen auf. »Du warst dort. Ich will wissen, warum.«

»Ich war das nicht!«

Liz lächelte bitter. »Wenn ich das denken würde, wärst du bereits tot.« Sie sah zu Krish. »Ist das der Typ, den du für die Albion-Übergabe losgeschickt hast?«

Krish nickte. »Er ist gut, Liz.«

Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Olly und rief ihr Optik-Display auf. Dann scrollte sie sich durch einen Wust an Informationen, die meisten davon waren auf eine effiziente, wenn auch ungeschickte Weise zensiert worden. Sie fragte sich, ob er das selbst getan hatte. »Oliver Soames. Anfang zwanzig, Lieblingseiscreme Rum-Rosine. Du hast dich mal für einen Junggesellenabschied eines Kumpels als Frau verkleidet …«

Olly wurde rot. »Das haben wir alle gemacht«, protestierte er. Den anderen entfuhr unterdrücktes Gelächter. Liz brachte sie mit einer Geste zum Schweigen. Sie war die Älteste hier, de facto die Autorität. Die anderen hatten eine Scheißangst vor ihr und sie nutzte das aus, so gut sie konnte. Hacktivists und Codeknacker waren so fügsam wie Katzen. Die alten waren stur, die jungen selbstgerecht und einige von ihnen einfach nur Psychopathen.

Liz fand, sie hatte ein wenig von allen drei. Darum ließ man sie Tower Hamlets babysitten und dafür sorgen, dass die Dinge auf einem ruhigen Kurs blieben. Manchmal bedeutete das, sanft zu reden, manchmal, dass sie ihre Knarre rausholen musste.

Eine Waffe war eine gute Möglichkeit, um jedermanns Aufmerksamkeit zu bekommen und sie davon zu überzeugen, dass man es ernst meinte, alles in einem Aufwasch. Aber jetzt, wo sie die Aufmerksamkeit hatte, gab es keinen Grund mehr, weiter damit herumzuschwenken. Sie ließ die Halbautomatik sinken und starrte Olly an. »Also, was ist passiert? Und mach es kurz.«

Olly schluckte und sah zu Krish, der nickte. »Ich war … Ich hatte die Übergabe gemacht und wollte ’ne Abkürzung durch Lister House nehmen …«

»Warum?«

Ich habe es ihm geraten. Es hätte seine Route um …

Sie ließ Olly nicht aus den Augen. »Meinetwegen. Du hast also diese Abkürzung genommen und …?«

»Er … er ist mir vors Rad gelaufen. Direkt in mich rein!«

»Er ist gelaufen?«

»Ich … ich weiß nicht.« Olly gestikulierte. »Ich bin aufgestanden, wir haben uns angebrüllt und dann – peng – ging er zu Boden.« Sie sah das Entsetzen in seinen Augen. Sie spiegelten ihr eigenes wider. Welche Rolle er auch gespielt haben mochte, sie war sicher, dass er nicht abgedrückt hatte.

»Sein Name war Alex«, sagte Liz leise. Sie schob die Px4 wieder in das verborgene Holster an ihrem Rücken und sah Krish an. »Dieser Stick – die Albion-Infos?«

Krish nickte. »Sollte es sein.«

»Gut. Scan ihn und fang an, sie an die üblichen Verdächtigen zu verteilen. Bagley, analysiere die Bilder des Vorfalls.« Sie sah sich um. »Ich will alles wissen, was es über den Moment, in dem Alex gestorben ist, zu wissen gibt. Ich will die Geschwindigkeit der Kugel, ich will Marke und Modell der Waffe. Alles.«

Ich habe bereits damit angefangen.

Sie sah zu Olly. »Ich will, dass du mir jeden Schritt erzählst, den du heute gemacht hast. Von dem Moment an, als du heute Morgen auf dem Klo warst, bis jetzt. Komm mit.«

»Wohin gehen wir?«

»Nach unten.«

Olly blinzelte überrascht. »Ich dachte, wir wären unten.«

Liz lachte. »Das ist nur die verdammte Lobby, Kiddo. Und jetzt komm einfach mit.«

Olly sah zu Krish. Der andere Mann hob kapitulierend seine Hände. Liz hatte mehr zu sagen als er. Olly wusste, dass sie damals in den schlimmen alten Tagen eine Superhackerin gewesen war – man hatte sie »Redqueen« genannt, auch wenn er den Grund dafür nicht kannte. Vielleicht gefiel ihr einfach nur, wie es klang.

Er wusste nur, seit Krish ihn an Bord gebracht hatte, hatte sie noch keine zwei Worte mit ihm gewechselt. Sie war älter als er, ihre dicken, geflochtenen Haare waren grau und ihr Körper vom Alter gezeichnet. Sie trug eine abgewetzte Motorradhose, Kampfstiefel und ein T-Shirt mit dem Logo einer Band darauf, die seit einem Jahrzehnt nicht mehr angesagt war. Ihre Arme waren schlank, aber muskulös, mit einem Tribal am Bizeps. Sie hatte auch einige Narben – nicht nur an ihren Armen, sondern auch im Gesicht – und ihre Augen waren hell und durchdringend. Sie machte ihm eine Scheißangst. Nicht nur wegen der Waffe – auch wenn das ein wichtiger Teil davon war –, sondern wegen ihres ganzen Auftretens und was es vermittelte. Sie hielt die Füße nicht still. Sie war eine verdammte Freiheitskämpferin und es war ihr egal, wer es wusste.

Er hatte erst wieder zu atmen begonnen, als sie ihre Knarre gesenkt hatte. Jetzt sollte er ihr nach unten folgen … wohin? »Wir befinden uns bereits unter dem Gebäude«, protestierte er. »Noch tiefer und wir landen im Fluss.«

Liz lachte. »Ach ja? Und wohin führt dann diese Tür?« Sie deutete auf eine Wand und Olly drehte sich um. Noch nie hatte er dort eine Tür bemerkt. Vielleicht weil sie hinter einem billigen Regal voller Festplatten und Kabel versteckt war. Oder vielleicht weil sie überhaupt nicht wie eine Tür aussah, sondern eher wie ein Stück genieteter Stahl, das bündig mit der Wand abschloss.

Liz führte ihn am Regal vorbei und er entdeckte einen Fingerabdruckscanner, der in der Wand installiert war. Er war klein und leicht zu übersehen. Nicht versteckt, aber auch nicht offensichtlich. Liz steckte ihren Daumen in den Schlitz. Ein tiefes Summen ertönte und ein grünes Licht blinkte auf. Dann erklang das Geräusch von Metallzylindern, die sich drehten. Die Tür schwang nach innen auf. Eine Steintreppe führte nach unten. Anders als der Rest des Orts waren die Wände hier sauber und rochen nach Antischimmelspray.

Liz sah den Ausdruck in seinem Gesicht. »Die Wurzeln von Limehouse reichen tief. Schmuggler haben – und tun es immer noch – den Cut als Transportweg genutzt. Überall entlang des Kanals gibt es Verstecke. Die meisten sind nicht größer als ein Schuppen, aber mit ein bisschen Schweiß und Muskelschmalz kann man es sich überall wohnlich machen. Ab nach unten.«

Olly schluckte und folgte ihr nach unten. Entlang des Mauerwerks verliefen Bündel von Glasfaserkabeln, genau wie Bewegungssensoren und andere Sicherheitsvorrichtungen. Sie leuchteten grün auf, als Liz an ihnen vorbeiging, und wurden dann wieder rot. »So langsam bekomme ich das Gefühl, dass ich überhaupt nichts weiß«, sagte er.

»Das ist der erste kluge Satz, den du sagst.«

»Warum zeigst du mir das alles?«

»Ich zeige dir nichts, was du nicht eh früher oder später zu sehen bekommen hättest.« Am unteren Ende der Treppe befand sich eine weitere Tür – schwerer als die erste. Verstärkte Stahlscharniere. Bestimmt auch kugelsicher, dachte Olly. Vielleicht sogar bombensicher. DedSec machte keine halben Sachen. In der Mitte dieser Tür war ein Netzhautscanner installiert. Liz lehnte sich näher und die Tür öffnete sich mit einem Geräusch entweichender Luft. »Willkommen im Keller, Olly. Dem echten.«

Als sie eintraten, ging das Licht automatisch an. Der Raum war klein und nicht ganz quadratisch. Das gekalkte Mauerwerk war uneben, aber isoliert und versiegelt. In der Mitte des Raums stand ein billiger runder Tisch mit ein paar Stühlen. An einer Wand lehnte ein verschlissenes Sofa, das von Klebebandstreifen zusammengehalten wurde. »Dieser Raum existiert auf keinem Plan. Nur drei Leute können hier rein und zwei davon sind nicht hier.«

»Also ist es eine Geheimbasis in einer Geheimbasis«, sagte Olly und sah sich um. Die Wände waren mit weiteren Kabeln und Geräten bedeckt, von denen Olly einige nicht mal kannte. Alles sah wichtig aus. Er konnte die Informationen, die hindurchströmten, praktisch spüren.

»Sieh es eher als so was wie ein Postamt«, erwiderte Liz. »Das da oben ist nur der Schalter. Das hier ist der Sortierraum.«

»Sortierraum. Klar.« In regelmäßigen Abständen hingen Bildschirme an der Wand und zeigten Feeds, die, wie Olly klar wurde, von gekaperten Drohnen stammten. Er blieb stehen und starrte sie erstaunt an. »Ihr könnt die ganze Stadt überwachen.«

»Nein, nicht die Stadt.« Liz setzte sich an den Tisch. »Was weißt du über uns, Olly?«

Plötzlich fühlte er sich wie ein Schüler in der mündlichen Prüfung. »Äh … also …«

»Ich meine, was weißt du über DedSecs Operationen?« Sie musterte ihn. »Es ist drei Monate her, seit wir dich rekrutiert haben. Was hast du gelernt?«

Er starrte sie ausdruckslos an, denn er hatte keine Ahnung, worauf sie abzielte. »Ich weiß genug, schätze ich. Ich meine, ich weiß, was mir gesagt wurde. Widerstand, richtig?«

»Und was hat man dir gesagt?« Liz winkte ab. »Schon gut. Ich gebe dir einen Crashkurs, Neuer. DedSec ist dezentralisiert. Weißt du, was das bedeutet?«

»Ich bin kein Idiot.«

»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«

»Es bedeutet, dass niemand das Sagen hat – oder vielleicht alle. Es gibt keinen Anführer. Keine Richtlinien. Wir improvisieren und hoffen, es nicht zu schlimm zu verbocken.«

»Knapp und korrekt zusammengefasst. Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung für dich.« Liz drehte sich um. »Aber dezentralisiert bedeutet nicht anarchistisch. Einzelne Zellen arbeiten zusammen, oftmals aus der Ferne. Hauptsächlich, was Informationen angeht.«

Olly runzelte die Stirn. »Wie das, was ich für Krish abgeholt habe.«

»Ganz genau.« Liz hielt inne. »Information ist Macht. Wir sammeln sie. Horten sie. Aber nicht alles, was wir bekommen, ist von DedSec-Agenten. Tatsächlich sogar das Wenigste.«

Sie zog ihr Optik heraus und berührte es. Auf einem der Bildschirme erschien ein Fahndungsfoto. Olly erkannte den Mann, der erschossen worden war. Sie hatte ihn Alex genannt.

»Alex Demspey. Er war … ein Freund. Aber viel wichtiger, er war unsere Augen und Ohren.«

»Aber er gehörte nicht zu uns.«

Sie runzelte die Stirn. »Du auch nicht, jedenfalls noch nicht.«

Olly setzte sich. »Und warum hast du mich dann hierhergebracht?«

»Weil ich mit dir unter vier Augen sprechen wollte. Darüber, was passiert ist.«

Er musste schlucken. »Ich hab ihn nicht getötet.«

»Ich weiß. Aber irgendjemand schon. Und ich muss wissen, warum.«

Olly versteifte sich, als ihm ein Gedanke kam. »Was, wenn die eigentlich mich töten wollten, aber ihn getroffen haben?« Er stellte sich vor, wie die Kugel in seine Brust drang und er zu Boden ging. Er schauderte.

Liz nickte. »Ein weiterer Grund, dich nach hier unten zu schaffen. Das hier ist das, was momentan einem Safe House am nächsten kommt.« Sie lehnte sich zurück. »So oder so müssen wir der Sache so schnell wie möglich auf den Grund kommen. Also erzähl mir von deinem Tag, Olly. Geh alles mit mir durch. Und um deinetwillen … lass nichts aus.«

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