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Die Party

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»Danke nochmal für die Einladung«, sagte Mila, während Jessie die Tür hinter ihr schloss. Sie stellte fest, dass ihre Nachbarin sich umgezogen hatte: Mila trug nun weniger formelle Kleidung; eine Jeans und eine schwarze Bluse.

»Ach, ich dachte mir, ich bringe das mit der Einweihungsfeier gleich hinter mich. Solange die meisten Sachen noch eingepackt sind, kann auch nichts kaputt gehen.« Jessie nahm das Tablett entgegen, auf dem unter Frischhaltefolie braune Muffins zu erkennen waren.

»Danke, aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen.«

Mila winkte ab. »Die waren schnell gemacht. Außerdem hatte dein Vater ja darauf bestanden.« Sie sah an Jessie vorbei. »Wo ist er eigentlich?«

Jessie stellte das Tablett auf den großen Esstisch an der Fensterfront neben die Pappbecher und die Getränkeflaschen.

»Der Einbau des Sicherheitsschlosses hat ihn so verausgabt, dass es ihn nach Hause in sein Bett gezogen hat.« Sie trat an Mila heran und flüsterte: »Ist mir auch ganz recht so.«

»Ich fand ihn sehr nett«, entgegnete Mila schulterzuckend, woraufhin Jessie mit den Augen rollte.

»Nett, ja. Wenn man nicht seine Tochter ist, sicher. Was willst du trinken?«

»Was hast du?«

Jessie ging wieder zum Tisch. »Cola, Wasser, Bier. Eigentlich recht übersichtlich für eine Party.«

»Dann nehme ich ein Bier.«

»Setz dich doch, bitte.« Jessie deutete auf das mittlerweile von der Packfolie befreite Patchworksofa, das vor kurzem noch in ihrem Zimmer in Loughton gestanden hatte.

»Ich bin wohl die erste, was?«, fragte Mila, während sie in die Polster sank.

Jessie öffnete eine Bierflasche und gab sie ihrer Nachbarin. »Ja, aber hoffentlich nicht die einzige. Ich habe vorhin bei allen geklingelt und sie eingeladen. Mal sehen, wie spontan und flexibel meine neuen Nachbarn sind.«

Mila machte ein erstauntes Gesicht. »Du hast auch Mister Forsythe eingeladen?«

Jessie sah sie fragend an. »Forsythe war nochmal wer?«

»Wohnt in Apartment drei, zweiter Stock.«

»Nein, da hat niemand aufgemacht«, antwortete Jessie, nahm sich ebenfalls ein Bier und setzte sich dann zu Mila.

Sie stießen an.

»Auf gute Nachbarschaft!«

»Auf gute Nachbarschaft.«

Jessie trank einen großen Schluck des etwas zu warmen Biers. Dann fragte sie:

»Was kannst du mir so über die Leute hier im Haus erzählen? Die meisten wirkten recht nett, als ich sie vorhin überfallen habe.«

Mila strich sich eine ihrer schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Sind sie auch. Nett und hilfsbereit. Ist vielleicht ein Vorteil in einem nicht allzu großen Haus. Es ist nicht so furchtbar anonym.« Sie überlegte kurz. »Also im Hochparterre wohnt der Hausmeister, Mister Harris. Er wirkt manchmal etwas grantig, ist aber eigentlich ein ganz Lieber.« Sie beugte sich zu Jessie rüber. »Und wenn ich ihm seine Lieblingsmuffins mache, ist er wie Wachs in meinen Händen«, sagte sie flüsternd.

Jessie verzog das Gesicht. »Echt jetzt? Wie?«

»Ich meine, wenn mal was zu reparieren ist, was laut Mietvertrag eigentlich von mir zu zahlen ist, dann macht er das auch schon mal für ein paar Schokomuffins.«

Jessie nickte verstehend und etwas erleichtert.

Mila tippte ihr an die Schulter. »Was hast du denn gedacht?«, fragte sie amüsiert.

Ihre neue Nachbarin zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Weiß ich doch nicht, was ihr hier im Haus so treibt.« Sie stelle ihre Flasche auf den Couchtisch. »So, okay. Wen gibt es da noch?«

»Ach ja: Gegenüber von Mister Harris wohnt Kenneth Leigh. Ein Dauerstudent. Kriegt nichts gebacken und lebt überwiegend vom Geld seiner Eltern.«

»Was studiert er?«

Mila lachte. »Ich glaube, das weiß er selbst schon nicht mehr.«

»Das war so ein blonder mit wuscheligen Haaren, oder?«

»Ja, das ist Kenneth, der Friseurverweigerer.«

Das Lachen der beiden Frauen hallte durch den noch recht leeren Raum.

Es klingelte an der Tür und Jessie sprang auf.

Bin gleich wieder da.« »Wenn man vom Teufel spricht«, dachte sie, als sie die Tür geöffnet hatte. »Hi. Komm rein! Schön, dass du da bist!«

Kenneth trug dieselben, etwas schmuddelig wirkenden Sachen, wie noch vor ein paar Stunden: eine verwaschene, viel zu weite Jeans und ein schwarzes T-Shirt, das eine weiße Hand mit erhobenem Mittelfinger zierte und einen deutlich sichtbaren Riss in der Schulternaht hatte. Nur seine rotweißen Marken-Sneakers schienen nagelneu zu sein.

»Spontane Partys sind die besten!«, sagte Kenneth und drückte Jessie zwei Flaschen Bier in die Hand.

»Danke! Und schön kühl. Besser als das, was ich anzubieten habe.«

»Die hab ich ja auch für mich mitgebracht«, sagte Kenneth trocken und erntete einen verdutzten Blick von Jessie. Dann lachte er. »War ein Scherz.«

Jessie stellte das Bier auf die improvisierte Bar. »Ist ja ein Haus voller Komiker, die Nummer neunundsiebzig.«

Kenneth entdeckte Mila auf dem Sofa. »Hi, Mila.«

»Hi, Kenny.«

Ohne Vorwarnung ließ er sich mit Schwung neben ihr auf das Möbel fallen.

»Neue Uhr?«, fragte Mila und zog direkt Kennys Arm zu sich heran. »Schick. Sieht teuer aus. Und ich kenne mich aus, wie du weißt.«

Kenny schien das unangenehm zu sein, er zog brummend seinen Arm weg.

»Ein Bier, Kenneth?«, fragte Jessie, um die Situation zu bereinigen.

»Klar, immer. Ein kühles, wenn du hast.« Er zwinkerte ihr zu.

Jessie fand Kenny für ihren Geschmack etwas zu aufgedreht, aber zumindest schien er harmlos zu sein. Sie reichte ihm eine Flache, nahm ihre eigene und zog sich dann einen Stuhl zu den beiden heran.

»Also, wer wohnt auf der zweiten Etage?«, fragte sie an Mila gewandt.

»In Nummer drei, wie gesagt, Mister Forsythe.«

Kenneth verzog das Gesicht. »Der absolute Freak, wenn ihr mich fragt.«

Mila schien nicht überrascht von dieser Aussage, denn sie pflichtete ihm kopfnickend bei.

Das interessierte Jessie. »Warum? Was ist mit ihm?«

Kenneth und Mila wechselten einen stummen Blick, dann sagte Kenneth:

»Naja, es ist nur so ein Gerücht. Aber er soll mal eine vergewaltigt haben.«

Jessies Augen weiteten sich. »Was, echt?«

Mila machte eine herunterspielende Handbewegung. »Das hab ich auch gehört, aber das ist wirklich nur ein Gerücht.«

»In jedem Gerücht steckt auch ein Funken Wahrheit!«, entgegnete Kenneth mit erhobenem Zeigefinger. »Hat mir Wanda höchstpersönlich erzählt. Und wenn die das sagt, ist das so gut wie verbürgt.«

»Wanda?« Jessie sah die beiden fragend an.

»Mrs Brixton«, antwortete Mila.

»Ihr kennt sie wohl beide ganz gut, wie?«

»Ja, sie ist okay. Zumindest hat sie immer interessante Geschichten aus der Gegend auf Lager«, sagte Kenneth und Mila ergänzte:

»Sie kommt ja auch in ihrem Maklerjob ziemlich viel rum.«

»Was ist jetzt mit diesem Forsythe? Denkt ihr, er hat wirklich eine Frau vergewaltigt?«

Kenneth nickte sofort. »Da bin ich mir sicher. Wisst ihr was?« Er rutschte auf seinem Platz etwas nach vorne und unwillkürlich kamen auch Mila und Jessie näher.

»Die Polizei war neulich bei ihm und hat ihn mitgenommen.«

Mila schaute verdutzt. »Was? Warum weiß ich davon nichts?«

»Wanda war im Urlaub.«

Jessie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

»Jedenfalls soll er wohl routinemäßig befragt worden sein. Wegen der Morde hier in Ealing.«

»Du meinst die vergewaltigten Frauen?«, fragte Jessie und schluckte. Sie wollte sich eigentlich nicht mit diesem Thema befassen; es hatte ihr vor ihrem Umzug lange genug schwer im Magen gelegen.

Kenneth nickte. »Ja. Und ich wette, dass er es war.«

»Kenny!« Mila gab ihm einen Stoß in die Rippen. »Hör auf, so was zu sagen. Das kann ganz schnell nach hinten losgehen.«

»Hey, wir können doch untereinander offen reden, oder?«, fragte er verschwörerisch und sah die beiden Frauen abwechselnd an. »Ich sag nur, was ich gehört habe. Auf jeden Fall kann er nicht so unschuldig sein, wenn nach diesen Morden plötzlich die Polizei ausgerechnet bei ihm auf der Matte steht.«

Es klingelte erneut und Jessie stand auf und lief zur Tür.

»Guten Abend. Wow!«, sagte der junge, blasse Asiate mit den wild umherstehenden, pechschwarzen Haaren und musterte Jessie von oben bis unten. »Definitiv keine alte Oma!«

»Was?«

Ein weiterer Mann, Jessie erkannte ihn von ihrer vorabendlichen Einladungsrunde wieder, lugte nun hinter dem Asiaten hervor.

»Sie müssen Dean entschuldigen, er ist immer so. Aber ansonsten harmlos.«

Das Benehmen seines Freundes war dem Mann, Jessie erinnerte sich, dass er Robin hieß, ganz offensichtlich peinlich.

»Dean Yeun. Schönen guten Abend«, sagte der junge Mann nun und streckte ihr die Hand entgegen.

»Hi«, entgegnete Jessie etwas perplex, erwiderte seine Geste und trat dann zur Seite. »Kommt doch rein.«

»Ach, die üblichen Verdächtigen«, sagte Kenneth und sprang vom Sofa auf. »Hi, Rob. Hi, Dean.«

»Hi Kenny, alles klar, Mann?«

Dean und Kenneth begrüßten sich mit einer Ghettofaust. Sie schienen intellektuell auf einer Welle zu liegen.

»Wow, ihr kennt euch ja echt alle hier, oder?«, fragte Jessie etwas unsicher in die Runde.

»Kleines Haus«, entgegnete Mila schulterzuckend.

»Wir sprachen gerade über Forsythe«, sagte Kenneth und nippte an seinem Bier.

Dean hockte sich auf die Sofalehne neben ihn.

»Ach, unseren hauseigenen Vergewaltiger?«, fragte Robin amüsiert und verschränkte die Arme.

Jessie verzog kritisch ihr Gesicht. »Na, der Kerl scheint ja wirklich seinen Ruf weg zu haben. Meine Güte. Was wollt ihr trinken?«

»Für mich ein Bier!«, sagte Dean.

»Wenn du ein Wasser hättest?«, fragte Robin und sah Jessie an.

Sie mochte sein Gesicht, das stand für sie fest. Das wusste sie schon, seit sie ihn vor ein paar Stunden, an seiner Türschwelle stehend, eingeladen hatte. Und jetzt bestätigte sich ihr Gefühl. Er war von den anwesenden Männern zudem die gepflegteste Erscheinung mit seinen glänzenden Designerschuhen und einem blütenweißen Oberhemd, das er lässig über seiner Jeans trug.

»Er hat keine weibliche Begleitung mitgebracht, hm«, dachte sie bei sich und es war keine wirklich wertfreie Beobachtung. Dann musterte sie kurz seinen Freund, der Dean hieß.

»Schwul? Nein, glaube nicht.«

»Auf jeden Fall ist dieser Forsythe ein übler Bursche«, bekräftige Kenny erneut seine Meinung von dem Nachbarn.

Dean nickte bestätigend. »Bin ihm einmal im Treppenhaus begegnet. Der grüßt ja nicht mal.«

»Hui, ein Vergewaltiger mit schlechten Manieren«, tat Kenneth übertrieben und fuchtelte unheilvoll mit den Händen, wobei das Bier leicht aus der Flasche schwappte.

»Vergewaltiger? Nee, glaube ich nicht«, sagte Dean.

»Können wir vielleicht jetzt mal das Thema wechseln?« Mila schien genervt.

Jessie stimmte ihr zu. »Genau. Wir wollen doch hier meinen Einzug feiern!«

Kenneth stand auf und erhob sein Bier. Dean und nach kurzen Zögern auch Mila taten es ihm gleich.

»Auf gute Nachbarschaft! Willkommen in der neunundsiebzig!«, sagte Robin. Er war der erste, der mit seinem Wasserglas mit Jessie anstieß.

Sie wechselten einen intensiven Blick. Anschließend prosteten ihr nacheinander die anderen Anwesenden zu.

»Ich danke euch. Ist wirklich ein sehr netter Empfang, hätte ich nicht gedacht.«

»Da fehlen aber noch ein paar Nachbarn, oder?«, fragte Mila.

»Also der Hausmeister hatte abgesagt. Und er hat mich gebeten, darauf zu achten, dass es heute Abend nicht zu laut wird.«

Robin verdrehte die Augen. »Ja, das ist Mister Harris, wie er schraubt und klebt!«

Ein Lachen ging durch die Runde.

»Forsythe war nicht da. Zum Glück, muss ich ja jetzt wohl sagen«, fuhr Jessie fort. »Dann war da noch dieses Ehepaar. Im dritten Stock, glaube ich.«

»Mister und Mrs Jeffries«, erklärte Mila. »Wohnen mir direkt gegenüber. Absolute Langweiler.«

»Kam mir auch so vor. Sie wollten heute Abend lieber fernsehen.«

»Und das geben die auch noch offen zu«, sagte Kenny verächtlich.

»Na, dann sind wir wohl komplett, oder?« Jessie sah in die Runde. »Ich muss euch warnen, ich bin eine äußerst schlechte Gastgeberin. Ich kann nicht mal mit Snacks oder Salzstangen dienen.«

Mila räusperte sich, als wollte sie Jessie damit ein Stichwort geben.

Da fiel es ihr ein. »Ach ja! Mila war so freundlich, Muffins zu backen.« Sie ging zum Tisch, nahm das Tablett und entfernte die Frischhaltefolie.

»Von deinen Backkünsten habe ich schon gehört«, sagte Dean, drängte sich nach vorne und nahm sich gleich zwei der kleinen Törtchen.

Robin schnappte ihm eines davon weg. »Danke, sehr liebenswürdig!« Er strafte Dean mit einem durchdringenden Blick.

Es läutete erneut an der Tür. Jessies Stirn legte sich in Falten. »Da hat es sich wohl doch einer anders überlegt.«

»Oder wir waren Harris jetzt schon zu laut!«, sagte Dean erheitert und mit vollem Mund.

Jessie öffnete. Die Maklerin Mrs Brixton stand vor der Tür; ihr Gesicht zeigte Anspannung.

»Guten Abend«, sagte sie außer Atem.

Mila lugte um die Ecke. »Wanda? Was machst du denn hier?«

»Entschuldigen Sie, wenn ich Ihre Party störe«, sagte die Frau aufgeregt. »Aber Mila sagte mir, dass sie heute Abend hier wäre.«

Jessie lächelte unsicher und ließ die Maklerin ein. Mila stürzte sofort auf sie zu.

»Ist was passiert?«

Dem blassen Gesicht von Mrs Brixton zu urteilen, musste dem wohl so sein.

»Allerdings«, sagte diese auch prompt. »Er hat wieder zugeschlagen!«



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