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III. „Spiritualität der Menschwerdung“ bei Johannes Tauler

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Eine „Spiritualität der Menschwerdung“ begegnet uns auch in Johannes Taulers Predigten. Tauler spricht in diesem Zusammenhang von einem suchenden Gott, der „offen und ... gereit ... und enpfenglich und ... túrstende“62 („offen und ... bereit ... und empfänglich und ... dürstend“) ist und sich nach Gemeinschaft mit den Menschen sehnt, so dass er dem Menschen sogar „engegen loffende in eime ieglichen ogenblicke“63 („entgegenläuft in einem jeglichen Augenblick“) seines irdischen Lebens.

Dominikus geht es um das Heil der Menschen. Auch Tauler liegt das Heil der Menschen am Herzen. Seine Predigten wollen deshalb den Menschen motivieren, die Gemeinschaft mit Gott zu intensivieren, in einer „gantz wor abeker“64 („vollständigen Abkehr“) von allem, was nicht zu Gott führt und Gott ist, bzw. in einer „gantz wor zuokeren zuo dem luteren woren guote daz Got ist und heisset“65 („vollkommenen Hinkehr zu dem lautern Gut, das Gott ist und heißt“). Diese Hinkehr zu Gott geschieht in der Nachfolge Jesu Christi, denn am Beispiel des irdischen Jesus, wie es in den Evangelien verkündet wird, „vindent wir ... iemer lere genuog, wan er selber ist der weg und kein ander“66 („finden wir ... immer Lehre genug, denn er selbst ist der Weg und kein anderer“). Tauler hebt also wie Dominikus das Vorbild des irdischen Jesus Christus hervor. Meister Eckhart dagegen betont mehr, dass der göttliche Christus eine allgemeine Menschennatur angenommen habe. Eckhart interessiert dabei weniger das konkrete individuelle Menschsein Christi.67

Für Dominikus ist alles Tun Frucht des geistlichen Lebens, der lebendigen Beziehung mit Gott. Auch hier folgt Tauler seinem Ordensvater: Der Mensch wird nicht für sich allein erlöst, sondern immer auch für andere. Alles Tun und Beten dient dem Heil der Welt. Nächstenliebe soll also aus der Einheit mit Gott geschehen, d.h. aus der Kontemplation. Der Einzelne ist als Mitarbeiter an der Erlösung der gesamten Schöpfung beteiligt:

„Die edele creature [der Mensch]) die muos vil adellicher wirklich sin wan die unvernúnftigen creaturen, als der himel. Und dise súllent ime in einer gelicheit nach volgen an wúrkende und schoewende.“68

„Das edle Geschöpf (der Mensch) muss in viel vornehmerer Weise wirkend sein als die unvernünftigen Kreaturen, als der Himmel. Und diese sollen ihm (dem Menschen), was die Gleichheit betrifft, nachfolgen im Wirken und in der Beschauung.“

Auch hier nimmt bei Tauler die dominikanische Armut eine gewichtige Stellung ein.69 Unter dieser versteht Tauler wie Dominikus „ein frilidig, erhaben gemuete, das ungevangen ist von allen dingen“70 („ein freies, lediges, erhabenes Gemüt, das ungefangen ist von allen Dingen“), um ganz offen für Gottes Gnade zu sein.

1 Vgl. u.a. Eck 2006, 17: „Wie lässt sich diese geistige und literarische Nähe dieser beiden Prediger (Tauler und Eckhart) genauer erklären, sind sie doch zeitlich immerhin vierzig Jahre auseinander? Natürlich konnte Tauler Eckharts Vorlesungen und Predigten gehört haben, und sicher besaß er davon Abschriften. Doch ich meine, sie sind vor allem beide in der dominikanischen Tradition groß geworden, die noch relativ jung war, und es erstaunt, wie wenig in den Studien zur Deutschen Mystik darauf hingewiesen wird; bei beiden finden wir sehr lebendige Erinnerungen an Aussagen und Haltungen des heiligen Dominikus. Das Angesicht Gottes ist das gleiche: ein freundschaftlicher Gott, ganz nahe, trotz oder gerade wegen seiner Transzendenz, ein Gott, der die Menschen liebt und der sie unbedingt zu seinen Freunden machen und ihnen seine Geheimnisse mitteilen will. Ein treuer Gott, der die Fehler seines Freundes nicht aufrechnet, sondern durch geheimnisvolles Vergeben aufhebt, und diese Vergebung erzeugt gleichzeitig eine neue Nähe zu ihm. Die beiden Predigerbrüder (Tauler und Eckhart, Anm) wollen wie ihr Gründer Dominikus ‚das Heil bewirken‘.“

2 Lohrum 2000, 41. Zitate: Monumenta Ordinis Fratrum Praedicatorum XVI, 155; Thomas, Sth IIa-IIae q. 188 a6: „Das Beschaute anderen vermitteln.“ Vgl. Hauschild I 1995, 324 – 327; Hertz 1981

3 Vgl. Älteste Konstitutionen des Ordens (abgeschlossen unter dem Generalat des Sel. Jordan von Sachsen [1222 – 1237]), Vorwort, b, 246; in Hoyer 2002: „Besonders für die Predigt oder das Seelenheil gegründet.“

4 Müller 2000, 154.

5 Müller 2000, 154.

6 Bedouelle 2000, 81.

7 Jordan von Sachsen, Anfänge, 2002, 37f.

8 V 47, 209, 13-16 (H 61): „Die obersten súllent die nidersten gutlichen leren und stroffen minneklichen, als unser vatter S. Dominicus, des senftmutikeit was als gros, doch mit einem heiligen ernste, wie verkert sin underton woren, sie wurden bekert von sinem stroffende“ („Die Oberen sollen ihre Untergebenen gütig belehren und liebevoll tadeln, wie unser Vater Sankt Dominikus tat, dessen Sanftmut bei allem heiligen Ernste so groß war, dass, wie verkehrt seine Untergebenen gehandelt haben mochten, sie von der Art seines Tadels bekehrt wurden“).

9 Wolter 1999, 22. Nicht verschweigen dürfen wir allerdings, dass ab 1232 Dominikaner der Inquisition dienten, die mit großem Eifer die Rechtsverfahren immer mehr ausbauten und – im Widerspruch zum Willen des hl. Dominikus – das gewaltsame Vorgehen gegen Häretiker und Ketzer förderten (Vgl. Wolter 1999, 272).

10 Schillebeeckx 2000, 57.

11 Vgl. Betto 2000, 174f. (mit Bezug auf Meister Eckhart).

12 Diéz 2000, 153.

13 Vgl. Koudelka 1989, 176.

14 Tugwell 2000. 123f.

15 Vgl. Lohrum 2000, 38.

16 Älteste Konstitutionen, Vorwort b, Hoyer (Hg) 2002, 246.

17 Vgl. Lohrum 2000, 39.

18 Vgl. Lohrum 2000, 24f.

19 Vgl. Lohrum 2000, 25.

20 Vgl. Schillebeeckx 2000, 59.

21 Schillebeeckx 2000, 56.

22 Vgl. Älteste Konstitutionen, Über den Studentenmeister, 29b., Hoyer (Hg) 2002, 290: „In den Büchern der Heiden und Philosophen sollen sie (die Studenten, Anm.) nicht studieren, wenn sie sie auch im Einzelfall anschauen dürften; weltliche Wissenschaften sollen sie sich nicht aneignen, auch nicht die sogenannten ´freien Künste´, außer wenn einmal der Ordensmeister oder das Generalkapitel einen dispensieren möchte, sondern sie, die jungen wie die anderen, sollen nur die Bücher der Theologen lesen.“

23 Schillebeeckx 2000, 59.

24 Lohrum 2000, 26.

25 Koudelka 1989, 177.

26 Vgl. Gnädinger 1993, 21f.: „Die auf dem Generalkapitel von 1305 für alle Konventsmitglieder als Beschluss gefasste Verpflichtung, über die eigene Studienzeit hinaus, an hausinternen Hauptvorlesungen, der lectio ordinaria, und an den für Studenten übungshalber durchgeführten Repetitionen und Disputationen teilzunehmen, hielt wohl auch Taulers theologische Interessen wach und sein Wissen auf einem aktuellen Stand. Eindeutig zeigt sich indes im nachgelassenen Predigtwerk, dass Taulers Aufmerksamkeit denjenigen Fragen und Lehrpunkten gelten musste, welche die ihm eigene Lebenslehre fundierten.“

27 Koudelka 1989, 103.

28 Koudelka 1989, 103.

29 LCO 1, IV (Liber Constitutionum et Ordinationum Ordinis Fratrum Praedicatorum, Rom 1969), Vgl. Lohrum 27f.: „In der gegenwärtigen Konstitution heißt es, dass ‚Predigt und Lehrtätigkeit aus der Fülle der Kontemplation fließen sollen.‘ ... Nun ist in den ältesten Konstitutionen des Ordens der Begriff Kontemplation nicht zu finden. Es heißt dort, sie sollen ‚mit Gott über Gott sprechen‘. – In den Konstitutionen von 1505 taucht zum erstenmal gleich mehrmals der Begriff Kontemplation auf: ‚Der Orden der Predigerbrüder ist gemäß seinen Konstitutionen darauf hingeordnet, sich der Kontemplation zu widmen und den andern die Frucht der Kontemplation darzubieten‘. Der Einfluss des hl. Thomas von Aquin ist sehr deutlich; denn die Konstitutionen übernehmen die Terminologie aus der Summa theologica.“ – In Sth. IIa-IIae q. 188 a. 6 stellt Thomas die Frage, ob ein Orden, der sich dem kontemplativen Leben widmet, wichtiger ist als ein Orden, der sich dem tätigen Leben hingibt. Dabei stellt er fest, dass es ein tätiges Werk gibt, das ‚aus der Fülle der Beschauung fließt‘, nämlich das Lehren und das Predigen.

30 Lohrum 2000, 27.

31 Vgl. Lohrum 2000, 29.

32 Thomas, Sth.IIa-IIae q. 180 a.1, a.3, a.4.

33 Vgl. Sudbrack 1999, 118: „In der klassischen Mystik-Lehre unterscheidet man die ‚erworbene‘ (acquista), die durch Übung erlangte Anfangsstufe der Kontemplation, von der ´eingegossenen´ (infusa), die als Geschenk den Höhepunkt darstellt.“

34 Vgl. Thomas, Sth. IIa-IIae q.180 a.3; Lohrum 2000, 29f.

35 Vgl. Thomas, Sth. IIa-IIae q.180 a.4.

36 Thomas, Sth. IIa-IIae q. 188 a.6.

37 Lohrum 2000, 31.

38 Weitere sog. „Mittel“ zur Erreichung des Ordenszieles sind für Dominikus das gemeinschaftliche und klösterliche Leben, das sich an der Jerusalemer Urgemeinde orientiert; sodann die evangelischen Räte (durch den Gehorsam werden die Brüder zum Wort bestellt, durch die Ehelosigkeit werden sie frei zur völligen Hingabe an Gottes Wort, die Armut macht sie frei von allen irdischen Anhänglichkeiten, um Gott zur Verfügung stehen zu können); die Feier der Liturgie, vor allem der Heiligen Messe, wobei das Chorgebet dem Ordensziel untergeordnet ist. Um des Studiums und der Predigt willen, kann der Prediger von der Teilnahme dispensiert werden (vgl. Lohrum 2000, 32 – 40).

39 Müller 2000, 76.

40 Vgl. Müller 2000, 76. Diese Vorstellung können wir auch bei Eckhart und Tauler wiederfinden.

41 Díez 2000, 155f.

42 Zur Geschichte des Modells „vita activa“ und „vita contemplativa“: Siehe Mieth 1969, 29 – 117.

43 Vgl. Thomas, Sth. IIa-IIae q. 188 a.6: “Wie nämlich das Erleuchten größer ist als das bloße Leuchten, so ist es etwas Größeres, das Beschaute anderen zu vermitteln als bloß zu beschauen.“

44 Vgl. Mieth 1969, 112: „Erst der Dominikanerorden verlegt den Schwerpunkt seiner Existenz auf das Apostolat in Predigt und Lehre, die nach Thomas die höchste Form des aktiven Lebens darstellen. Danach bedeutet nun auch im Ordensleben die ‚vita activa‘ mehr als eine bloße Präparation der Kontemplation; in ihren höchsten Akten wird sie zum eigentlichen Ziel der kontemplativen Lebensführung. Aktion und Kontemplation begegnen sich in der ‚vita contemplativa‘.“ - Meister Eckhart und Johannes Tauler konnten als „Söhne“ des hl. Dominikus erst durch dessen Spiritualität eine „geschichtliche Grundlage“ (Mieth 1969, 26) schaffen für „die Spiritualität des tätigen Lebens“ (Mieth 1969, 26).

45 Vgl. Díez 2000, 143 – 164.

46 Díez 2000, 143 merkt dazu an: „Es birgt schwerwiegende Risiken in sich, diese grundlegenden Prinzipien zu vergessen und beispielsweise in einen sterilen Kongregations-Narzissmus zu verfallen beziehungsweise den Bezug zur einzigen Norm jeglicher christlicher Spiritualität zu verlieren, nämlich zum Geist und zur Praxis Jesu. Diese Risiken bestehen häufig, wenn die Konstitutionen einen absoluten Wert erhalten und sogar dem Evangelium vorgeordnet werden.“

47 Díez 2000, 143.

48 Vgl. Díez 2000, 145f.

49 Tauler spricht von den „frijen geisten, die in valscher friheit glorieren“ („freien Geistern, die sich einer falschen Freiheit rühmen“) (V 48, 219, 1 [H 78, 604]). Und weiter merkt Tauler an (V 48, 11-18 [H 78]): „In etlichen landen vint man lúte die einer valscher lidikeit phlegent und tunt sich aller wúrklicheit ab, und inwendig hutent si sich vor guten gedenken, und sprechent si sin ze friden komen, und enwellent sich och nút uben an den werken der tugende und si sin dar úber komen. Sie hant ein túfellin bi sin sitzent, das verbút allem dem das si von innan und von ussen entfriden mag gedenken und in allen wisen, umbe das si in dem friden bliben, umbe das er si denne her nach mit imme fúre in einen ewigen unfriden, in sin helle; dar umbe behút er in iren valschen friden“ („In manchen Ländern findet man Leute, die eine falsche Ledigkeit pflegen und alle Tätigkeiten abweisen; sie hüten sich sogar vor guten Gedanken und sagen, dass sie in Frieden seien; und auch Übungen der Tugend wollen sie nicht vornehmen, [da] sie darüber hinausgekommen seien. Sie haben einen kleinen Teufel bei sich wohnen, der alles unterbindet, was sie von innen und außen aus ihrem [falschen] Frieden vertreiben könnte, in ihrem Denken oder sonst wie; er erhält sie in diesem Frieden, damit er sie später [in ihrer Todesstunde] mit sich führen könne in ewigen Unfrieden, in seine Hölle; aus diesem Grund bewahrt er ihnen ihren falschen Frieden“). Vgl. auch V 54, 250,4 – 34 (H 52, 401).

50 Vgl. Dinzelbacher 1998, 16f. („Amalrikaner“) 179ff. („freie Geister).

51 Díez 2000, 145.

52 Díez 2000, 146.

53 Díez 2000, 146.

54 Díez 2000, 147.

55 Díez 2000, 153.

56 Díez 2000, 154.

57 Gemäß Phil 2,6-11: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: ´Jesus Christus ist der Herr´ zur Ehre Gottes, des Vaters.“

58 Díez 2000, 155.

59 Díez 2000, 162.

60 Díez 2000, 163.

61 LCO 1, IV.

62 V 27, 111,12f.

63 V 27, 111,13f.

64 V 12, 59,31f.

65 V 12, 59,32f.

66 V 20, 81,20f. Das ganze Zitat lautet in V 20, 81, 19ff.: „Obe alle meister tot werent und alle buch verbrant werent, so vindent wir an sime heilige lebende iemer lere genug, wan er selber ist der weg und kein ander“ („Und wenn alle Meister tot wären und alle Bücher verbrannt wären, so fänden wir in seinem heiligen Leben immer Lehre genug, denn er selber ist der Weg und kein anderer“).

67 Vgl. Eckhart, Predigt 46, Largier Bd. 1, 490,21 – 25: „Das êwige wort ennam niht an sich disen menschen noch dén menschen, sunder ez nam an sich eine vrîe, ungeteilte menschlîche nattûre, diu dâ blôz was sunder bilde; wan diu einfaltige forme der menscheit diu ist sunder bilde“ („Das ewige Wort nahm nicht diesen oder jenen Menschen an, sondern es nahm eine freie, ungeteilte menschliche Natur an, die da rein war, ohne Individualzüge; denn die einfaltige Form der Menschheit ist ohne Individualzüge“).

68 V 39,157,5ff. (H 40).

69 Eckhart hat den Gedanken der Armut weiterentwickelt durch die Begriffe Abgeschiedenheit, Gelassenheit und Armut des Geistes. Alle drei Begriffe meinen dasselbe: Frei-sein für das ungehinderte Wirken Gottes im Menschen. Siehe auch den zweiten Teil, drittes Kapitel, IV.

70 V 8, 37,3f.

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