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Drei mögliche Wege zur Gestaltung von Veränderungen

Erstes Verständnis der Gestaltung von Veränderungen: Generalisierte Modelle

Viele Veränderungsexperten folgen mehr oder weniger komplexen Modellen ihrer jeweiligen Disziplin und wenden fertige ›Produkte‹ an. In der betriebswirtschaftlich dominierten Fachberatung ist es ausreichend, wenn der Kunde weiß, (a) welcher Natur sein Problem ist und (b) welches Beratungsfach, welche Methoden und welche Berater helfen. Problematisch wird es dann, wenn bei der Umsetzung von Vorhaben der Faktor Mensch zu wenig berücksichtigt wird bzw. die Vorstellungen über die Veränderbarkeit von Organisationen einschließlich ihrer menschlichen Systemanteile insgesamt zu einfach sind. Sobald generalistische Machbarkeitsillusionen am Werk sind, werden zu viele Aspekte der Situation vor Ort außer Acht gelassen, und der größte Teil der durchgeführten Maßnahmen bleibt ebenso teuer wie wirkungslos. Selbst aufwändige Anpassungen der jeweils verwendeten Modelle greifen zu kurz, weil die tiefer liegenden Funktionsmechanismen in den betreffenden Organisationen zumeist grundlegend andere sind als die vom jeweiligen Modell berücksichtigten.

Eindrucksvolle Beispiele dafür liefern fehlgeschlagene Reformvorhaben in der öffentlichen Verwaltung. Unter dem Begriff ›New Public Management bzw. ›Neues Steuerungsmodell‹ wurden in den vergangenen rund fünfzehn Jahren in vielen Behörden umfangreiche Veränderungen vorgenommen. Motor dieser Anstrengungen war hauptsächlich der Konsolidierungsdruck auf die öffentlichen Haushalte. Das vermeintlich wirksame Mittel sah man in der Übertragung betriebswirtschaftlicher Funktionsprinzipien auf die öffentliche Verwaltung. Mit dem Ziel, Verwaltung effizienter zu machen, wurde budgetiert und dezentralisiert. Heute lässt sich feststellen, dass diese Bemühungen im Kern gescheitert sind (vgl. Bogumil 2007, S. 39). Die Ursachen dafür sind im Konzept selbst zu suchen (vgl. Holtkamp 2007, S. 48) bzw. darin, dass die tiefer liegenden Funktionsprinzipien bzw. die Kultur in Verwaltungen eine grundlegend andere ist als in Unternehmen und betriebswirtschaftliche Instrumente daher nicht funktionieren können, ganz gleich wie gut sie an den Verwaltungskontext angepasst werden.

Zweites Verständnis der Gestaltung von Veränderungen: Fundierte Diagnosen und beteiligtenorientierte Interventionen

Andere Experten verabschieden sich von der Vorstellung der Steuerbarkeit und legen zunächst eine Organisationsdiagnose nahe, um auf dieser Grundlage gemeinsam mit den Akteuren im System Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. Viele Ansätze aus den Bereichen der Organisationsentwicklung (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 160 ff. oder Bokler 2004, S. 115 ff.) und der systemischen Beratung (vgl. Ellebracht et al. 2009) folgen dieser Denkweise, wobei wir zugeben, hier ein sehr breites Spektrum mit einer großen methodischen Binnendifferenzierung zusammenzufassen. Ein prototypisches Verlaufsmodell bietet der Survey-Feedback-Ansatz (vgl. Kals 2006, S. 54). Viele Autoren grenzen dieses Beratungsverständnis von der betriebswirtschaftlich dominierten Fachberatung ab, indem sie den prozeduralen Aspekt der Vorgehensweise (Problemanalyse, Erarbeitung eines Soll-Zustands, Bestimmung von Maßnahmen zur Erreichung des Solls usw.) betonen. Im Unterschied zur reinen Fachberatung muss der Kunde wissen, dass er ein Problem hat, aber nicht zwingend wissen, welche Dimensionen es hat und wie damit umzugehen ist. Vorteil dieser Ansätze ist, dass bei richtiger Durchführung die Lösungen von den Akteuren im System selbst bzw. mit den Beratern gemeinsam erarbeitet werden. Die Schwäche dieser Ansätze ist, dass sie Grenzen haben, wenn die Probleme sehr tief liegen und es ›Probleme hinter den Problemen‹ gibt bzw. die Ursachen für Konflikte vollkommen unbewusst sind.

Drittes Verständnis der Gestaltung von Veränderungen: Nachhaltigkeit durch die Anerkennung nichtrationaler Faktoren und den Aufbau einer helfenden Beziehung

Die dritte Perspektive erkennt an, dass es gerade in sich verändernden Organisationen zahlreiche nichtrationale Faktoren gibt, die das Geschehen stark beeinflussen, sich aber mit den Modellen der ersten und zweiten Sichtweise nicht beschreiben lassen. Unternehmenslagen werden als so spezifisch und komplex angesehen, dass Veränderungen nur von innen, aus dem Prozess selbst heraus gelingen können. Nach dem Verständnis der ›Prozessberatung‹ (vgl. Schein 2010b, S. 37 ff.) kann ein Berater nicht wissen, was genau einer Organisation hilft, sondern er kann lediglich eine helfende Beziehung herstellen und einen Beratungsprozess gestalten. In dieser Grundannahme stimmt das hier beschriebene dritte Verständnis von Veränderungen mit der oben dargestellten zweiten (›systemischen‹) Perspektive überein. Der feine, aber gravierende Unterschied liegt in der Anerkennung des Einflusses unbewusster Prozesse auf das Geschehen in Organisationen (z.B. Abwehrmechanismen, Gruppendenken, Grundannahmen). Unsere Erfahrungen zeigen, dass das dritte Veränderungsverständnis zu nachhaltigeren Ergebnissen führt, obwohl der Prozess die Beteiligten weitaus mehr involviert und für sie unwägbarer bleibt. Zu den bekanntesten Denkmodellen dieser Orientierung gehören psychodynamische und organisationskulturelle Ansätze.

Fallbeispiel

Ein gründer- bzw. eignergeführtes Handelsunternehmen, das auf den Vertrieb von technischen Geräten für den Bereich Haus und Garten sowie auf Heimwerkerbedarf spezialisiert ist, blickt auf mehrere Jahrzehnte langsamen und ›organischen‹ Wachstums zurück. Bisher fußte der Handel auf dem klassischen Filialprinzip. Im Zuge eines Generationswechsels an der Spitze des Familienunternehmens (zwei Söhne übernehmen die Leitung von ihrem Vater) kommt es zu einer Neuorientierung. Man meint, der allgemeinen Verlagerung von Vertriebswegen ins Internet Rechnung tragen zu müssen und nutzt die Gelegenheit, etwa sechzig Prozent der Anteile an einem relativ jungen Online-Handelsunternehmen zu erwerben. Der Zukauf erfolgt, so erfahren wir später, eher auf eine zufällige Chance hin, denn als geplanter und entsprechend vorbereiteter Schritt. Bisherige Diskussionen, wie auf die Veränderung der Märkte zu reagieren sei, und die Akquisitionsmöglichkeit schienen gut zusammenzupassen, verfügte das zugekaufte Unternehmen doch über die notwendige Expertise im Online-Markt. Zunächst übernimmt einer der beiden Söhne die Geschäftsleitung im akquirierten Unternehmen, während der größte Teil der bisherigen Führungskräfte dort vorerst mit den angestammten Aufgabenbereichen betraut bleibt. Kurz nach der Übernahme verschlechtern sich die Ergebnisse, und es kommt zu erheblichen Konflikten auf der Führungsebene (Sitzungen werden kurzfristig abgesagt oder verschoben; die Kommunikationskanäle E-Mail und Telefon werden jeweils ›über Kreuz‹ benutzt, um sich dann gegenseitig vorzuwerfen, man tue alles, um den anderen zu erreichen, habe aber das Gefühl, die andere Partei wolle gar nicht erreichbar sein). In dieser Situation wendet sich einer der beiden Söhne (der das Stammunternehmen leitende Geschäftsführer) an uns. Nach den ersten Gesprächen stellt sich uns die Situation wie folgt dar:

[Das hier dargestellte Fallbeispiel wird am Ende der Kapitel ›Psychologie‹ (s. u. S. 57–61) und ›Prozess‹ (s. u. S. 97–103) eingehenden Betrachtungen aus der jeweiligen Perspektive unterzogen.]


Abb. 1: Darstellung der IST-Situation des Beratungsprozesses (© Heidig/Kleinert/Dralle/Vogt 2012)

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