Читать книгу Tribut der Wahrheit - Jörg Koojers - Страница 8

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Clark fährt zur Bäckerei.

Auch wenn er seit jenem Abend einen Bogen um die Antike Truhe in Cassandras Schlafzimmer machte: Die quälenden Fragen, warum sie stillschweigend eine Million Dollar darin versteckte, und wieso sie ihm weismachen wollte, Hill sei ein Ort, blieben unbeantwortet.

Wieso hatte sie all die schönen Erinnerungen an seinen Vater verschwinden lassen und nur die hässlichen Zeitungsausschnitte von seinem Tod, dem Attentäter und den Polizeiermittlungen aufbewahrt? Warum verwahrte sie nur alberne Fotos von einem Gebäude und nicht eines von ihrem verstorbenen Ehemann? Wieso erinnerte alles in der Truhe an diesen hinterhältigen Mord und nichts an die schönen Jahre zuvor?

Clark wurde so manche Nacht durch diese Frage seines Schlafes beraubt. Oft saß er allein auf seinem Zimmer und haderte mit der Entscheidung, seinen Schwestern doch von Hill zu erzählen. Eines Abends hatte er den Mut und ging zu ihnen. Doch als er bei ihnen war, merkte er, dass sie genug mit ihrem eigenen Schmerz zu kämpfen hatten und sie diesen lieber mit Schlagzeilen über Michael Jackson, Phil Collins oder Patrick Swayze überschütteten. Mit seiner Mutter konnte er nicht reden. Das Vertrauen zu ihr war durch die Drohung, verprügelt zu werden, zerstört. Und bei Logan hatte er Angst, alles könnte wieder in einem sinnlosen Räuber-und-Gendarm-Spiel enden. Clark war der Verzweiflung nahe. Wer war ihm geblieben? Mit wem sollte er über seine argwöhnischen Gefühle seiner Mutter gegenüber reden? Wem sollte er erzählen, dass die Vorstellung, wie sein Vater erschossen wurde, ihn bis in den Schlaf verfolgte?

Weil er keinen Ausweg sah, verdrängte er den ganzen Abfall in den hintersten Winkel seines Kopfes. Dort moderten Cassandras Leichen so lange, bis Clark den fauligen Gestank nicht mehr aushielt. Auch wenn er sich am Tage seiner Vereidigung geschworen hatte, nie in der Mordsache herumzuschnüffeln, brach er diesen Schwur. Er verschaffte sich Zugang zu den Akten und fand heraus, dass seine Mutter gelogen hatte. Harry Zott war nur das Werkzeug einer Person, die selber kein Blut an den Fingern kleben haben wollte.

Clark stellt sein Auto vor der Schaufensterfront der Bäckerei Black ab und steigt aus.

»Hallo«, sagt die Witwe Black sofort, als er zur Tür reinkommt. »Wie geht es Ihnen, Clark?«

»Danke, gut, und Ih-«

»Das nenne ich Gedankenübertragung«, sagt die leicht verwirrte alte Dame mit den grauen Haaren und fällt den Leuten wie gewohnt ins Wort. »Geben Sie es zu, Sie haben gerade an mich gedacht. Ich kann das spüren.«

»Also, ich- «

»Ja«, sagt sie. »Ich habe es gewusst! Sagen Sie, wann fliegen Sie nochmal, heute oder morgen?«

»Morgen früh um zeh-«

»Und, schon nervös? Ich meine, man kommt ja nicht jeden Tag nach Paris. Wissen Sie, als mein Mann noch lebte, also wir wollten auch immer mal nach Paris aber... « Sie schluckt. »Aber Sie wollen jetzt sicher zu Emma. Warten Sie, ich hole sie schnell.«

Emma ist zweiundzwanzig und vor sechs Monaten mit ihrer drei Jahre älteren Schwester Steffy aus Montreal hierhergezogen. Die beiden studieren an der UQAC in Québec und verdienen sich in der Bäckerei ihrer Oma ein paar Dollar dazu. Als Clark Emma und Steffy das erste Mal bei der Witwe Black im Laden sah, hatte Emma sofort ein Auge auf den hübschen jungen Mann mit den dunklen Haaren geworfen. Doch Clark steht nicht auf Frauen, die sich übereilt mit dem nächsten Typen einlassen, der ihnen gefällt.

»1,80 groß, sportlich, dunkle Augen und so weiter«, sagt die Witwe Black, als sie die Backstube betritt.

Genau wie ihre ältere Schwester ist auch Emma sportlich und schlank, aber immer darauf bedacht, dem männlichen Auge eine Freude zu sein. Heute trägt Emma ihre schwarzen Haare hochgesteckt und sie hat sich extra nur für Clark eines ihrer kurzen Sommerkleider angezogen.

»Ach, schau mal einer an«, fährt die Witwe Black fort, als Emma aufspringt und zum Spiegel läuft.

»Wenn dein Sheriff Clark Simon hier auftaucht, sind wir plötzlich hellwach.«

Wie es scheint, interessiert sich Emma nicht für das Geschwätz ihrer Oma, sondern nur, ob der Dutt noch richtig sitzt, der Lippenstift nicht verwischt ist, das Make-up noch richtig deckt und der Kajal-Strich nicht zu kräftig gezogen ist. Gleich nach der Prüfung eilt sie raus und präsentiert ihren schlanken Körper in dem dunkelblauen Minikleid. Graziös kommt sie hinter der Theke hervorgehüpft.

»Gott, was werde ich dich vermissen«, sagt sie und schäumt vor Freude gänzlich über. »Drei Wochen ohne dich, das kommt mir jetzt schon wie eine Ewigkeit vor.«

Sie küsst ihn auf die Wange und klebt länger als nötig an seinem Körper.

»Ach, das wirst du schon schaffen«, sagt er verlegen und überrascht – überrascht, da sie halbnackt aus der Backstube sprang und nun wie ein Saugnapf an ihm klebt.

»Oh, Paris«, schwärmt sie. »Kannst du mich nicht mitnehmen?«

»Emma, entschuldige bitte, aber ich bin spät dran.«

Sie merkt nicht, dass es Clark unangenehm ist und er sich gerne mit dem Zeitdruck aus ihrer Umklammerung löst.

»O ja«, sagt sie. »Schon kurz vor acht! Donuts für dich und Logan?«

»Ja, bitte.«

»Okay.«

Absichtlich dreht sie sich mit einem knusprigen Hüftschwung um und geht hinter die Verkaufstheke.

»Nett schaut sie aus«, denkt er, sagt aber nichts.

»Ich habe mit Tom, Jack, Nanami und den anderen aus der Clique gesprochen und gefragt, ob wir uns heute Abend nochmal treffen – natürlich nur, wenn du Lust hast.«

Clark zögert nicht nur mit der Antwort, weil er heute Abend schon was anderes vorhatte, sondern auch, weil Emmas Frage komisch klingt.

»Okay?«, meint er nachdenklich. »Also, heute Abend sind Caroline, Scarlett und ich erstmal auf der Party unserer Cousine. Du weißt, sie hatte am Dienstag Geburtstag, aber wir könnten nachkommen«, sagt er und fragt sich eine Sekunde später, warum er ihr das Angebot gemacht hat.

»Deine Schwestern brauchst du nicht mitbringen«, denkt sie. »Ja das wäre cool«, erwidert sie aber. »Also, wir sind ab zwanzig Uhr im Appletree! Dann sage ich den anderen, dass ihr auch kommt?«

»Okay.«

»Super. Hier.«

Emma reicht ihm die Donuts. »Die gehen auf meine Kosten.«

»Oh, danke Emma!«

»Kein Problem und Gruß an Logan.«

»Richtig aus.«

Auf dem Weg zum Wagen beschließt Clark, nach der Rückkehr aus Ägypten mit Emma ein paar klärende Worte bezüglich ihrer Beziehung zu wechseln. Sie müsste doch merken, dass er kein Interesse hat.

Am Abend trifft sich dann die ganze Clique vor dem Einkaufszentrum in Pont-Rouge und fahren, bis auf Caroline, Scarlett und Clark, schon mal nach Québec ins Appletree. Ungefähr zur selben Zeit trudelt Clark bei seiner Cousine Elsa ein. Bis auf Carolines Wagen kennt er keines der Autos, die in der Einfahrt oder auf der Wiese vor dem Haus seines Onkels stehen. Musik und Partylaune dringen bis auf die Straße. An der Haustür hängen zwei goldene Zahlenballons, eine Eins und eine Neun.

Clark schellt. Gleich darauf öffnet sich die Tür.

»Hi, Clark.«

Elsa kommt einen Schritt heraus und fällt ihrem Cousin vor Freude um den Hals.

»Alles Gute zum Geburtstag«, wünscht er.

»Danke. Komm rein. Caroline und Scarlett sind schon da.«

»Ja, ich habe ihren Wagen gesehen.«

Auf dem Weg ins Wohnzimmer muss Clark seine Cousine erst mal genauer anschauen. Die zierliche Blondine mit den blauen Augen und den vollen Lippen ist nicht wie sonst einfach und schlicht gekleidet, sondern aufgedonnert in schwarzen Minirock und Stöckelschuhen. Dazu trägt sie ein weißes T-Shirt, auf dem steht: Eine Frau wird älter, aber nicht alt. »Mit neunzehn«, denkt Clark und staunt über ihre sonst glatten Haare, die sich in freche Locken verwandelt haben.

»Ach ja, danke für den Megastrauß Blumen. Scarlett sagte, er sei von euch allen.«

»Ja, richtig, bitte!«

»Und wie geht’s dir, Clark?«

»Gut.«

»Was macht Logan denn so? Ich habe ihn schon länger nicht gesehen.«

»Du kennst doch Logan. Dem geht‘s immer gut. Aber sag, wo sind Onkel Bob und Tante Beru?«

»Die sind ausgegangen, was Essen und ins Kino glaube ich. Das war denen zu laut hier.«

»Wow«, staunt Clark plötzlich. »Und das haben sie dir erlaubt?«

»Ja!«

Elsa grinst stolz, weil sie das Wohnzimmer in einen Partyraum umgestalten durfte. Bunte Luftballons, gefüllt mit Helium, schweben durch laute Musik und flackerndes Discolicht. Glitzerndes Konfetti liegt vermischt mit Luftschlangen auf dem Tisch, dem Sofa oder schon zertreten auf dem Boden. Clark schaut sich neugierig um. Die meisten von Elsas Gästen sind Freunde aus der Uni. Clark kennt ihre Gesichter nicht. Ein paar davon kennt er allerdings sehr gut, wie das Gesicht von Owen. Owen ist ein Schlägertyp mit tätowierten Monstern auf seinen muskulösen Oberarmen – ein Spinner, der dauernd auf der Jagd nach Ärger ist. Clark konnte ihn und seine weißgefärbten und zum Igel geschorenen Haare, die perfekt zu seinem blassen Gesicht passen, noch nie leiden. Ihm kommt jedes Mal die Galle hoch, wenn er diesen Kerl sieht. Die meisten Leute nennen ihn auch „das Gespenst“, aber nicht, weil er so aussieht wie eins, sondern, weil er sich vor ein paar Jahren mitten in der Nacht auf der Brücke von Pont-Rouge einen höchst makabren Scherz erlaubte. Am 1. September im Jahre 99 stahl er aus einer Schlachterei in Québec ein totes Schwein und erhängte es mit durchschnittener Kehle auf der Brücke. Wie er es geschafft hatte, den Hundertzwanzig Kilo schweren Kadaver in eine Höhe von zehn Meter zu ziehen, bleibt allen bis heute ein Rätsel. Jedenfalls wollte er spöttisch an die Frau erinnern, die man ein Jahr zuvor im an Pont-Rouges angrenzenden Jules Carpentier Wald mit durchgeschnittener Kehle, erhängt an einer Balsam-Tanne fand. Leider fehlten damals die Beweise, um Owen die Tat mit dem Schwein nachweisen zu können, aber die meisten der rund 7000 Seelen in Pont-Rouge schwören darauf, dass er das Schwein auf die Brücke gehängt hat.

»Warum hast du denn den eingeladen?«, fragt Clark abfällig nach.

»Ich habe ihn nicht eingeladen«, antwortet Elsa. »Christine hat ihn mitgebracht.« Clark kennt diese Christine nur flüchtig.

»Oh, bitte sag jetzt nicht, die zwei sind ein Pärchen?«

»Doch, seit ungefähr sechs Wochen!«

»Oh Mann, was findet die an diesem Blödmann?«

»Das fragen wir uns alle. Der Spinner kommandiert die Arme nur rum. Keine Ahnung, warum sie sich das gefallen lässt, wo sie doch so hübsch ist und mit Leichtigkeit was Besseres abbekommen würde!«

»Hübsch ist relativ. Mein Typ ist sie nicht!«

»Ja, ich weiß, du stehst nicht auf Frauen mit kurzen blonden Haaren und mädchenhaften Gesichtszü-gen. Du magst den herben Frauentyp mit langen blonden Haaren, so wie Steffy.«

»Steffy hat runde und weiche Gesichtszüge«, antwortet er.

»Ich finde, sie hat ein herbes Gesicht.«

»Nein. Absolut nicht!«

»Bisher mochtest du aber den herben Typ.«

»Wer sagt das denn und außerdem-«

»Den Typus wechseln, ist doch in Ordnung. Du kannst es also ruhig zugeben, es hat sowieso schon jeder mitbekommen, was zwischen euch läuft.«

»Was? Zwischen Steffy und mir läuft nichts.«

»Ja, noch nicht.«

»Ich an deiner Stelle hätte den Typen gar nicht hereingelassen.«

»Wenn? Owen? Wie kommst du denn jetzt-«

»Du hast dir gerade einen Verbrecher ins Haus geholt. Das kann im Ernstfall gegen dich verwendet werden.«

Elsa lacht. »Was?«

»Was für ein Pärchen«, fährt Clark fort. »Sieh sie dir an. ’Eine hungrige Seele aus dem verträumten Pont-Rouge fand die große Liebe in dessen Ehrenbürger Owen. Gemeinsam erhängten sie fortan Schweine auf der Brücke’.«

»Hör auf, Clark. Christine ist halt ein Einzelgänger. Vergiss nicht, dass ihr Vater sie in ein Heim gesteckt hat, um mehr Zeit zum Saufen zu haben.«

»Was für ein romantisches Schicksal für die zwei!«

Elsa boxt ihn auf den Arm.

»Au. Ich mache doch nur Spaß.«

»Du lenkst nur vom Thema ab, um nicht zuzugeben, dass du bis über beide Ohren in Steffy verliebt bist.«

»Verliebt ist übertrieben – sagen wir, ich finde sie nett. Aber jetzt sei ruhig, da kommt meine Schwester.«

»Hi, Clark.«

»Hallo Caroline. Du siehst gut aus.«

»Danke.«

Caroline trägt einen schwarzen Hosenanzug mit einer silbernen schnalle. Ihre leicht welligen schwarzen Haare hat sie heute mal geglättet. Schminke lässt die 33-jährige Physiotherapeutin, bei ihrer zarten Gesichtshaut, den vollen Lippen und den grünlichen Augen, nur dezent an sich.

»Regt er sich wieder darüber auf«, fragt Caroline Elsa, »dass er Owens blutiges Schwein abhängen durfte?«

»Ha, ha«, murmelt Clark.

»Nein«, erwidert Elsa. »Er hat mir gerade erzählt, wie sehr er in Steffy verliebt ist.«

»Was

»Ach, das weiß doch jeder«, tut Caroline gelangweilt. »Es wird sogar gemunkelt, dass sie heimlich mit nach Paris fliegt.«

»Was wird gemunkelt?«, will Clark wissen.

»Klärt das unter euch«, sagt Elsa, geht und kümmert sich um die anderen Gäste.

»Caroline«, sagt Clark. »Was wird gemunkelt?«

»Mir ist das ja egal, aber den anderen fällt auf, dass ihr oft zusammen hockt.«

»Außer dass ich sie nett finde, gibt es da nichts aufzufallen! Wir sind bloß Freunde und ich habe im Moment nicht vor, das zu ändern!« Clark denkt dabei an seinen geheimen Plan. »Und Emma«, fährt er fort. »werde ich nach meinem Urlaub auch mal ein paar Takte erzählen. Ich habe nämlich kein Bock mehr mich dauernd von ihr anmachen zu lassen.«

»Sehr gut«, antwortet Caroline überrascht. »Aber ich würde mir das für heute vornehmen und nicht noch drei Wochen warten.«

Caroline weiß nicht, dass Clark wegen seines Projekts zu sehr beschäftigt war, um sich über ein Gespräch mit Emma Gedanken zu machen. Damit sie keinen Verdacht schöpft, sagt er: »Du hast recht. Ich werde es ihr nachher sagen, dann weiß sie, woran sie ist. Aber jetzt mal was anderes: Wo ist Scarlett?«

Caroline lächelt. »Irgendwo hier.«

»Okay?«

»Wer hatte die Idee, heute noch ins Appletree zu gehen?«

»Emma.«

»War klar!«

Weil Clark gut mit spontanen Gesprächen umgehen kann, macht er sich keine Sorgen, was er Emma sagen wird, und versucht, die Party seiner Cousine zu genießen.

Er mischt sich mit seiner Schwester unter die gut gelaunten Leute und versucht, auf andere Gedanken zu kommen. Doch jedes Gespräch scheint in der Frage zu münden, was er als Erstes in Paris machen wird. Als Clark es satthat, seine vorgefertigten antworten abzuspulen, zieht er sich aus dem Trubel zurück und geht auf die Terrasse.

Es ist etwas kühl heute Abend, aber das stört ihn nicht.

Nachdenklich blickt er von Elsas Terrasse hinunter ins Tal, wo die Dämmerung umherschleicht und nur noch Bruchstücke des Jacques-Cartier-Flusses zu erkennen sind. Schnell schweifen seine Gedanken wieder um das eine Thema.

Als Clark vor einem Jahr in Harry Zotts Akte las, dass der Tod seines Vaters ein Auftragsmord war, entschied er sich, hinter dem Rücken aller den Fall zu enträtseln. Ihm war klar, dass das Geld, der Brief von Hill, die Zeitungsausschnitte und das Gebäude auf dem Foto mit dem Mord zusammenhingen! Wahrscheinlich sprach und spricht Cassandra bis heute kein Wort über ihn oder lenkt jedes Gespräch in stille Tränen.

Als Clark seine Fühler nach Hill ausstreckte, war er überrascht, in den Archiven eine Akte über ihn zu finden.

Er wurde am 14.10.1947 in New York geboren und wuchs in einer wohlhabenden Familie auf. 1951 verließen sie New York und zogen zu seiner Überraschung nach Pont Rouge. Acht Jahre später kehrten sie aber in ihre Heimatstadt zurück und blieben dort. Donavan machte seinen Abschluss und Studierte später an der Harvard University. Er wurde Bankmanager, arbeitete in der Zeit von 1975 bis 1984 in zwei größeren Institutionen und später in zwei kleineren. Was sofort auffiel, war, dass die beiden kleineren Institute Hill der Unterschlagung von Bankgeheimnissen beschuldigten. Doch fehlten in beiden Fällen am Ende die Beweise für eine stabile Prozessführung.

Clark schluckte, als er das las, und legte die Akte ins Archiv zurück. Mit Gewalt zwang er sich, seine Frage zu überhören: Wo kam das Geld in der Truhe her? War seine Mutter etwa eine Bankräuberin? Was verdammt hatte sie nur mit diesem Mann zu tun? Hatte sein Dad herausgefunden, dass Donovan in Wirklichkeit ein Gauner war? Hat Hill ihn deshalb umbringen lassen? Wenn ja, muss Cassandra davon gewusst haben. Wie sonst lassen sich eine Million Dollar in der Truhe erklären?

Clark kam schnell an den Punkt der Verzweiflung und beschloss, seinen Vorgesetzten und früheren Freund seines Vaters Apone mit in die Recherchen einzubeziehen.

Verdeckt nahmen sie den Fall wieder auf und fanden heraus, dass Hill eine Woche nach Johns Tod Kanada mit einem einfachen Ticket verlassen hatte. Seine Spur führte dann nach Alexandria, wo er ein Jahr lebte und dann plötzlich wie durch Zauberei verschwand. Genau da will Clark die Fährte morgen wieder aufnehmen.

Die Terrassentür wird geöffnet.

Clark dreht sich um und schaut in das mädchenhafte Gesicht von Owens Freundin Christine.

»Hi«, sagt sie.

Aus ihrem Zögern ist zu schließen, dass sie nicht erwartet hatte, hier draußen jemanden zu treffen. Zaghaft schließt sie die Tür und stellt sich neben Clark ans Terrassengeländer.

»Ist zu laut da drin«, sagt sie und verschränkt die Arme ineinander.

»Ja«, erwidert Clark. »Und die Luft ist auch nicht gerade die beste.«

»Das stimmt.«

Clark nickt und sagt nichts.

»Letztes Jahr um die Zeit war es wärmer«, sagt Christine nach einer kleinen, verlegenen Pause.

»Ja, der Sommer lässt auf sich warten.«

»Wie warm ist es denn jetzt in Paris?«

Clark lacht.

»Oh Mann, gibt es einen, der nicht weiß, dass ich nach Paris fliege?«

Christine will gerade etwas sagen, da rammt Owen die Terrassentür auf, so als gehöre er zu einem Sondereinsatzkommando der Polizei.

Beide zucken zusammen. »Mein Gott, das ist wirklich ein Gespenst«, denkt Clark und schaut mit ansteigender Übelkeit auf die weiß gefärbte Igel-Haarpracht.

»Wo treibst du dich denn rum?«, macht er Christine an. »Baggerst du hier etwa meine Perle an, Simon?«

»Verpiss dich bloß«, denkt Clark.

»Nein, tut er nicht«, korrigiert Christine ihn.

»Sieht aber so aus.«

»Reg dich jetzt bitte nicht auf, Owen, wir haben uns nur unterhalten.«

»Ja«, sagt Clark und kann das Sticheln nicht lassen. »So ist das nun mal auf einer Party. Menschen unterhalten sich!«

Owen lächelt dünn. »Das ist ja alles ganz hübsch, Simon, aber ich glaube dir nicht.«

»Das ist dein Problem.«

»Lass uns reingehen Owen«, sagt Christine.

»Nein«, erwidert er, den Blick starr auf Clark gerichtet.

»Bitte Owen. Er hat dir nichts getan.«

»Doch, das hat er!«

»Mein Gott, musst du jedes Mal Ärger machen, wenn jemand mit mir redet.«

»Jedes Mal?«

»Ja, jedes Mal.«

»Ich habe dir schon erklärt, warum ich das tue.«

»Und ich habe dir gesagt, das ist unsozial.«

»Unsozial?«

Während ihrer Moraldiskussion würde Clark am liebsten dazwischengehen und Owen sagen, er solle die Klappe halten und endlich erwachsen werden.

Doch er hält den Mund – zumindest für die nächsten dreißig Sekunden. »Ich an deiner Stelle«, fällt er dann in ihre Debatte, »würde ja mit ihm Schluss machen!«

»Hubs«, denkt er. »Zeit, zu gehen.«

»Was hast du gesagt?«, kann Owen nur fragen.

»Nichts«, erwidert Clark.

»Wiederhole das«, faucht er.

Clark reagiert nicht.

»Ich rede mit dir, Simon«, schreit er.

Klack! Kaum sagt er es, fällt die Terrassentür hinter Clark ins Schloss.

Owen kocht vor Wut und läuft Clark hinterher. Er reißt die Tür auf und brüllt im Wohnzimmer durch klirrende Musik: »Clark Simon! Du feige Sau!«

Clark bleibt stehen und dreht sich langsam um, während jemand die Musik abstellt.

»Niemand«, fährt Owen fort, »macht meine Freundin an!«

»Keiner hat deine Freundin angemacht.«

»Warum sonst hast du dich da draußen mit ihr versteckt?«

»Gott, Owen, das ist ja traurig. Geh und suche dir einen Arzt.«

»Ich gehe, wenn du am Boden bist und blutest.«

»Weißt du, was das Blöde an dem Polizeijob ist? Man ist immer im Dienst! Also verzieh dich, bevor ich dich für die Drohung verhafte.«

»Ja, versteck dich hinter deiner albernen Polizeimarke, du nutzloser Kleinstadt-Bulle.«

»Lieber ein nutzloser Kleinstadt-Bulle, als ein dämlicher Taugenichts, den keiner haben will!«, geht sie dazwischen – schwarze Haare, volle Lippen, klein, drahtig schlank und frech. Ihrem Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten, funkeln Scarletts dunkelbraune Augen Owen giftig an.

»Hallo Scarlett«, grinst Clark. »Immer zur rechten Zeit.«

»Hi, Clark.«

»Oh-oh,«, lacht Elsa. »Jetzt ist Owen fällig!«

»Leg dich doch mal auf einen verbalen Zoff mit mir an, du Penner!«

»Scarlett«, ist auch Caroline herbeigeeilt. »Tu ihm nicht weh.«

»Ja, stimmt«, sagt Clark. »Caroline hat Recht! Einen glimmenden Docht soll man nicht auslöschen. Außerdem, wir wollten ohnehin gerade gehen.«

»Wolltest du noch was sagen, du Null?«

Scarlett wartet nur darauf, ihm den nächsten Satz um die Ohren zu schlagen.

»Wir rechnen ohne deine Schwestern ab«, sagt Owen und zeigt bitterböse mit dem Finger auf Clark.

»Ha, ha!«, lacht Scarlett. »Wie denn, wenn man nicht rechnen kann.«

»Scarlett, das reicht!«, geht Clark dazwischen. »Ich finde die Beweise«, sagt er nur und erwidert seinen zornigen Blick. »Caroline, Scarlett, kommt. Wir gehen.«

»Das gilt auch für dich, Owen!«, sieht Elsa ihn böse an. »Raus hier!«

»War sowieso eine Scheißparty. Christine«, ruft er und merkt, dass sie das Haus längst verlassen hat.

Als wäre Owen Luft, lassen die Geschwister ihn links liegen und gehen. Stinksauer, dass er Clark nicht schlagen konnte, Elsa ihn rausgeschmissen hat und Christine schon gegangen ist, geht er zu seinem Wagen, wo sie auf ihn wartet und das Kasperletheater nach Clarks spontanem Tipp kurzerhand beendet. Wutentbrannt steigt er ins Auto und rast mit quietschenden Reifen davon. Unterwegs sagt er sich, »Scheiß auf die Schwestern. Den mache ich alle.«

Also kehrt er um und fährt auch nach Québec ins The Appletree.

Tribut der Wahrheit

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