Читать книгу Tribut der Wahrheit - Jörg Koojers - Страница 9

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»Was in aller Welt hast du mit Christine zu schaffen?«, fragt Caroline und schaut vom Steuer ihres Wagens kurz nach hinten zu Clark.

»Nichts! Ich wollte bloß frische Luft schnappen und Christine kam zufällig nach. Wir haben zwei, drei Sätze miteinander gewechselt, als plötzlich dieses verrückte Gespenst die Tür aufstößt und mich beschuldigt, ich hätte Christine angebaggert.«

»Er provoziert dich jetzt schon zum dritten Mal«, sagt Scarlett mit spürbarer Wut im Bauch.

»Vielleicht glaubt er ja«, erwidert Clark, »dass sie mich von dem Fall mit dem Schwein abziehen, wenn ich auf seine Provokation eingehe.«

»Nur Gott weiß, was in seinem kranken Hirn vorgeht. Worüber habt ihr euch denn unterhalten?«, will Caroline wissen.

»Ach über nichts Besonderes, nur-«

»Nur was?« Caroline ahnt schon, dass ihrem Bruder wieder mal mehr gedachte Wörter aus dem Mund gepurzelt sind als nötig. »Clark, was hast du zu ihr gesagt?« Ihre Stimme klingt so streng wie die seines Dads, als dieser wissen wollte, warum er so lange mit dem Mathelehrer über eine Fünf diskutierte, bis Letzterer ihm einen Verweis erteilte.

»Los, raus mit der Sprache«, drängt Scarlett.

»Ich war sauer auf Owen und wollte ihm einen reinwürgen, also habe ich Christine empfohlen, mit ihm Schluss zu machen.«

»Das war eine Scheiß-Idee«, faucht Scarlett.

»Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist, es musste einfach raus.«

»Jetzt hat er wieder einen Grund, auf dich loszugehen.« Caroline schüttelt fassungslos den Kopf. »Oh Mann, was, wenn sie jetzt wirklich mit ihm Schluss macht?«

Clark winkt salopp ab und sagt: »Macht euch um Owen mal keine Sorgen. Mit dem werde ich schon fertig.«

Er will nicht an ihn denken und fragt sich stattdessen, wie Steffy heute Abend ausschauen wird. Wie wird sie ihr blondes Haar tragen, offen und natürlich gewellt, wie es ist, oder zum Pferdeschwanz gebunden?

Während sie durch die City fahren, malt sich vor Clarks innerem Auge jede einzelne Linie ihres hübschen Gesichts ab, die geschwungenen Augenbrauen, ihre sympathischen vollen Lippen und die hellbraunen glitzernden Augen.

Clark mag sie wie kaum eine andere Frau, der er in den vergangenen Jahren begegnet ist. Doch will er sich nicht von Äußerlichkeiten hinreißen lassen. Auch wenn er sie ausgesprochen gerne hat, irgendwas hindert ihn, einen weiteren Schritt auf sie zuzugehen.

Fünfzehn Minuten später kommen sie an. Im Gegensatz zu gestern Abend ist das Appletree heute rappelvoll. Schon vorm Eingang ist Warten angesagt. Im Inneren quetscht sich dann alles auf Tuchfühlung. Clark schaut bis zum Ende des nostalgisch eingerichteten Bistros zu seinem Stammtisch. Unter dem echten, vier Meter großen Apfelbaum kann er seine Freunde sehen.

Logan fällt von allen am meisten auf, weil er der Größte und Kräftigste ist, blonde Haare und blaue Augen hat. Wie üblich begrüßen alle sich mit einer Umarmung und springen von ihren Plätzen auf. Clark kommt gar nicht dazu, auf Steffy zu achten, hört aber, wie Emma von irgendwo her so laut jubelt, als hätte Kanada die Eishockeyweltmeisterschaft gewonnen.

»Mein Gott«, denkt er. »Jetzt beruhige dich mal.« Doch Zeit, über sie nachzudenken, hat er nicht, weil Jack schon vor ihm steht. »Hi«, sagt er trocken und schlägt sich mit einer gewohnten Bewegung das braune Haar aus der Stirn.

Hinter ihm wartet schon Olivia. Mit 1.81 Meter hat die schlanke Lady Clark in den vielen Jahren, die sie sich kennen, um einen Zentimeter überwachsen. »Hi, Clark, alles gut?«, fragt sie und streicht ihr glattes schwarzes Haar hinter die Ohren. Alle sind wie immer und nichts scheint anders, nur... »Hiii« ... nur Emma nicht.

Im grell pinkfarbenen belly free T-Shirt und weißen Minirock schmeißt Emma die Arme hoch. Sie fällt Clark um den Hals und reibt ihren beinahe nackten Körper abermals an ihm. Obendrein küsst sie ihn auch noch mit feurig roten Lippen feuchtwarm auf die Wange.

Clark ist froh, seine Meinung geändert zu haben und heute noch ein paar Takte mit ihr zu Reden.

»Hi, Emma«, sagt er trotzdem freundlich und hat sie sofort vergessen, als er in die hellbraunen Augen ihrer Schwester schaut.

Steffy hat eine hellblaue Jeans an und trägt eine schwarze Bluse. So, wie er es mag, hat sie ihre blonden Haare offen. Bevor Clark ihre liebreizende Erscheinung ganz bewundert hat, steht sie vor ihm. »Hi«, sagt sie, normal wie immer, doch ihre Augen glänzen vor Freude, ihn zu sehen.

Steffy legt zärtlich ihre Arme um Clark. Er erwidert gelassen die attraktive Begrüßung. Doch sein Inneres pulsiert vor Aufregung. Aus Angst, dass seine Stimme zittrig klingen könnte, bringt er nur ein dünnes ‚Hallo‘ über die Lippen, schafft es aber, seinen Blick kurz an ihr entlangstreifen zu lassen.

»Wo sind denn Tom, Sezer und Nanami?«, fragt er sie.

»Ich weiß nicht, die waren gerade noch hier.«

Clark kommt gar nicht mehr zum Antworten, weil Emmas halb nackter Körper schon wieder an ihm haftet.

»Heute«, flüstert sie ihm ins Ohr. »An deinem letzten Abend, erfülle ich dir jeden Wunsch. Also, was möchtest du trinken? Ich besorge dir, was du willst!«

Clark stößt die zweideutige Anspielung ab und ist froh, sich aus der Affäre ziehen zu können, als Tom und Sezer ihm von hinten auf die Schulter klopfen.

Erleichtert dreht er sich um.

»Deinetwegen hat Christine mit mir Schluss gemacht!«, sagt Owen wütend und verpass Clark einen kräftigen Schubs.

»Lass mich bitte in Ruhe, Owen«, fordert Clark ihn freundlich auf.

»Dafür ist es jetzt zu spät.«

Owen schubst ihn abermals kräftig vor sich her.

»Zum letzten Mal«, droht Clark. »Hör auf, mich anzufassen.«

»Ich soll aufhören, dich anzufassen?«, brüllt er und übertönt die Musik. »Christine hat mit mir Schluss gemacht, du Arsch!«

Seine Augen glitzern wütend im Dämmerlicht und sind doch matt und leer.

»Vergiss es. Ich werde mich nicht mit dir schlagen!«

»Dann schlag ich dich halt wehrlos zusammen.« Er grinst und verpasst Clark einen weiteren Schlag gegen die Schulter. »Los, komm schon, du Feigling!«, brüllt er. Seine Muskeln spannen sich an und dehnen die Tätowierungen auf seinen Armen.

Emma ist so begeistert, dass sie, anstatt es zu verhindern, mit den Leuten einen Kreis um sie bildet.

»Lass uns gefälligst in Ruhe, du Wichser«, brüllt Scarlett in sein blasses, ausdrucksloses Gesicht.

»Ich schlage euch allen drei die Zähne aus!«, sagt er und ballt die Fäuste zum Angriff.

»Du fasst die beiden nicht an!« Clark stellt sich schützend vor Scarlett und macht sich bereit.

»Tu das nicht, Clark«, ruft Caroline dazwischen.

»Der fasst euch nicht an!«, sagt Clark und fokussiert Owen wie ein Löwe.

»Hört sofort auf«, brüllt Scarlett.

»Schaff endlich die blöden Weiber aus dem Weg, oder hast du die auch nicht im Griff?«

Clark schaut Owen an und weiß, dass er wutschnaubend wie ein Stier auf ihn losgehen wird.

»Caroline, Scarlett, geht zur Seite.«

»Was hast du vor?«

»Vertrau mir Caroline, ich kläre das, geh jetzt nur zu Seite.«

»Na endlich«, sagt Owen.

»Lass uns damit aufhören«, fordert Clark ihn abermals freundlich auf. »Und uns wie Erwachsene Menschen Verhalten. Es tut mir leid, was ich auf Elsas Terrasse gesagt habe.«

»Dafür schlag ich dich tot«, flüstert er.

Clark schaut erschrocken in seine tiefblauen Augen, die genauso kalt und leer sind, wie die von Harry Zott, als er sein Todesurteil vernahm.

Emma hat den Kreis inzwischen geschlossen und alle angestachelt, Clark kräftig anzufeuern.

»Los!«, brüllen sie. »Worauf wartest du, leg ihm auf die Bretter.«

»Stopft dem Spinner das Maul, Clark.«

»Hau ihm auf die Fresse.«

»Schlag ihn die Zähne aus!«

»Polier ihn die Schnauze«

»Nein, Clark«, brüllt Logan. »Tu es nicht!«

»Brich ihm die Nase!« Emma ist die Lauteste von allen.

»Hör dir das an«, sagt Owen und fühlt sich auch noch bestätigt. »Alle wollen sie es sehen, also komm schon und lass es uns hinter uns bringen, oder willst du wegen einer feigen Entscheidung dein Ansehen verlieren?«

Clark begreift seine Freunde nicht. Sollten sie ihn nicht zurückhalten?

»Geh doch einfach«, sagt er sich. »Owen ist es nicht wert.«

Aber kann er das tun – sich einfach umdrehen und gehen? Weglaufen, wo doch alle von ihm erwarten, dass er Owen einen deftigen Denkzettel verpasst?

Clark sucht in Emmas geschaffenen Trommel-Chor nach Hilfe – nach einem Grund, ihm den Rü-cken zu kehren, und schaut dabei in ein wunderschönes Gesicht mit braunen Augen und blondem Haaren. »Steffy!«, denkt er enttäuscht darüber, welch unerwartete Wendung der Abend bringt.

Dann sieht Steffy den Kellner, der bepackt mit zwei Kästen Bier aus dem Vorratskeller kommt und die schwere Rundbogentür hinter sich geöffnet lässt. Sofort greift sie den nächsten Bierkrug und schüttet ihn Owen ins Gesicht. Erschrocken reibt er sich den Schaum aus den Augen und sieht, wie Steffy und Clark im Vorratskeller verschwinden. »Verdammte Scheiße«, brüllt er und zertritt wütend einen Stuhl. Gleich darauf kommen die Rausschmeißer und werfen Owen mit Spott, Gelächter und der Rechnung für den Stuhl auf die Straße.

Hinter der gerundeten Eichentür stehen Steffy und Clark vor einer alten Steintreppe, die unter einer halbrunden und aus roten Ziegeln gemauerten Decke, hinunter in ein gespenstisches Kellergewölbe führt. Während sie die Treppe herabsteigen, fällt Clark auf, dass er zum ersten Mal mit Steffy allein ist. Nicht sicher, was er sagen soll, zeigt er auf ein Schild: Notausgang.

»Wir müssen über den Notausgang nach oben gehen.«

Steffy ist von dem Kellergewölbe so beeindruckt, dass sie Clark gar nicht zugehört hat.

»Wow«, staunt sie nur. »Eine Suite für Graf Dracula!«

Erst jetzt fallen Clark die verzierten Säulen und die kunstvoll gewölbte Decke auf. In der Mitte einer jeden Säule wurde ein horizontaler Bogen gemeißelt, unter dem die Initialen M.D. stehen.

»Was bedeutet M.D.?«, fragt Steffy und merkt, wie schwer es ihr fällt, nicht nervös und zittrig zu klingen.

Clark nimmt es geschmeichelt hin und geht langsam weiter. Jeder Schritt auf dem alten Beton schallt durch das Gewölbe.

»Ja, ich weiß nicht«, kommt er auf ihre Frage zurück. »Sind vermutlich die Initialen des ursprünglichen Besitzers.«

»Wahrscheinlich.«

Steffy schaut Clark bei der Antwort kurz in die Augen. Alles ist plötzlich am Kribbeln. »Tja«, fährt sie lieber fort. »Das hätten die meisten wohl gerne von dir gesehen, dass du Owen auf die Bretter legst.«

Clark sagt nichts.

»Hättest du?«, hakt sie neugierig nach.

»Natürlich nicht! Ich bin Polizist und täte mir mit solch einer Geschichte bestimmt keinen Gefallen!«

»Sehe ich auch so.«

Das hört Clark gerne.

»Leider sind nicht alle dieser Meinung«, sagt sie.

»Ja, leider.«

»Und Emma am allerwenigsten.«

»Ja, Emma!«, antwortet er genervt

»Oh, das klingt aber gar nicht gut«, erwidert sie und gesteht sich ein, Clarks ’Ja Emma’ gerne zur Kenntnis genommen zu haben. »Sag mal«, fährt sie fort. »Wo wir schon mal beim Thema Emma sind, was läuft da zwischen euch?«

»Was soll denn da laufen?«, fragt Clark überrascht.

Steffy stutzt.

»Gestern sagte sie, ihr seid schon zusammen.«

»Was?« Clark bleibt stehen und stellt sich ihr empört gegenüber. »Das hat sie gesagt?«

»Ja!«

»Das stimmt nicht!«

Blöde Tussi, denkt er und kann es kaum erwarten, ihr die Leviten zu lesen.

»Das heißt also, ihr seid nicht zusammen?«

»Nein.«

»Wie krass, dass sie mich belügt.«

Steffy schaut Clark erneut tief in die Augen.

Ihr Blick strömt durch seinen ganzen Körper und kribbelt bis in die Haarspitzen. Seine Knie werden weich, der Atem zittert und das Herz trommelt. Alles fühlt sich so richtig an und doch weiß er, dass es falsch ist!

Noch bevor er auf ihren Blick oder sein Gefühl reagieren kann, hören sie einen Schlüsselbund vor dem Notausgang klimpern. Gleich darauf kommt der Besitzer Toni mit zwei Kellnern herein.

Als sie wieder in Appletree sind, kapiert Emma zwei Dinge sofort: zum einen, dass die Idee mit dem Kreis bei beiden nicht gut angekommen ist, zum anderen, dass Steffys spontane Flucht in den Vorratskeller irgendwas zwischen ihr und Clark verändert hat.

Tribut der Wahrheit

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