Читать книгу Mord à la carte in Schwabing - Jörg Lösel - Страница 16
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ОглавлениеTom stellte seinen Wagen auf einem Parkplatz in der Kapuzinerstraße ab. Eike hatte ihm dort ein Rückgebäude als Edgars Wohnsitz genannt. Die Gegend um das Schlachthofviertel zeichnet sich durch morbiden Charme aus, wirkt wie ein Stiefkind in der expandierenden Stadt und verfügt doch über einige Adressen für kulinarische Genießer.
Der Sturm am Morgen hatte auf dem Areal große Pfützen hinterlassen. Über die Parkfläche vor einem stillgelegten Möbelhaus pfiff der Wind und trieb Getränkedosen und kaputte Regenschirme über den Asphalt. Menschen waren nicht zu sehen.
Das Haus machte keinen gepflegten Eindruck, Putz war von den Wänden abgeblättert, an einer Ecke stand in einer Graffitischrift: »Too old to Rock’n’Roll – too young to die«. Die Rahmen der Fenster verlangten nach einem neuen Anstrich, hinter einigen waren die Vorhänge zugezogen, andere starrten schwarz wie riesige finstere Fischaugen nach draußen. Irgendwann würden Immobilienhaie anrücken, um es zu entmieten, abzureißen und als Neubau für Eigentumswohnungen des gehobenen Bürgertums wieder aufzubauen.
An das Haus schlossen sich in rechtem Winkel Garagen mit zum Teil offen stehenden, verwitterten Holztüren an. In alten Regalen lag Gerümpel, verrostete Fahrräder lehnten an den Wänden, und in einer Garage stand ein Motorrad.
Tom sah es sich genauer an. Es war eine Kawasaki Zephyr 550, deren Nummernschild unter der Gepäckhalterung montiert war. Die letzten zwei Ziffern zeigten eine Acht und eine Sieben.
An der Klingelanlage des Hauses waren mit Papier überklebte und mit Kugelschreiber beschriftete Schilder befestigt. An einer Klingel stand der Name E. Sturm. Tom überlegte, ob er sich in dem stillgelegten Möbelhaus verstecken und von dort aus den Eingang beobachten sollte. Wenn Edgar das Haus verließ, könnte er ihm folgen und womöglich die Spur zu dem Rocker ausfindig machen.
Plötzlich wurde die Haustür geöffnet, und Edgar stand vor ihm. »Was ma-ma-machst du denn hier?«, kam es aus seinem Mund.
Toms Gesicht begann wieder zu schmerzen, die Haut spannte über den Schwellungen, die er zu Hause noch mit Eis gekühlt hatte. »Ich wollte mich für die Observierung und den Stinkefinger bedanken, du Arschloch.«
Edgar griente. »Du siehst aus, als hä-hä-hättest du einen Sa-ha-tz heiße O-O-Ohren bekommen.«
»Wo ist dein Rockerkumpel, der Feigling?«
»Ich w-w-weiß nicht, was du meinst! Du spinnst ei-einfach ein bisschen. La-l-ass dich mal untersuchen – du verstehst schon – von den Psy-psychotypen.«
Mit diesen Worten versuchte Edgar Tom zur Seite zu stoßen. Wut stieg in Tom hoch, er mochte sich nicht mehr herumschubsen lassen, er holte mit einem Bein aus und trat Edgar seitlich gegen den rechten Oberschenkel. Der knickte ein, griff mit einer Hand an die verletzte Stelle und hielt plötzlich in der anderen ein Messer mit einer langen Klinge.
Tom blieb ruhig. Die Abwehr hatte er tausendmal geübt. Das Messer kam von oben. Er wehrte den Angriff mit gekreuzten Unterarmen ab, fasste mit seiner Rechten nach dem Handgelenk des Gegners, drehte sich um 180 Grad und zog dabei dessen Arm über die eigene Schulter. Edgar ließ das Messer fallen, Tom überlegte kurz, ob er ihm den Arm über seinem Knie brechen sollte, unterließ es aber. Stattdessen versetzte er Edgar einen kräftigen Tritt gegen sein Steißbein. Der Widersacher landete auf allen vieren in einer Pfütze.
Tom hob das Messer auf. »Das behalt ich als Andenken. Und schönen Gruß an deinen Freund.«
Er machte sich auf den Weg zu seinem Auto, dabei ließ er Edgar nicht aus den Augen. Er stieg in den Dacia, und schon begannen wieder die Grübeleien. War es nicht unter seiner Würde, sich mit einem Idioten wie Edgar zu prügeln? Aber er spürte auch Genugtuung nach dem, was der Rocker ihm angetan hatte. Wie in Trance fuhr Tom vom Parkplatz auf die Straße, im Rückspiegel sah er, wie Edgar, der mit der Faust drohte, immer kleiner wurde.
Wenn es wirklich so ist, dass dieser halbstarke Stotterer und der Rocker unter einer Decke steckten, dann war seine Auseinandersetzung mit Edgar für ihn nicht ungefährlich. Wenn der Rocker wusste, dass sich Tom nicht so leicht einschüchtern ließ, was sollte ihn daran hindern, nun schwereres Geschütz aufzufahren? Tom war es mulmig zumute. Es wurde ihm immer klarer, dass er jemandem seine Gedanken und Überlegungen mitteilen musste. Aber wem? Eigentlich kam nur Eike infrage. Lisa verbarg Dinge vor ihm, und mit seinen Kumpeln aus der Journalistenschule hatte sich nie ein wirkliches Vertrauensverhältnis entwickelt. Eike war kollegial, legte da und dort ein Wort für ihn ein – er war kein Freund, aber jemand, dem Tom vertraute.
Er beschloss, in die Redaktion zu fahren.
Als er dort ankam, war Karen die Erste, der er begegnete.
»Was ist denn mit dir passiert? Hat dich jemand für einen Punchingball gehalten?«
Tom berichtete ihr mit knappen Worten, dass er Opfer eines Rockerüberfalls geworden war.
»Warum legst du dich denn nicht zu Hause hin und gibst Ruhe?«
»Es geht schon. Hab ein Schmerzmittel genommen.«
Diese Geschichte musste er noch ein Dutzend Mal erzählen. Als Tom Eike schließlich gefunden hatte, bat er ihn um fünf Minuten für ein Gespräch unter vier Augen. Eike zeigte sich zugeknöpft und zögerlich. Er stand wohl unter Zeitdruck, um einen Beitrag fertigzustellen. Oder hatte er noch eine Rechnung mit Tom offen?
Schließlich gingen sie zusammen in eine Mitarbeiterküche, in der sich ungewaschene Teller und Kaffeetassen in und neben der Spüle stapelten.
Eike musterte Tom, schnaubte einmal und sagte mitfühlend: »Schlimm siehst du aus. Wie ein Boxer nach einem verlorenen Kampf.« Eikes Gesichtsausdruck änderte sich, er zwinkerte ihm zu und säuselte aufreizend: »Dabei bist du doch eigentlich ein ganz Süßer, ein richtiges Sahneschnittchen.«
Tom stutzte. Was sollte das jetzt? Wollte Eike ihn anmachen? »Lass das mal.« Tom ging instinktiv einen Schritt zurück.
Eike zog die Stirn in Falten. »Hab ich dich erschreckt.«
Tom merkte, dass Eike ihn absichtlich irritiert hatte. War da ein Bruch in ihrer Beziehung entstanden? Warum? Wegen des Telefonats heute Morgen? Wie konnte er das wieder ins Reine bringen?
»Entschuldige, dass ich die Recherche, wo Edgar wohnt, heute Morgen nicht selbst gemacht habe. Aber sieh mich an – das ist der Grund, mir ging es nicht gut.«
Eike schaute an Tom vorbei in die Ferne. »Ich habe keine Zeit für große Diskussionen. Was wolltest du mir sagen?«
»Ich bin hierher gekommen, damit du weißt, dass ich nicht nur eine Auseinandersetzung mit dem Rocker hatte, sondern jetzt auch mit Edgar. Der wollte mit dem Messer auf mich los, aber ich habe ihn ruhiggestellt – zumindest vorübergehend. Weißt du, das sind beides Kriminelle, Edgar und der Rocker, – die arbeiten zusammen, da bin ich mir sicher. Ich glaube, dass es dabei um Rauschgift geht. Da spielt das Odeon eine Rolle, und denk daran, wir haben beide darüber berichtet. Wenn wir in ein Wespennest gestochen haben, kann die Sache auch für dich noch gefährlich werden.«
»Warum gehst du nicht zur Polizei?«
»Ich hab doch letztlich keine Beweise!«
»Und was ist mit den dunkelroten Flecken in deinem Gesicht?«
»Für die Schlägerei schon, aber nicht dafür, dass Edgar und der Rocker Kompagnons sind.«
»Ich würde trotzdem zur Polizei gehen. Dort äußerst du deinen Verdacht, und Obermeier wird schon etwas damit anzufangen wissen.«
Bekümmert wendete sich Tom mit hängenden Schultern ab. »Jedenfalls weißt du Bescheid, sollte noch etwas passieren.«
So richtig weitergekommen war er nicht durch das Gespräch, immerhin müsste Eike die Gefährlichkeit der Situation deutlich geworden sein. Er war müde, sein Kopf pochte, und eine Idee, wie er zur Aufklärung des Falles beitragen könnte, hatte er nicht bekommen. Auch die Kommentare, die er von den Redaktionskollegen zu seinen Blessuren gehört hatte, nervten ihn, da sie letztlich nur der Befriedigung ihrer Neugierde dienten.
Frustriert und deprimiert meldete er sich für den Rest des Tages im Sekretariat ab.