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Vorwort

Vor gut einem Jahr hatte ich meine alten und persönlichen Erinnerungsstücke separat in eine speziell dafür angeschaffte Aufbewahrungsbox umgräumt, um so immer darauf zugreifen zu können. Es ging dabei um Anstecknadeln von Jugend-Sportabzeichen, diverse Urkunden aus meiner Kindheit, alten Postkarten, Schreibhefte noch aus meiner Grundschulzeit und viele weitere persönliche Erinnerungsstücke. Beim Zusammenkramen all dieser Dinge fand ich überraschenderweise auch einen gewaltigen Stapel von Briefen von ehemaligen Brieffreunden. Ja, es gab tatsächlich mal eine Zeit, in der man sich noch per Hand geschriebene Briefe zugesendet hat. Heute kaum noch vorstellbar, dabei ist das nicht eine Sache aus einer längst vergangenen Epoche, sondern gerade mal 15 Jahre her. Obwohl ich genau wußte, daß es mir schon immer schwer fällt mich von Liebgewonnenem zu trennen, habe ich all diese Briefe überhaupt nicht mehr im Sinn gehabt. Schon verrückt wie spannend es sein kann diese alten Briefe wieder zu lesen. Vieles, überhaupt nicht mehr bewußt in meiner Gedankenwelt verankert, ist plötzlich wieder überraschend frisch und lebendig vor mir auferstanden. Jetzt im Nachhinein finde ich es direkt schade, daß ich von meinen selbst geschriebenen Briefen nicht auch eine Kopie habe. Viele dieser Briefe sind auch von Brieffreundinnen aus der ehemaligen DDR. Und beim Lesen dieser Briefe fiel mir plötzlich auch wieder ein daß ich ja mal ein Tagebuch geschrieben hatte. Ein Tagebuch, beginnend im Jahr 1989, über meine Erlebnistouren in der damaligen Noch-DDR. Ich kramte es also hervor und so ließ ich beim Lesen alle meine Touren wieder vor meinem geistigen Auge aufleben. Alles war noch handgeschrieben. Und da ich nach Mundart geschrieben habe, also so, wie meine Gedanken damals aus mir heraus sprudelten, ist meine Wortwahl . . . na ja . . . wie bestimmt jeder weiß, halten sich die eigenen Gedanken nie an bestimmte Regeln, und so wiederholen sich manche meiner Gedanken und Eindrücke in den einzelnen Kapiteln auch immer wieder mal. Ich beließ es in meiner damaligen Schreibweise, weil ich damals bei weitem noch nicht so aufgeklärt war mit dem Hintergrundwissen das wir heute alle so selbstverständlich über die Medien bekommen haben. Ich bin damals 29 Jahre alt gewesen. Mit meinem roten Ford Fiesta, der in der grauen DDR aussah wie ein buntbemaltes Osterei in einem S/W-Film, habe ich die Chance wahr genommen, die DDR zu einem Zeitpunkt kennen zu lernen, als es noch die DDR war. Wie anders sind die Menschen da drüben in der DDR, hatte ich mich damals oft gefragt. Wir Westdeutschen hatten doch ein sehr verklärtes Bild von den Ostdeutschen. Sie waren uns fremder als Menschen aus anderen Ländern. Nun, das hat sich teilweise auch heute noch nicht geändert hat. Ich empfand es jedenfalls damals so. Für mich spielte dabei weniger die Politik die erste Geige, sondern die Menschen waren mir wichtig. Sie wollte ich kennen lernen, weil sie für mich tatsächlich so was wie Fremde gewesen sind. Wie reagieren sie auf mich, wie emotional sind sie, was treibt sie an oder interessiert sie. Viele solcher ganz persönlichen Dinge wollte ich ausloten. Ich stolperte dabei über viele Kuriositäten, die aber in Wahrheit überhaupt nicht so kurios waren, weil sie in der DDR ganz normaler Alltag gewesen sind. Aber auch die Architektur in den Städten, die Kulturgeschichte und die Naturlandschaften interessierten mich sehr. Und wegen dieser intensiven Eindrücke, die ich während meiner verschiedensten DDR-Touren zu dieser besonderen Zeit gemacht habe, begann ich dieses Tagebuch zu schreiben. Ich habe damals alles wie in einem Roadmovie erlebt und schrieb meine spontanen und subjektiven Gedanken, Gefühle und Vorstellungen und das viele mir so fremderscheinende nieder. Auf keinen Fall wollte ich menschliche Werturteile fällen, auch wenn das gelegentlich so erscheinen mag. Denn von guten oder schlechten Menschen soll hier keine Rede sein. Meine Erlebnisse in diesem Buch sind nun schon 25 Jahren alt, und wie im letzten Kapitel nachzulesen ist, hat sich wahnsinnig viel verändert, höchstens in den Köpfen der Menschen ist da auf beiden Seiten manches Mal noch Nachholbedarf! Aber auch das kann natürlich subjektiv jeder anders empfinden. Manche meiner Darstellungen mögen etwas oberflächlich erscheinen. Das tatsächliche Leben in der DDR mit all seinen Verlockungen und Irritationen konnte ich natürlich nicht wirklich kennenlernen, aber ich hoffte es so intensiv wahrnehmen zu können, daß ich für manche Vorurteile, die auch heute noch viele mit sich herum tragen, viel mehr Verständnis aufbringen kann. Aber ich habe immerhin auch erfahren, daß das Leben in der DDR sehr viel facettenreicher gewesen ist als daß man es immer nur auf dieses vermaledeite Kadersystem reduzieren müßte. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, daß jedes einzelne Kapitel eine eigene kleine Geschichte darstellt und nie direkt im Zusammenhang mit dem vorangegangenen oder nächsten Kapitel steht. Die Frage, warum ich meine Erfahrungen nun doch veröffentlicht habe kann ich objektiv gar nicht beantworten. Nachdem ich nun recht viel Zeit in das Buch gesteckt habe, ist es für mich doch ganz interessant mal zu erfahren wie andere das empfinden was ich als Wessi da drüben erlebt habe. Und vielleicht fühlt sich der eine oder andere Leser auch einfach nur gut unterhalten.

Jörg Nitzsche

Das Leben auf der anderen Seite

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