Читать книгу Das Leben auf der anderen Seite - Jörg Nitzsche - Страница 8
ОглавлениеMein Erlebnis beim russischen Militär
Ich habe insgesamt doch recht schlecht geschlafen, mich die gesamte Nacht von einem Ohr auf das andere gewälzt. Ich mußte das Fenster dann doch mal öffnen, aber dann wurde es höllisch laut, weil die Russen mit ihren schweren Militär-Brummern direkt vor meinem Fenster lang pesen. Die Motoren haben eine unwahrscheinliche Lautstärke. Selbst normale Dieselfahrzeuge sind hier viel schlechter abgedämpft. Also mußte ich das Fenster auch aus diesem Grunde wieder schließen. Ich stehe daher viel zu früh auf. Es ist 6 Uhr am Dienstag Morgen und ich stehe nicht gerade stramm, aber schlafen ist einfach nicht mehr möglich. Meine Tante ist leicht verwundert mich schon jetzt zu sehen, sie liest sich wie jeden Morgen durch ihre Bücher, bis sie selber los muß. Wir frühstücken zusammen, es gibt aufgewärmte Brötchen die mir ausgezeichnet schmecken. Für's Frühstück nehmen sich die beiden viel Zeit, und haben auch morgens immer gut aufgedeckt. Diese Auswahl an Konfitüren und Käse ist überwältigend. Wenn ich ahnen könnte was mir heute noch bevor steht könnte ich das hier fast als eine Henkersmahlzeit mir zuliebe verstehen. Vielmehr, so haben sie mir gestern Abend schon erzählt, ist Essen für sie Luxus gewesen, den sie sich immer gerne geleistet haben. So gehört zum Beispiel Käse zu einer ihrer Leidenschaften. Auch jetzt am Morgen strahlt mir eine ausgezeichnete Käseauswahl entgegen. Ich habe noch nie Harzer am Morgen gegessen. Ich hatte immer gedacht, mir würde schon beim bloßen Anblick am frühen Morgen davon schlecht werden. Schmeckt aber ausgezeichnet. Auch alles andere schmeckt mir gut, der Kaffee kommt außerdem von mir. Meine Tante empfiehlt mir, da das Wetter super zu werden scheint, mich in den Straßen umzuschauen. So nimmt die Geschichte ihren Lauf. Warum habe ich bloß die Kamera mit genommen? Im Nachhinein hätte ich mich Ohrfeigen können. Draußen dagegen strahlt mir schon die Sonne angenehm ins Gesicht, und nach kurzem Brainstorming laufe ich ohne Plan und Gedankenlos die Carl-Schorlemmer-Straße zum anderen Ende hin. Auf linker Seite der Straße, wo auch mein Onkel und meine Tante wohnen, stehen einige Reihen hintereinander diese gleichen zweistöckigen Mietskasernen. Dann, vielleicht dreihundert weiter hausen die russischen Soldaten mit ihren Familien. Schön verwahrlost, denke ich beim Vorübergehen. Das ist auch so ein Kakerlakenvolk welchem jeglicher Sinn für Wohnkultur abgeht, denke ich so vor mich hin. Wieso haben die keine Kultur? Die konnte sich aufgrund der vielen Revolutionen scheinbar nicht mehr richtig entwickeln. Dabei gab es im 19.Jahhundert eine bemerkenswerte Musik- und Kulturszene in St. Petersburg und Moskau. Die Menschen aber kamen selten zur Ruhe und das ist auch heute noch so. Wenn ich den Sozialismus als eine Kultur bezeichnen müßte, dann ist es eine Kultur der eigenen Selbsterniedrigung. Wie sonst soll man diese asozialen Bedingungen an ihren eigenen Landsleuten verstehen. Propagieren sich gerne auf Weltniveau und hausen wie die Schweine. Ich weiß nicht ob das ein Gag von meiner Tante war aber sie meinte mal, daß hier neu stationierte Russen nicht wußten wozu Toiletten dienen sollten und wuschen statt dessen ihr Gemüse im Schnellwaschgang darin. Dafür hatten sie ursprünglich die Waschmaschinen genommen, die jetzt auf der Straße landeten weil sie überflüssig wurden. Ne, das ist nun wirklich ein Scherz von mir. Die Straße endet mit einem Mal und führt als Sandweg weiter. Alles was sich meinem Blick vor mir eröffnet wirkt recht befremdlich, etwas Verbotenes zu tun übermannt mich. Längs des Sandweges stehen linksseitig noch Schrebergärten und gleich im Anschluß erblicke ich ein mit Stacheldraht umzäuntes Militärgelände. Erkennbar an dem Wachturm der gut 30m von mir entfernt steht. Eine Soldatenmarionette in Form eines jugendlichen Soldaten darin, dem der Dreck seit Wochen auf der Haut zu kleben scheint. Er beachtet mich kaum. Der ausgetretene Feldweg verläuft direkt am Zaun entlang. Ich gehe geradeaus in Richtung Westen bis zur nächsten Ecke wo das Militärgelände in diese Richtung ebenfalls endet. Da hinter Zaun und Wachturm noch eine unüberschaubare Mauer steht, kann ich die Ausmaße des Geländes nur erahnen, aber es scheint nur ein kleines quadratisches Gelände zu sein. Von der besagten Ecke sehe ich in einiger Erfahrung die nächste Ecke des Militärgeländes und einen weiteren Wachturm. Ich denke mir nicht viel dabei, und bewege mich unbekümmert in Richtung Süden weiter an diesem Zaun entlang. Zwischendurch muß ich zwar gelegentlich größere Schritte unternehmen um irgendeiner Unebenheit auszuweichen, aber allgemein ist es ein gut ausgetretener Weg. Weiter weg höre ich Düsenjäger starten, das muß der Russische Militärflughafen sein von dem mir mein Onkel erzählt hat. Das Militärgelände zu meiner Linken wirkt dafür auch etwas klein zum Landen und Starten. Das Schild vor dem Zaun – Spruch ist nur auf Deutsch: „Sperrgebiet – Unbefugten ist das Betreten, befahren und die bildliche Darstellung verboten. Zuwiderhandlungen werden bestraft.“ Meine Gedanken kreisen währenddessen nach Leipzig, zur Messe aber hauptsächlich zu Corina und Catharina die ich heute besuchen will. Obwohl es im Grunde auf den einen oder anderen Tag nicht wirklich ankommt. Meine beiden Begleiterinnen aus Bulgarien. Wir haben uns schon mehrmals geschrieben und sogar angemeldet habe ich mich bei Ihnen. Die Sonne erhebt sich bei Leuna. Ich stehe jetzt etwas erhöht, knapp auf der Höhe eines zweiten Wachturms. Bis auf diese Wachtürme mit ihren Kindersoldaten darin kann ich nichts Militärisches ausmachen. Dafür geradeaus ein total zerklüftetes Feld. Oder besser Felder, die zwar bearbeitet aussehen, aber gleichzeitig auch eigenartig unbewirtschaftet. Ich bin nun am zweiten Wachturm vorbei und erblicke südöstlich, die Sonne erhebt sich hinter meiner linken Schulter, ein Ruinenplateau. Ich vermute aus dem zweiten Weltkrieg übriggeblieben, und seitdem nicht mehr begangen worden. Komische Atmosphäre jetzt gerade, wie die Ruhe nach einem Sturm. Könnten Bunker gewesen sein. Ich bin ein bißchen nervös. Durch den Frühtau ist alles sehr feucht, etwas nervig mit meinen Sportschuhen. Trotzdem zieht mich die Neugier immer weiter. So eine Barackensiedlung ist gleich dahinter zu sehen, vielleicht sind das diese klassischen DDR-Datschen. Ob die bewohnt sind? Ich versuche mich durch Verhaue und abgestellte Holzzäune durchzuzwängen, als plötzlich ein Hund auf mich zu sprintet und einen Höllenlärm macht. Eine verrückte Gegend ist das hier. Zum Glück bekomme ich den Zaun noch rechtzeitig zu sonst hätte ich den Köter jetzt am Hals. Ich fühle mich beim Anblick um mich herum an den Film Mad Max erinnert. Ich will wieder umdrehen, aber wie das immer so ist, noch einen Schritt weiter und noch einen und plötzlich lande ich dann doch bei diesen Bunkern. Tunnelartige Betongaragen, aufgeteilt in kleine Parzellen, rundum mit Beton verkleidet, wobei die Dachplatten, 10-15cm dick, teilweise schräg in den Tunnelgang eingefallen sind, oder zerplatzt sind und nun eingebrochen in diesen Gängen liegen. Alles mit Gras und Pflanzen zugewachsen. Dieser Gang führt direkt zu einem anderen zweistöckigen Betongebäude, dessen eine Hälfte ebenfalls eingefallen ist, und aus diesen Betonresten schauen völlig wirr hunderte von zentimeterdicken Stahldrähte heraus. Das ist alles sehr undefinierbar hier, aber auch nicht wirklich interessant. Keine Ahnung was das mal gewesen sein soll. Vielleicht ja mal ein Schutz vor Raketentests im 2. Weltkrieg, oder irgendwelche Schützengräben. Unbefriedigter Dinge ziehe ich wieder ab, langsam gen Heimat. Langsam und vorsichtig auch, weil ich sonst verdammt nasse Füße bekomme. Schon die ganze Zeit habe ich das Gefühl verbotenes Territorium zu begehen. Vor der Wende hat sich bestimmt keiner hergewagt. Ich komme wieder an diesen Baracken vorbei, da hausen doch welche? Irgendwie alles total schräg hier. Wieder auf diesen Sandweg gelangt, etwa zwischen beiden Wachtürmen mache ich dann diese blöde Sache, über die ich gar nicht nachdenke. Ich hole meine Leipzigkarte heraus, um mir den Weg zu überlegen, wie ich nachher zu den beiden nach Leipzig finde. Zur Tarostraße muß ich und in aller Seelenruhe suche ich den Stadtplan ab. Die russischen Heinzis können das natürlich sehen. Und Fotos zur Sonne hin mit ein paar Wohnhäusern im Vordergrund machte ich auch noch. Ich bin kaum ein paar Meter an dem letzten Turm vorbei, als ich plötzlich irgendwelche Laute vernehme, die ich richtungsmäßig zuerst gar nicht orten kann. Immer wieder Schreie, bis ich feststelle, daß dieser Späher auf dem Turm dieses Gekreische von sich gibt. Er ruft so ein blödes Zeug, was ich nicht verstehe, bis ich mich umdrehe und bemerke, daß seine Kalaschnikow auf mich gerichtet ist. Da erschrecke ich schon. Er will mir klarmachen, daß ich meine Kamera auf den Boden legen soll. Ich bin wenigstens so resolut und tue es nicht. Lieber tue ich so, als verstehe ich ihn nicht. Ich denke an abhauen, aber wenn er nun wirklich schießt. So stehe ich ziemlich ratlos da, und wanke mit Unentschlossenheit. Er benutzt so ein Telefon mit so einer Drehorgel, und quakt etwas in den Hörer. Sein Blick dabei konzentriert auf mich gerichtet. Währenddessen kreuzen drei weitere Kinder mit Gewehr im Anschlag auf. Ich rechne damit, gleich wieder abduften zu dürfen. Mit gespielter Coolheit lauf ich parallel mit den dreien am Zaun zurück bis wir an einem Tor ankommen. Es ist vielmehr so ein klappriges Metallzauntor, welches mit einem ordinären Schloß verbunden ist. Jetzt bin ich angeschissen, denn jetzt bin ich nämlich richtig drin in dem militärischen Bereich. Bei mir geistert schon der Gedanke von wochenlangem Eingesperrt sein. Und keiner kann mir helfen, denn keiner weiß ja was vorgefallen ist. Mit drei Waffenläufen im Rücken geht es weiter auf einem betonierten Doppelstreifen entlang. Umlaufen wir den halben Komplex bis wir eine Baracke erreichen. Der Komplex ist etwas größer als ich zuerst gedacht habe. Es ist trotzdem nur eine kleine Kaserne. Alles ist ziemlich heruntergekommen. Die meist jungen Soldaten auf die ich treffe, sehen aus, als sind sie schon seit Monaten in einem Stellungskrieg. Auf die Situation nicht vorbereitet, erwartete ich eher Freundlichkeit, als wie ich tatsächlich behandelt werde. Total ernste, um nicht zu sagen verbissene Gesichter, wütend, als hätten sie ernsthaft einen Spion ausfindig gemacht. Daß die Russen sich dabei wie komplett Gestörte verhalten, kann natürlich nur mir so erscheinen, der so etwas höchstens aus James Bond Filmen kennt. Alles Lächerlich, aber eben doch das wahre Leben. Die Russen sind vielleicht nicht unbedingt asozial, sie wirken nur wie Steinzeitmenschen. Nach dem Kriege in Deutschland wußten angeblich manche nicht wofür Wasserhähne gut sind. Wie kann Wasser aus der Wand kommen, oder sie benutzten eben Toiletten als Spülung für ihre Speisen. Aber vielleicht sind das auch alles nur Gerüchte. Oder sie haben tatsächlich ins Waschbecken geschissen und ihre Hände im Klosett abgespült. Meine Tante hat direkt Mitleid mit ihnen. Das kam wohl nicht oft vor. Die meisten spielten das Spiel nur mit, wirklich sympathisieren mit den Russen taten nur wenige DDR-Bürger. Es gab ja auch kaum Kontakte, und gewollt sowieso nicht vom großen russischen Bruder. Meine Sachen werden durchsucht, ich werde etwas unsanft behandelt. Mist, muß ich die Sachen später desinfizieren? Es wird wieder telefoniert, und mir stehen Gesichter gegenüber wo ich denke die fangen gleich an zu grunzen und zu muhen. So bescheuert gucken die aus der Wäsche. Merkwürdigerweise denke ich aber im gleichen Moment was für arme Schweine. Tun die mir wirklich leid? Was für ein Leben führen die? Diese Menschen scheinen hier rechtlos zu sein, nur befehlsausführende Figuren, die mir da gegenüber stehen. Nicht das kleinste Anzeichen in ihren Gesichtern, daß irgend etwas von Freude oder glücklichen Momenten widerstrahlt. Andererseits wirken sie auch nicht so auf mich, als daß sie mir was antun wollen sondern so als würden sie gerne mit mir in Kontakt treten. Vielleicht liegt das an meiner ruhigen, nicht feindseligen Art. Ich weiß selbst nicht warum, aber wirklich genervt bin ich ob meiner aktuellen Lage nicht. Leichtes Zucken in ihren Gesichtern als Zeichen der Ratlosigkeit als ich ihnen zulächele. Deutsch versteht keiner von ihnen. Ich will wissen, was da jetzt passiert. Meine Sachen liegen im anderen Teil des Raumes, der nur mit einer halbhohen Glaswand abgegrenzt ist. Russisch verstehe ich wiederum nicht, und so kann ich an ihren Mimiken nur deuten, daß wohl selbst die höher gestellten Soldaten gerade überlegen was sie mit mir anstellen sollen. Mir schwant böses. Es sieht hier alles sehr einfach aus. Auf einer einfachen Bank sitze ich. Hoffentlich dauert es nicht so lange. Ich habe Angst um meinen Film. Warum lacht hier keiner. Fürchterlich ernst die Truppe. So vergeht eine halbe Stunde, bis sie sich bequemen mit mir in einer Russenkutsche aus dem Lager zu einer Kommandantur zu fahren. Auf der Fahrt sehe ich eine Truppe im Stechschritt paradieren. Machen unsere doch auch oder? Viel anders als bei uns wirkt es hier zwar auch nicht, hat hier nur eine viel trostlosere Aura. Während ich so schaue, schlägt es mir permanent ins Hirn, mein Gott, wie behämmert sind die bloß. Die Kommandantur liegt sogar in der Carl-Schorlemmer-Straße, nur hundert Meter von meinen Verwandten entfernt. Beruhigt mich geringfügig. Nun ist es acht Uhr. Seit einer Stunde bin ich erst unterwegs. Wir marschieren in eine Bruchbude, die so bestialisch nach Urin stinkt wie ein städtisches Pissoir, welches seit Monaten nicht mehr gereinigt wurde. Dazu immer diese asozial erscheinenden Gesichter. Zum Glück habe ich schon gefrühstückt, auf nüchternen Magen wäre mir der Anblick schlecht bekommen. Nun, sie besorgen mir einen Dolmetscher, einen russischen Lehrer, der Deutsch in der Schule lehrt wie ich später von ihm selbst erfahre. Dann ist da noch eine Art Sekretärin, die einen ganz netten Eindruck macht. Sie ist auch durchgehend anwesend, kann auch gut deutsch, aber wohl nicht gut genug. So wird also dieser Dolmetscher herbeordert. Als er auftaucht macht er zuerst einen auf knallhart und energisch. Er ist aber genau das Gegenteil, wie ich schnell feststelle. Die blödesten Fragen stellt er mir, vor allem dreimal den gleichen Mist. Gut, ich bin für die natürlich erst einmal ein Spion. Das ist mir nicht durchgehend bewußt. Ich verklickere ihm, daß ich eigentlich nur privat unterwegs bin, und eben auch gar nichts militärisches gesehen habe. Schon durch mein westliches Auftreten, anders als bei DDR-Bürgern, dazu meine ungewöhnlich braune Hautfarbe die ich in den letzten Wochen bekommen habe, all das verwirrt die Russen sichtlich. Sie bleiben größtenteils auf Distanz zu mir. Repressalien werde ich nicht mehr ausgesetzt sein. Aber die Zeit zieht sich ganz schön hin, und meine anfängliche Abenteuerlust weicht dann doch so allmählich einer ausgeprägten Genervtheit, die ich auch zum Ausdruck bringe indem ich den Russen Beine mache. Das hört sich zwar lächerlich an und ist auch eher scherzhaft gemeint, denn natürlich haben sie mich noch in ihrer Hand. Aber ich fang langsam an mich zu langweilen, will endlich die VoPo sprechen. Ich habe mir ganz schön was rausgenommen. Ein junger Soldat muß den Vorraum wischen, aber ohne Seife, und ich sehe sofort, daß wohl auch noch nie Seife benutzt wurde. Zumindest schrubbt er den Boden ausschließlich mit Wasser. Da sagte ich zu meinem Dolmetscher "ihr Russen könnt doch nicht wirklich so bescheuert sein, und das WC ohne Seife zu reinigen. Eure Toiletten stinken so furchtbar, daß ich lieber draußen um die Ecke scheißen gehe". Zum Glück brauchte ich die ganze Zeit nicht aufs Klo. Er entschuldigte sich für sein Volk. Sie sind so erzogen, und es ist schwierig, daß zu ändern. Ich habe mehr auf lustig geflucht, und er ließ das immer locker über sich ergehen. Ich hatte zu keiner Zeit vor mich als ein wichtiger Wessi aufzuspielen aber ein bißchen beherrschte ich die Szenerie schon. Machte mir sogar direkt ein bißchen Spaß, so etwas mal zu erleben. Aber mal im Ernst, um 24Uhr zu Nachtflügen mit ihren Jägern starten und über bewohntem Gebiet den Menschen den Schlaf rauben, das können sie. Aber von Seife mit der sich das Pack mal waschen könnte davon haben sie scheinbar noch nie was gehört. Ich bekomme langsam richtig Hunger und mache erneut Druck. Ich muß endlich was zu kauen haben, und das konnte schlecht hier passieren denn zu essen hatten die ja Nichts. Oh je, nachher reinigen die Ihr Geschirr sogar tatsächlich noch im Klo. Dummerweise hatten sie Meldung bis zur höchsten Instanz in Berlin-Potsdam gemacht, so sagt er mir jedenfalls. Und von dort will sogar jemand hier aufkreuzen. Etwas Genaueres zu erfahren, ist schon insofern schlecht, da die Russen selber immer nur die Achseln zucken weil sie selbst von Tuten und Blasen keinen Schimmer haben. So mußte ich eben warten. Um 12.30 Uhr verlor ich aber so dermaßen die Geduld, daß ich richtig laut wurde und ihm jetzt klar machte, daß was passieren muß. Nach endlosen Telefongesprächen, oder sagen wir besser, endlich einer freien Leitung, bekomme ich eine Eskorte zugeteilt inklusive meines Dolmetschers. Wir sind echt eine dubiose Truppe, die Menschen auf der Straße trauten ihren Augen nicht. War schon echt lustig das ganze. Zumal ich noch mal kurz in meine Wohnung darf wo ich meine Kamera ablegte und mir etwas Obst holte. Wir fahren ein bißchen spazieren. Was mir ganz recht ist, immerhin wollte ich auch was von Merseburg sehen, und dann auch noch gefahren werden, das kommt mir ganz recht. So sehe ich Merseburg endlich auch mal bei Tageslicht. Und da Russen etwas dämlicher als gewöhnliche Menschen zu sein scheinen, mußten wir wohl drei oder vier Mal Merseburg umrunden, bis sie endlich an alles, ich meine an den ganzen Papierkram, gedacht haben. Und dann wollten die Deppen auch noch die Stasi sprechen, die es ja nun nicht mehr gibt. Nun, mein Dolmetscher weiß schon, daß die Stasi nicht mehr existiert, denke ich mal, nur hat das mit dem Übergabeformular so seine Bewandtnis. Diese hat nämlich immer die Stasi unterschrieben, und die Polizei macht dies nicht mehr. Die Polizeiwache ist direkt gegenüber einer Schule, und einige Schüler schauen auch nicht schlecht als wir aussteigen. Überhaupt ist die Situation im Polizeigebäude ganz lustig, muß der Polizeihauptwachtmeister doch erst einmal ein Blatt herauskramen, auf dem steht, wofür die Polizei überhaupt noch zuständig ist. Nun, für mich jedenfalls nicht. Jedenfalls meint ein Polizist zu meiner Erleichterung, daß die Russen mich freilassen müssen, denn auf verbotenem Gebiet bin ich nicht gewesen. Die Polizei weigert sich jedenfalls ganz entschieden das Formular zu unterschreiben, schreibt dafür auf einer Schreibmaschine eine Bestätigung, daß sie von dem Vorfall informiert wurden, und es zu Protokoll genommen haben. Der Fall ist erledigt. Die eine Schreibmaschine ist natürlich kaputt. War ich nun verwundert wie locker es bei der Polizei zu geht, oder einfach nur über deren spaßigen Äußerungen? Vor allem haben schon sehr junge Leute einen gehobenen Posten. So sprechen wir anfangs mit diesem jungen Bengel, dem Hauptwachtmeister, der sich aber sehr korrekt verhält. Da sich auch hier wieder alles in die Länge zu ziehen droht, mache ich von Zeit zu Zeit auch immer wieder Druck. Der Hauptwachtmeister meinte noch mit einem Augenzwinkern zu mir, "seien Sie froh, daß das nicht vor der Wende passiert ist, da wären Sie nicht so glücklich aus dieser Sache raus gekommen". Die Vopo konnte keine Straftat feststellen, und ich wäre auch endlich frei gekommen, wenn die sich mal bequemen würden zu unterschreiben. Was ist eigentlich von diesen Begriffen Volkspolizei und Volksarmee zu halten, vertreibe ich mir gedanklich die Zeit. Ich habe mir mal sagen lassen, daß selbst die VoPos vor der Wende nicht so freundlich gewesen sind. Kann ich mir gerade irgendwie gar nicht vorstellen. Sind alle so gut gelaunt und echt freundlich, die Kameraden. Vielleicht wurde ihnen das so eingeimpft, sich dem Volk gegenüber so zu verhalten. Jetzt jedenfalls gibt sich die unnahbare deutsche Volkspolizei auf einmal zutraulich, machen sie einen vergnüglichen Eindruck und beziehen auch die Passanten locker mit ein. Mein Dolmetscher unterhält sich gerne mit mir, und interessiert sich auch über meine Einstellung zu der neuen Situation in diesem Lande und der Perestroika. Zuerst dachte ich, sei bloß vorsichtig was Du von dir gibst. Aber das war unnötig. Im Grunde habe ich nichts mehr zu befürchten. Ich denke mal, das heute war auch für die Russen neu, tatsächlich mal einem echten Kapitalisten gegenüber zu stehen. Und, kein DDR-Bürger hätte sich wohl so offensichtlich verkehrt verhalten wie ich es getan habe. Zu Ende ist es aber erst um 14 Uhr. Jetzt hänge ich schon 6 Stunden mit denen herum, verdammt. Ich habe mir noch den Gag erlaubt zu fragen nach Leipzig gebracht zu werden, was auch beinahe geklappt hätte. Das wäre allerdings auch das mindeste gewesen, was die für mich hätten tun können. Den Film haben sie mir abgenommen, der wenigstens, so hoffe ich richtig entwickelt wird. So richtig vertraue ich den Idioten nicht. Der Dolmetscher wollte mir den Film vorbeibringen, und ich versprach ihm ein paar Fotos zu zeigen. Er war ganz o.k., muß sich leider seinem System beugen. Von ihm, der sich für Mythologie interessiert, erfuhr ich von der Geschichte des Merseburger Rabens. Das mit dem Film geht mir schon sehr auf die Nieren, immerhin erhoffte ich mir darauf doch auch einige gute Bilder von Berlin. Der Kommandant ist eigentlich auch nicht so verkehrt, kann jetzt sogar mal lachen. Wenigstens fahren sie mich nun zum Merseburger Bahnhof. Meine Leichtigkeit und meine lockere Verabschiedung nahmen die Russen wenigstens mit einem Lächeln entgegen, ansonsten sture, traurig dreinblickende Gesichter beim Abschied. Ich weiß schon jetzt, während ich auf den Bus warte, daß mich der Russe heute abend zur Filmübergabe sicher nicht antreffen wird. Das ist mir aber gerade schnuppe, trotzdem muß ich an meine Verwandten denken, was die wohl denken wenn er bei ihnen aufkreuzt? Endlich kann ich aufatmen, der Spuk ist vorbei. Einen Apfel, den ich mir vorhin noch aus der Wohnung mitgenommen habe, esse ich jetzt vor der staunenden Menge. Die denken vielleicht, jetzt nehmen die Russen schon Anhalter mit. Mein Abenteuer fängt doch schon mal gut an.