Читать книгу Onkel Ali & Co. - Meine Multikulti-Straße - Jürgen Bertram - Страница 3
Vorwort
ОглавлениеBraucht mein Auto neues Öl, bedient mich der algerische Tankwart. Die Rosen zum Geburtstag kaufe ich beim pakistanischen Blumenhändler, das Obst und das Gemüse beim Türken gleich nebenan, den Rollmops und den Heringssalat beim Fischhöker aus Vietnam.
Meinen Schoppen am Abend lasse ich mir in der griechischen Schenke kredenzen. Will ich meinen Gästen einen besonderen Tropfen bieten, berät mich der Weingrossist aus Chile. Und zu den Polizisten, die in meinem Viertel Streife gehen, gehören ein bosnischer und ein kurdischer Beamter.
Man sieht: das Prinzip Multikulti, das so mancher Politiker bereits für gescheitert hält, gehört zur alltäglichen Praxis in meiner ganz normalen Straße. Sie liegt im Hamburger Durchschnittsbezirk Eimsbüttel, ist etwa einen Kilometer lang und nach dem hanseatischen Heimatdichter Gustav Falke benannt.
So selbstverständlich leben in der Gustav-Falke-Straße Menschen mit dem unterschiedlichsten kulturellen Hintergrund zusammen, dass vor allem die Bürger mit nichtdeutschen Wurzeln eines der am meisten verkauften Bücher der vergangenen Jahrzehnte, nämlich Thilo Sarrazins Traktat »Deutschland schafft sich ab«, als Beleidigung empfinden.
Niemand von ihnen bestreitet, dass es in der Bundesrepublik islamische Eltern gibt, die ihre Töchter zur Heirat zwingen, oder libanesische Gangs in den Problemvierteln Berlins ganze Häuserblocks kontrollieren, dass der frühere Finanzsenator und Bundesbanker also punktuell richtig liegen mag mit seinen Befunden. Was sie aber in Rage bringt, ist die bereits in dem provokanten Titel anklingende und vom Stammtisch gierig aufgegriffene Behauptung, es handele sich um eine allgemeine, mithin existenzielle Gefahr.
Für mich, den nach 13 Korrespondenten-Jahren in Asien ins Herz von Hamburg zurückgekehrten Journalisten, war die Aufregung um dieses Buch eine Anregung – mich nämlich mit der Frage zu beschäftigen, welchen Einfluss Bürger mit einem »Migrationshintergrund« auf das gesellschaftliche Leben in meinem Quartier ausüben und was sie auf sich nahmen, als sie ihre Heimat aus ökonomischen oder politischen Gründen verließen. Menschen, mit denen mich bisher ein Hallo-wie-geht’s-Verhältnis verband, lernte ich bei meinen Recherchen also endlich kennen.
Da die Straße, in der ich wohne, auch in den unauffälligeren Bezirken von Berlin, Frankfurt, Köln oder Hannover liegen könnte, sind meine Erfahrungen, wie ich glaube, repräsentativer als Thilo Sarrazins Thesen. Aufklärung, aber keine Verklärung – so lautet das Ziel meines Spaziergangs durch die Kulturen, zu dem ich den Leser einlade.
Dass ich mich nicht auf die von Thilo Sarrazin fokussierten Familien mit islamischem Hintergrund beschränke, hat einen einfachen Grund: Auch die Chilenen oder Griechen in meiner Umgebung empfinden sein Buch als Rundumschlag gegen »die Ausländer«. In einigen Fällen erzählen die Protagonisten ihre Geschichte in der Ich-Form. »Protokolle« nennt man diese literarische Variante, die aus den Extrakten langer Interviews besteht. Meine Frau Helga Bertram hat sie aus Tonbandaufzeichnungen zusammengestellt.
Hamburg, im Herbst 2011
Jürgen Bertram