Читать книгу Oskar trifft die Todesgöttin - Jörgen Dingler - Страница 8

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Zwei.

Wien, Mai 2011

»Maaauuuu!«

Oskar zwinkerte verschlafen, blickte in große, bernsteinfarbene Augen, die ihn fixierten. Ein kraftvolles, gnadenloses Raubtier, das um Aufmerksamkeit begehrte… und noch vielmehr um Frühstück. Das Gewicht eines stattlichen Katers drückte auf die Brust des immer noch im Halbschlaf Befindlichen. Der vierbeinige Hausgenosse hatte ihn schon mehrfach angestupst und es endlich geschafft, sein Herrchen aus einem whiskygeschwängerten Koma zu reißen.

»Ähhh…«, röchelte Oskar, »Bruno«, brachte er den Namen seines Mitbewohners heiser heraus und griff reflexartig zu dem flauschigen Vierbeiner, der von Kennern als ‚Blauer Kartäuser‘ kategorisiert wird – der Athlet unter den Hauskatzen; kurzes, dichtes, blaugraues Haar gepaart mit einer kraftvollen, aber nicht dicklichen Statur.

»Ja, du kriegst gleich dein Frühstück«, entließ er und kraulte das um Nahrungsaufnahme ansuchende Wesen, das ihn offenbar verstanden hatte und daraufhin vom Bett hüpfte. Bruno eilte seinem Futtertrog entgegen und unterstrich damit die überfällige Parole für seinen Ernährer: fütter mich!

Der Ernährer ignorierte die Urgenz des vierbeinigen Hausherrn, blieb noch liegen und erinnerte sich an einen Traum. Oskar kam es vor, als wenn er die intensivsten Träume immer erst kurz vor dem Aufwachen hatte. Das mochte daran liegen, dass er sich erst in diesen Phasen des Fast-schon-Wachwerdens seiner Träume bewusst wurde. Alles, was in der Nacht in den Tiefschlafphasen an Träumen passiert war, war meist schon vergessen. Er hatte von Lasern geträumt, die ihn bei lebendigem Leib rösten – auch ohne Schmerzempfinden eine höchst unangenehme Erfahrung. Eine Parabel? Die gerechtfertigte, technisch auf dem neuesten Stand befindliche Hölle für einen wie ihn? Als er langsam munter wurde, kam ihm die reale, nicht interpretierbedürftige Bedeutung dieses Traumes in den Sinn. Sein voriger Abend.

»Maaauuuu!«, erklang es aus der Küche. Zur Verstärkung boxte Bruno seinen leeren Futtertrog mit den Vorderpfoten, sodass er über den glatten Küchenboden klapperte.

»Ja, alter Junge, ich komm ja gleich! … Terrorist.«

Sollte dieser Traum an sein Gewissen appellieren? Er hatte immer noch ein Gewissen, wenn auch ein anderes als das eines Normalbürgers. Man kann nicht zu seinem Broterwerb wildfremde Menschen, die einem zumeist nichts getan hatten, umbringen und noch das haben, was der handelsübliche Durchschnittsmensch unter Gewissen versteht.

»Maaauuuu!« Klapper, klapper.

Ein anderer ausgewachsener Kater erinnerte ihn an ein weiteres Element des vorigen Abends: zuviel Whisky. Er folgerte, dass sein morgendlicher Traum doch kein Appell an ein noch rudimentär vorhandenes Gewissen nach normalen Maßstäben war. Sondern eine Quintessenz gelebter, real erlebter Eindrücke, die sich in seinem Unterbewusstsein während des Schlafs breitmachten. Immer noch besser als echte Albträume, die wirklich mitten in der Nacht kommen. Zum Beispiel während der REM-Phase, die die Natur eher zur psychischen Reinigung denn zur Seelenqual vorgesehen hat. Die, von denen man angsterfüllt im Stockdunklen aufwacht und sich dann fürchterlich allein fühlt – gerade, wenn man allein ist. Das Alleinsein machte ihm nichts aus. Zumindest begünstigt es die Ausübung eines Broterwerbs, der nur wenigen Lebenspartnern vermittelbar ist. Aber in den Phasen direkt nach dem Erwachen aus einem Albtraum fühlte sich sogar Oskar alleine. Dann machte selbst ihm das Alleinsein etwas aus. Ja, dann wäre es schon schön, mal nicht allein im Bett zu liegen. Das konnte auch ein flauschiger Kater nicht kompensieren, der sowieso selten zur Stelle war, wenn man ihn brauchte, sondern Nähe dann einforderte, wenn er sie brauchte. Katzen haben ihren eigenen Kopf. Ein Hund dagegen wäre immer für ihn da. Aber er müsste dann auch immer für den Hund da sein. Geht gar nicht! Und überhaupt

Irgendwas ist ja immer.

Nun gut, dies war kein Albtraum, sondern die Aufarbeitung der vorabendlichen Erlebnisse im geheimen Hinterzimmer eines stinkreichen Galeristen. Eines Kunden, den er töten sollte, der aber stattdessen in der Lage war, ihn zu töten und zu guter Letzt vom Kunden zum Auftraggeber mutierte. Das Ganze wurde ihm zum Nochmal-Durchleben als packendes Kopfkino während des Schlafes aufbereitet.

Traumdeutung kann so einfach sein.

Neun Uhr. Oskar richtete sich im Bett auf und spielte die Optionen für diesen Tag durch. Er würde mit Muße und in Ruhe frühstücken und sich anschließend im Fitness-Studio entgiften. Kampfsport-Training wäre erst morgen. An diesem Tag war nur etwas Gewichte stemmen, Stretching und Sauna angesagt. Es sah nach einem entspannten Tag aus. Obwohl, eine Pflicht gab es dann doch: Wohnung saubermachen. Aus Sicherheitsgründen beschäftigte er keine Putzfrau, die seine Wohnung in Schuss hielt. Diese Maßnahme fiel eher unter Übervorsicht als unter normale Vorsicht. Häusliche Sicherheitsmaßnahmen wie die versteckte Waffenkammer würden selbst der Wohnungsdurchsuchung einer polizeilichen Sondereinheit standhalten. Dennoch kam eine Putzfrau – womöglich noch mit eigenem Schlüssel zu seiner Wohnung – für ihn nicht infrage. Er gönnte sich lediglich einen Luxus in Bezug auf Säuberung seiner sieben Sachen. Obwohl er eine Marken-Waschmaschine mit zig Waschprogrammen und weiß der Geier wieviel Schleudertouren sein eigen nannte, brachte er seine Wäsche meistens in die Wäscherei. Waschen an sich war ja kein Problem, aber aufhängen, trocknen lassen, zusammenlegen und das Schlimmste von allem: bügeln. Der regelmäßige Gang in die Wäscherei ersparte ihm zumindest diese Mühsal. Aber das Staubsaugen, Wischen und Fensterputzen blieb – selbstgewählt – an ihm hängen. Eine schöne Vorstellung: Ein schwerverdienender Berufskiller, der seinen häuslichen Pflichten nachgeht. Bei Oskar war es keine krude Vorstellung, sondern die blanke Realität. Nicht nur das Säubern der Wohnung, auch die Pflege der Waffen war bei ihm Chefsache. Gröbere Reparaturen, technische Modifikationen, Spezialanfertigungen oder große Inspektionen überließ er seinem Spezialisten, einem alten Tüftler, den er ‚Professor‘ nannte. Er verglich sich manchmal mit dem schrulligen Killer in Jim Jarmusch‘ großartigen Film ‚Ghost Dog‘. Der machte wirklich alles selbst und war ein totaler Einzelgänger. So war Oskar auch wieder nicht. Obendrein stand er nicht per Brieftauben mit seinem Mittelsmann in Kontakt. Als Computerspezialist machte er von modernen Kommunikationsmitteln Gebrauch und zog den Komfort einer Luxuswohnung denen eines Kabuffs neben einem Taubenschlag vor. Dennoch gab es einige reale Aspekte in ‚Ghost Dog‘, der zu seinen Lieblingsfilmen gehörte – und das schon Jahre bevor er in diesem Gewerbe gelandet war. Bestimmung für seinen späteren Werdegang? Wohl kaum.

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.

Zu den eher realistisch geschilderten Begebenheiten in ‚Ghost Dog‘ gehörten zum Beispiel die Mafiosi der ebenso anonymen wie hässlichen amerikanischen Großstadt, in der die Handlung spielt. Man hat landläufig eine fast schon romantische Vorstellung von italo-amerikanischen Mafiosi: organisierte Verbrecher in Nadelstreif, Gentlemangangster gewissermaßen. Nicht, dass es die nicht auch innerhalb der ehrenwerten Gesellschaft gab, aber das Gros der in allen größeren Städten der westlichen Welt operierenden Mafiosi war eher wie in ‚Ghost Dog‘ geschildert. Gefährlich zwar, skrupellos, zum Teil über Leichen gehend… all das stimmte soweit. Nur waren die allermeisten alles andere als Verbrecher-Adel. Er hatte schon mit einigen von ihnen zu tun, indem er auf sie angesetzt wurde. Das waren weißgott nicht seine schwersten Jobs. Dennoch: Man sollte sie nie unterschätzen. Jedes organisierte Verbrechen ist brandgefährlich, auch für hauptberufliche Assassinen gewisser Güteklasse. Ein anderer realistisch beleuchteter Aspekt von ‚Ghost Dog‘ war die (scheinbare) Leichtigkeit, mit der ein aufs Töten spezialisierter Hauptberufler wie eben dieser Ghost Dog die Mafia-Gorillas einen nach dem anderen ausschaltete. Jahre harten, disziplinierten Trainings steckten in der vermeintlichen Leichtigkeit, gleich mehrere schwerbewaffnete Muschkoten des organisierten Verbrechens auf einmal in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Das ging recht gut aus diesem Film hervor.

»Dein Dosenöffner kommt schon!«, teilte er einem ins Schlafzimmer lugenden Katzenkopf mit. Bruno hatte wieder verstanden und ließ erneut seine vier Beine Richtung Küche rotieren – quasi mit auf dem Parkett ‚durchdrehenden Rädern‘. Nach der Abspeisung des vierbeinigen Hausgenossen machte Oskar sich Rühreier und drückte auf den Kaffeeautomaten, um sich einen Becher Kaffee einzulassen. Dazu gab es Orangensaft, Käse, Tomaten und aus dem Tiefkühlfach geholte, aufgebackene Mehrkornbrötchen. Derart gestärkt konnte der Tag kommen. Nach dem Frühstück schaltete Oskar den Fernseher ein und zappte auf einen der Nachrichtensender. Es war nichts Weltbewegendes passiert. Glotze aus, er versuchte es mit Lesen, ‚Ulysses‘ von James Joyce. Bruno hatte ebenfalls sein Frühstück beendet und enterte seinen Ernährer, indem er ihm auf den Bauch sprang.

»Aua! Verdammt, Bruno!«, stieß Oskar aus und wartete, bis sich der Kater auf seinem Körper häuslich eingerichtet hatte. Dann nahm er sich sein Buch wieder vor. Er hatte innerhalb zweier Monate nicht mal die Hälfte des Buches gelesen und kam auch an diesem Morgen nicht viel weiter. Unter dem Lesen schlief er ein. Insofern war es gut, dass er im Hausanzug – einem nach dem Aufstehen übergezogenen Sportdress – gewandet und noch nicht geduscht war. Er wurde vom Piepen seines Handys geweckt. Aus zivilen Zeiten erhielt er sich den Brauch, niemals schlaftrunken ans Telefon zu gehen, wenn jemand von ‚außerhalb‘ anrief. Aber es war Greg, sein Agent. Natürlich wollte der wissen, ob er den gestrigen Job problemlos erledigt hatte. Greg vergewisserte sich immer danach, falls er nicht schon von Oskar entsprechend informiert wurde.

»Hi Greg.«

»Hast du gepennt? Did I wake you up?«

»Ja.«

»Sorry, old boy.«

»Kein Problem.«

»Auch sonst keine Probleme?«

Oskar räusperte sich. Diese Frage wollte er eigentlich nicht am Telefon beantworten. Dennoch bevorzugte er die Kurzfassung… am Telefon.

»Doch. Es gab Probleme.«

Gregs Stimme wurde hektischer.

»Was war los? Was ist passiert?«

Die Sorge galt nicht dem Partner, da er ihn telefonisch erreichen konnte, selbiger verschlafen war, es ihm demnach nicht allzu schlecht gehen konnte. Die Antwort des Geschäftspartners ließ auf andere Komplikationen schließen. Greg hasste Komplikationen – eine der nicht allzuvielen Gemeinsamkeiten, die beide einten.

»Lebt der Kunde noch?«, nahm der Amerikaner eine Antwort vorweg.

»Ja.«

»Warum? Was war los?«, wiederholte er sich.

Oskar räusperte sich erneut. Bruno wurde es zu unruhig, er hüpfte runter. Da er sich dabei mit den Hinterläufen von der Unterlage – also von seinem Herrchen – kräftig abstieß, verzog dieser das Gesicht, gab aber keinen Laut von sich. Kopfschüttelnd seinem Kater nachblickend – der seelenruhig von dannen trottete – setzte er das Telefonat fort.

»Der Kunde lebt deswegen noch, weil er nicht der Kunde sondern der Auftraggeber ist.«

»Was???«

»Ja. Krieg dich wieder ein. Alles wird gut.«

Ein Witz! Ich hab meinen Agenten zu beruhigen, dabei ging es um meinen Arsch.

»Was heißt hier ‚krieg dich wieder ein‘?«, blaffte Greg.

Oskar hob den immer noch verschlafenen Blick in Richtung der Wanduhr in der angrenzenden offenen Küche. Es war kurz vor elf vormittags.

»Sei um zwölf bei mir, okay«, orderte er knapp.

»Um zwölf?«, schnaufte Greg. Dieses Herbeordern passte ihm nicht. Aber es musste wohl wichtig sein, wenn der Kunde nicht nur noch lebte, sondern sogar auf einmal der Auftraggeber war. Außerdem hatte Greg im Normalfall keine dringenden Termine. Greg war genauso wenig wie Oskar ein normaler Geschäftsmann mit normalen, regelmäßigen Terminen. Er lebte ebenso von der Arbeit seines ausführenden Partners wie der selbst. Die dringenden Termine, die Greg hatte, waren zwei, drei Treffen mit potenziellen Auftraggebern im Monat, sein Lebensmittel- und (vor allem) Getränkelieferant, oder wenn er sich eine Edelnutte in ein besseres Hotel seiner Wahl bestellte. Greg war vorsichtig genug, nie eine in sein Haus kommen zu lassen. Für den schnellen Druck zwischendurch besaß er eine mehr als stattliche Pornofilmsammlung in seinem Hochsicherheitsdomizil am Stadtrand. Sein Jobbeschaffer führte noch mehr als er das Leben eines jungen Hundes. Aber empört war er dennoch. Das war Oskar egal.

»Okay. Ich bin um zwölf bei dir«, presste Greg noch durchs Telefon hörbar unwillig durch die Zähne.

»Gut. Bis dann.«

Das hieß eine knappe Stunde, um zu duschen, sich anzuziehen und richtig wach zu werden. Mehr als genug Zeit. Wegen Greg brauchte er wenigstens nicht aufzuräumen. Sogar die unaufgeräumte Wohnung war nach dessen Maßstäben immer noch geradezu peinliche Ordnung.

Der Besuch stand um Punkt zwölf auf der Matte. Noch vor Oskar wurde erwartungsgemäß der um Gregs Beine streichende Vierbeiner begrüßt.

»Bruno, dude! How ya doin‘?«

»Maaauuu!«

»Hähä! Ich versteh dich, mein Freund. Dein Herrchen nervt. Kenn ich.«

»Maauuu!«

»Ah, so ist das. Ich werd dich wieder zu Greg geben, du Verräter, wirst schon sehen.«

»Mach nur. Bruno und ich verstehen uns blendend.

What you say, tiger?«

Man entschied sich dazu, alles bei einem zweiten Frühstück zu bereden. Wieder bereitete Oskar Rühreier zu, diesmal aber nicht für sich. Es war nur sein Gast, der ordentlich reinhaute. Ihm reichten Kaffee, Leitungswasser und Orangensaft, da er noch vom ersten Frühstück gesättigt war.

»Nein, du kriegst jetzt nix mehr!«, erklärte Oskar dem vierbeinigen Hausgenossen, der das erneute Frühstückbereiten als Signal für einen Nachschlag auffasste.

»Hähä, der gefällt mir!« Greg nickte in Richtung Bruno, der sich bei ihm einschleimte.

»War klar«, quittierte Oskar lapidar. »Gib ihm nichts von deinem Frühstück, okay?«

Er erklärte seinem Geschäftspartner, was vorgefallen war. Details über die intimeren physischen Annäherungen zu einer der beiden nunmehrigen Zielpersonen ließ er aus. Er wollte keine Steilvorlagen für sexistische Verbalinjurien in Bezug auf Vera geben. Die neuen Kunden waren ein alter Unsympath und seine heiße Frau. Vera sei garantiert die Hauptzielperson und ihr Mann lediglich ‚Beifang‘. Er betonte, dass sie trotz ihrer Attraktivität (die Augen des Zuhörers glänzten, als er sie beschrieb) weit außerhalb der bevorzugten Altersklasse des Amerikaners rangierte und damit nicht sein Typ sei. Der Jobvermittler schwankte von angespannt an den Lippen klebend über staunend bis zu amüsiert. Der Vortrag schien ihn bestens zu unterhalten. Zwischendurch ging er – ganz dem Motto ‚dein Haus ist mein Haus‘ frönend – zu den Edelbränden und schenkte sich den ein oder anderen ein. Das Ganze leitete er mit den Worten »Ich brauch jetzt einen Verdauungsschnaps!« ein. Oskar winkte jedes Mal ab, wenn sein Gast großzügigerweise auch ihm einen anbot. Obendrein verqualmte Greg die Wohnung, indem er sich eine nach der anderen anzündete.

»Wuh!«, schüttelte er sich zur Quintessenz der Erzählungen. »Krass!«

»Nicht wahr?« Oskar nickte.

»Wuh!«, kam es erneut. »In diesem Job lernt man echt nie aus, Alter«, sagte es und schenkte sich diesmal eine ebenso rare wie teure Williamsbirne ein. Die Zwetschke hatte er schon, ebenso die Wachauer Marille.

Greg kippte den Schnaps und schüttelte den Kopf. Oskar schüttelte ebenfalls seinen Kopf. Der eine aufgrund der ihm zu Ohren gekommenen Geschichte, der andere aufgrund der wahllosen Vernichtung des edlen Gesöffs. Damit, dass doch noch alles glimpflich ausging und obendrein aus einem Auftrag zwei wurden, war Greg wieder in seiner Mitte angekommen. Aus eins mach zwei andere, voll bezahlt. Könnte schlimmer sein. Dass Oskar am Vorabend beinahe flambiert worden wäre, war Schnee von gestern.

»Da wir schon bei Jobs sind«, hob Greg an.

»Ja?«

»Wenn du damit fertig bist«, nahm er Bezug auf den soeben geschilderten, aktuellen Auftrag, »wir sollen in einer Schutzgeldgeschichte befriedend eingreifen«, formulierte er in gestelztem, astreinen Deutsch.

Das hieß erfahrungsgemäß, ein paar Mafiatypen abzuknipsen, die einen Lokalbesitzer bedrohten. Einen offenbar vermögenden Lokalbesitzer, der in krassester Form darauf zu reagieren gedachte. Nur wenige waren derart entschlossen, sich diese Erpressereien nicht gefallen zu lassen.

»Italiano?«, hakte Oskar nach. Es hätten ebensogut Chinesen oder osteuropäische Mafia sein können. Wie in vielen europäischen Metropolen war in Wien alles vertreten.

»Si.«

»Kein Bock drauf.«

»Hab ich dem auch gesagt.« Greg zuckte mit den Schultern.

»Zu viel möglicher Stress… zu schlecht bezahlt.«

Jemanden des hier etablierten organisierten Verbrechens auszuschalten, war zwar kein wirkliches Problem für Oskar, weder handwerklich noch emotional, konnte aber einen ziemlichen Rattenschwanz nach sich ziehen. Nicht selten schickte die Zentrale bessere Kräfte nach, wenn ihre Handlanger neutralisiert wurden, die zum Bedrohen der Geschäftsleute zum Einsatz kamen. Irgendein höherer Pate konnte das nicht auf sich sitzen lassen und begehrte nach Klärung oder sann auf Rache. Ein anfangs einfacher Job konnte auch für Vollprofis im Nachhinein zumindest unbequem werden. Es bedeutete, die nachgeschickten, weitaus besseren Killer ebenfalls abknipsen zu müssen, wenn Gefahr bestand, dass sie einem draufkommen konnten. Und das auch noch zum Inklusivpreis, für das ohnehin nicht fürstliche Honorar des ursprünglichen Jobs. Die Bezahlung für derartige Aufträge lag erfahrungsgemäß an der unteren finanziellen Schmerzgrenze.

»Auch das hab ich dem gesagt«, nickte Greg.

»Und?« Bewandtnis

»Der Typ war mit meiner ablehnenden Antwort nicht einverstanden.«

»Heißt?« Oskar ahnte ohnehin, was kommen würde.

»Well, er hat gesagt, dass es nicht gut für uns wäre, wenn wir ablehnen.« Greg grinste vielsagend. Oskar sah ihn eine Weile an und ließ dann seinen Blick schweifen. Kater Bruno lag im Wohnzimmer, machte auf Sphinx und fixierte entspannt seine Lieblingspflanze, eine drei Meter große Phönix-Palme.

Alles klar. Greg hatte diesen Auftrag angenommen. Oskar setzte voraus, dass er wenigstens ein höheres Honorar ausgehandelt hatte.

»Du hast die Mehrkosten in Rechnung gestellt?«, vergewisserte er sich pro forma dieser Selbstverständlichkeit. Greg zwinkerte schelmisch mit seinen buschigen dunklen Augenbrauen. Klar hatte er.

Der Auftraggeber dachte, dass dieses Ausverhandeln eines höheren Honorars ein Zeichen dafür war, sich mit echten Profis eingelassen zu haben. Profis, die sich zwar von der unverhohlenen Drohung seitens des Auftraggebers beeindrucken ließen, aber nicht ohne mehr Honorar zu verlangen. Eine nachträgliche Zusage ohne Feilschen hätte den berechtigten Argwohn des Auftraggebers heraufbeschworen. Berechtigt, weil die höhere Honorarforderung nicht nur eine psychologische Bewandtnis hatte, sondern Mehrkosten eines höheren Aufwands abdecken sollten. In diesem Fall hieß das: Ein Auftraggeber, der einen bedroht, wird unwissentlich (und natürlich unwillentlich) ebenfalls zum Kunden. Oskar würde sich also um die Zielpersonen und anschließend um den Auftraggeber kümmern. Erst nach vollständiger Bezahlung, versteht sich.

Ein solches Vorgehen ist zwar nicht die feine Englische und wird im Normalfall nicht angewendet, kann aber Vorteile haben. Insbesondere bei Mafiajobs. Nicht zuletzt den, dass ein höherer Pate von einer Racheaktion absieht, weil seine Leute vor Ort ausgeschaltet wurden. Der Auftraggeber dieser Morde war inzwischen ebenfalls erledigt. Damit war klar, dass der dafür – und wohl auch für die Morde an seinen Leuten – verantwortliche Freiberufler alles andere als ein Spaßvogel war. Wer diesem Profi krumm kommt, den legt er um! Freiberufler sind um ein Vielfaches gefährlicher als gelegenheitsmordende Handlanger. Mit so einem legt man sich lieber nicht an, wegen leicht zu ersetzendem Fußvolk schon gar nicht.

Oskar sprach den Satz aus, den Greg bei solchen Gelegenheiten gern in seiner Muttersprache zum Besten gab:

»Wer uns bedroht, ist so gut wie tot.« (»Who gives us a threat, is as good as dead.«) Anschließend goss er sich doch einen Schnaps ein und stieß mit dem grinsenden Greg an.

Er schmiss seinen Geschäftspartner nach drei weiteren von ihm konsumierten Zigaretten und ebenso vielen weiteren Schnäpsen raus. Es war ohnehin alles geklärt. Einstweilen. Er hatte keine Lust darauf, dass Greg weiter bei ihm rumhing. Sein Jobvermittler war der Typ, der in jeder Hinsicht schlechten Einfluss ausstrahlt. Das sah man auch daran, dass Oskar doch noch mit einem Schnaps mit ihm anstieß, obwohl er sich für den gesamten Tag absolute Alkoholfreiheit auferlegt hatte. Bliebe er länger, wäre als Tagesgestaltungsvorschlag von Gregs Seite garantiert so Sinnvolles wie Saufen und Filme schauen gekommen. Oskar hatte ein anderes Programm für diesen Tag vorgesehen: Bude aufklaren, später dann ins Fitnesscenter, trainieren und entgiften.

Greg Norman konnte gut und leicht rumlottern. Er war längst nicht mehr aktiv und hatte nicht auf die Erhaltung der Funktionalität seines Körpers zu achten. Der nunmehrige Jobvermittler tat es auch zu aktiven Zeiten nie annähernd so ernsthaft wie sein ausführender Geschäftspartner. Oskar lüftete die Wohnung. Das hieß Durchzug total, also alle Fenster und die Terrassentür der unteren Etage ganz auf. Obwohl aufgrund der frühsommerlichen Witterung zwei Fenster angelehnt waren, schaffte es sein Geschäftspartner, die Küche nebst Wohnzimmer innerhalb einer guten Stunde in eine Räucherkammer zu verwandeln. Derart durchlüftet staubsaugte und putzte es sich relativ angenehm. Der Tag war sonnig und schön, sodass Oskar sogar beim Putzen gut drauf war. Bruno hatte sich – wie bei Wohnungsputzaktionen üblich – verzogen. Der Vierbeiner bestand zwar auf Sauberkeit, insbesondere der seines Katzenklos, aber das Geräusch des Staubsaugers war so gar nichts für seine feinen Ohren.

Oskar sah erst auf sein Handy, als er nach dem Fitnesscenter wieder zuhause eintraf. In den Trainingsraum nahm er sein Handy nie mit, da nach seiner Ansicht nur Idioten dieser Unsitte frönten. Entweder wird trainiert oder telefoniert! Moderne Smartphones, die auch zum Musikhören genutzt werden können, leisteten dieser Unsitte weiteren Vorschub.

Vera hatte angerufen!

Sie hatte sogar eine Nachricht auf der Sprachbox hinterlassen. Das tat nicht ein jeder, der vergeblich anrief. Eigentlich sogar die Mehrzahl nicht. Eine weitere Unart nach seinem Befinden, die er allerdings auch nicht selten an den Tag legte, wenn er jemanden nicht erreichte.

Moment! Woher hatte Vera überhaupt seine Telefonnummer? Er bekam ihre Visitenkarte zur Verabschiedung in die Hand gedrückt. Sie bekam nichts von ihm. Nicht einmal die Zusicherung, dass er sich melden würde. Aber sie wusste ohnehin, dass er es früher oder später tun würde. Eher früher als später. Er hatte Veras Mobilnummer noch auf dem Nachhauseweg eingespeichert, daher zeigte das Display ihren Namen und keine nichtssagende Telefonnummer an. Eigentlich wollte er sie irgendwann in den nächsten Tagen anrufen. Getreu des Mottos: Nie zu früh bei Frauen anrufen, die man eben erst kennenlernte und wo beiderseitiges Interesse bestand. Zu spät aber auch nicht. Aber jetzt rief sie an.

Nicht gut, an die Telefonnummer von jemandem wie mir zu kommen!

Er ahnte, über welche Wege seine Telefonnummer an sie geraten konnte. Da spielte jemand nicht nur den Amor, wollte demnach nicht nur aus amourösen Gründen ein Zusammenfinden begünstigen. Veras Stimme in der Sprachbox hatte nichts von der Verlegenheit anderer Sprachboxbequatscher. Sie sprach sicher, locker, frei… und sehr sexy. Frau Doktor sprach eine Einladung zu einer Vernissage mit Weinverkostung aus, nannte Zeit und Ort und merkte an, dass er auch einen Freund mitbringen durfte. Einen Freund, keine Freundin, schien es ihr wert, dies extra zu betonen. Sie schloss damit, dass Oskar sie nicht zurückrufen brauche, da sie ihm ohnehin alle Infos aufgesagt hatte. Er deutete es vielmehr so, als dass er sie nicht zurückrufen soll, da sein Rückruf sie eventuell im Beisein ihres Mannes erreichen und in Verlegenheit bringen könnte. Sollte er ihre Einladung nicht wahrnehmen, möge er lediglich eine SMS schicken. Oskar schmunzelte. Er freute sich richtiggehend darauf, Vera wiederzusehen.

Halb neun am Abend. Es dämmerte kaum merklich, da es Ende Mai war und lediglich drei Wochen bis zum längsten Tag des Jahres verblieben. Er beschloss, sich mit einer Flasche kalten Rieslings auf die Dachterrasse zu begeben, um der aufziehenden Abenddämmerung beizuwohnen. Den alkoholfreien Tag hatte Greg ihm schon zu mittag versaut, also konnte er den Sonnenuntergang stilgerecht mit Sundowner genießen.

Ich darf einen Freund mitnehmen. Hm nur wen?

Mit Ergreifen dieses absonderlichen, wenn nicht abartigen Berufes hatte sich vieles geändert, auch der Freundeskreis. Der wurde arg dezimiert. Hatte er in seinem bürgerlichen Leben immer eine Handvoll enge und zusätzlich noch doppelt soviele nicht so enge Freunde, sah das in diesem Leben ganz anders aus. An Freunden blieben ihm ganze drei. So etwas wie ‚Sekundärfreunde‘, also nicht so enge Freunde, hatte er überhaupt nicht mehr. Allenfalls den ein oder anderen Berufskollegen, den man kannte und mit dem man sich gut verstand… oder zumindest vertrug… oder sich zumindest nicht in die Quere kam… meistens nicht. Zu seinen Freunden zählten sein Waffenmeister, dann noch Amon – ein befreundeter Topkiller – und Greg. Allesamt Vertraute, die wussten, was er tat, womit er seine Brötchen verdiente. Sein alter Waffenmeister fiel in diesem Zusammenhang aus. Vernissagen gehörten nicht zur Welt des guten ‚Professors‘.

Er musste sich innerlich bei Greg entschuldigen. Obwohl er von diesen gerade mal drei ‚echten‘ Freunden den regelmäßigsten Kontakt zu Greg pflegte, kam der ihm als Letztes in den Sinn. Oskar glaubte nicht, dass in einem bürgerlichen Leben eine derart enge Beziehung, ja Freundschaft zu Greg hätte entstehen können. Der Amerikaner war ihm zu chaotisch, zu sehr in einer ewigen Pubertät gefangen, ja, und auch zu gewöhnlich. Daran gab es nichts zu rütteln, obwohl Oskar beileibe nicht etepetete war. Es gab aber auch entscheidende Gemeinsamkeiten, die die beiden seit fünf (genau genommen: sieben) Jahren zusammenschweißten: hohe Professionalität (trotz Gregs Chaotik), absolute Verlässlichkeit (ebenfalls trotz seiner Chaotik), analytisches Talent, Instinkt. Alles Eigenschaften, die in diesem Beruf lebensverlängernd sein konnten. Obendrein Emotionalität (wenn auch eine ganz eigene Form davon) und Boni wie Humor (ebenfalls einen ganz eigenen), Sprachwitz und Sprachtalent, sowie unbestreitbare Intelligenz. Der New Yorker konnte ebenso unterhaltsam wie anstrengend sein. Aber mehr Letzteres. Also Greg sollte seine männliche Tischdame sein. Das machte doppelt Sinn, weil es hier um einen gemeinsamen Job ging. Es konnte nicht schaden, wenn Greg den Kunden mal live zu Gesicht bekam. Ausnahmsweise kannte der Jobvermittler den Auftraggeber noch nicht persönlich, weil dieser ursprünglich als Kunde gebucht war. Die Vernissage wäre bereits am nächsten Abend. Diesen ließ Oskar auf seiner Dachterrasse ausklingen, sah in die Abenddämmerung über der Großstadt… und dachte an Vera. Als ob Bruno das gemerkt hatte, enterte er seinen ‚Dosenöffner‘ und machte sich wichtig.

»Mau.«

Oskar überredete Greg, seinen schneeweißen Audi RS5 zuhause stehen zu lassen. Wenn dieser Abend schon als Vernissage mit Weinverkostung ausgeflaggt war, wollte er den Alles-andere-als-Kostverächter nicht mal ansatzweise in Versuchung führen, nach etlichen Gläsern Wein sein geliebtes 450 PS Sportcoupé noch besteigen zu wollen. Da Vera unmissverständlich auf seiner Sprachbox hinterließ, dass er allenfalls in Form einer SMS Rücksprache mit ihr halten sollte, falls er nicht käme, war auch nicht kommuniziert, ob er einen Freund mitbrächte oder nicht. Der Amerikaner tat brav wie geheißen, ließ sein Auto stehen und holte Oskar mit dem Taxi ab. Sie fuhren vor einer fast so noblen Innenstadtgalerie vor, wie sie Nikolas Tyron sein eigen nannte.

Ihr Auftreten in menschengefüllten Räumen gemahnte stets an Western-Saloon-Filmszenen. Dann, wenn entweder die neuen Sheriffs in town oder aber die Erzganoven auftraten und es ganz still wurde. Still wurde es zwar nicht, die Musik verstummte nicht, die meisten Leute redeten weiter… aber es war wieder diese Aufgeladenheit in der Luft. Es knisterte merklich. Beide taten wissentlich nichts dafür, diese spürbare Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Obwohl in feines, maßgeschneidertes Tuch gehüllt, gab es sicherlich attraktivere Männer als diese beiden. Aber irgendwas schienen sie wohl zu haben, erst recht im Doppelpack.

Greg wirkte – trotz feinster Maßanzüge – stets ein wenig verlottert. Ein enthemmter Verzehrfreudiger, optisch eine moderne Kopie des 70er Jahre-Schauspielers Elliot Gould. Groß gewachsen, mittleres Alter, buschige Augenbrauen, dunkle wilde Locken, noch dunklere Augen und noch dunklere Augenringe. In Gesichtsmitte die markante Nase eines New Yorker Bohemiens mit dicker Brieftasche. Ebenso verwegen wie versoffen. Seine nicht sparsam vorhandene Intelligenz dazu nutzend, sich bei Bedarf ausgesucht unflätig ausdrücken zu können und ordinäre Ansagen immer dann als Trumpfkarte zu ziehen, wenn es so gar nicht passte. All das strahlte der Amerikaner aus. Das Beste aber war: All das war er auch.

Oskar war der mittelgroße, einen halben Kopf kleiner als Greg seiende, friesisch-herbe, kühle Blonde ebenfalls mittleren Alters mit hellen, graublauen Augen und einem starrem, kalten Gesicht, als hätte es drei Tage in Eiswasser gelegen. Wäre er nicht ganz so unterkühlt, könnte man ihn durchaus als Frauentyp bezeichnen. Seine kühl-herbe Ausstrahlung schreckte nicht wenige – Frauen wie Männer – ab, auf andere wiederum wirkte sie magnetisierend. In jedem Fall transportierte seine Erscheinung: Hab mich besser nicht zum Feind!

Der Auftritt eines solchen Paares musste Western-Saloon-Szenen hervorrufen. Sie hatten ihren Auftritt, die ihnen geltende Aufmerksamkeit verebbte wieder. Tout Vienne traf sich hier. Noch schlimmer als zuletzt bei Herrn Tyrons Vernissage. Gab es hier den besseren Wein? Auf jeden Fall waren die Bilder und Objekte weit besser als das, was man zuerst bei Nikolas Tyron zu sehen bekam. Kunststück.

Oskar sah Veras Augen aus der Ferne funkeln. Sie hatte ihn schon bei seinem Eintritt gesichtet. Er nickte in ihre Richtung. Veras Mann war auch da und flankierte sie wie üblich. Walter wirkte noch schlechter gelaunt als beim letzten Mal. Oskar nickte auch ihm zu, war enttäuscht, ließ es sich aber nicht anmerken. Walter gehörte genauso wie Vera zur unvermeidlichen Wiener Bussi-Gesellschaft, wenn auch nur als ihr Anhang. Dass der eifersüchtige Alte seine scharfe Frau flankierte, wo er nur konnte, durfte man daher als Selbstverständlichkeit ansehen. Erst recht bei einer Frau, die auch bei Jünglingen, die halb so alt waren wie sie selbst, spontane Erektionen und den Willen, sie sofort zu bespringen, provozieren konnte. Und das auch tat. Wenn nicht gar, es genau darauf anlegte.

Noch bevor Oskar und Greg sich in Bewegung setzen konnten, kam ein kleiner, eher unscheinbarer Brillenträger so um die Mitte Dreißig auf sie zu. Er schüttelte lebhaft Gregs Hand, der ihn unhörbar dahergebrabbelt vorstellte. Oskar tippte darauf, dass Greg deswegen unhörbar brabbelte, weil er den Namen dieses komischen Kauzes wieder vergessen hatte. So er dessen Namen überhaupt jemals richtig mitbekam. Greg und der unbekannte Bankertyp oder Versicherungsheini wechselten ein paar Worte und unterbrachen hier und da ihr Gespräch mit lautem, ordinären Lachen. Zwei, die sich zu verstehen schienen. Oskar fand das durchaus komisch – in beiden Bedeutungen des Wortes ‚komisch‘: witzig und sonderbar. Sein Begleiter begrüßte noch vor ihm jemanden auf dieser Veranstaltung. Besser noch: Er wurde begrüßt. Eigentlich dachte Oskar, das hier wäre gewissermaßen ‚seine‘ Party und Greg seine Begleitperson.

Der komische Kauz verschwand. Greg lachte noch nach der Verabschiedung, sah dem Hänfling kopfschüttelnd nach und wandte sich dann Oskars Ohr zu.

»Der sieht zwar wie‘n fader kleiner Buchhalter aus, ist aber alles andere als das. Redet genau wie wir nur vom Ficken und Weibern. Hat auch gute Abschussquoten, hähä«, erklärte er seinen Bekannten, der sich nunmehr in eine Gruppe großer, gutaussehender Frauen stellte und die mit seiner Gesellschaft zu Oskars Überraschung alles andere als langweilte.

»Ach, tut er das? So wie wir?« Oskar bemühte sich kaum, die Ironie dieser Frage zu verbergen. Diese Spitze hatte Greg entweder nicht mitbekommen oder ignoriert. Bei dem war beides möglich.

Der Amerikaner hielt sich und Oskar auch in diesem Punkt für Seelenverwandte. Im Grunde genommen schätzte er jeden gesunden, heterosexuellen Mann in punkto Frauen wie sich selbst ein. Wer anders war, konnte nicht gesund sein – egal ob geistig oder körperlich oder beides. Und ein richtiger Mann schon mal überhaupt nicht. Männer wollen von attraktiven Frauen nur das Eine. Immer und überall und am besten gleich. Geborgenheit, Vertrautheit, Zärtlichkeit, Gleichklang wie Ergänzung Liebe? Für die Fische!

Als Oskar so darüber nachdachte, fiel ihm ein, dass er das sehr wohl mal ganz anders sah. Und jetzt? Vielleicht hatte Greg doch damit recht, sich und ihn in einen Topf zu schmeißen. Und alle anderen Kerle auch. Ja, vielleicht hatte er doch recht. Er musste recht haben, so wie sich Vera nunmehr nicht vielsagend, sondern alles sagend auf sie zubewegte. Sie wiegte sich lasziv in den Hüften, schmunzelte geradezu diabolisch sexy und hatte beide Hände hinter dem Rücken verborgen. Oskar dachte bei Veras Anblick in der Tat an nichts anderes als Sex. Greg ging es nicht anders.

»Das muss dann wohl Vera sein«, krächzte er. Oskar war froh, dass er nicht wie sonst Prädikate wie ‚geile Stute‘ anfügte. Vielleicht war die ungewohnte Zurückhaltung seiner trockenen Kehle geschuldet. Das konnte durchaus das Resultat von Veras atemberaubenden Auftritt sein.

»Gibt‘s hier eigentlich nichts zu trinken?«, kam dann auch postwendend die passende Frage. Der Amerikaner vergewisserte sich erst gar nicht, ob geraucht werden durfte und zündete sich eine Zigarette an.

Pfui Deibel!

Oskar hatte sich zu früh gefreut: Mit der Kippe im Mund musste seine ‚Tischdame‘ doch noch ein Statement hinsichtlich Vera loswerden.

»Wow! Alt aber geil. Hast nicht zuviel versprochen, dude.«

In Bezug auf Vera hab ich nichts versprochen, du Schmock!

Und dir schon mal überhaupt nicht!

Dennoch war es für Gregs Maßstäbe ein geradezu ausschweifendes Kompliment, da seine gekauften Liebesdamen die Mitte zwanzig selten überschreiten durften. Der Anblick der scharfen Vera hatte den sonst so abgebrühten Killeragenten höchst beeindruckt. Er war der lebende Beweis, wie einem Mann buchstäblich die Spucke wegblieb. Ihr Outfit trug auch an diesem Abend dazu bei. Getreu eines alten Zsa Zsa Gabor-Spruchs:

‚Ein Pullover ist eng genug, wenn den Männern die Luft wegbleibt.‘

Aber Vera trug keinen Pullover. Ihre körperlichen Vorzüge, die sie zuletzt in einem bunten, flatternden, halbtransparenten Fetzchen von Kleid zur Schau gestellt hatte, waren in ein farb- und schnittmäßiges Gegenteil davon gehüllt, was aber die entscheidende Gemeinsamkeit hatte, dass es mehr zeigte als verbarg. Sie trug dieses Mal etwas, was man als das berühmte ‚kleine Schwarze‘ bezeichnet – ein knallenges, gewagt kurzes, schwarzes Kleidchen mit Spaghettiträgern. Dazu wieder sparsamen, ausgesucht passenden, heißt diesmal farblich dezenten, ausschließlich silbernen Schmuck. Und Highheels, die sicher akrobatischen Anforderungen genügenden Gleichgewichtssinn erforderten, um sich unfallfrei damit fortbewegen zu können. Sie konnte das. Und wie.

Vera war eher klein als groß. Oskar schätzte sie auf um die 1,60, also selbst mit ihren Stilettos allenfalls um die 1,70 – aber mit perfekten Proportionen. Als große Frau ist es kein Kunststück, lange Beine zu haben. Vera hatte lange Beine, obwohl sie alles andere als eine große Frau war. Und perfekt geformte – nicht zu dünn, nicht zu dick, trainiert, aber nicht männlich definiert, also immer noch unbeschreiblich weiblich. Sie tat sichtbar etwas für einen Körper, der ihr von Natur aus eine ideale Basis bot. Obwohl sie jede Modelagentur aufgrund mangelnder Körpergröße abgewiesen haben musste, war sie ein optisch perfektes Weib. Alles an der richtigen Stelle, in der richtigen Menge. Alles so, wie es sein soll. Wirklich alles eine Frage der Proportionen, nicht der Größe. Und schöne Haut hatte sie auch. Straff, glatt, gleichmäßig tiefbronzen – ein herrlicher Kontrast zu ihren platinblonden Haaren. Sie hatte Glück, derart ausgestattet zu sein. Mit perfekten Proportionen, schönem, aber nicht oberflächlich schönen, weil rassigem, ausdrucksstarken Gesicht mit interessanter, griechisch-römischer Nase, mehr als ausreichend großen, perfekt geformten Brüsten, an denen sie sichtbar nichts hatte machen lassen. Sofern es die Kleidung zuließ, erkannte Oskar, wenn sich eine Frau in Sachen Oberweite hat helfen lassen. Das war bei Veras Kleiderwahl zweifelsohne der Fall. Oskar ging davon aus, dass sie sich gerade aufgrund ihres makellosen Körpers in jungen Jahren das ein oder andere Mal gewünscht hatte, zehn Zentimeter größer zu sein, um auch regulär als Model Chancen zu haben. Und sei es rein theoretischer Natur, da er nicht annahm, dass sie jemals hauptberuflich Model war oder es werden wollte. Nur Menschen, die fast alles erreichen können, hadern damit, doch nicht alles erreichen zu können. Dieses Hadern hatte sie längst überwunden.

Was für ein Weib! Und dieses Weib kam auf ihn zu. Zielstrebig.

Greg unterbrach das Schwelgen seines Partners, dessen geradezu hypnotisches Kleben am Anblick einer Frau, die altersmäßig an der Schwelle des halben Jahrhunderts stand, wenn sie die nicht schon überschritten hatte. Unwichtig. Auf so eine Frau wäre Oskar auch als Zwanzigjähriger abgefahren, ohne Bedenken wegen des Altersunterschieds zu haben. Falls eine Rassefrau wie sie einen Oskar als geifernden Jüngling erhört hätte.

»Was ist mit‘m Wein?«, kam es von Greg. »Ich dehydrier hier, Alter.«

»Bin ich deine Nanny?«

»Scheiße, Mann, ich bin deine Tischdame. You got to please me!«

»Pussy, ich schieb dir gleich deinen Wein…«

Veras Ankunft unterbrach das freundschaftliche Geplänkel zwischen den beiden. Sie baute sich vor ihnen auf und zog zwei große Weingläser hinter ihrem Rücken hervor.

»Sorry, Jungs, ich konnte nur zwei von diesen Riesengläsern gefahrlos tragen«, lachte sie und nickte an sich hinunter. Ihre Highheels, na klar. »Einer von euch muss sich noch eins holen oder mit mir aus meinem trinken.« Sie leckte mit ihrer Zungenspitze am Glasrand und sah lasziv zu beiden Männern auf.

»Das mach ich.« Greg griff nach ihrem Glas. Oskar dirigierte seine Hand zu dem anderen, unbenutzten Glas um.

»Warum nimmst du nicht das frische Glas, Greg? Vera hat es extra für dich mitgebracht«, insistierte er aufgesetzt freundlich und stellte dann die beiden einander vor. »Vera, das ist Greg. Greg, das ist Vera.«

»Hallo, Greg!«, hauchte sie, als ging es um den ersten Preis im Marilyn Monroe Synchronsprechwettbewerb.

»Hallo Vera. Sehr erfreut.« Greg küsste Veras Hand. Oskar hätte nicht gedacht, den alten Schwerenöter mal so galant erleben zu dürfen.

»Auch deine Freunde scheinen keine Berührungsängste zu haben.«

»Der ganz besonders nicht«, presste der Blonde durch die Zähne.

Der Amerikaner kippte derweil den halben Inhalt des in der Tat sehr großen und nicht schlecht gefüllten Weinglases in einem Zug in sich hinein. Vera bestaunte seinen Durst und beugte sich zu Oskars Ohr.

»Dein Freund war doch schon mal auf einer Weinverkostung, oder nicht?«

»Ja, war er. Er verkostet immer mehr als die anderen«, flüsterte er. »Liegt an seiner Behinderung.« Das Wort ‚Behinderung‘ irritierte sie sichtlich. Greg wirkte nicht gerade behindert. »Seine Geschmacksknospen sprechen nicht auf kleine Mengen an.«

»Ich verstehe«, grinste sie. »Einige meiner Bekannten teilen sein Leiden.«

»Na, dann kennst du das ja.« Oskar sah an Vera hinunter. »Außerdem hat ihn dein Anblick durstig gemacht.« Am liebsten hätte er es auch diesmal nicht nur beim Sehen belassen. Aber hier standen sie zu exponiert. Und er hatte keine Ahnung, wo ihr Mann gerade war. Sie zu befingern, während der alte Geier vielleicht lauernd in der Nähe stand, hielt er für keine gute Idee.

»Hm«, summte Vera genießerisch. Sie hatte bemerkt, wie er sie stattdessen mit Blicken von oben bis unten berührte.

»Darf ich?«, fragte er und nickte in Richtung ihres Weinglases.

»Alles«, hauchte sie.

»Ich meine dein Glas.« Er griff nach ihrem Glas. »Mich hat dein Anblick nämlich auch durstig gemacht.«

»Durstig wonach?« Sie leckte über ihre Lippen.

»Nach deinem Saft natürlich.« Er hielt das Weinglas hoch. Sie dagegen verstand, wie es wirklich gemeint war.

»Von dem kommt immer mehr.« Sie klimperte wie in Zeitlupe mit den Augenlidern und ließ sie verwegen gesenkt.

»Wir sind erst am Anfang der Verkostung.« Er trank einen Schluck und gab ihr das Glas zurück.

»Schön. Dann trinkst du erst von meinem Saft und ich später von deinem.«

»Wir haben einen Deal.« Sein Blick wanderte von ihren Augen zu ihren Brüsten. Sollte sie einen BH getragen haben, war es einer von der hauchdünnen Sorte. Da lediglich die Spaghettiträger des Kleides zu sehen waren, könnte sie trotz ihrer beeindruckenden Oberweite sogar auf einen BH verzichtet haben. Ihre aufgerichteten Nippel hypnotisierten ihn geradezu.

»Nicht nur bei dir hat sich etwas aufgestellt«, kommentierte sie sein Starren auf ihre Brustwarzen, die sich durch den eng anliegenden Stoff des kleinen Schwarzen drängten.

Diesmal war sie es, die ihm in den Schritt griff. Sie wollte sich der Richtigkeit ihrer Behauptung vergewissern. Sichtlich zufrieden zog sie ihre Hand zurück. Am liebsten hätte Oskar die Augen geschlossen und um eine Fortsetzung der Handgreiflichkeit angesucht. Aber

Wo war ihr Mann? Sie registrierte seinen dezent suchenden Blick.

»Suchst du Walter?«, fragte sie kokett.

»Suchen würd ich das nicht grad nennen…«

Vera schmunzelte und beugte sich zu seinem Ohr.

»Mach dir um Walter keine Sorgen mehr«, hauchte sie ihm in den Gehörgang.

Er grinste breit. Besser hätte auch er das nicht ausdrücken können. Nach erledigtem Job.

»Nun, dass ich mich um ihn sorge, würde ich auch nicht sagen.«

Was hatte sie mit ihrem Mann gemacht? Ihn ins Bett geschickt?

Und was macht Greg gerade? Ah, da ist er ja!

Greg hatte erwartungsgemäß ein wieder gut gefülltes Glas Wein in der Hand und winkte albern mit den Fingern. Er unterhielt sich mit einer üppig ausgestatteten Rothaarigen mit strenger Brille und ebenso strengen, zusammengesteckten Haaren. Die Frisur passte ihr gut. Ihr violettes Kleid wirkte weniger streng. Passte ihr erst recht gut. Es war in etwa das gleiche wie Veras Kleid, nur eben in violett – also sehr heiß. Die Dame hatte ebenso wie Vera die angemessenen, aufregenden Beine für dieses enge, kurze Kleid. Und den passenden Po. Das sah wohl auch Greg so. Er zwinkerte mit den Augenbrauen zu Oskar rüber. Greg war also bestens versorgt, sowohl in Sachen Wein als auch in Sachen Dame.

Vera ließ urplötzlich ihre Zungenspitze in Oskars Ohr kreisen und flüsterte ihm etwas. Er erschauerte.

»Du siehst, deinem Freund geht es gut. Lass uns tanzen.«

Ihm war zwar nicht ganz klar, warum es sich hier namentlich um eine Vernissage mit Weinverkostung handelte, da alle den Wein eher wahllos tranken als verkosteten… aber wenn das seine einzige ‚Sorge‘ war, sollte er langsam damit anfangen, lockerer zu werden und den Abend zu genießen. Die scharfe Vera hatte ihren Mann scheinbar erfolgreich entsorgt und bat zum Tanz. Seit einigen Minuten durchzuckten bunte Lichter die zuvor hell beleuchteten Räumlichkeiten. Ein DJ befeuerte das Ganze mit tanzbaren Rhythmen. Der offizielle Teil der sogenannten Vernissage mit Weinverkostung war vorbei, jetzt konnte gefeiert werden. Das musste der Grund sein, warum Oskar erst zwei Stunden nach Beginn der Vernissage ‚bestellt‘ wurde. Last but not least: Walter war inzwischen gegangen.

Vera nahm Oskars Hand und strebte mit ihm zu dem freien Platz in der Mitte des Ausstellungsraums, den schon andere Gäste als Tanzfläche eingeweiht hatten. Erwartungsgemäß machte sie auch beim Tanzen eine blendende Figur. In ihr schien das Traumpaar Körperbeherrschung und Körpergefühl zuhause zu sein. Ihre stiletto-artigen Highheels hielten sie nicht vom heißen, sinnlichen Tanzen ab… aber davon, ein drittes Weinglas mitzubringen. Natürlich eine Ausrede. Obwohl sie zu modernen Lounge-Beats nicht gerade auf Tuchfühlung tanzten, war die Tanzeinlage dennoch mehr Vorspiel als Tanz. Ein optischer Appetizer für den jeweils anderen. Sie schien zu wissen, dass auch er sich zu bewegen verstand. Oskar spürte die Blicke, die auf ihnen hafteten. Auch wenn er jede Wette darauf einging, dass sie mehr Sexy-Vera als ihm galten, so war doch die im Raum stehende Frage zu spüren, wer denn der neue Begleiter an Gesellschaftslöwin Vera Wallner-Enzis Seite war. Dass er ein potenzieller Lover sein könnte, war für die Anwesenden eine plausiblere Möglichkeit als für Veras Mann, der ohnehin durch Abwesenheit glänzte. Ein Mensch wie Walter gab der Bezeichnung ‚durch Abwesenheit glänzen‘ erst wirklich einen Sinn. Dass Vera nicht nur mit einem neuen Liebhaber, sondern auch mit ihrem designierten Mörder tanzte, wussten nur drei Menschen. Und da war auch schon der Dritte im Bunde. Oskar vermutete, dass Nikolas Tyron ihn schon eine Zeit lang beobachtet hatte. Nicky lehnte lässig an der Bar, an der Greg, Vera und Oskar gestanden hatten und paffte einen Zigarillo. Er zwinkerte Oskar zu. Dabei umspielte seinen Mund ein konspiratives Lächeln.

Vera und Oskar beendeten ihre Tanzeinlage. Nun sah auch sie Nicky.

»Oh, schau Oskar, Nicky ist auch da!«

»Natürlich ist er auch da.«

Sie lachte und zeigte ihre weißen Zähne, makellos wie alles an ihr… in optischer Hinsicht.

»Du weißt schon ganz gut, wer hier auf keinen Fall fehlen darf, mein Lieber.« Sie zog ihn von der Tanzfläche in Richtung des gemeinsamen Bekannten, ihres ‚lieben‘ Freundes, der ihren Tod orderte. Bei Vera konnte sich ein ausgewachsener Berufsmörder wie ein verliebter, schüchterner Schuljunge vorkommen, der von seiner Freundin durch die Gegend geschleift wird. Vera und Nicky küssten sich zur Begrüßung. Dass es eine vertraulichere Freundschaft zwischen den beiden sein musste, ließ sich an dem Kuss auf den Mund ersehen. Auch in der Bussi-Gesellschaft sind eher Wangenküsse die Regel. Nicky schmunzelte Oskar an, seine Augen glänzten. Der Blonde lächelte sein übliches unterkühltes Lächeln.

»Hallo Oskar.«

»Hallo Nicky.«

Die Männer gaben sich die Hand.

»Oskar war kein bisschen überrascht, dass du auch hier bist, mein Lieber«, plapperte Vera gut gelaunt.

»Ich bin sicher, dass er nicht überrascht ist, mich hier zu sehen. Er kennt mich schon ganz gut, schätze ich.«

»Hach, bei euch Männern ist das immer so einfach«, seufzte sie. »Ihr versteht euch blind, während wir Mädels nicht mal uns selbst verstehen. Erst recht nicht untereinander.«

»Das mag daran liegen, dass Oskar und ich einiges gemeinsam haben.«

»Ich hoffe, nicht alles.« Auch Vera verstand sich auf eindeutige Mehrdeutigkeiten. Sie grinste schelmisch.

»Kein Bange, Vera. Das haben wir nicht gemeinsam. Bedauerlicherweise für mich, glücklicherweise für euch zwei Turteltauben. Wenn es so wäre, wüsste ich es.«

»Sollte sich daran etwas ändern, erfährst du es als Erster, Nicky«, beteiligte sich Oskar an dem kleinen Schlagabtausch.

Vera lachte laut auf. Sie griff nach Oskar, der sie an der Taille hielt und die sich vor Lachen Schüttelnde stützte. Eine Taille, um die sie vorsichtig geschätzte 97 Prozent aller Frauen beneideten. Natürlich brauchte sie keine Stütze, aber er tat es ja nicht ganz selbstlos. Sie fühlte sich so gut an, wie sie aussah. Mindestens so gut. Und sie sah verdammt gut aus.

»Oh, das will ich hoffen, Oskar!« Nicky grinste spitzbübisch. Thema durch. Bei Nicky merkte man dieses Umschalten von einer Sekunde auf die andere in seinen Augen. Weniger an den sich kaum merklich verändernden, scheints immerwährend schmunzelnden Lippen. Seine Aufmerksamkeit galt nun Vera. »Was hast du mit deinem armen Mann gemacht? Nicht, dass ich dir und Oskar diese Ungestörtheit von deinem Bewacher nicht gönnen würde«, spitzte der clevere Genussmensch.

»Sei bitte nicht respektlos, Nicky.«

Aha, Nicky kennt Veras wunden Punkt und hat ihn zielsicher getroffen!

Keine Sprüche über die Beziehung zu ihrem Mann!

»Ich hatte etwas anderes für ihn an diesem Abend vorgesehen«, klärte sie auf, ohne wirklich aufzuklären.

»Genauso wie für dich. Aber er war doch vorhin da«, hauchte Nicky, vorgeblich freundlich und vorsichtig, aber in Wirklichkeit scharf und provokant. Eine Spezialität des Hauses Nikolas Tyron. Dieses Nachkitzeln beantwortete Vera nur mit einem mehrfach geklimperten Augenaufschlag. Vielleicht war Nikolas Tyron schon länger da, als es den Anschein machte. Er wusste, dass Veras Mann zuvor hier gewesen war. Gut, Walters Anwesenheit hätte ihm auch jemand anders gesteckt haben können. Oskar kannte das nur oberflächlich freundschaftliche Wortgeplänkel der ach so feinen Leute zur Genüge, aber bei diesen beiden lag viel mehr zwischen den Zeilen als in den üblichen in Watte gepackten Gehässigkeiten. Nicht nur, weil beide intelligenter als die überwältigende Mehrheit der übrigen Bussi-Gesellschaft waren. Das Ballyhoo reicher Leute kratzt nur an der Oberfläche. Das hier ging tiefer.

Wie tief? Auf jeden Fall tief genug, sodass Nicky Veras Tod in Auftrag gab. Viel tiefer konnte es kaum gehen. Der deutsche Profi hatte gegenüber seinem amerikanischen Jobvermittler die Vermutung geäußert, dass Veras Mann nur deswegen mit auf der Abschussliste stand, weil er auch diesem Sinne bestenfalls ihr Anhang war. Es ging um Nicky und Vera. In dem Punkt war er sich sicher.

Was ist zwischen den beiden? Weswegen will Nicky Veras Tod?

Diese Fragen waren tabu, daran ließ der Auftraggeber keinen Zweifel aufkommen. Aber die Gedanken sind frei. Der schlaue Fuchs Nicky wusste natürlich, dass Oskar sich Gedanken darüber machte. Weil er Vera lieber nicht als Teil seines Jobs sehen würde. Aber sie war nunmal sogar der Hauptteil. Auch daran gab es keinen Zweifel.

Vera hatte ‚etwas anderes für ihren Mann vorgesehen‘. Diese Formulierung ließ nicht auf einen Respekt für ihren Mann schließen, den sie von anderen einforderte. Oskar kam sich in dieser Gesellschaft seltsam normal vor. Und das als Berufsmörder. Wie gut, dass es noch Greg gab, um das auszugleichen. Der Amerikaner bugsierte sich zu den Dreien an die Bar durch. Anscheinend hatte er seine Rote stehengelassen… oder sie ihn. Vera gestikulierte übertrieben, wies auf Greg und auf Nicky.

»Nicky, darf ich dir Greg vorstellen? Greg, darf ich dir Nicky vorstellen?

Ihr entschuldigt uns.«

Sie drehte den beiden anderen den Rücken zu und steckte Oskar wieder ihre Zungenspitze ins Ohr, kündigte an, es nicht beim Ohrzüngeln belassen zu wollen.

»Ich will, dass du mir gleich deine Zunge zwischen die Lippen schiebst«, insistierte sie.

»Bist du schon sicher, zwischen welche Lippen?«

»Fangen wir erstmal oben an.«

Vera und Oskar zogen sich in einen weniger exponierten Bereich zurück und testeten ihre kusstechnische Kompatibilität aus. Die war so hervorragend wie erwartet.

»Sie sind also Nikolas Tyron.«

Greg musterte sein Gegenüber. Welten trafen aufeinander, augenscheinlich grundverschiedene Welten.

»Nennen Sie mich Nicky.« Nikolas Tyron nahm seinen Zigarillo in die linke Hand und streckte die nun freie rechte nach dem Amerikaner aus.

»Greg Norman.«

»Ich weiß. Hallo Greg!«

»Hi.«

Der ebenso clevere wie stinkreiche Snob besah sich Greg genau. Das ließ den etwas unruhig werden, wenn auch unmerklich für normale Menschen.

»Norman ist kein jüdischer Name«, brachte Nicky unvermittelt hervor. Natürlich kannte er den offiziellen Nachnamen seiner Kontaktperson für den ursprünglichen Mordauftrag an sich selbst bereits vorher.

»Nein. Ein amerikanischer natürlich. Schließlich bin ich Amerikaner.«

»Wohl eher ein normannischer. Nordisch sehen Sie aber nicht gerade aus.

Wie heißt Ihre Familie wirklich, Greg? Ich meine: ursprünglich.«

»Sie glauben doch wohl nicht, dass ich das beantworte.«

Nickys unveränderter, cool-freundlicher Gesichtsausdruck, geprägt von einem unnachahmlichen, leicht süffisanten Lächeln konnte auf vieles schließen lassen. Auch darauf, dass er keine Sekunde daran dachte, von Gregory David Norman Morgenstern III den wahren Nachnamen zu erfahren. Nikolas Tyrons sexuelle Orientierung blieb Greg nicht verborgen. Das wäre auch dann der Fall gewesen, falls Oskar ihn nicht am Vortag darüber in Kenntnis gesetzt hätte. Insofern war dieser Hinweis mehr Vorbereitung als Information, abzielend auf sozialverträgliches Benehmen des Amerikaners.

Greg hasste Schwule.

Oskar hoffte, sein Partner würde sich zusammenreißen, falls erwartungsgemäß auch der zum Auftraggeber aufgestiegene Ex-Kunde auf dieser Veranstaltung anwesend sein sollte. Zum einen war dieser nunmal der Auftraggeber und damit auch Geldgeber, zum anderen mochte er Nicky. Darüberhinaus war Nikolas Tyron alles andere als ein geiziger Auftraggeber. Das Honorar passte, sehr gut sogar. Schon aus diesem kühlen Grunde sollte Greg es sich nicht mit Nicky verscherzen. Noch im Taxi erklang die Parole: »Sei freundlich, Greg!«

Ein hoch und heiliges Versprechen konnte er dem Amerikaner nicht gerade abnehmen, aber der derart Vergatterte sagte zumindest zu.

»Tolle Party hier«, smalltalkte Greg. Er hielt sich ans Briefing. Noch.

»Hmm«, summte Nicky bestätigend, nuckelte an seinem Zigarillo und musterte ihn. Gregs mordende und doch zivilisiertere Hälfte befand sich derweil mit der Zielperson knutschend und fummelnd in einer schummerigen Ecke der Lokalität und hoffte inständig, dass sich die beiden vertragen würden. Hoffentlich brachte keiner irgendeinen Schlüsselsatz, der das Ganze eskalieren ließ.

»Ich hörte, dass Sie auch recht tolle Partys schmeißen, Nicky«, fuhr Greg fort. So weit, so gut.

»Hmhmm.« Nicky nickte und fixierte ihn nach wie vor. Erwartungsgemäß fühlte Greg sich unwohl, noch unwohler als zuvor.

»Sagen Sie, Greg…«

»Ja, was, äh…?« Nikolas Tyrons Gesprächseröffnung hielt Greg vom Gebrauch einer Höflichkeitsfloskel ab, um sich absentieren und auf die Suche nach dem Verbleib der Rothaarigen begeben zu können.

»Waren Sie eigentlich schon immer homophob?«

»Was???«

Nicky dämpfte seinen Zigarillo aus.

»Ich meine, ob Sie immer schon ein Schwulenhasser waren.«

Gregory David Norman Morgenstern fror geradezu ein. Sein Hirn und sein Mund aber nicht.

»Und Sie? Waren Sie schon immer Antisemit?«

»Bislang nicht. Aber wenn Sie möchten, fange ich gleich morgen damit an.«

Nikolas Tyrons gehauchte, vorgebliche Freundlichkeit war so unüberbietbar wie unbezahlbar. Greg musste grinsen, schüttelte den Kopf. Seine Gedanken brauchte er nicht in gesprochene Worte zu fassen, Nicky ahnte sie ohnehin: ‚Eine Schwuchtel wie der ist mir auch noch nie begegnet!‘

»Scheiß auf den Wein, Greg. Lass uns einen Whisky trinken«, schlug Nikolas Tyron – auch sprachlich – ungewohnt volksnah vor. »Hast du geglaubt, dass wir Schwuchteln nur auf schwules Gesöff stehen?«

»Ich will gar nicht darüber nachdenken, auf welche Flüssigkeiten ihr steht, aber einen anständigen Whisky trinke ich schon mit dir!«

»Ich hab nur anständige Whiskys. Frag Oskar.« Nicky drehte sich zum Barkeeper. »Meine Flasche, bitte.«

»Welche darf‘s sein, Herr Tyron?«, kam es dienstbeflissen.

»Oh, hab ich hier auch schon mehrere stehen.

Hab ich einen Cragganmore hier?«

»Ja.« Ein sehr lebhaftes Ja mit einem kleinen Hüpfer am Ende.

»Den! Zwei Erwachsene, bitte.«

Der Barkeeper nickte und schenkte eine Menge ein, die durstigen Desperados nach einem Ritt durch die Wüste gereicht wird.

»Bild dir aber nichts drauf ein, weil ich jetzt nen Whisky mit dir schlürfe!« Greg stieß mit Nicky an.

»Lieber Greg, in Bezug auf dich bilde ich mir maximal nichts ein! Du kannst ganz beruhigt trinken. Cheers!« Damit hatte der Galerist vornehm umschrieben, dass Greg nicht einmal dann sein Typ wäre, wenn er sich ihm in einer hinten offenen Lederhose anbieten würde. Der Amerikaner wirkte daraufhin deutlich entspannter. Er entwickelte sogar den Anflug einer gewissen Sympathie für ‚diese Schwuchtel‘. Nikolas Tyron hatte unbestreitbar ein einnehmendes Wesen. Wenn man mit seiner Art konnte.

»Cheers.«

Vera und Oskar hatten die Schmuserei beendet, um ihren offiziellen Abschied anzukündigen. Das Ganze gehörte in ungestörter Zweisamkeit fortgesetzt und intensiviert. Sie erreichten die Bar, an der sein Geschäftspartner und der Auftraggeber lehnten, die sich gemeinsam an Whisky gütlich taten. Von wegen Weinverkostung! Wie auch immer: Er sah es mit Freuden.

»Ihr scheint euch ja bestens zu verstehen.« Seine gewohnt unterkühlte Stimme ließ nur für Insider darauf schließen, dass er angenehm überrascht war, die beiden konträren Persönlichkeiten in trauter Eintracht einen Whisky kippen zu sehen.

»Jetzt weiß ich, warum du… ihn magst.« Greg deutete mit seinem Daumen auf Nicky. Der registrierte das eben Gesagte nur mit einem breiten Grinser und zwinkerte Oskar beidäugig zu. Es war auch für ihn nachvollziehbar, dass die Pause in dieser Feststellung ein Auslasser für ‚diese Schwuchtel‘ oder ähnliches war. Dennoch war es für Gregs Maßstäbe ein nettes Kompliment. Erst recht für einen Schwulenhasser wie ihn. Der Verzicht auf den Hinweis auf Nickys sexuelle Orientierung war ein weiteres Indiz, dass sich die beiden zwischenzeitlich zusammengerauft hatten. Oskar war wirklich erleichtert. Für jemanden wie Greg gab es im gesellschaftlichen Kontext absolut keine Gewähr. Auch unabhängig von der Tatsache, welcher Profession er und Oskar nachgingen.

»Wir werden uns zurückziehen, ihr zwei Hübschen«, spitzte Oskar aufgrund der guten Stimmung. Er hätte sich die ‚zwei Hübschen‘ nie in Bezug auf diese beiden getraut, wenn noch unterschwellige Feindseligkeit seitens Greg zu ‚dieser Schwuchtel‘ in der Luft gelegen hätte.

»Macht das, Nicky und ich kommen zurecht«, war es dann auch sein Jobvermittler, der das bestätigte.

»Viel Spaß, ihr zwei«, schloss sich Nicky an. Er zwinkerte wieder nur Oskar, nicht Vera zu. Vera und er küssten sich zur Verabschiedung. Greg und Vera verabschiedeten sich anschließend per Wangenküsschen. Barrieren rissen hier ein. Alles deutete auf das Entstehen neuer Freundschaften hin. Es kostete Oskar einige Sekunden und entsprechendes Hirnschmalz, wieder mal über die Perversität seines Berufes nachzudenken. Aber in dieser Perversität war nicht nur er, sondern alle der hier anwesenden ‚neuen Freunde‘ eingebunden. Ob als Täter oder Opfer.

»Ich hol schon mal meine Jacke und check uns dann ein Taxi. Kommst du dann raus?«, fragte Vera.

»Ich wüsste nicht, was ich lieber täte.« Oskar zwinkerte, sie strebte Richtung Ausgang.

Nicky ergriff Oskars Arm – schnell und behänd wie mittlerweile bekannt. Der Galerist sagte nichts, er sah seinen Auftragnehmer nur an. Dann zog er Oskar näher an sich heran, schirmte sich quasi mit ihm ab. Er schmunzelte kaum merklich, gewohnt verwegen. Was zuerst wie ein beherzter Annäherungsversuch wirkte, war ein flinker Austausch von Schalldämpfer und Walther von Jackett zu Jackett. Geschickt, schnell, für andere unsichtbar. Greg hob verwundert beide Augenbrauen. Er hatte die Aktion mitbekommen. Trotz seines Alkoholkonsums war er nach wie vor ganz erfahrener, aufmerksamer Profi.

»Ich hatte dir ja gesagt, dass ich sie dir wiedergebe.«

»Heute nicht, Nicky.« Das war kein Vorschlag von Oskars Seite. Und es war ihm scheißegal, ob sein Auftraggeber das goutieren würde oder nicht. Sollte sich Nicky hier und jetzt vor ihm aufbauen, würde er mit ihm den Fußboden aufwischen. Scheiß auf die Gage, scheiß auf die Verhaltensregeln, die er Greg angedeihen ließ. Wurden gewisse Limits überschritten, überschritt Oskar alle Limits, ungeachtet etwaiger Konsequenzen. Genau das schien der frischgebackene Auftraggeber zu merken. Oskar Randow war definitiv der Verkehrte, um sich mit ihm anzulegen. Hier waren keine automatischen Laserkanonen, die Nicky Tyron den Arsch retten würden.

»Hast du grad noch was anderes Dringendes zu tun? Ich meine einen anderen Job. Dass du mit Vera noch etwas anderes Dringendes vorhast, weiß ich sehr wohl.« Die Ablehnung schien Nicky nicht zu schockieren. Aber diese neugierige Nachfrage machte Oskar stutzig.

»Nein. Nur das mit Vera. Aber erstmal das andere Dringende mit ihr.«

»Dachte ich mir.« Nickys Gesicht klarte sich auf. »Es muss auch nicht heute sein. Wie ich sagte: Genieße sie erst einmal.« Sein Schmunzeln wurde wieder versöhnlicher, auch konspirativer. »Auch ich hätte heute bei ihrem Anblick einen Steifen gekriegt.« Oskar sah Nicky fragend an: ‚hätte? Der Snob führte sein Glas zum Mund, flüsterte »Stünde ich auf Frauen« und trank.

Greg, der auch das mitbekam, lachte schallend und leerte sein Whiskyglas. Ihm war nach mehr Whisky. Nicky hatte die trinktechnische Verlegenheit des Amerikaners mitbekommen, obwohl er gerade mit Oskar beschäftigt war.

»Lass dir noch einen einschenken, Greg!«, sprach er aus, ohne sich zu Greg umzudrehen. Er fixierte weiterhin Oskar, genauso wie der ihn.

»Hast du bestimmte zeitliche Vorstellungen, Nicky? Ein Limit? Du bist unser Auftraggeber. Du bist der Chef«, gab Oskar sich versöhnlich. Für seine Verhältnisse war es fast schon untertänig.

Der Blick des Galeristen durchbohrte ihn, während Greg sich wie geheißen noch einen aus den privaten Flaschen einschenken ließ. Selbst in dieser Situation machte Nicky kein unfreundliches Gesicht. Das angedeutete Schmunzeln schien in der Tat sein ‚Basisgesicht‘ zu sein. Diesmal aber war es für seine Maßstäbe ernst.

»Ja. Ich bin der Chef. Um deine Frage zu beantworten, Oskar: Wir sollten nicht bis zur nächsten Jahreszeit warten.«

Das war ungewöhnlich viel Zeit für einen Job. Mehr als genug Zeit, um Vera auszukosten. Bis zum Herbst wollte auch er das längst hinter sich haben. Es ist nicht gut, sich an einen Kunden zu gewöhnen oder gar mehr noch. Aber diese Gefahr sah Oskar nicht. Er verließ sich auf seine ‚eingebauten‘ Sicherungen, die er sich vor Jahren antrainiert hatte und ihn vor emotionalen Enttäuschungen schützen sollten. Die funktionierten immer und waren erst recht in einem solchen Broterwerb mehr als nützlich. Also: komfortabel – alles! Der blonde Berufsmörder schmunzelte.

Als ob Nicky seine Gedanken lesen konnte, korrigierte er ihn.

»Wir haben noch keinen Sommer, Oskar«, säuselte er.

Es war der letzte Tag im Mai. Trotz sommerlicher Temperaturen, demnach gefühltem Sommer mit fantastischen Frauen wie Vera in kurzen, dünnen Gewändern, begann der Sommer erst in drei Wochen. Oder schon in drei Wochen. Der Sommer war die nächste Jahreszeit, insofern war Vera innerhalb der nächsten drei Wochen zu erledigen. Trotzdem war es eine relativ komfortable Zeitspanne für Tötungsjobs, wie Oskar sie gewohnt war. Seine Enttäuschung hielt sich daher in Grenzen.

»Alles klar, Nicky.«

Nicky entließ Oskars Arm.

»Schönen Abend, Oskar.«

»Danke.«

Oskar ging. Vera wartete draußen.

Greg hatte derweil mit dem Barkeeper ein fachliches Gespräch über die richtige Menge beim Einschenken von Whiskys geführt und drehte sich nach Erhalt eines reichlich aufgefüllten Glases wieder nach vorn. Sein stets ordinär klingendes »hähähä«, das hier als Fazit des ‚Fachgesprächs‘ fungierte, erstickte schlagartig. Oskar war nicht mehr da.

»Wo ist der Schmock hin?«

»Falls du unseren lieben Freund Oskar meinst: gegangen… mit Vera.« Nicky hob mit einer Mischung aus gespieltem Bedauern und Gleichgültigkeit die Augenbrauen. Der heuchlerisch mitfühlende, snobistische Tonfall unterstrich die Mimik perfekt. Er zog an einem frisch angezündeten Zigarillo.

»Ohne sich richtig von mir zu verabschieden?« Der zotige Amerikaner konnte in der Tat empfindlich, gar sensibel sein. Er kramte hektisch eine Zigarette hervor, der Barkeeper gab ihm Feuer. Nickys Schmunzeln wurde breiter. Für diesen kleinen Triumph hatte er allen Grund:

Der unschwulste Mensch auf Gottes Erdboden war angerührt, weil sich sein einziger Freund nicht gesondert von ihm verabschiedet hatte.

»Greg, Oskar tat es sicher nicht absichtlich. Er hatte nur andere Prioritäten. Cheers!« Nicky stieß mit ihm an.

Greg besah sich den mittlerweile auf einem Barhocker sitzenden Nikolas Tyron genau. Irgendwie mochte er zu seiner eigenen Überraschung ‚diese kleine Schwuchtel‘, wie er es wohl ausgedrückt hätte, aber auch er wurde nicht schlau aus ihm. Sein selten irrender Instinkt hielt den Galeristen für gefährlich. Genauso wie sein Geschäftspartner es tat. Mit einem Unterschied: Oskar hielt Nicky nicht nur für gefährlich.

Er wusste, dass er es war.

»Weißt du, Männerfreund Nicky…«, hob diesmal Greg bewusst zweideutig an. Seine mehr als überdurchschnittliche Intelligenz verließ ihn auch dann selten, wenn er viel trank. Denn das tat er meistens.

Er beendete den Satz sogar noch zweideutiger. Auch Nicky sollte merken, es nicht mit einem Dummkopf zu tun zu haben.

»… ich glaube, du bist einer von uns. … Cheers!«

Oskar trifft die Todesgöttin

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