Читать книгу Oskar trifft die Todesgöttin - Jörgen Dingler - Страница 9

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Drei.

Wien, Juni 2011

»Was war denn da vorhin mit Nicky und dir?«

Oskar hatte es ja geahnt. Das clevere Luder Vera war nunmal nicht nur ein Luder, sondern auch clever.

»Männliche Hochzieherei. Vergiss es.«

»Männlich ist ein Attribut, das mich bei Nicky eher irritiert.«

»Aber doch nicht bei mir.« Er küsste sie. Zur Verstärkung griff er ihr in den Schritt. Sie war aufnahmebereit: heiß und feucht. Der Taxifahrer sah in den Rückspiegel, drehte ihn zielgerecht, um beobachten zu können, was sich auf den Rücksitzen seiner Kraftdroschke abspielte. Die heiße Vera in ihrem so engen wie kurzen Kleid hatte bereits beim Heranwinken die Aufmerksamkeit des Taxilenkers auf sich gezogen. Der war dann enttäuscht, als er zum Warten auf einen Freund vergattert wurde, der sich später in Form von Oskar dazu gesellte. Das machte einen Strich durch sein Ansinnen, seinem heißen weiblichen Fahrgast einen Flirtversuch zukommen zu lassen.

Auf mittlerer Höhe der inneren Mariahilfer Straße ließ Oskar den Fahrer anhalten. Wie erwartet sollte das erste Ausleben gegenseitiger intimer Gelüste in Oskars Wohnung stattfinden.

»Halten Sie bitte da vorn«, sagte er. Der Fahrer reagierte zuerst nicht, sodass er ein etwas lauteres »Hallo?!« nachschob.

»Tschuldigen, ja klar.«

Vera grinste. Auch sie hatte etwas zu tun, als Oskar den Fahrer bezahlte.

»Passt so.«

»Danke, der Herr.«

»Und das ist von mir. Für Sie«, sprachs und drückte dem Taxifahrer ihr winziges transparent-schwarzes Höschen in die Hand. »Ist noch ganz frisch nass«, fügte sie lasziv an und leckte über ihre Lippen. Oskar riss staunend die Augen und anschließend die Autotür auf. Er hielt sie auf und ließ Vera aussteigen.

»Gute Nacht«, hauchte Vera ebenso sinnlich, wie sie Greg auf der Vernissage begrüßt hatte. Den beiden Männern blieben die Worte im Hals stecken.

Sie schlenderten durch die winzige Kollergerngasse, eine Parallelgasse der Nelkengasse, in der sich das kultig-skurrile Tanzcafé ‚Jenseits‘ befand. Oskar hatte es schon öfters als passend empfunden, dass ein Lokal namens ‚Jenseits‘ in Fußweite der Behausung eines Profikillers lag.

»Ist noch ganz frisch nass«, raunzte er kopfschüttelnd und grinste. Sie war bei ihm eingehakt und schwankte trunken vor Lachen.

»Hahaha!« Ihre großen braunen Augen fixierten ihn. Mit ihrem dämonischen Grinsen wirkte das fast schon gefährlich. »Sieh zu, dass sie nass bleibt!«, zischte sie und züngelte anschließend über seine Lippen.

»Aber gern doch.« Er küsste sie, benässte anschließend seinen Zeigefinger an ihrer Zunge und steckte ihn sehr gefühlvoll in ihre nunmehr unbedeckte Spalte. Ihr Kleid war dermaßen kurz, dass er es kaum anheben musste, um an ihr Heiligtum zu gelangen. Vera zuckte auf, stöhnte.

»Du weißt, wie man das macht«, lobte sie erregt und züngelte erneut. Die besser beleuchtete Schadekgasse tat sich vor ihnen auf. Oskar zog seinen Finger unter ihrem enttäuschten Blick wieder aus ihrer Lusthöhle und sah sie entschuldigend an. Er nickte zu dem Hauseingang an der Ecke.

»Wir sind da«, bemerkte er, sodass sie Mr. Spock gleich eine Augenbraue hochzog und ihn fixierte. »Meine Wohnung ist ganz oben.« Er hielt seinen Finger in die Höhe, nicht nur, um das ‚ganz oben‘ zu symbolisieren. »Im Lift kann ich ihn wieder in dir aufwärmen, wenn‘s recht ist.«

»Du hast immer so gute Ideen, Oskaaar.«

Nachdem sie seine Dachgeschosswohnung enterten, gönnte er sich und seinem weiblichen Besuch noch einen kühlen Prosecco zum Ankommen. Zuvor hatte ihn ihre auffallende Aufmerksamkeit irritiert, als er den Daumen auf den Scanner gelegt hatte. Der Scanner, der Zutritt zu seiner Wohnung gewährte. Sie hatte ihn genau beobachtet – eine nicht nur auffallende (wenngleich aus den Augenwinkeln registriert), eine geradezu professionelle Aufmerksamkeit. Und diese genaue Beobachtung war sicher nicht seinem flapsigen Spruch geschuldet (»Wie gut, dass man hierfür den Daumen braucht«, mit einem Nicken auf seinen nassen Zeigefinger).

Gut. Sie tranken nach dem Eintreten Prosecco. Anschließend fiel er ohne schuldhafte Verzögerung über Vera her. Er tat nicht mehr und nicht weniger als das, was sich neun von zehn Männern beim Anblick ihres heutigen ‚Fick mich‘-Aufzuges, diesmal in Gestalt des megakleinen Schwarzen gedacht hatten. Und er war derjenige, der es in die Tat umsetzen durfte. Dieses Privileg kostete er aus, indem er sie noch in der Küche im Stehen nahm – quasi die Vorspeise, später würden sie ohnehin im Bett landen. Damit traf er Veras Geschmack. Sie stützte sich auf die Anrichte und drückte ihm jubilierend und anfeuernd ihre göttlichen, prallen Arschbacken entgegen.

Das Leben kann schon sch ö n sein. Wenn man denn noch lebt.

Kärnten, Juni 2011

Wir sollten nicht bis zur n ä chsten Jahreszeit warten.

In Oskars Kopf hallten die Worte seines Auftraggebers wider. Von den drei Wochen bis Sommeranfang, den drei Wochen, während der Vera zu erledigen war, waren jetzt knapp zwei vergangen. Ihr Mann war immer noch nicht wieder aufgetaucht. Der zuvor omnipräsente, eifersüchtige Bewacher seiner Frau war wie vom Erdboden verschluckt.

Eine wie Vera hatte er noch nie. Das lag nicht nur daran, dass der Sex mit ihr grandios war. Auch dann keine wirkliche Überraschung, falls sie sich nicht selbst als ‚den Fick seines Lebens‘ angepriesen hätte. Sie hatte nicht übertrieben. Vera verstand es, einen Liebhaber schwindlig zu bumsen… und ihn dazu zu bringen, sie schwindlig zu bumsen. Auch bei noch näherer Betrachtung als es ihre offenherzigen Kleider zuließen, war ihr Körper perfekt bis in jede einzelne Pore. Ein kleiner Schönheitsfehler, den sie vor dem Ausgehen geschickt unter speziellem Make-up zu verbergen verstand, steigerte nach Oskars Wahrnehmung sogar ihre Attraktivität. Dieser ‚Makel‘ machte Vera nur noch interessanter, bewahrte er doch vor geradezu langweiliger Perfektion: zwei schmale, aber tiefe Narben mitten auf der Stirn. Er identifizierte es klar als Narben, da Veras Stirn trotz ihres Alters so gut wie faltenfrei war. Diese gut kaschierte Irritation passte zu ihrer Verwegenheit, verlieh sie ihr doch zusätzlich etwas Geheimnisvolles. Anblick, Stimme, Haptik – alles an ihr entfesselte Begehren. Zudem duftete und schmeckte sie immer höchst appetitlich, auch ohne künstliche Zusatzstoffe wie ihre ausgesucht teuren Parfums. Sie war eine geradezu göttliche Geliebte, wie ihr Körper nahezu perfekt. Nahezu, weil mit einer entscheidenden Einschränkung: Für jemanden mit einem schwachen Herzen war diese Frau garantiert keine Empfehlung – medizinisch wie emotional. Es brauchte wohl einen alten unsensiblen, realitätsverweigernden Misanthropen, um sie auf Dauer ertragen zu können. Apropos Walter: Die wundersame Abwesenheit ihres Mannes nutzte sie dazu, Oskar nicht nur auffallend häufig zu treffen, sondern auch nicht davor zurückzuschrecken, ihn in gesellschaftliche Ereignisse an ihrer Seite einbauen zu wollen. Von Letzteren nahm er so weit es ging Abstand und dachte sich Ausreden aus, warum er sie nicht zu dem ein oder anderen Event oder Essen mit Freunden begleiten konnte.

Wollte sie ihn als potenziellen Nachfolger ihres wundersam entschwundenen Walters in die Gesellschaft einführen? Eine Schnapsidee, wie Oskar befand. Vor allem kontraproduktiv für seinen Auftrag. Den Mann, der sie umzubringen hat, als neuen Mann an der Seite der Frau Dr. Vera Wallner-Enzi der Wiener Bussi-Gesellschaft quasi hochoffiziell vorzustellen. Noch dazu traute er Vera keine Handbreit über den Weg. Es gelang ihm nicht immer, sich vor den gesellschaftlichen ‚Verpflichtungen‘ einer Partylöwin zu drücken, die ihn als ihren neuen Begleiter erwählt hatte. Vera bekam seine flexible Zeiteinteilung schon aufgrund häufiger Tagesfreizeit mit. Ein Umstand, den er mit seinem Dasein als Freiberufler in der Softwarebranche erklärte und daher nicht alle Ausreden aufgrund irgendwelcher Verpflichtungen rechtfertigte. So nutzten beide ihre zeitliche Flexibilität, um sich zu treffen und übereinander herzufallen. Vera erklärte ihre zeitliche Flexibilität damit, dass sie allenfalls noch sporadisch als Psychologin praktizierte – auf besonderen Wunsch für besondere Klienten. ‚Besonders‘ auch im Sinne von ‚besonders zahlungskräftig‘. Dass Nikolas Tyron ebenfalls mal zu Frau Dr. Wallner-Enzis Klienten gezählt hatte, stützte ihre Aussage betreffend der besonderen und besonders zahlungskräftigen Klienten. Er ließ sie allerdings nicht an seinem Wissen darüber teilhaben. Sie hatte es todsicher nicht mehr nötig, noch zu arbeiten. Ihr Walter musste ein Übriges dazu beigetragen haben. Falls es nicht die Aussicht auf existenzielle Sicherheit und Wohlstand war, was eine Frau wie sie den dickbäuchigen alten Griesgram erhören ließ… was denn dann?

Die heiße Frau Doktor hielt sich zur Abwesenheit ihres Mannes sowohl Oskar als auch Freunden gegenüber verschlossen. Natürlich wurde sie das ein oder andere Mal gefragt, wo denn ihr Walter abgeblieben sei. Allen war klar, dass Vera es immer schon recht bunt trieb, aber die andauernde Abwesenheit ihres Mannes war dann doch außergewöhnlich. Als Antwort gab sie stets Vera-typisch eine Nichtinformation zum Besten, nämlich den Blödsinn ‚Walter ist auf einem Selbstfindungstrip‘. Noch bevor Nachfragen kommen konnten, riegelte sie mit einem entschlossenen ‚anderes Thema‘ ab. Dieses Thema schien bei ihr so durch zu sein, wie ein Thema nur durch sein konnte. Ultimativ durch.

Oskar war gewarnt. Die Frau, die er anfangs für eine altgeile, blondierte, nicht allzu intelligente Gesellschaftstussi hielt, war in mancherlei Hinsicht eine höchst anspruchsvolle Kundin. Obendrein war sie gefährlich. Das ominöse Verschwinden ihres eifersüchtigen alten Gockels aus Selbstfindungsgründen war ihm eine zusätzliche Warnung. Alles sprach dafür, dass es Walter nicht nur in Veras Leben nicht mehr gab. Und dass sie es so eingerichtet hatte.

Ein Mann wie Walter auf dem Selbstfindungstrip dass ich nicht lache!

Walter war sicherlich kein Dummkopf, besaß nach Oskars Einschätzung aber die Nachdenklichkeit und Selbstreflexionsfähigkeit eines Eisenbiegers. Veras Mann war definitiv kein Kandidat für esoterische Anwandlungen. Die einzige Sensibilität dieses Menschen bestand in der Eifersucht bezüglich seiner Frau.

Was tischt Vera uns da auf? H ä lt sie jeden f ü r bl ö d? Oder ist sie derart schmerzfrei, dass es ihr egal ist, was man ihr abnimmt und was nicht?

All das waren Indizien, sich nach Walters Verschwinden auch sehr bald um ihr Verschwinden kümmern zu müssen. Auftraggeber Nikolas Tyron machte glücklicherweise keinen Druck. Das Briefing war klar. Nicky war seinerzeit unmissverständlich und sah keinen Anlass für weiteres Urgieren. Zudem gehörte auch diese gönnerhafte Parole zu seinem Briefing: Genieße Vera erstmal!

Das tat Oskar. Und nach nicht einmal zwei Wochen sollte damit Schluss sein. Ihre Gefährlichkeit erkennend, machte er sich hauptsächlich Gedanken darüber, wie er es am dezentesten und damit gefahrlosesten über die Bühne bringen sollte. Seine Gewissensbisse gegenüber einer Kundin, mit der er intim verkehrte, hielten sich längst in vertretbaren Grenzen. Vera war ein ausgetragenes Luder. Sie hatte für eine nachhaltige Abwesenheit ihres Mannes gesorgt, ihm also die Hälfte seiner Arbeit abgenommen. Das ließ keine Zweifel an ihrer Skrupellosigkeit aufkommen, was wiederum Oskars Zweifel oder gar ein schlechtes Gewissen gen Null pendeln ließ. Ja, ihre Abgefeimtheit machte es ihm leichter. Auch in einem anderen Punkt war ihr zu danken: Sie selbst gab ihm die Steilvorlage zur idealen Lösung, wie sie am unauffälligsten zu erledigen war. Vera schlug einen Trip nach Kärnten vor. Glücklicherweise nicht zur Kärntner Außenstelle der Wiener Bussigesellschaft, ins mondäne Velden am Wörthersee, sondern zu einer Almhütte, die ihrem Mann gehörte. Das verhieß Abgeschiedenheit statt angekündigtes Abfeiern am Wörthersee. Perfekt für Oskars Vorhaben. Die Wahl der Almhütte sah er als weiteres Indiz für Walters Dahinscheiden. Laut Vera suchte der diese Almhütte immer dann auf, wenn er der Großstadt entfliehen wollte. Walter Wallner war weder in Wien noch in diesem Landdomizil. Sie würde kaum mit Oskar dorthin fahren wollen, wo man den guten Walter auf einem Selbstfindungstrip vorfände.

So lenkte Frau Dr. Vera Wallner-Enzi ihr BMW 330i Cabriolet über die Südautobahn Richtung Kärnten. An Bord die Frühsommersonne, gute Laune… und Oskar. Die Alm sollte laut Vera sehr abgeschieden sein. Das Richtige für einen lauschigen Kurztrip zu zweit. Und nicht nur dafür.

Es kam, wie von Oskar befürchtet.

Nachdem Vera ihr Cabrio eine ganze Zeit lang über Kärntner Landstraßen gescheucht hatte, bog sie in einen Waldweg ein. Nach ein paar hundert Metern kamen sie an eine Schranke, die den Forstweg und damit die Weiterfahrt versperrte. Sie hielt vor der Schranke und wedelte mit einem Schlüsselbund, den passenden Schlüssel mit spitzen Fingern haltend.

»Oskar, würdest du bitte«, sprachs und grinste ihn an.

»Ja, klar.« Oskar stieg aus dem Wagen, entriegelte die Schranke, hob sie, ließ Vera passieren, senkte den Schlagbaum und sperrte ab. Dann hüpfte er wieder zu ihr ins Auto.

»Danke«, hauchte sie, grinste und gab ihm einen Kuss auf den Mund.

»Aber gern.«

Diese ‚Straße‘ war eher für das Befahren mit Forstfahrzeugen konzipiert, insofern musste selbst die flotte Vera ihr Tempo diesem Terrain anpassen. Sie fuhren etwa eine halbe Stunde und kletterten von 400 Meter Höhenniveau der Landstraße auf gut 1100 Meter (der Bordcomputer des BMW besaß einen Höhenmesser). Eine Almhütte ist eine Almhütte. Er würde den ganzen Weg zur Landstraße und zur nächsten kleinen Ortschaft zu Fuß zurücklegen müssen. Das hatte er befürchtet. Es käme sicher nicht so gut, mit dem eventuell im Ort bekannten Wagen der frisch Verschiedenen durch die Gegend zu brausen. Das Auto der gerade bedienten Kundin als Fluchtfahrzeug? Suboptimal.

Nach der Fahrt durch das Dickicht der kärntnerischen Wälder tauchte irgendwann eine Lichtung auf. Mitten in der Lichtung leuchtete ihnen die Almhütte entgegen. Bei der Hütte handelte es sich um ein ausgewachsenes Haus. ‚Hütte‘ wohl aus dem Grund, weil sie komplett aus Holz gebaut war, und nicht wegen allzu übersichtlicher Größe. Rechts vom Haupthaus standen neuere Zubauten. Sie waren aus deutlich hellerem, demnach jüngeren Holz. Zwischen Hütte und Zubauten befand sich eine Sitzgruppe aus halbierten Baumabschnitten, die um eine Feuerstelle gruppiert war.

Sicher gem ü tlich, hier abends zu sitzen, zu grillen, zu trinken, zu quatschen. Ich werde es nicht mehr ausprobieren k ö nnen.

»Das ist der Wellnessbereich«, tat sie kund und zeigte auf die Zubauten. »Richtiges WC, Duschen, Sauna.«

Der Wagen rollte langsam in Richtung des Haupthauses.

»Echt? Wow.«

»Es gibt aber auch noch das Häuschen mit dem Herz in der Tür. Ein Plumpsklo aus alten Tagen. Damals gab‘s nur das. Sich waschen oder duschen ging nur mit eiskaltem Quellwasser. Brrr.« Sie zeigte auf einen in der Länge halbierten Baumabschnitt, der nicht als Sitzgelegenheit diente, sondern ausgehöhlt als Wasserauffangbecken. Das Quellwasser ergoss sich in ihm. »Und gleichzeitig war‘s auch der Kühlschrank. Den nutzen wir auch heute noch, obwohl wir seit ein paar Jahren dank Solarstrom mit Speicherdingsbums einen richtigen Kühlschrank haben. Herrlich! Elektrischer Strom, rund um die Uhr. Nie wieder nachts im Dunkeln aufs Klo!«

»Dafür sorgt das Speicherdingsbums?«

»Ja. Früher musste man mit Taschenlampe bewaffnet zum Häusel hirschen.« Sie zeigte Richtung Plumpsklo.

»Interessant. Ein wirklich schönes Plätzchen.« Oskar sah sich um und nickte anerkennend.

»Jaaa, das ist es wirklich. Erst recht, seit wir hier ein wenig Komfort haben.«

»Klar. Der Wellnessbereich und das Speicherdingsbums.«

»Geeenau«, grinste sie breit. Sie sah bezaubernd aus. Sympathisch, fast schon richtig lieb. Und doch: Oskar wusste, wen er vor sich hatte. Das in diesem Moment so zauberhaft wirkende Wesen hatte es faustdick. Er konnte sich vorstellen, dass die bei allen nur als Gesellschaftstussi bekannte Frau Doktor mutig genug für eine Dusche mit eiskaltem Bergquellwasser war. Damals, in der Vor-Wellness-Ära auf der Alm. Für ihn stand fest, dass sie auch in dieser Hinsicht kein Etepetete-Weibchen war. Frau Doktor war taff. Nicht nur seelisch, auch körperlich. Todsicher.

Vera parkte den Wagen auf einer Wiese hinter dem Haus.

»Wir sind da.« Sie legte ihren Gurt ab, beugte sich zu ihm und küsste ihn leidenschaftlich. Er tat, worauf er aus sicherheitsrelevanten Gründen während des Fahrens verzichtet hatte, fasste sie während des Küssens an ihre nackten Schenkel, die ein gewohnt wie gewagt kurzes Sommerkleidchen preisgab. Dass sie kein Höschen trug, offenbarte sich, als er die Einladung ihrer sich spreizenden Schenkel annahm und höher griff. Es entwickelte sich eine Nummer unter freiem Himmel, ohne das Auto verlassen zu müssen. Cabrios haben nicht nur beim Fahren ihre Vorzüge. Nach der lustvollen Einlage stiegen beide aus. Oskar ging an den Kofferraum und entnahm das übersichtliche Gepäck in Form von zwei Rucksäcken. Auf der Alm braucht es nicht allzuviel Garderobe. Zudem waren warme Sachen zum Überziehen angeblich vorhanden. Vera ging voraus und schloss auf.

»Schmeiß die Sachen einfach auf den Boden. Ich geh nochmal eben in den Wellnessbereich«, verkündete sie gutgelaunt, zwinkerte und verschwand in Richtung der Zubauten.

»Mach ich doch glatt.« Er ließ die Rucksäcke wie geheißen in der Stube der Almhütte fallen und sah sich um. Eine Holztreppe führte ins obere Stockwerk. Es passte alles. Der Zeitpunkt war perfekt. Selbst ein letzter leidenschaftlicher Fick mit der heißen Vera war ihm gegönnt.

Wenn s am sch ö nsten ist, soll man aufh ö ren!

Er betrat den an die Wohnstube angrenzenden Raum. Die Zierde der Küche war ein riesiger holzbefeuerter Kachel-Ofen mit mehreren Kochstellen und Backrohr. Das Ding musste ein Vermögen gekostet haben. So etwas gibt es wohl kaum als Fließbandproduktion. Er ging in die Stube zurück, griff nach seinem Rucksack, entnahm die im vorderen Fach des Rucksacks zurechtgelegten, weißen Baumwollhandschuhe und streifte sie über. Seine Hände tauchten in den Rucksack und fingerten die Walther und den Schalldämpfer inmitten der Kleidung empor. Er befestigte den Schalldämpfer, entsicherte die Waffe und setzte sich in einen der Ledersessel. Sein Blick fixierte die offene Eingangstür. Die Walther hatte er erst einmal zwischen Schenkel und Armlehne geklemmt. So saß er dann da und wartete. Die, auf die er wartete, kam nach etlichen Minuten zurück.

Vera betrat die Almhütte in deutlich rustikalerem, aber nicht weniger aufreizendem Gewand als zuvor. Die extrem kurze Lederhose mit obligatorischen Hosenträgern und Hirschemblem in der Mitte war zweifellos eine Spezialanfertigung. Unter den Hosenträgern trug sie ein kariertes Flanellhemd, das sie hoch geschlossen hatte. Nur den obersten Knopf ließ sie offen. Ansonsten ließ sie keine Gelegenheit aus, ihre beeindruckende Oberweite zur Schau zu stellen. An ihren Füßen trug sie der Alm angemessenes Schuhwerk, halbhohe Wanderschuhe. Sie verzichtete allerdings auf zünftige Wollstrümpfe und trug Socken. Gut so. Auf die Art sah man mehr von ihren gebräunten Beinen.

»Da bin ich wieder!«, frohlockte sie.

»Du siehst einfach nur geil aus.«

Oskar stockte, bekam doch wieder Bedenken, dieses in jeder Aufmachung lustmachende Geschöpf zu liquidieren. Bestärkend für seine Bedenken drehte sie sich einmal um die eigene Achse, um ihm die Vorzüge ihrer Lederhose auch von hinten zu präsentieren. Beim Umdrehen ließ sie ihren Hintern mit der Geschicklichkeit und Sinnlichkeit einer brasilianischen Sambatänzerin wackeln. Ihre knackigen, wie ihr ganzer Körper bronzefarbenen Pobacken drängten aus einer superknappen Lederhose, die ein Requisit aus ‚Auf der Alm da gibt‘s ka Sünd‘-Sexfilmchen hätte sein können. Sie verharrte einen Moment, wusste um die begehrlichen Blicke auf ihrem Hinterteil, streckte es Oskar entgegen und wiegte sich lasziv in den Hüften. Er schüttelte bei diesem Anblick den Kopf und dachte sich, dass es sowas eigentlich nur im Film gibt. Oder auf Bestellung, für viel Geld. Aber derartige Bestellungen waren Gregs Domäne, nicht seine.

»Du bist ein Wahnsinn, Vera, und wirst es für mich immer bleiben.«

Als Vera die Drehung vollendet hatte, stemmte sie erwartungsvoll die Hände in die Hüften und musterte ihren Lover. Endlich fiel ihr etwas an ihm auf. Ihr einen sexuellen Nachschlag provozierendes Grinsen schlug in kalte Verwunderung um.

»Ist das jetzt dein Kostüm? Willst du mir den Butler machen?«, fragte sie mit einem Nicken auf seine weißen Hände und hob eine Augenbraue.

Die Alte ist einfach nur cool. Schade um sie! Wirklich!

Ja, sie ist ein abgefeimtes Mistst ü ck! Dennoch

»Nein.«

»Sondern? Was soll das?« Sie fragte nicht wie jemand, der keine Ahnung hatte, was die Handschuhe wirklich bedeuten könnten. Auch das war keine wirkliche Überraschung für ihn.

»Mein Service gestaltet sich eher anders.« Seine rechte Hand ergriff die zwischen Schenkel und Armlehne befindliche Walther. Vera kniff die Augen zusammen. Angst sieht anders aus, Todesangst erst recht.

»Du legst also wirklich Leute für Geld flach«, zischte sie, zitierte Nickys Spruch, der doch mehr eindeutig als zweideutig gemeint war.

»Ja.«

»Anders flachgelegt hattest du mich ja schon. Jetzt würd‘s also passen.«

»Auch richtig.«

»Muss ich irgendwas machen?«

»Nein. Ich mach alles, was nötig ist.«

»Klar. Du kriegst ja auch das Geld dafür.«

»Schon wieder richtig.«

Vera verschränkte die Arme, bedachte Oskar mit verächtlichem Grinsen.

»Dafür kommst du in die Hölle, mein Schatz!«, stellte sie klar.

»So wie du. Ich irgendwann, du jetzt.«

»Wieso komm ich in die Hölle?«

»Weil du mir die Hälfte meiner Arbeit abgenommen hast.«

»Was?… Äh, darf ich mich setzen?«

»Klar. Wollte dich eh schon drum bitten. Aber dein Anblick… du weißt schon.« Er winkte mit dem Lauf der Waffe nach unten: Auf den Boden, bitte.

Vera ließ sich langsam auf den Boden nieder, drückte ihren Rücken an die Holzbohlen der Hüttenwand und spreizte ihre Beine ebenso langsam wie sie sich niederließ. Sie ließ ihr Gegenüber nicht aus den Augen und schmunzelte.

»So recht?«, fragte sie kokett.

»Perfekt.« Er konnte nicht widerstehen, ihr in den Schritt zu sehen, als sie so dasaß. Sie schmunzelte unbeirrt, kniff die Augen zusammen und kam auf seinen letzten Ausspruch zurück.

»Was meinst du mit der Hälfte deiner Arbeit?«

»Das weißt du… mein Schatz. Von wegen Walters Selbstfindungstrip. Der findet sich jetzt selbst in den ewigen Jagdgründen.« Er nickte in Richtung eines Hirschgeweihs an der Wand. »Und du hast dafür gesorgt.«

»Na und? Dafür kommt man schon in die Hölle?«

An Coolness und Abgebrühtheit nahm es Vera mit ihrem lieben Freund und Oskars Auftraggeber Nikolas Tyron auf. Nunmehr davon ausgehend, dass Oskar wusste, wovon er sprach, stritt sie es keine Zehntelsekunde ab. Ihr potenzieller Mörder traute seiner Zielperson zu, den Tod ihres Mannes nicht nur beauftragt, sondern es sogar selbst erledigt zu haben.

»Klar. Auch für das Abknipsen von Walters kommt man in die Hölle.

Wenn man denn überhaupt für irgendwas in die Hölle kommt.«

»Aha. Interessant. Was du alles weißt.« Sie streichelte die Innenseiten ihrer Schenkel und sah Oskar verwegen an. Haut, Länge, Form, trainierte Muskulatur und doch weiche pure Weiblichkeit… die ganze Beschaffenheit dieser Schenkel war wie alles an ihrem Körper der Inbegriff weiblicher Anziehungskraft. Die durch die Sehnen gebildeten Furchen an den Innenseiten der Schenkel, die wie Pfeile auf das weibliche Lustzentrum hindeuten, wenn schöne Frauen ihre nackten Beine spreizen, waren ein schwer zu widerstehender Anblick. Insbesondere wenn dieses Lustzentrum nur von einem Bändchen schmalen Leders bedeckt wurde – der Schritt der superknappen Lederhose. Ihm war klar, dass sie irgendwann das Weibchenspiel einsetzen würde. Jetzt also war es soweit. Sexbombe Vera machte sich scharf.

»Du lässt dich nicht mehr umstimmen?« Auch ihre Stimme war pure Erotik.

»Womit sollte das gelingen?«

»Hmmmm…«, summte sie und spreizte ihre Beine noch weiter. Vera musste früher sowas wie Ballet gemacht haben, so biegsam und sportlich wie sie war. »Macht dich das geil?«

»Ja.«

»Bis auf etwas, naja, sagen wir mal Schmuck trage ich wieder nix drunter. … Hmmm, fühlt sich gut an«, gurrte sie.

»Ah, die Perlenkette für unten.«

»Genau. Willst du sie erkunden… mit Augen und Zunge?«, neckte sie.

»Liebend gern.« Oskars Stimme war mehr ein heiseres Krächzen. Hier quälte eher das Opfer den Täter. Vera lächelte, streifte die Hosenträger an die Seite und begann ihre Hose aufzuknöpfen. »Aber ich tue es nicht. Also lass es.«

»Okay. Dann nicht«, quittierte sie kühl und zog ihre Hosenträger wieder über die Schultern. »Wer hat dich beauftragt?«, fragte sie ernüchtert, fast sauer. Also doch eine emotionale Reaktion, da ihre Anziehungskraft dieses Mal nicht unwiderstehlich war. Zurückweisungen dürfte sie nicht in einer Häufigkeit erlebt haben, um ihnen routiniert begegnen zu können. Kunststück. Die alterslose Vera war nach Oskars Schätzung um die fünfzig (er war ein guter, kein charmanter Schätzer) und war doch die pure Verlockung – auch für deutlich jüngere Männer. Obendrein wusste sie sehr genau, dass sie das war. Hier und jetzt funktionierten ihre Verführungskünste nicht, zu ihrem mehr als verständlichen Missfallen. Und: Niemand ist in allem cool.

»Betriebsgeheimnis.«

»Das würde ich aber mit ins Grab nehmen, Süßer. Also kannst du es auch sagen«, spitzte sie süßlich. Das Weibchen war wieder da.

»Ich möchte nicht, dass ihr in der Hölle Zoff miteinander kriegt.«

»Ah! Also kenne ich deinen Auftraggeber!«

»Das hab ich damit nicht gesagt«, versuchte er zu relativieren.

»Klar. Verstehe«, quittierte sie grinsend. Versuch misslungen. Aber Oskar nannte ja keinen Namen. Außerdem konnte er sich vorstellen, dass nicht nur Nicky nach ihrem Leben trachtete. Weil auch das als sicher galt: Vera war eine Frau mit Vergangenheit, eher noch mit mehreren. Obendrein hatte sie recht. Sie würde es mit ins Grab nehmen.

»Du siehst einfach umwerfend aus«, musste er ihr ein letztes Kompliment mit auf den Weg geben. Auf den Weg ins Jenseits.

»Danke. Aber wie wir gesehen haben, nutzt mir das nichts.«

»Stimmt.«

»Wenn du mich nicht mehr lecken willst… hm… soll ich dir lieber einen blasen? Nach allen Regeln der Kunst, versteht sich. Wie du‘s von mir kennst.« Sie leckte herausfordernd über ihre Lippen.

»Na sicher. Damit du ihn mir abbeißt. Super Idee.« Das traute er ihr wirklich zu. Auch das.

»Hab ich ihn dir je abgebissen, Süßer?« Sie zog einen Schmollmund.

»Das war unter anderen Voraussetzungen… Süße.« Selbstredend sähe er ihre sinnlichen Lippen lieber anderweitig beschäftigt, als um ihr Leben verhandelnd. Aber nein. Nicht mehr, nie mehr.

»Hmm…« Sie grinste breit und gefährlich. »Wie wär‘s mit Geld?« Vera zündete die ebenso erwartete Stufe zwei nach dem vergeblichen Weibchenspiel: Geld. »Wenn wir uns einig werden und du mich am Leben lässt, kann ich dir wieder gefahrlos einen blasen. Das eine schließt das andere nicht aus. Wir genießen dann einfach unseren Almtrip wie geplant: essen, trinken, lecken, ficken, blasen, wandern, Natur genießen, entspannen… herrlich! Danach bringen wir deinen Auftraggeber um die Ecke. Sag mir, was er dir zahlt, und ich leg noch was obendrauf.« Oskar hob eine Augenbraue, sie senkte verwegen den Blick. »Und ich leg auch noch mich obendrauf. Wir bleiben zusammen… solange du willst«, hauchte sie gefährlich. »Wie klingt das für dich?«

»Super.«

»Das klang nicht überzeugend, Oskar.«

»Was du sagst, klingt auch nicht überzeugend, Vera.«

»Was meinst du damit?«, entrüstete sie sich.

»Niemand bleibt solange mit dir zusammen, wie er will. Sondern immer nur solange, wie du willst. Ich drück‘s noch etwas deutlicher aus: solange wie jemand für dich nützlich ist.« Er sah sie durchdringend an. »Halbwertszeiten, die bei dir nicht allzulange währen.«

Vera war von Oskars kalter, wissenschaftlich klingender Analyse sichtlich beeindruckt. Wohl auch deswegen, weil sie zutraf. Für einen psychologischen Laien wahrlich nicht schlecht!

»So schätzt du mich ein, mein Lieber?«

»Ja. Genauso schätz ich dich ein.«

»Okay. Dann eben nur Geld.«

»Nein.«

Die Platinblonde senkte ihre Augenbrauen und lächelte gefährlich. Auch wenn sie spätestens in diesem Moment realisierte, dass sie alle Trümpfe ausgespielt hatte, war keine Spur von Angst zu bemerken.

»Du bist ein Treuer, nicht wahr, Oskar?« Er schwieg. »Absolut loyal.«

»Tja… das mag dir fremd sein, meine Liebe.«

»Tss«, zischte sie und blickte an die Seite. Sie sah wieder nach vorn, blickte ihn eiskalt an. »Wie wurdest du eigentlich professioneller Flachleger, Süßer?«

Sonderbar. Er fand nicht nur sonderbar, nach kurzer Zeit wieder mit dieser Frage konfrontiert zu werden. Irgendwie klang ihre Frage fast so, als hätte die Betonung auf dem Du gelegen. Wirklich sonderbar.

»Auf dem zweiten Bildungsweg.«

»Hahahaha!«, lachte sie auf. »Na klar! Hab ich mir gedacht. Und sicher erst im reifen Alter, oder? Als du dafür reif warst«, hauchte sie den Nachsatz so lasziv wie gefährlich – eine unwiderstehliche Mischung aus Sex und Gefahr. Aber er musste dem widerstehen. Hier und jetzt.

Clever, clever, clever, dieses Mistst ü ck.

»An dich hätte ich dann auch noch eine Frage«, hob er an.

»Ach? Echt?« Sie sah wieder zu ihm.

»Ja. Echt.«

»Nur zu, Oskarchen!«, ermunterte sie aufgesetzt.

»Wie und wo hast du dich deines Mannes entledigt?«

Er vermutete, dass Walter bereits im ewigen Schlaf war, als sie ihm auf der Vernissage mitgeteilt hatte, er brauche sich keine Sorgen mehr um ihn zu machen. Im doppelten Sinne nur zu wahr. Wie hatte sie es angestellt? Vor allem, falls sie es wirklich selbst gemacht haben sollte. Es muss unglaublich schnell gegangen sein. Und wie wurde Walters sterbliche Hülle so schnell entsorgt? Hatte sie Helfer?

»Hmmmm…« Wieder dieses verschlagene Summen und Grinsen.

»Du kannst es ruhig sagen«, ermunterte diesmal Oskar. »Es wird dich gleich nicht mehr stören, es mir verraten zu haben.«

»Schon richtig.«

»Aber?«

»Ich will nicht, dass wir in der Hölle Zoff miteinander kriegen.«

Er musste den Kopf schütteln und grinsen. Etwas wie diese Frau hatte er noch nicht erlebt und konnte sich auch nicht vorstellen, nur annähernd wieder an eine derartige Person zu geraten. Ja, es war schade um sie… irgendwie. Aber sie war einfach zu gerissen, zu durchtrieben, zu gefährlich. Und sie war ein Job.

»Dauert es noch lange?«, fragte sie fast gelangweilt, als sie mit kalten Augen seine nachdenklichen Augen fixierte.

»Nein«, hauchte er betreten. »Ist gleich vorbei.« Er hob seine Walther.

Vera grinste. Ja, sie grinste. Wenn auch bitter, aber sie grinste. Kein Bangen, kein Flehen. Unglaublich! Er zögerte einen Moment.

»Ich sehe dich wieder. In einem anderen Leben.« Sie hob eine Augenbraue und sah ihn verächtlich an. Nein, nicht verächtlich, doch eher überlegen.

Fast im selben Moment, als sie ihre geradezu poetischen letzten Worte ausgesprochen hatte, spuckte die Walther. Einen Walter hatte sie getötet, jetzt wurde sie mittels einer Walther getötet. Er schoss nur einmal. Niemals hätte er Vera – wie andere Kunden – in den Kopf schießen wollen. Er hatte auf die Mitte ihrer Brust gezielt, knapp oberhalb des Hirschemblems, das die Träger ihrer Lederhose verband. Veras Kopf knallte nach hinten an die Holzbohlen der Wand, sank dann seitlich und nach vorn. Ihre angewinkelten Beine klappten nach unten. Blut sickerte durch ihr Flanellhemd. Ihre Augen waren halboffen, seltsam verdreht. Tot.

Was denkt, f ü hlt, sieht man in diesem letzten Moment des Lebens? In dem Moment des Todes. Was davon bekommt man noch bewusst mit?

Oskar hatte sich diese Frage schon des öfteren gestellt, aber immer erst im Nachhinein, nie in Bezug auf einen frisch liquidierten Kunden. Auch das war bei Vera anders. Es dauerte eine Weile, bis er sich aus dem Sessel erhob und langsamen Schrittes auf sie zuging. Er ging in die Hocke, zog einen Handschuh aus und hielt seinen Handrücken an ihre Nase. Sie atmete nicht mehr, ihr Flanellhemd war mittlerweile tiefrot von ihrem Blut. Er zog seinen Handschuh wieder an. Behutsam schloss er ihre Augen und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

»Mach‘s gut. Finde Frieden, o Rastlose«, flüsterte er und erhob sich.

Irgendetwas kam ihm beim Schuss auf Vera sonderbar vor. Es war nicht die Sonderbarkeit schlechthin, auf eine Frau zu schießen, sie zu töten, mit der er kurz zuvor noch Sex gehabt hatte und die ihm nicht egal war. Diese Sonderbarkeit galt seinem Werkzeug. Sowohl Sound als auch Gefühl beim Schießen erschien ihm dieses Mal kaum merklich anders als sonst. Die Höhenluft vielleicht? Klare, saubere, weniger dichte Luft als in der Stadt? An der Munition konnte es nicht liegen. Die handgefertigte, ‚getunte‘ Walther erlaubte nur scharfe Munition bei aufgesetztem Schalldämpfer. Ansonsten wäre sie ihm um die Ohren geflogen – wenn‘s ganz dumm lief, mitsamt Hand. Bei aufgesetztem Schalldämpfer war die Verwendung von Platzpatronen in der Spezial P99 weißgott keine Empfehlung – und doch kein wirklicher Nachteil. Seit wann brauchen Profis Platzpatronen? Obendrein hatte er Waffe und Magazin vor dem heutigen Einsatz gecheckt. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, nachdem sich seine Lieblingswaffe ein paar Tage im Besitz von jemand anderem befunden hatte. Die Walther war in tadellosem Zustand. Nicky hatte sogar das Magazin nachgefüllt, mit sicht- und fühlbar normalen, scharfen Patronen. Das bestätigte die seinerzeit angestellte Vermutung, dass Nicky den Umgang mit Waffen nicht nur gewohnt war, sondern auch welche besaß. Neun Millimeter war ein gängiges Kaliber für Handfeuerwaffen. Kein großes Kunststück also, die auch für Oskars Walther passenden Patronen zu besitzen, sofern man eine auch nur halbwegs zeitgemäße Handfeuerwaffe sein eigen nannte.

Oskar befühlte eine von Veras Brüsten, ließ seine Hand an eine Seite ihres Oberkörpers gleiten. Alles war angenehm weich. Das hatte keine sexuelle, gar nekrophile Bewandtnis. Sie trug nichts, was einen scharfen Schuss hätte abhalten können. Also auch das kein Grund zur Sorge. Er hatte keine Idee, woran das kaum merklich komische Schussgefühl lag oder ob er sich das nur eingebildet hatte. Es bot sich an, probeweise noch einen Schuss abzugeben. Mehr als einen Schuss abgegeben zu haben, war plausibel bei seinem Vorhaben. Jemand weniger Geübtes, also kein Tötungsprofi, hätte sehr wahrscheinlich mehr als einmal geschossen. Er schoss den zweiten Schuss in die Holzbohlenwand hinter Vera, einen knappen halben Meter neben die Stelle, wo sie zuvor gestanden hatte. Der zweite Schuss würde in der Rekonstruktion als erster Schuss ausgelegt werden. Der erste, der in der Aufregung daneben ging. Sound und Gefühl beim Abdrücken waren völlig normal. Demnach hatte er sich die Sonderbarkeit beim ersten Schuss eingebildet. Trotzdem würde er seine Waffe in Wien vom ‚Professor‘ – seinem alten und erfahrenen Waffenmeister – mal nachsehen lassen. Bei Gelegenheit. Kann ja nicht schaden!

Er klickte den Schalldämpfer von der Pistole und vergrub sein Werkzeug im Rucksack. Danach sorgte er für Unordnung, schmiss einen Stuhl um, riss mehrere Schranktüren auf und durchwühlte die Schränke. Auch wenn er davon ausging, dass das Vortäuschen eines Einbruchs mit Todesfolge von einem cleveren Ermittler früher oder später in Erwägung gezogen werden konnte, ging er gründlich bei diesem Vortäuschen vor. Er huschte die Treppe hinauf und nahm sich die oberen Räumlichkeiten vor. Drei Schlafzimmer mit je zwei Einzelbetten, alles komplett in Holz und almgerecht rustikal möbliert, sowie eine Art Gymnastikraum, den ausschließlich die sportliche Vera genutzt hatte. Oskar begab sich wieder nach unten. Vorbei an der zu den oberen Räumlichkeiten führenden Holztreppe kam man auf eine ausladende Terrasse auf der Rückseite des Hauses. Hier hätte es sich wirklich angenehm bei einem guten Gläschen in die Weiten der kärntnerischen Wälder schauen lassen. Zu zweit, bevorzugt abends, vor dem Liebesspiel oder danach.

Wenig überraschend hatte das Ehepaar Wallner keine Wertsachen von Bedeutung auf der Almhütte. Er ließ dann auch nichts mitgehen, was er ohnehin hätte entsorgen müssen – wegschmeißen oder vernichten.

Ein letzter Blick auf Veras leblosen Körper (sie war selbst tot sexy), dann trat er nach draußen und begab sich zu den Zubauten. Ihr Anblick machte ihn in mehrerlei Hinsicht nachdenklich. Auch in dieser: So wie Vera ‚angezogen‘ war, hätte es sich auch um einen Einbruch in Kombination mit einem Sexualdelikt handeln können. Der Einbrecher findet beim Wühlen nach Verwertbarem Veras heiße Almkluft und nötigt mit vorgehaltener Waffe die plötzlich auftauchende, stets lustmachende Hausherrin, die resche Almmaid zu geben. Anschließend vergewaltigt und erschießt er sie. Die Hose zieht er ihr nur notdürftig wieder an. Veras von ihr selbst aufgeknöpfte Hose könnte das vermuten lassen. Daher sah Oskar davon ab, sie so zu positionieren, als hätte ein überraschter Einbrecher sie bereits beim Reinstürmen erschossen. Er hätte sie dann auch noch umziehen müssen. Quasi ‚zurück auf Anfang‘ – raus aus der (sex-) filmreifen Kluft, wieder rein ins Sommerkleid. Denn: Warum sollte Vera in so einer Aufmachung alleine auf der Alm rumlaufen? Andererseits war diesem verrückten, rattenscharfen Huhn alles Mögliche zuzutrauen.

Der Wellnessbereich war eine wirklich schöne Anlage: holzgeheizte Sauna, zwei Duschen, eine davon als rustikale Ausführung mit über Kopf angebrachtem Holzkübel, WC, ein Ruheraum mit anschließender Veranda samt Blick auf Wald, nichts als Wald. Auch hier befand sich nichts, was ein Einbrecher begehren könnte. Oskar nickte, schnaufte aus und zog eine Schnute. Er dachte an Wellnessgenuss und andere Sinnesfreuden, die er hier hätte erleben können. Schade. Wirklich schade. Scheißjob.

Irgendwas ist ja immer.

Okay. Weg hier!

Er legte seinen Rucksack um und begab sich in Richtung Forstweg, den Vera und er vor nicht einmal einer halben Stunde mit dem Wagen befahren hatten. Zuvor noch steckte er den Autoschlüssel, den er von der Kommode nahm, wo sie ihn abgelegt hatte, ins Zündschloss des BMWs. Auch das sollte die Hypothese stützen, dass Vera etwas Außergewöhnliches bemerkt hatte, gleich ins Haus gestürzt war und den Einbrecher überrascht hatte. Sollte irgendwann die Polizei den Weg hier rauf finden, da alle anderen Optionen, wo die sonst omnipräsente Gesellschaftslöwin Vera Wallner-Enzi abgeblieben sein könnte, ausgeschöpft waren. Schlussendlich zog er seine Baumwollhandschuhe aus und steckte sie in die Taschen seiner Sommerjacke. Er zog sein Handy hervor und drückte die Kurzwahl für Gregs Festnetznummer. Der war sicherlich zuhause erreichbar, wie zumeist. Bingo. Es meldete sich grußlos eine vertraute Stimme.

»Everything allright, babydoll?«

»Yep. Erledigt.«

»Na super. Das ist mein Junge!«

»Jaja. Mach mir einen Wagen klar. Die sollen ihn unten im Ort für mich abstellen, Schlüssel wie üblich aufs rechte Vorderrad gelegt.« Oskar hörte seinen Kartäuserkater im Hintergrund miauen. Insofern hatte Greg Bruno während der Abwesenheit seines Herrchens zu sich genommen. Die bevorzugte Vorgehensweise, da es dem Amerikaner so lieber war, als zweimal am Tag die Wohnung seines Geschäftspartners aufzusuchen. Zu diesem Behufe verfügte Greg über eine katzengerechte Infrastruktur – und reinigte sogar das Katzenklo. Oskar hatte dem zu Schlampigkeit neigenden Greg eingeschärft, alles vernachlässigen zu dürfen, nur nicht das Katzenklo und die zweimal tägliche Fütterung des Benutzers dieser Einrichtung. Und zwar auch aus eigenem Interesse. Der vierbeinige Gast könnte ansonsten ganz schön ungemütlich werden. Bruno wiederum war an die Alternativbehausung gewöhnt und genoss die Vorzüge eines Hauses mit Garten, in dem es viel zu erkunden gab.

»Nope, Oskar.«

»Wie ‚nein‘???«, fragte Oskar aufgeregt. Wollte ihn sein Geschäftspartner im tiefsten Kärntner Niemandsland versauern lassen? Greg war naturgemäß alles andere als ein Waisenknabe, aber link war sein Geschäftspartner nie und hatte ihn demnach auch niemals gelinkt. Beider Geschäftsbeziehung hatte zwar durch eine Linke von Greg ihren Anfang genommen, aber das war das erste und einzige Mal. Was sollte das also?

»Du wirst abgeholt, mein Freund.«

»Wie bitte?«

»Ja. Geh einfach zur Landstraße runter. Bis du unten bist, dauert es mindestens eine Stunde. Dann ist dein Abholservice längst da und bereit dich einzusammeln.«

»Was???«

»Trust me, dude.«

»Wer holt mich ab???«

»Jemand, der grad in Kärnten seiner Muße frönt.

Du weißt ja: ‚Kärnten, Urlaub bei Freunden‘, hähä.«

»Willst du mich verarschen? Wer???«

»Surprise«, sprach sein Jobvermittler und legte auf.

»Arschloch.« Oskar steckte sein Handy ein und setzte die Waldwanderung talabwärts flotteren Schrittes fort, da er nicht mehr durchs Telefonieren abgelenkt war. Trotz des flotten Marschtempos und etlicher Querfeldein-Abschneider, die ihn die mit dem Auto befahrbaren Serpentinen kreuzen ließen, dauerte es eine gute Stunde, bis er unten an der Landstraße ankam. Er war froh, sich nicht verlaufen zu haben. Die Gefahr bestand trotz des Forstweges in der Tat, denn es gab zwei Weggabelungen, die beide Male eine kurze Entscheidungsnot hervorriefen. Sich im dichten, dunklen, schier nicht enden wollenden Wald zu verirren, hätte ihm gerade noch gefehlt!

»Uff!«

Oskar schnaufte aus und legte den Rucksack ab. Unten im Tal war es deutlich wärmer als auf der höheren Alm und im dichten Wald. Heller sowieso. Er setzte seine Ray-Ban auf.

»Wo ist denn jetzt mein Abholservice?«, brabbelte er zu sich selbst. Im selben Moment hupte es einmal kurz.

Wie sollte ich das auch erkennen k ö nnen?

Im Schatten eines einzelnen, verlassenen Hauses an der Landstraße parkte gut fünfzig Meter von ihm entfernt ein Porsche Cabriolet. Wenn man die sonnige Landstraße nach abholbereiten Fahrzeugen absucht, sieht man kaum ein im Schatten geparktes, dunkles Auto. Er bewegte sich auf den dunkelblauen Porsche zu. Der Fahrer grinste und rief ihm zu.

»Hier, Sportsfreund, hier bin ich!«

Warum fahren reiche Leute bevorzugt die Cabrioversion ohnehin nicht billiger Karossen? Weniger Auto f ü r noch mehr Geld?

Weil sie es sich leisten k ö nnen!

Oskar erreichte seinen Abholservice.

»Hallo, mein Lieber!« Ein Dandy mit heller Baskenmütze und klassischer Wayfarer Sonnenbrille mit weißem Rahmen begrüßte ihn mit süffisantem Lächeln. Der perfekte Porsche 911 Cabrio-Fahrer.

»Ja, hallo, mein Guter! Das ist aber wirklich eine Überraschung. Oder gleich zwei. Was ist mit deinem Schnauzbärtchen passiert?«

Nikolas Tyron grinste breit und setzte seine Shades ab. Oskar ließ seine auf.

»Im Ausguss gelandet, Oskar. Ich war ihn leid.« Der Galerist sah seinen Auftragnehmer unverändert grinsend an, der warf den Rucksack nach hinten und stieg ein.

»Dein Schnauzbart hat mir schon gefallen, Nicky«, postulierte Oskar, nachdem er neben dem Bilderbuch-Dandy mit Vorliebe für das eigene Geschlecht Platz genommen hatte.

»Oh, wirklich? Dann muss ich mir wieder einen wachsen lassen.«

»Aber nicht nur wegen mir, Nicky.«

Sie lachten.

»Genug der Schnauzbärte, haha!« Nicky sah Oskar erwartungsvoll an und startete die Maschine.

Da kommt doch gleich noch was!

»Oskar…«

»Ja, Nicky?«

»Würdest du bitte die Güte besitzen, den dein Werkzeug beherbergenden Rucksack in den Kofferraum zu legen. Wir fahren wieder in zivilisiertes Gebiet. Da sollte er besser nicht offen im Auto liegen.«

Nicky drückte die Entriegelung für den Kofferraum. Die vordere Haube klackte und schnappte eine Daumenbreite weit nach oben. Der Galerist hatte zweifelsohne recht. Dennoch zögerte Oskar.

Er stieg aus, schnappte den Rucksack von den hinteren Notsitzen und bewegte sich nach vorn. Und genau das war der Grund, warum er zögerte. Der Kofferraum eines Porsche 911 befindet sich im Gegensatz zu einem ‚normalen Auto‘ vorne. Das Triebwerk des Boliden lief bereits. Er hatte seinen Job erledigt, wurde aber noch nicht voll bezahlt… und, noch wichtiger: Der Ausführende eines Tötungsdeliktes ist nie nur Täter, sondern immer auch potenzieller Zeuge der Anklage. Nicht gut! Wirklich keine gute Situation.

So stand Oskar vor dem dunkelblauen Geschoss, sah einen Nicky zuversichtlich durch die Frontscheibe nicken, öffnete schließlich die Haube und ließ sie nach oben gleiten. Im selben Moment, als er seinen Rucksack in den aufgeräumten, geradezu steril sauberen Kofferraum schmiss, gab Nicky Gas und ließ den Sechszylinder-Boxer im Heck aufröhren. Der unverwechselbare, auf der ganzen Welt einmalige Porsche-Sound fuhr Oskar in die Glieder. Die Maschine fauchte mit der tödlichen Entschlossenheit eines Raubtieres. Eine Großkatze, kurz vor dem Zuschlagen.

Oskar fror für einen Moment ein, fing sich wieder und klappte den Kofferraumdeckel zu. Seine Augen blitzten Nicky kalt durch die Windschutzscheibe an. Auch durch die dunklen Gläser der Ray-Ban war dieser Blick nachvollziehbar, da sein Gesicht noch kälter und starrer als sonst war. Der Angeblitzte hob unschuldig seine Augenbrauen und schmunzelte. Eine unmissverständlich interpretierbare Mimik:

‚Ich hätte dich jetzt töten können… aber ich hab‘s nicht. Bin ich nicht lieb und ehrlich?‘

Verflucht! Oskar sehnte sich nach ganz normalen, weniger anspruchsvollen Jobs mit ganz normalen, weniger anspruchsvollen Auftraggebern und Kunden. Oder nach Urlaub, richtigem Urlaub. Man will immer das haben, was man gerade nicht hat. Bei wenig anspruchsvollen Jobs sehnte er sich stets nach anspruchsvolleren und in der Regel auch besser bezahlten. Eben Jobs wie diesem hier.

The grass is always greener on the other side.

Er stieg wieder ein und setzte sich schweigend neben seinen Auftraggeber. Seinen Blick ließ er bewusst nach vorn gerichtet, an Nicky vorbei. Er merkte, wie der Galerist sich zu ihm beugte und ihn ansah.

»Beeindruckend, nicht?«, hauchte der, als sei nichts geschehen. Genau genommen war auch nichts geschehen.

»Was?«, fragte Oskar noch merklich angesäuert von Herrn Tyrons gefährlichem Imponiergehabe.

»Der Sound. Es gibt kein schöneres Auto, keinen schöneren Motorenklang. Ein Porsche ist wie ein lebendes Wesen, wie ein schönes, starkes, gefährliches Tier, das man beherrschen muss.«

»Ach, deswegen hatte ich das Gefühl, gleich gefressen zu werden.«

Nicky lachte schallend, Oskar musste mit etwas Verzögerung in sein Lachen mit einstimmen. Der Galerist setzte seine Sonnenbrille auf und ließ das schöne Raubtier wieder brüllen. Es katapultierte sie auf die Landstraße.

»Du hast scheinbar auch das gut überstanden, mein Lieber!«, rief Nicky gegen die Windgeräusche an. »Du weißt, was ich meine: deinen Auftrag.« Er sah Oskar an. »Du lachst. Das ist ein gutes Zeichen!«

»Ja… ein gutes Zeichen…«, quittierte Oskar eher nachdenklich. Das Lachen war ihm wieder vergangen. Nicky sah erneut zu ihm.

»Nein. So gut hast du es wohl doch nicht überstanden. Aber trotzdem… gerade deswegen: bravo!« Er griff Oskar an den Oberschenkel und rüttelte ihn aufmunternd. Sicherlich griff er ihm nicht nur an den Oberschenkel, um ihn aufzumuntern. »Wir müssen dich aufheitern, lieber Oskar!«

Oskar stülpte seine Lippen zu einer Schnute, beide schwiegen eine Weile.

»Hast du sie noch gefickt?«, fragte der Cabriolenker auf einmal. Sein Beifahrer sah zu ihm und antwortete nicht gleich. Dem war danach, seinen Auftraggeber zum Teufel zu wünschen und ihm die Gegenfrage, was ihn das anging, an den Kopf zu werfen. Oder ihm am besten gleich den Ellbogen in die Fresse zu rammen… blitzschnell und kommentarlos… und dann sofort ins Steuer zu greifen, um den Wagen auf Kurs auf zu halten. Stattdessen kam ein

»Ja.«

»Sollte man das später feststellen«, begann der Fahrer wichtig, sah zum Beifahrer, »ist es scheißegal. Jeder weiß, dass du sie gefickt hast«, löste er überraschend locker auf und grinste. Er sah wieder nach vorn und wurde ernst: »In der Hütte hast du hoffentlich keine Fingerabdrücke hinterlassen?«

»Nein.«

»Und die im Auto hast du sicher nicht weggewischt.«

»Nicky, was soll das?«, blaffte der Verhörte und pausierte kurz. »Es wusste zwar keiner, dass wir nach Kärnten auf die Alm fahren… bis auf dich und Greg natürlich…«

»… aber Vera hat dich schon öfter im Auto mitgenommen.«

»Genau. Sollten die Bullen Veras Bekannte unter die Lupe nehmen, ist es naheliegend, wenn meine Fingerabdrücke in ihrem Auto sind. Wie du gesagt hast: ‚Jeder‘ weiß, dass ich Vera gefickt habe«, ätzte der Blonde.

»Cool down, Oskar. Ich weiß, dass du ein Profi bist. Vera kann dich sogar nach Kärnten mitgenommen haben. Nur hat sie dich in Velden abgesetzt und ist alleine auf die Alm weitergefahren. Genauso ist es passiert. Du warst in Velden, bei mir.« Nikolas Tyron sah wieder zu seinem Beifahrer und grinste. »Nicht nur ich kann das bezeugen.«

»Klingt gut. Sieht aus, als hätten wir ein bisschen was vorbereitet.«

»Ja. Apropos Velden: Wir wollten dich etwas aufheitern!

Und genau das werden wir auch tun, hahaha!«

Sie brausten eine Zeit lang schweigend über die Landstraße. Nicky schmunzelte wie üblich und nickte Oskar hin und wieder aufmunternd zu. Auch unabhängig von den Ermutigungen war Oskar auf dem Weg der Normalisierung. Seine Ganglien nahmen ihre professionelle Nachdenktätigkeit wieder auf, seine Stimme hatte wieder diese Oskar-Kälte.

»Was machst du in Kärnten, Nicky?«

»Du meinst, außer dir ein Alibi zu besorgen?«

»Ja, außer dem.«

»Urlaub bei Freunden!«

Wieder dieser Kärnten-Spruch, der Slogan des Kärntner Touristikverbandes. Spätestens jetzt ging Oskar dieser Spruch auf den Sack.

»Klar.«

»Und du machst das jetzt auch, mein Lieber! Sieh es als letzte Order dieses Auftrags.« Er sah wieder zum Beifahrer und grinste. »Und die lautet: Wir werden jetzt ein bisschen feiern! Keine Bange, mit Frauen natürlich auch… schöööne Frauen am schööönen Wörtherseeee…«, schloss er singend und lachte. Oskar musste dann auch lachen.

Was f ü r ein Kerl!

Vera Wallner-Enzi und Nikolas Tyron taten einander nicht viel. Ähnliche Spielklasse, zwei Alphatiere, gefährlich obendrein. Wahrscheinlich musste deswegen einer von beiden früher oder später dran glauben. Warum genau, wusste er allerdings nicht. Noch nicht? Nicky griff nach einem Zigarillo und zündete ihn sich mit dem Zigarettenanzünder seines Porsches an. Oskar dachte wie üblich nach.

Soll ich ihm stecken, dass ich eigentlich nur den halben Job erledigt habe? Ja, warum nicht. Ehrlich währt am längsten‘… harhar.

»Übrigens, um Veras Mann brauchte ich mich nicht zu kümmern.«

»Ach nein? Warum nicht?« Nicky sah seinen Beifahrer an, hatte den Zigarillo zwischen die Vorderzähne geklemmt.

»Das tat Vera schon selbst.«

Nikolas Tyron nahm den Zigarillo wieder in die Hand, schüttelte den Kopf und lachte.

»Hahaha, so ein Luder!« Der reiche Galerist wirkte nicht gerade überrascht. »Vera war wirklich einmalig… absolut einmalig.«

»Ja, das war sie.«

Es war Oskar nicht egal, dass Vera tot war. Erst recht nicht, dass er sie getötet hatte. Absolut einmaliges Luder, Miststück, buchstäblich männermordender Vamp, was-auch-immer hin oder her…

Nicky sah zu ihm, griff erneut seinen Oberschenkel und schmunzelte breit.

»Ihr bekommt trotzdem die volle Gage!«, tat er gutgelaunt kund und zog an seinem Zigarillo.

Das war wiederum keine Überraschung für Oskar, der die Priorität der Zielpersonen richtig eingeschätzt hatte und durch diese Aussage bestätigt sah. Walter wäre in der Tat nur ‚Beifang‘ gewesen. Entsprechend kühl fiel der Dank aus. Es war mehr das Quittieren einer nie in Reinschrift ausgesprochenen Selbstverständlichkeit.

»Das ist fein. Danke, Nicky.«

»Danke dir, Oskar!«

Oskar trifft die Todesgöttin

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