Читать книгу Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus - Jürgen Dittberner - Страница 25
V. Offizielle Reisen 1. Israel
ОглавлениеIsrael existiert, weil Deutschland einst furchtbare Verbrechen an Juden begangen hatte. Danach fühlten viele offizielle Deutsche die Verpflichtung, Israel zu besuchen und Abbitte zu tun.
„Jerusalem“ zur Pessach-Zeit1: Eine deutsche Delegation lässt Felsendom, Grabeskirche, Klagemauer der Juden, Muslimviertel und Christi Leidensstraße Via Dolorosa – die ganze historische und religiöse Vielfalt dieser wahren Weltstadt – hinter sich und fährt auf den Herzlberg.
Dort besucht sie die Gedenkstätte „Yad Vashem“ zur Erinnerung an die von den Nazis ermordeten Juden. Nach den Berichten über die Tempelzerstörungen, über das längst vergangene Königreich der Tempelritter, den Besichtigungen der Überreste von Türken- und Britenherrschaft, den Diskussionen über die Kriege des 1948 wiedergegründeten Israel und nach Fragen zu den kaum lösbaren Konflikten der Gegenwart erscheint die Gedenkstätte wie ein Fingerzeig auf eine Hölle auf Erden – und das in einem Land, das selber so viel Elend sah und sieht. Die Hölle war in Europa, ging von Deutschland aus, und hier war das Heilige Land.
Die Besucher waren schon vor Betreten von „Yad Vashem“ betroffen oder beklommen. Doch der israelische Guide sagte der Gruppe trocken, dies sei eigentlich eine Gedenkstätte der Juden, und wenn es nach ihm ginge, brauchte sie kein Nichtjude – auch keiner aus Deutschland – je besuchen. Er hätte gehört, fügte er hinzu, gutmeinende Menschen aus Deutschland hätten aus ihrem Lande „Glatzen“ – rechtsradikale Jugendliche also – zur Therapie hierhergebracht. Davon halte er gar nichts. Diese Jugendlichen würden sich ohnehin nicht ändern. Was der Israeli nicht sagte, sicher aber dachte, war: „Wir wollen auch gar nicht, dass solche Leute in unsere Gedenkstätte kommen.“
Beim dann doch erfolgten Besuch der Gedenkhalle für 21 Todesstätten, dem Gang durch die Halle für die ermordeten Kinder und im Tal der Erinnerung an die einstigen jüdischen Gemeinden in Europa erschien die seinerzeitige heimatliche Diskussion über das „Holocaust-Mahnmal“ in Berlin problematisch. Dieses Denkmal hier, „Yad Vashem“, steht nicht für die ermordeten Juden im geläuterten Land der Täter, sondern die Juden haben es bei der Hauptstadt ihres nach 2000 Jahren wiedererrichteten Staates gebaut. Der „Holocaust” war die letzte – und grausamste – aller Verfolgungen, denen dieses alte und so lebendige Volk ausgesetzt war. Ihre Toten ehren sie nun in ihrem eigenen Land.
Es wird behauptet, deutschen Initiatoren für die Errichtung eines eigenen Denkmals an die ermordeten Juden in Europa sei die Idee in „Yad Vashem“ gekommen. Im Unterschied zu Jerusalem müsste in „Berlin“ ein Gedenkort entstehen, der sich primär an die Deutschen wendet. „Yad Vashem“ dagegen versucht, Andenken und Namen für die Opfer im eigenen Land zu sein. Die Nachfahren der Täter müssten demgegenüber wohl einen Gedenkort schaffen, der vor allem Scham und Trauer über die Verbrechen an einem anderen Volk als dem eignen ausdrückt.
Diese Verbrechen haben Namen wie „Auschwitz“, „Dachau“ oder „Theresienstadt“. Die Namen dieser Stätten müssen in „Berlin“ unbedingt genannt werden!
Klagemauer in Jerusalem
Der deutschen Delegation wurde klar: Bei der Diskussion über ein Holocaust-Mahnmal in „Berlin“ sollte nicht so sehr auf das Ausland – nicht einmal auf Israel – geschielt werden, um heraus zu bekommen, was man dort erwartet. Wenn die Deutschen innerlich bereit sind, sollten sie für sich und ihre Nachfahren eine Stätte schaffen, die über Trauer und Scham um die Mordstätten zugleich Warnung wäre vor dem seinerzeitigen Kulturverfall.
Als Stätte solcher Warnung wäre dieses Denkmal für das vereinte Deutschland auch staatspolitisch hilfreich. Damit so etwas gelingt, müsste die Debatte daheim ehrlicher, weniger rechthaberisch und nicht so pompös geführt werden wie bislang, fanden die deutschen Besucher Israels. Nachdem das Mahnmal in Berlin errichtet wurde, scheint dieses Ziel verfehlt worden zu sein.
Nach dem Besuch in „Yad Vashem“ versammelte sich die Delegation in ihrem Bus: Verweinte Gesichter, Stille. Der Israeli schien das nicht zu merken. Gleich an der nächsten Straße verteilten junge Juden Wahlkampfaufkleber für Shimon Peres: „Frieden jetzt“. – „Frieden wollen wir alle.“, sprach der Guide ins Mikrofon, „aber der Frieden muss auch sicher sein. Bei uns und bei den Palästinensern werden die Fundamentalisten mehr. Die Syrer wollen den Golan wieder. Dann sind Galiläa und ganz Israel ungeschützt. Und dahinter sitzt der Iran, unversöhnlich.“
Der Sohn Israels hatte die Delegation bewusst in die Gegenwart zurückgestoßen. Er und viele weitere der seinerzeitigen Juden glaubten, dass ihr Volk mit „Yad Vashem“ und anderen Gedenkstätten in Israel für die Opfer getan haben, was ihnen menschenmöglich ist.
So erschien den Besuchern zu Pessach in „Jerusalem“ der Gedanke absurd, die Halle für die ermordeten Kinder irgendwo und vielleicht sogar in „Berlin“ zu kopieren. „Yad Vashem“ war Ausdruck der Trauer der Juden über die bitterste Zeit ihrer Geschichte. Ein „Holocaust-Mahnmal“ in „Berlin“ dagegen müsste die Fassungslosigkeit der Deutschen über „Auschwitz“ ausdrücken: Dieses Mahnmal an der Spree sollte spezifisch für die Deutschen da sein, und die sollten weder Staatsoberhäupter noch andere Gäste drängen, dorthin zu gehen.
So dachten deutsche Besucher damals.
Aber die israelischen Gastgeber schlugen ganz andere Töne an. Nach „Yad Vashem“ wurde die deutsche Delegation von einem Mitarbeiter der Stadt „Jerusalem“ empfangen. Der erfuhr, dass den Gästen die Städte „Berlin“ und „Potsdam“ bekannt waren. Auf Deutsch intervenierte er da: „Kennen Sie den? – Ein reicher Mann geht in ‚Berlin‘ am Kurfürstendamm in einen Autosalon, um einen Mercedes zu kaufen. Der Verkäufer empfiehlt: ‚Nehmen Sie den hier. Da sind Sie in einer halben Stunde in Potsdam.‘ Darauf der Kunde: ‚Potsdam – was soll ich denn in Potsdam?‘“
Die Deutschen verstanden: Das Leben geht weiter.
(1993, 1996)