Читать книгу Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus - Jürgen Dittberner - Страница 27
Hutschenreuther in Boston
ОглавлениеAlso spürten viele und unterschiedliche einheimische Experten den Ruf „Auf nach Amerika! Alle pilgerten über den „großen Teich“.
Ein parlamentarischer Wissenschaftsausschuss aus Deutschland hatte Gutes über die Vereinigten Staaten von Amerika gehört. Er hatte sich sogleich auf den Weg in die USA gemacht. Es ging nach Massachusetts2. Dort wollten die Besucher lernen, wie man Hochschulen auf Niveau brachte. Frau Dr. Schlechter war Vorsitzende dieses Ausschusses. Der etwa zehn Jahre jüngere Abgeordnete Andor Stolp war Mitglied dieses Gremiums.
Die Abgeordneten landeten in „Boston“. Im dortigen Hotel „Colonade“ fand ein erstes „Briefing“ durch den deutschen Generalkonsul statt. Nach der Besichtigung vom „Freedom trail“, von „Quinci Market“ und vom „Common“ hatten die Volksvertreter schnell gelernt, dass die USA in dieser Gegend ihre ersten Schritte getan hatten. Die Besucher folgten einer Einladung eines amerikanischen Politikwissenschaftlers, der einst Mitglied des „American Council on Germany“ gewesen war. Diese Einladung zur Party im Garten hatte sie, Frau Dr. Schlechter, organisiert. Es gab Bowle, Erdbeeren und Krabben. Die Abgeordneten merkten: Sie waren in einer anderen Welt.
Dass hier die Uhren anders gingen, erkannten die Volksvertreter erneut, als sie in einem Restaurant in „Boston“ sonntags am Vormittag Bier trinken wollten. Es war elf Uhr. – „Männer!“, hatte Frau Schlechter gedacht, da klärte die Kellnerin schon die Besucher auf: „In Massachusetts sagt das Gesetz, dass erst ab zwölf Uhr Bier verkauft werden darf.“ Also mussten die durstigen Besucher warten. Frau Dr. Schlechter hatte das insgeheim gefreut.
Europäisch erschien den Besuchern später dagegen eine Art Wochenmarkt hier in „Boston“. Wie zu Hause hatten Händler auf der Straße Stände aufgebaut und boten ihre Waren (meist Landwirtschaftsprodukte) preis. Allerdings kamen den Beobachtern Zweifel, als sie einen schwarzen Fischhändler entdeckten: Ein potentieller Kunde näherte sich seinem Stand, zeigte auf einen bestimmten Fisch und fragte: „What’s that?“ – „It’s fish!“, bekam er zur Antwort und trollte sich daraufhin beleidigt vor sich hinmurmelnd.
Sehr ausführlich waren die Besuche und Gespräche beim „Massachusetts Institute of Technology“ („MIT“), der ersten Adresse in der Wissenschaftswelt jener Tage. Frau Schlechter staunte, wie spärlich die Arbeitszimmer auch hochberühmter Wissenschaftler eingerichtet waren und dass diese immer wieder durch Veröffentlichungen oder berufliche Erfolge ihrer Absolventen ihre wissenschaftliche Klasse beweisen mussten. Sie tauschte sich darüber mit Stolp aus.
Die amerikanischen Wissenschaftler stellten ihren Besuchern ihre Arbeiten vor. Dabei konnten die Gäste jenen Amerikanern, die aus dem Norden der USA kamen, durchaus folgen, den Südstaatlern jedoch weniger. Ihr Dialekt war für europäische Ohren schwer verständlich. Dr. Schlechter und Stolp sahen sich an, schmunzelten darüber und fanden, dass sie irgendwie auf einer Wellenlänge lägen.
Der Ausschuss wurde auch vom Senat und Repräsentantenhaus von Massachusetts empfangen, schließlich kam er aus dem freien Deutschland. Die Amerikaner wollten vor allem etwas von der „Insel der Freiheit im roten Meer“ („Berlin“) hören. Dem Gouverneur überreichte die Ausschussvorsitzende ein passendes Gastgeschenk. Es war die Nachbildung der „Freiheitsglocke“, hergestellt von der alten Berliner Porzellanmanufaktur „KPM“. Dem Gouverneur kamen Tränen der Rührung, und er rief: „Oh, Hutschenreuther!“ Dann fasste er sich und tat seinen Ärger über den „Boston Globe“ kund. Ständig würde er in diesem Blatt falsch dargestellt. Wenn das so weiter ginge, würde er die Zeitung „verbieten“.
Der Herr hatte einen Witz gemacht, denn er wusste natürlich, dass kein Gouverneur in den USA eine Zeitung verbieten konnte.
Der Ausschuss besuchte den Campus der berühmten Harvard-Universität. In einem gewaltigen Lesesaal imponierte es Stolp, dass auch seine eigenen wissenschaftlichen „Werke“ vorhanden waren. Er zeigte es voller Stolz seiner Ausschussvorsitzenden, und die nahm es wohlwollend zur Kenntnis.
In New York schließlich besichtigten die Parlamentarier die „State University New York“ und die „New School of Social Science“. „Schließlich wollen wir auch sehen, dass es in den USA nicht nur Eliteuniversitäten gibt. Für den wieder bevorstehenden deutschen Hausgebrauch wird das sehr beruhigend sein!“, ätzte Stolp, und Frau Dr. Schlechter fand, dass er Recht hatte.