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3. Türkei: Der Imam ist fort

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Nach Italienern, Spaniern und Griechen strömten Türken in die alte Bundesrepublik Deutschland. Das „Wirtschaftswunder“ zog immer mehr internationale Jobsucher an. Diese selbst und manche Deutsche sahen in ihnen „Gastarbeiter“, die nach Ablauf der Arbeit wieder in die Heimat zurückkehren würden. Doch als diese „Gastarbeiter“ ihre Nachkommen holten und sich hier ansiedelten, kamen vor allem deutsche Politiker auf die Idee, sie müssten beim Ansturm muselmanischer Türken die Sünden des Holocausts wieder gut machen: Eine Politik der „Assimilation“ galt in Deutschland als alternativlos und politisch korrekt.

Es kamen mehr und mehr. Die Türken in Deutschland wurden anfangs „Gastarbeiter“ genannt und siedelten sich gerne in heruntergekommenen Vierteln an. Nach dem „Nazi“-Desaster wollte die deutsche Politik diesmal alles richtig machen. Sie befand, die Türken müssten in die deutsche Gesellschaft „integriert“ werden. Ob und wie weit sie dazu ihre hergebrachte Kultur aufgeben sollten, war nicht klar.

Ein deutsches Landesparlament wollte voraus gehen und gründete einen „Ausländerausschuss“. Der Vorsitzende befand bald, dass der Ausschuss in das Herkunftsland der vielen „Gastarbeiter“, die Türkei, reisen sollte, um sich vorzustellen und die Kultur dieses Landes besser zu verstehen. Die Abgeordneten machten sich auf den Weg, besuchten „Ankara“, Anatolien und „Istanbul“.

In Kleinasien herrschten Militärs. Sie hatten den zivilen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit inhaftiert. Ecevit war Sozialist, und die sozialdemokratischen Mitglieder der Delegation besuchten ihn. Nichtmitglieder der SPD waren nicht zugelassen. Danach hockte die gesamte Delegation in einem Hotel in „Ankara“. Ein Abgeordneter, auch er Sozialdemokrat, verstand es auf wunderbare Weise, unentwegt Witze zu erzählen und die Kollegen zu unterhalten.

Draußen vor dem Hotel fuhren Panzer auf und umstellten das Gebäude. Das wirkte bedrohlich. Etwas erleichtert waren die Gäste aber, als sich herausstellte, dass die Drohgebärde nicht ihnen galt, sondern der deutschen „Grünen“-Politikerin Petra Kelly und ihrem General Gert Bastian, die ebenfalls in dem Hotel weilten.

Die Abgeordneten durften sich bei den Gesprächen mit türkischen Offiziellen anhören, dass die Türken in Deutschland schlecht behandelt würden. Eine mitgereiste „grüne“ Abgeordnete, die den türkischen Namen ihres Ehemannes trug (was die Gastgeber freute), stimmte der Kritik zu. Sie musste sich später intern Vorwürfe ihrer Kollegen von den anderen Parteien anhören. Dass ausgerechnet sie als „Linke“ den Vertretern der Militärdiktatur zustimmte, verstanden die anderen Abgeordneten nicht.

Als die deutschen Parlamentarier ein türkisches Verwaltungsgebäude besuchten, gingen sie einen langen Gang entlang, an dem alle Bürotüren geöffnet waren. In den Amtstuben standen Staatsdiener und verneigten sich vor den Gästen. Dann betraten sie das Büro des Bürgermeisters von Istanbul – auch er ein General. Er saß hinter einem überdimensionierten Schreibtisch auf einem Stuhl wie auf einem Thron. Zu Füßen dieses Generals und Schreibtisches hatten die Gäste ihre Sitzplätze. Die Gastarbeiter in Deutschland interessierten den General offensichtlich nicht. Er hatte anderes im Kopf: „Wir bauen eine U-Bahn in Istanbul. Ihr habt schon eine U-Bahn. Der Chef Eurer U-Bahn soll kommen und uns raten, wie wir das hier machen sollen. Sagen Sie ihm das!“ Per Befehl wollte der Militär am Bosporus eine U-Bahn bauen, ganz ohne Bürgerbeteiligung!

Die Finanzierung stellte er sich übrigens einfach vor: „Wenn die Leute geradeaus gucken, müssen sie Steuern zahlen. Wenn sie nach rechts oder links gucken, müssen sie Steuern zahlen. Und wenn sie sich umdrehen, müssen sie Steuern zahlen!“

In Anatolien besuchten die Gäste ein kleines Dorf. Sie waren gekommen, weil ihnen gesagt worden war, die meisten der Türken in Deutschland stammten aus dieser Gegend. Als die Deutschen vor Ort erschienen, teilte einer der Bewohner mit: „Der Imam ist fort. Er will nicht mit Ungläubigen zusammen sein.“

Dann umringten viele fröhliche Kinder die Gäste. Diese erkannten, wie groß das menschliche Reservoir hier war.

Die türkische Presse berichtete über die Reise und die Gespräche sehr ausführlich. Die Besucher konnten Fotos in den großen Zeitungen sehen, nur die Texte daneben, die konnten sie nicht lesen.

Zum Abschluss wurden die Gäste zu einem Schmaus am Bosporus eingeladen. Es gab Köstlichkeiten aus dem Meer. Dass die türkische Küche gut ist, stand damit fest. Der offizielle türkische Begleiter informierte darüber hinaus, dass Türken nicht nur den Kuppelbau, sondern auch das Flugzeug und die Demokratie erfunden hätten.

Das mit der Demokratie glaubten die Besucher aus Deutschland nicht ganz…

(1983)

Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus

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