Читать книгу Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus - Jürgen Dittberner - Страница 28
Knallschoten in Orlando
ОглавлениеEs ging die Kunde, die Vereinigten Staaten von Amerika könnten nicht nur Demokratie und Ökonomie besser als die Europäer, sondern auch die Erzeugung, den Konsum und die Bekämpfung von Drogen. Also pilgerten der Drogenbeauftragte einer deutschen Großstadt und sein Chef nach „New York“, „Washington“ und „Miami“, um die „Szenen“ dort zu studieren.
Die Sache fing komisch an: In „New York“ wollten die Amerikaner den Drogenreisenden aus Europa die Ankunft erleichtern, und so ließen sie deren vorher genau beschriebenes Gepäck vor dem sonstigen der Passagiere eines Riesenflugzeuges sofort in deren Hotel bringen. Als auch die „Drogenreisenden“ selber endlich im Hotel angekommen waren, öffnete der Vorgesetzte des Beauftragten seinen Koffer und – staunte: Das war nicht sein Gepäck, denn statt Hemden, Socken, Unterhosen und Schlipsen war darin Seifenpulver verstaut: X Pakete.
Der herbeigeeilte Beauftragte witzelte: „Das ist bestimmt alles getarntes Heroin!“ Doch der Vorgesetzte hatte schon die Fluggesellschaft informiert, und dort hieß es: „Da müssen wohl zwei gleiche Koffer vertauscht worden sein. Forschen Sie doch im Koffer bitte nach einer Adresse des Besitzers.“ Die Adresse wurde gefunden: „Das ist der Koffer von Herrn Meyer aus ‚Nürnberg‘. Der fliegt nach ‚Orlando‘ und ist noch völlig ahnungslos.“ – „‚Orlando?‘“ – „Ja“, kam die Antwort: „Kennen Sie das nicht: Da fliegen doch die Knallschoten alle hin!“
Nachts um vier stand ein livrierter Schwarzer vor der Hotelzimmertür, hielt einen Koffer in der Hand und erklärte mit breitem Grinsen: „Your luggage, Sir!“ Alles war wieder gut. – Aber was hatte der Herr Meyer aus „Nürnberg“ mit dem vielen Waschpulver in „Orlando“/Florida eigentlich vorgehabt?
Die Fachgespräche in „New York“ waren wenig ergiebig. Hier gab es wie zu Hause Jugendheime, in denen auch „gekifft“ wurde. Amerikanische Sozialarbeiter berichteten von ihren Kämpfen dagegen und von ihrer Hilflosigkeit. Es war wie zu Hause; Neues zu lernen war hier nicht.
Beim Laufen zwischen den Hochhäusern der großen Stadt verspürten die Besucher jedoch die Kälte. Es war Februar, und eiskalter Wind pfiff unablässig durch die Straßenschluchten. Diese waren menschenleer. Februar in „New York“: Kein Tourist war zu sehen!
Weiter ging es nach „Washington“, in die Hauptstadt.
Auch hier gab es zunächst eine Überraschung: Die beiden waren von der deutschen Bundesregierung in einem pittoresken Hotel untergebracht. Nach dem Frühstück stürmte der Beauftrage zu seinem Chef: „Mir ham’se die Aktentasche geklaut!“ – Was nun? Polizei holen, das Hotelpersonal alarmieren? Schließlich landeten die beiden am Schreibtisch des Hoteldirektors. Der fragte: „O.k.: Was war ihre Tasche wert?“ Der Beauftragte zögerte, stammelte dann aber: „Vierhundert Dollar!“ Daraufhin öffnete der Direktor einen Safe, blätterte vier Einhundert-Dollarnoten hin und erklärte: „Damit ist die Sache erledigt! Keine Polizei!“ Hinterher räsonierte der Beauftragte: „Hätt‘ ich doch achthundert Dollar gesagt!“ – In Wirklichkeit war die Aktentasche nicht viel wert, und innen drin hatte sich nur belangloses Zeug befunden…
Dann ging es zum Dienstgeschäft. Die „Drogenforscher“ aus Deutschland kamen in ein Washingtoner Ministerium und wurden einer Delegation aus Argentinien vorgestellt. Die hätten das gleiche Anliegen wie die Deutschen. Zusammen mit den Argentiniern wurden die beiden in einen Konferenzsaal gebeten. Dort trat ein Herr auf, der den Angereisten messianisch erklärte, wie die USA nunmehr das Drogenproblem beseitigen würden. Die Argentinier sagten gar nichts, und die Deutschen sahen sich fragend an: „Was folgt daraus für uns zu Hause?“
Abends gingen beide mit der „Aktentaschenbeute“ in ein feines Fischrestaurant, vor dem Wachmänner darauf achteten, dass keine „homeless people“ eintraten. Der linke Drogenbeauftragte aus einer deutschen Großstadt bemerkte beim Schmausen: „Ist doch schön, dass sie uns hier die Penner vom Leib halten!“
Die dritte Station auf dem Drogentrip war „Miami“. Hier war es warm wie in Deutschland im Sommer. Den Gästen wurde erklärt, deutsche Fahnder seien hier stationiert, um den Amerikanern zu helfen, den Anbau von Drogen in Südamerika zu verhindern.
Dann erhielten sie eine Einladung zu einer Gartenparty. Gastgeber war ein Flugpilot mit seiner Familie. Der Garten war durch einen übermannshohen Zaun geschützt. Er sollte wohl Insekten abhalten. In mehreren Reden machten die Amerikaner deutlich, es käme darauf an, Piloten mindestens vierundzwanzig Stunden vor einem Flug vom Drogenkonsum abzuhalten. Piloten seien nämlich besonders gefährdet.
Der deutsche Drogenbeauftragte sann darüber nach, wo es bei ihm zu Hause suchtgefährdete Piloten gab. Und als sie wieder im Flieger über dem Atlantik saßen, murmelte er vor sich hin: „Piloten kommen eigentlich selten in unsere Heime…“