Читать книгу Erinnerungen an die "68er": Damals in Dahlem - Jürgen Dittberner - Страница 7
Demokratische Kultur nach der Diktatur
ОглавлениеEs stellte sich für westliche Beobachter nach dem 2. Weltkrieg die Frage, ob in Westdeutschland auf die Diktatur des Nationalsozialismus eine demokratisch politische Kultur folgen könnte. In international vergleichenden Studien wurde die politische Kultur in der Ära Adenauer empirisch untersucht.1 Dabei kam heraus, dass die Bürger der Bundesrepublik die Demokratie zwar mittrugen, aber gewisse autoritäre Einstellungen aufwiesen. Diese Einstellungen bezogen sich vor allem auf den Staat („Vater Staat“) und waren wohl auch der Grund dafür, dass eine Persönlichkeit wie Konrad Adenauer als Kanzler eine dominante politische Stellung einnehmen konnte.
Erstaunlich ist, dass das positive Verhältnis zum Staat den Nationalsozialismus überdauert hatte. Dass es den Nationalsozialismus gegeben hatte, ist auch eine Folge eines in Deutschland tief verwurzelten Vertrauens in den Staat, der seine Rolle selbst dann behielt, wenn er zerstörerisch und verbrecherisch agierte. „Staat bleibt Staat!“ – wenn auch die Inhalte radikal wechseln. So konnte beispielsweise für das Berufsbeamtentum eine Kontinuität geschaffen werden, die sich von der Weimarer Republik über den Hitler-Staat bis in die Bundesrepublik fortsetzte.
Es ist bekannt, dass im angelsächsischen Denken, besonders in den USA, der Staat diese Rolle niemals hatte, sondern eher als mächtiger, oft lästiger, Akteur im Interessenwettstreit zwischen privaten und öffentlichen Ansprüchen erschien. „Uncle Sam“ sorgte nie für Wohl und Wehe der Seinen; er war kein Protektor, sondern ein Fordernder, ein Interventionist.
Der Hinweis auf das „staatsgläubige“ Denken der deutschen Demokraten sollte nicht als Abwertung einer reifen demokratischen Kultur verstanden werden, sondern als hinnehmbarer Unterschied. Denn es ist eine Gefahr von Analysen politischer Kultur aus US-amerikanischer Sicht, dass „anders“ oft als „weniger entwickelt“ verstanden wird.