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Oberlausitz – 10:05 – Siebenbrücken über Kuppritzer Wasser

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George Harrisons »Here comes the sun« erklingt aus den Kopfhörern eines Mitreisenden. Das Eis schmilzt, trübe Winterwolken machen warmen Strahlen Platz. Sicher wollte die Hühnerfrau heute Morgen nur Panik verbreiten. Bald wird Max sein Halbtagspraktikum erledigt haben. Dann bummeln sie durchs romantische Elbflorenz und essen schlesischen Mohnstriezel mit Füllung aus gehackten Mandeln, Zitronen, Rosinen und etwas Rum, Uromis Spezialität.

Schlauroth, Zoblitz, Pommritz, Kubschütz. Hin und wieder hält der Zug an maroden Bahnhofsgebäuden. Ungeschminkt, mit Runzeln und Rissen in ihren Fassaden, erzählen Geschichten, tragen Bäume im Dach gleich Indianerhäuptlingen den Federschmuck.

Gen Norden flaches Land, so weit das Auge blicken kann. Die Rauchschwaden des Kraftwerks Boxberg, das Braunkohle verheizt, die hier so flach unter der Erde liegt, dass es wie auf einem Schiff schaukelt, wenn die Bahn darüberfährt.

Im Süden schaut Evi auf Vulkankegel, erloschen in uralten Zeiten und ein bisschen klein geraten, wie in Mittelerde, dem Land der Hobbits.

Zwischenstopp beim Flughafenzubringer Dresden-Klotzsche. Fein gekleidete Leute schieben Rollkoffer mit Sternzeichenaufklebern ins Abteil. Bald gleitet der Zug über die Elbe. Frauenkirche, Schloss, Zwinger und Semperoper glänzen in der Vormittagssonne.

Gedränge im Hauptbahnhof. Evi kommt schwer durch mit dem Fahrrad, muss aufpassen, dass die Kiste mit dem Reiseproviant nicht vom Gepäckträger fällt. Auf dem Nachbargleis der Regionalexpress aus Leipzig. Punks in pechschwarzen speckigen Klamotten. Reichlich Piercings durch Nase, Ohren und Augenbrauen.

Einer hat ein Tattoo quer überm Gesicht, eine Europafahne, nur umgekehrt. Evi muss zweimal hingucken: zwölf graublaue Sterne, krumm und schief, wie selbst gestochen, die Spitzen nach unten wie bei den Teufelsanbetern. Sieht auf der bleichen Haut echt krank aus. Sein Kumpel trägt Schottenrock. Joni Mitchells »We are Stardust« dröhnt aus seinem Rucksack. Sie sind Sternenstaub, sind golden, gefangen im Geschäft des Teufels, auf der Suche nach dem Paradies. Echt krass, diese Typen.

Eine Magere mit nem Silberhaken in der Backe, die gehört auch zum Trupp. Löchrige, ausgefranste Ohren, frisch verschorft. Scheint es auf Uromis Gebäck abgesehen zu haben. Fummelt am Gepäckträger. Klemmt sich die Finger ein, quiekt auf. Strahlendes Lächeln aus gelblich-schwarzen Stummelzähnen, als Evi sie aus der Zwickmühle befreit und was vom Mohnstriezel schenkt. Sofort sind ihre Kumpels da und reißen sich dicke Stücke ab.

»Bin Elektrokosmo aus Leipsch. Der Irre da ist Starkstromastro und die da unsere Spökenkiekerin. Das Connewitzer Dreieck dankt für die Solidaritätsspende.«

»Bitteschön. Sie ist … was?«

»Ne Hellsichtige. Superforecaster. Unser Auge in die Zukunft.«

»Wow! Aber die Ohren.«

»Modern Primitive. Ne Woche Indianer-Sonnentanz. Da reißt schon mal was aus.«

»Verstehe.«

»Grass oder Tütchen gefällig? Freundschaftspreis! Wir nehmen auch Festivaltickets.«

»Sorry, aber das Ticket hier ist von meinem Freund.«

Kumpeline, die Spökenkiekerin, kriegt so nen Blick. Elektrokosmo beugt sich zu ihr rüber. Sie bewegt ihre Lippen, tonlos. Er lauscht und grinst.

»Ho, ho, ho! Dein Freund, der Bulle, ist im Anmarsch. Wollen wir nicht stören – und Tschüss.«

Das Trio aus Leipzig macht über die Bahnhofsgleise. Eine Schaffnerin bläst Trillerpfeife. Der einfahrende ICE »Nostradamus« aus München legt eine Notbremsung hin. Kumpeline kommt gerade mal so davon.

Draußen auf dem Bahnhofsvorplatz marschiert eine Gruppe Jugendlicher auf. Brave Gesichter, adrett gescheitelte Frisuren, alle in Blauhemden wie früher bei der FDJ, bloß mit dem EU-Logo drauf. Überall wehen kleine Europafähnchen. Damals hieß so was »Winkelement«, meinte Uromi. Mit Hammer und Zirkel. Davor waren sie rot mit gelbem Sowjetstern. Die Hakenkreuzfahnen hatte man schnell abgehängt und die Befreier mit weißen Bettlaken begrüßt. Das war, als sie bei Kriegsende mit dem Flüchtlingstreck in die Stadt kam.

Als Uromi geboren wurde, gab es noch einen Kaiser und Sachsen war Königreich. Bei der Semperoper lag die Sonnenbastei, an der Herzogin Garten die Mondbastei und so weiter. An der Venusbastei hatte das Metallgeländer eine große Delle. Von August dem Starken reingedrückt, nur mit dem Daumen. Aber als Evi sein goldenes Reiterstandbild sah, sie war gerade sieben geworden, rief sie entrüstet aus: »Der ist nicht stark. Der ist dick, ganz furchtbar dick!« Uromi hat gelacht.

Evi schiebt jetzt ihr Fahrrad durch die Prager Straße. Das Rundkino, größer und prächtiger denn je, kündigt seine Neueröffnung an. Fassadengroße Euro-Banner schmücken die Shoppingcenter, Euro-Winkelemente an allen Laternenmasten, dazu Lautsprecher, aus denen Musik erschallt, den ganzen Weg bis hin zur Altmarkt-Apotheke, wo sie sich einen Schwangerschaftstest kauft. An einer Marktbude gibt es Astro-Glühwein. Eine energische Lautsprecheransage reißt sie aus den Träumen.

»Achtung, Achtung! Wir verlosen Festivaltickets für das Dresdner Planetenfest. Freier Eintritt zu allen Events! Gesponsert von Questa o Quella, Europas führender Astro- und Kartenhotline, Ihr Berater in jeder Lebenslage. Sagen Sie ihr Geburtsdatum und Sie erfahren alles über Geld, Glück, Liebe und Gesundheit, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Unsere Hotline ist geschaltet. Wählen Sie 0190 0190 0190, nur 1,90 Euro pro Minute. Ein Angebot von Questa o Quella, live vom Berliner Fernsehturm. Hier der erste Anrufer.«

»Bin ick druff?«

»Sie sind auf Sendung. Mit wem spreche ich bitte?«

»Jeht dich janüscht an, du Affe. Will nur loswerden, Astro is Schwachsinn, Leuteverarsche. Zieht uns nur Geld aus der Tasche. Korrupte Schweine ihr! Leckt mich am …«

»Danke für den Hinweis. Wir gehen auf Leitung zwo.«

»Seit die Kinder aus dem Haus sind, na ja, Sie glauben ja gar nicht, wie mir da die Horoskope helfen. Ihr Telefonservice ist ja so nett. Jeden Tag gibt es Sternenrat. Aber nun ist die erste Rechnung da. Ei verbibbsch, wie soll ich das bezahlen? Ich bin doch eine arme Rentnerin aus Mittelsachsen.«

»Trösten Sie sich, gleich kommt das Tageshoroskop, exklusiv von unserer Chefastrologin Aurora Celestico. Zeit für eine letzte Hörermeldung!«

»Hier Harry King. Hello, hello! Geboren am, warten Sie, hier stehts: 15.9.84, London. Drei Freikarten, für mich, Maggy und Starkstrom, ich meine: Mister Strong Stream, unseren Elektriker.«

»Sie stimmen der Weiterverwendung Ihrer Daten zu?«

»Yes, vollumfänglich – ist anonym, oder?«

»Selbstverständlich. Glückwunsch von Questa o Quella! Ihre Freikarten liegen an der Theaterkasse. Frage an Sie als Engländer: Wird das Planetenfest uns Europäer einigen? Oder ist der Brexit unvermeidbar?«

»Aber hallo. Keep cool! Gegenfrage: Kommen wir auch ins Rammelstein-Open-Air?«

»Freier Eintritt zu allen Freiluftkonzerten auf den Elbwiesen, für Sie, Herr Prinz, und Ihre Begleiter.«

»Thank you schön. Good bye.«

»Werte Hörer, bei uns laufen die Telefone heiß. Man will mehr wissen über diesen englischen Prinzen. Unsere Reporter sind unterwegs. Aber jetzt Musik und dann das Tageshoroskop mit Aurora Celestico. Glück, Liebe und Gesundheit, gesponsert von Questa o Quella, Europas führender Astro- und Kartenhotline. Bleiben Sie dran!«

Der Astrologe - eine gänzlich unwahre Geschichte

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