Читать книгу Der Astrologe - eine gänzlich unwahre Geschichte - Jürgen G. H. Hoppmann - Страница 18

Dresden – 20:00 – Residenzschloss

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In der Hofkapelle singt zum Streichquartett ein als Saturn verkleideter Bariton, der auf wackeliger Sänfte über den Kulissenhimmel schwebt.

Hernach ein Zauberer, der Neid, drei Bettler und zwei Bettlerinnen. Schließlich sechs Berghauer, eine Mohrenkönigin, vier Monarchen, Nimrod, Cyrus, Alexander Magnus und Julius Caesar.

»Setzt, Helden, meine Kränze«, schmettert Jupiter.

Europol-Mann Gwiazdek stellt ihr Jovis Morgenstern vor, einen österreichischen Banker mit Schlabberblick. Der doziert wortreich vom Weltreichschema des Sächsischen Planetenballets und reicht ihr das Programmheft. Evi benutzt es als Fächer und genießt ihre aufsteigenden Hitzewallungen.

Piet van Ruimte gibt sich die Ehre. Ein rotgesichtiger Niederländer, der sie zum barocken Tänzchen einlädt und schnell zudringlich wird. Ihr Outfit erinnere ihn an dänische Filmstars aus den 80ern, flüstert er ihr ins Ohr. »I Løvens tegn«, ein Kostümfilm im Zeichen des Löwen. Das müsse sie sich unbedingt anschauen.

Seine Hand sinkt von ihrer Taille bis Anfang Arschritze. Süß lächelnd rammt sie ihm die Bleistiftabsätze ihrer neuen High Heels in den Vorderfuß. Leises Jaulen. Ende der Vorstellung.

Begeistert klatschen die geladenen Promis für eine Welt ohne Grenzen, ohne Gewalt und ohne Wohlstandsunterschiede, machen sich auf zum exklusiven Galadinner! Die vulgären Protestplakate und Sprechchöre auf den billigen Plätzen stören die Harmonie ganz entsetzlich. Glücklicherweise sind genug Sicherheitskräfte im Einsatz, um mit Gummiknüppeln und Tränengas den Gang über den Schlosshof abzusichern.

Evi weiß gar nicht, warum sie Swarożyc Gwiazdek während des Konzerts so angeglotzt hat. In seinem komischen Frack sieht er wie ein Pinguin aus. Und ausgerechnet jetzt, wo sie mit den VIPs zu den fürstlichen Räumen schreitet, stellt er die Kostenfrage.

Hat sich halt was dazugekleckert. Nichts Großes, nur das Notwendigste. Ein paar Fantasien vom Hotelfriseur, der ihr die Haare im 60er-Jahre-Stil turmhoch toupierte und schwarz färbte. Lippen und Fingernägel passend geschminkt im Gothic-Style. Dazu klitzekleine Sternchen-Tattoos am Hals, fast wie echt, aber nur angeklebt.

Evi ist so rücksichtsvoll, ihm das mit den Mastercard-Abbuchungen nicht gleich auf die Nase zu binden. Vornehm schweigt sie und hüllt sich in die Duftwolke ihres neuen Parfüms, eine Mischung aus Yves Saint Laurent und Hausgemachtem aus eigener Schenkelproduktion, feuchtgebietemäßig.

Die hochherrschaftliche Claire D’Etoiles kommt ihnen im Bankettsaal entgegen. Silberne Kerzenleuchter auf den Tischen und Meißener Porzellan. Es gibt Trüffelomelett und Fasan nach sächsischer Art, Wachteleier, Leipziger Allerlei und dergleichen Leckereien, dazu Wein von sonnigen Elbhängen.

Jenseits des Flusses, durch die Schlossfenster etwas unscharf erkennbar, ein bunt leuchtendes Riesenrad mit zwölf Gondeln. Exklusiv für diesen Sonntag aus Chemnitz herbeitransportiert, wie man der Jüngsten an der Festtafel erläutert. Daneben die Freiluftbühne. Hartes Metall, dumpfe Bässe. Kehliger Gesang, von Sonnen erzählend, die aus Händen und Fäusten scheinen: Rammelstein, neue Deutsche Härte! Es dröhnt, Scheiben vibrieren. Kellner ziehen die schweren Vorhänge zu. Muffige Ruhe verbreitet sich im fürstlichen Gewölbe.

Evi lässt Sekt für alle kommen. Nicht das billige Zeug, das es hier gratis gibt, sondern echten französischen Champagner. Sei noch Luft in seiner Mastercard, beruhigt sie den Polen. Es ist eine vergnügliche Tischgesellschaft. Fünf europäische Nationen: Österreich, Polen, die Niederlande, Frankreich und Deutschland. Evi, die sich zur Freude aller wie ein Prinzesschen gebärdet, deutet aufs Programmheft.

»Hier steht Horoskopaufstellung. Was ist das bitteschön, und wann kommt es?«

»Abgesagt«, meint Swarożyc Gwiazdek und lässt sich einen doppelten Wodka kommen.

Evi tut, als ob sie das nicht weiter interessiere. Aber sobald ihre Tischnachbarn über Scultetus plaudern, spitzt sie die Ohren. Jovis und Swaro wollen wissen, wohin ihn die Französin geschickt hat. Die weicht aus. Meint, in einem Zustand wie heute Mittag habe sie den Meister noch nie gesehen. Piet van Ruimte pflichtet ihr bei. Kein Vergleich zu seinem prunkvollen Auftritt vor drei Jahren, in Berlin am Kalenderplatz.

Als der Gesprächsfluss zu versiegen droht, studiert Evi wieder das Programmheft. Wer sei diese Aurora Celestico, die dort laufend erwähnt wird? Die Festivalchefin, erklärt man ihr. Genial, wie sie mit astronomisch-astrologischen Konstellationen rechnen konnte. Ein Zahlen- und Rechengenie sei sie gewesen. Sie hätte sogar rückwärts kalkuliert, was niemand ihr nachmachen konnte.

»Wieso konnte«, will Evi wissen. »Ist sie denn nicht mehr?«

Jovis bekommt einen Hustenanfall. Piet schaut betreten. Claire fabuliert über Hermann Hesses »Glasperlenspiel«, wohl um das Thema zu wechseln. Und Swaro will plötzlich Evis Dienstgrad bei der Polizeiakademie wissen.

»Fachverkaufsgehilfin im Bäckereigewerbe.«

Rundum schallendes Gelächter. Einzig die Französin registriert, wie sich Evi verkrampft. Schaut ihr tief in die Augen und beugt sich vor.

»Mademoiselle, wie wäre es mit einem gemeinsamen Frühstück, Morgen um zehn Uhr?«

»D’accord, Frau Präsidentin. Mit Vergnügen!«

»Très bien, merci. Meine Herren, es wird Zeit, unser kleines Zusammensein zu beenden. Bis bald, à bientôt.«

Der Astrologe - eine gänzlich unwahre Geschichte

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