Читать книгу Warum wir fotografieren - Jürgen Gulbins - Страница 29
Fokussierung ist gut, ›fotografische Breite‹ ebenso
ОглавлениеEs hilft, wenn man sich als Fotograf auf ein Genre fokussiert, denn die verschiedenen Arten der Fotografie haben alle ihre eigenen Regeln. Beschäftigt man sich mit einem Genre intensiver, dann wird man darin besser, sammelt Erfahrung und kann die Einstellungen an der Kamera für die unterschiedlichen Szenen des Genres schneller und gekonnter vornehmen. Man lernt, auf das richtige Licht, die optimale Tages- oder Jahreszeit zu achten, bei Outdoor-Aufnahmen auch ein Gespür für passendes Wetter zu entwickeln. Beim Segment Porträtfotografie lernt man den Umgang mit dem Gegenüber – und die richtigen Regieanweisungen zu geben, hat Ideen zur geeigneten Kleidung. Beim Fotografieren von Kindern bekommt man Übung darin, diese zu motivieren oder die Geduld aufzubringen abzuwarten, bis sie sich entspannen, anfangen zu spielen und den Fotografen vergessen. All dies führt ohne Zweifel zu besseren Bildern. Und man wird als Fotografierender selbst sicherer, routinierter und entspannter, was sich auch in den Bildern niederschlagen kann.
Trotzdem werden die meisten Fotografen eine gewisse Bandbreite an Genres abdecken – entweder parallel oder zeitlich versetzt. Das ist nützlich. Man lernt so, mit unterschiedlichen Situationen umzugehen. Ein Fotograf, dessen Schwerpunkt Reisefotografie ist, wird fast natürlich auch Street- und People-Fotografie betreiben und ebenso Porträtfotografie. Er muss dann eben lernen, Menschen anzusprechen, um – oft schneller, als es in der ›normalen‹ Porträtfotografie erforderlich ist – zu seiner Aufnahme zu kommen. Und während der Reise wird man oft auch Nachtaufnahmen machen, wenn auch zumeist mit einfacheren Mitteln, als wir es bei den Nachtaufnahmen von Péter in Kapitel 6 sehen.
Diese Bandbreite verstärkt den Spaß an der Fotografie, kommt aber zugleich der Qualität der Bilder des bevorzugten Genres zugute.
Warum? Einfach weil wir dabei lernen, unser Handwerkszeug besser zu kennen und zu beherrschen, sei es die Kamera, das Stativ oder künstliches und natürliches Licht mit ihren oft recht unterschiedlichen Eigenschaften. Wir schulen unser Auge, unseren ›fotografischen Blick‹, und dies angepasst an unterschiedliche Genres, wechselnde Lichtsituationen, verschiedene Ziele und Darstellungsformen.
Magdalene ist eine Fotografin mit erstaunlicher Bandbreite. Diese hat sie sich peu à peu zugelegt. Angefangen hat sie mit einer Art Allerweltsfotografie, bei der fotografiert wurde, was vor die Kamera kam und gefiel, etwa Schmetterlinge in ihrer näheren Umgebung, ihre Katzen, Kinder und Verwandte, Landschaften auf Reisen oder Details in ihrem Dorf. Ein gutes Auge hatte sie schon damals. Sie hat in gewisser Weise diese Bandbreite beibehalten, arbeitete aber immer spezifischer und bewusster. So hat sie ein Fotobuch mit Schmetterlingen erstellt und ging dafür eine Weile – mit dem Ziel des Fotobuchs – bewusster und gezielter vor. Sie hatte bereits im Kopf, was das Ergebnis sein sollte, achtete mehr auf den Hintergrund, der bei Schmetterlingsaufnahmen in der Regel dezent und zurückhaltend sowie zumeist unscharf sein sollte. Sie achtete nun mehr darauf, dass der Schmetterling vollständig auf dem Bild und in den wesentlichen Elementen – Augen und Fühler – scharf abgebildet wird und dass am Bildrand keine ablenkenden, störenden Elemente liegen. Sie lernte ebenso, wie man Schwächen der Aufnahmen in der Nachbearbeitung korrigieren und wichtige Objekte in der Szene weiter betonen kann. Diese Technik lässt sich natürlich in fast allen Genres nutzen.
Ein schönes Beispiel ist die Aufnahme des architektonisch recht spektakulären Hallenbads in Stuttgart-Heslach, welche die nächste Seite zeigt. Angeregt durch ein anderes Foto des Bads plante Magdalene diese Aufnahme recht aufwändig. Zunächst musste die Location begutachtet werden, um die optimale Aufnahmeposition zu finden. Dann galt es, die Genehmigung für die Aufnahme zu bekommen. Die nächsten Schritte waren die terminliche Planung sowie Absprachen mit dem Bademeister. Das Wasser sollte möglichst ruhig sein, um den optimalen Eindruck von Transparenz zu erzielen. Da eine hohe Schärfentiefe erforderlich – es wurde f/11 eingesetzt – und das Licht nicht zu stark war, wurde eine Belichtungszeit von 2,5 Sekunden gewählt. En Weitwinkelobjektiv war hierfür das richtige Werkzeug. In diesem Fall war es ein Weitwinkelzoom von Canon.
Und die Zeit drängte bei den Aufnahmen, da der lokale Schwimmverein auf seine Trainingszeit wartete. Es musste deshalb alles gut vorbereitet und einige Probeaufnahmen bereits gemacht sein.