Читать книгу Warum wir fotografieren - Jürgen Gulbins - Страница 33
ОглавлениеSammlungen und Fotopanele
Magdalene sammelt Bilder aus ihrem Dorf. Daraus entstanden Fotopanele mit Bildserien, die farblich zueinander passen oder sich ergänzen und zu einer Art Farbtafel werden. Jede dieser Varianten hat ihre eigenen Herausforderungen. Finden Sie einmal ansprechende Elemente/Bilder, die alle viel Blau oder alle viel Rot aufweisen oder die sowohl von der Farbe als auch vom Sujet her passend eine farbige Diagonale im Panel ergeben. Man lernt dabei das Auge zu schulen.
Solche Ziele sind natürlich Projekte, die man nicht innerhalb weniger Tage erledigen kann. Sie erfordern Zeit, Planung, Geduld und schließlich auch Ausdauer. Ein oder gar zwei Jahre sind dafür der richtige Zeithorizont; manche dieser Sammlungen für Panele können sich über viele Jahre erstrecken. Eine Alternative zu Panelen können dann auch gedruckte Alben sein, wie eines auf Seite 185 zu sehen ist, dort mit Porträts.
Es entsteht dabei eine Sammlung an Bildern, die man auch für andere Zwecke nutzen, mit denen man arbeiten und experimentieren kann. Serien sind für die meisten Fotografen aber Beiwerk. Man muss die Aufgabe im Hinterkopf behalten, zuweilen gezielt dafür losgehen und in anderen Fällen eine zufällig gesehene Szene erfassen und aufnehmen. Man muss die Bilder oft speziell für den Zweck der Serie bzw. eines speziellen Panels aufbereiten, etwa die Farben verstärken oder abschwächen oder so anpassen, dass sie mit benachbarten Elementen im Panel harmonieren. Man muss das einzelne Bild beschneiden, um es für das Panel oder Fotobuch von störenden Elementen zu befreien. Und man wird in dieser Zeit auch andere Aufnahmen machen, die mit der Serie nichts zu tun haben.
Ein Panel mit Szenen aus Königsbach-Stein, farblich wohlüberlegt angeordnet und gestaltet als begleitendes Plakat für eine Fotoausstellung von Günther Pritzkow (siehe Kapitel 4).
Arbeitet man eine Weile an solchen Serien, seien es Farben, Objekte oder Formen, so entwickelt man einen Blick für passende Motive und zugleich eine Art Sammeltrieb.
Composings
Composings – Bildkompositionen aus mehreren Aufnahmen zusammengesetzt – sind ein recht eigenes Genre. Sie erfordern zumindest drei Dinge: Vorstellungskraft und Fantasie sowie einiges an Können bei der Bildbearbeitung.
Zunächst muss man eine brauchbare Idee für die Komposition entwickeln, wozu ein gutes Maß an Fantasie und Vorstellungskraft gehört. Dazu sind dann die Komponenten zusammenzustellen, die Einzelbilder, die man zu etwas Neuem zusammensetzen möchte. Im Idealfall hat man bereits eine Zeit lang Bildmaterial gesammelt, auf das man zurückgreifen kann. Abhängig vom eigenen Ehrgeiz müssen passende bzw. ergänzende Aufnahmen aber erst noch erstellt werden. Auch hierbei hilft es, zumindest eine grobe Skizze des Composings im Kopf zu haben. So sollte beispielsweise der Lichtfall der einzelnen Bilder zusammenpassen. Der Farbton lässt sich zumeist im Nachhinein mit den heutigen Bearbeitungstechniken relativ gut an die entstehende Gesamtszene angleichen.
Manche der bekannteren Composing-Künstler – beispielsweise der Deutsche Ulrich Steiger [25] – kombinieren so viele einzelne Bildelemente zu einer neuen Szene, dass sie kaum noch alleine mit eigenem Bildmaterial auskommen. Sie greifen dann auf Stock-Fotos zurück. Hiervon findet man ausreichend viel im Internet, und dies zu durchaus akzeptablen Kosten.
Magdalene arbeitet mit der ihr eigenen Experimentier- und Lernfreudigkeit in ihren bisherigen Composings aber mit deutlich weniger Bildern. In der Regel sind es lediglich zwei oder drei. Und sie hat dabei den Ehrgeiz, eigenes Bildmaterial einzusetzen. Sie betrachtet die Erstellung dieser Komponenten als Teil der Herausforderung eines Composings. Zugleich schult es ihre fotografischen Fähigkeiten.
Das Composing auf der nächsten Seite besteht so aus lediglich drei Einzelbildern. Das Grundbild mit dem Spinnennetz und den glitzernden Tauperlen entstand bei einem morgendlichen Spaziergang und ist bereits ein ansprechendes Bild für sich. Die zweite und dritte Aufnahme mit den Kindern auf einer Leiter wurden dann gezielt für das Composing aufgenommen.
Die Erstellung der neuen Komposition war dann wieder eine Folge neuer Lernschritte: Skalieren der dem Grundbild überlagerten Bilder mit den ›aufsteigenden Kindern‹, Freistellen der Kinder vom Hintergrund über passende Ebenenmasken, Spiegeln des Bilds mit dem Mädchen, Anpassen der Belichtung und der Farbtöne. Das ist eine ganze Reihe von Schritten, selbst für ein so einfaches Composing wie das hier gezeigte. Magdalene ist sicher noch nicht perfekt mit ihren Composings, aber es ist auch erst der Anfang, und für sie bedeutet es eine neue Herausforderung, eine neue Variante des Fotografierens und Kombinierens sowie der Nachbearbeitung.
Die drei Ausgangsbilder für das Composing auf der nachfolgenden Seite. Das Bild des Spinnennetzes mit den morgendlichen Tautropfen entstand spontan; die beiden Bilder mit den Kindern auf der Leiter wurden explizit für das Composing erstellt.
Eines der Bilder, mit denen Magdalene in das Thema Composing einstieg. Mit drei Basisbildern ist es noch ein einfaches Composing, erfordert aber bereits viele der Techniken, die man für dieses Genre braucht – vom Freistellen bzw. Maskieren über das Skalieren, Rotieren, Verflüssigen, Retuschieren bis zum Anpassen der Belichtung und des Farbtons.
Die Kunst ist das Weglassen
Sowohl Maler als auch Fotografen möchten uns ein Abbild der Welt geben, beide je nach Typ und Veranlagung mehr oder weniger abstrakt oder real. Ein Fotograf, an dessen Namen ich mich leider nicht mehr erinnere, hat den Unterschied zwischen einem guten Maler und einem guten Fotografen sinngemäß wie folgt beschrieben:
»Der Maler beginnt mit einer leeren Leinwand und versucht mit all seinem Können, diese nach und nach mit einem kleinen Ausschnitt der Welt zu füllen. Ein Fotograf hingegen beginnt mit ›der Welt‹ vor seiner Linse und versucht mit all seinem Können alles für sein Bild Unwesentliche wegzulassen.«
Magdalene ist eine der Fotografinnen, die das Weglassen, das Reduzieren auf das Wesentliche, gut beherrschen. Sie komponiert sorgfältig – wo immer möglich, bereits in der Kamera, und wo dort nicht möglich, in der Nachbearbeitung. Sie hat ein Auge für Licht und Schatten, für einen ansprechenden Lichtfall, der ihr Sujet zur Geltung kommen lässt. Sie sieht Muster und Formen und in Architekturszenen interessante Spiegelungen. Sie erkennt frühzeitig, was überflüssig ist und was weggelassen werden sollte. Sie kann mit Farben umgehen und hat ein gutes Gefühl dafür, wo Schwarzweiß besser funktioniert – probiert es aber auch immer wieder aus. Sie traut sich und beherrscht radikale Schnitte. Hierbei war sicher ihr Kollege Günther Pritzkow, von dem wir später im Buch noch einiges finden werden, ein guter Lehrmeister. Aber man muss auch die Fähigkeit besitzen, sinnvolle Lehren anzunehmen und sie zu verinnerlichen.
Viel einfacher geht Architektur nicht: ein schlichtes Geländer mit Schatten und einem ansprechenden Verlauf.
Diese Kombination von Fähigkeiten ist das, was einen guten fotografischen Stil ausmacht. Hinzu kommen die Ausdauer, das Dranbleiben an einem Thema, das immer wieder erneute Ausprobieren aus einem anderen Blickwinkel, mit einer anderen Einstellung, mit einer anderen Technik.
Die Amerikaner nennen die Prüfung des Bilds auf störende Randelemente ›Border Control‹, also Grenzkontrolle. Sie sollte möglichst vor der Aufnahme bereits bei der Wahl des Bildausschnitts erfolgen. Aber Reduktion auf das Wesentliche ist deutlich mehr als diese Border Control. Auch innerhalb der Bildfläche verstärken Schlichtheit, wenige Elemente, klare Strukturen und Farben, Harmonie oder Kontrast – aber nicht beides – die Wirkung eines Bilds. Wo Farben störend, ablenkend oder geschwätzig sind, sollte man sie reduzieren oder ganz weglassen. Dies muss man aber erkennen. Für diese Reduktion muss man ein Auge haben, zuweilen die Geduld aufbringen zu warten, bis die Szene einfacher oder klarer ist, das Licht passender, die Sicht unverstellt. Man muss erkennen, wann ein Bild nicht lohnt, von wo aus die Szene konzentrierter wirkt oder dass man zu einem anderen Zeitpunkt zurückkommen sollte, bei anderem Licht, bei anderem Wetter, bei anderer Szenenzusammensetzung. Man muss ein Gefühl dafür entwickeln, wo in der Bildfläche zentrale Objekte liegen sollten. Die verschiedenen Regeln mit einer Drittelaufteilung, dem goldenen Schnitt oder der goldenen Spirale mögen dabei Anhaltspunkte sein, dürfen aber die Bildgestaltung nicht diktieren. Man sollte zwar die wichtigsten Gestaltungsregeln kennen, aber auch wissen, wann man sie brechen sollte und was man dadurch gewinnt.
Ein grauer Wintertag mit sehr diffusem Licht und ohne Schatten – zum Fotografieren scheinbar nicht geeignet; und doch wurde ein minimalistisches, attraktives Bild eingefangen.
Nicht jedes Bild muss scharf sein. Hier unterstützt die Bewegungsunschärfe das Motiv ›Tanz auf dem Eis‹, und die Komposition ist gekonnt. Bei solchen Szenen muss man schnell reagieren, muss die richtige Belichtung und Belichtungszeit ausprobieren, und trotzdem werden nur wenige Aufnahmen der Serie brauchbare Ergebnisse liefern. Die digitale Fotografie ohne große Film- und Entwicklungskosten kann hier ihre Vorteile ausspielen.
(Olympus OM-D E-M5 Mark II mit M.Zuiko 75 mm F1,8 (150 mm KB-äquivalent), 1/6 s, f/11, ISO 100)