Читать книгу Undercover - Auftrag - Jürgen H. Ruhr - Страница 10

VII.

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„So, Herr Lärpers.“ Der Vermieter schloss die Türe auf und sah mich skeptisch an. „Wieso heißen sie eigentlich nicht wie ihr Vater?“ - „Stiefvater. Er war nie mein leiblicher Vater. Meine Mutter heiratete ihn, da war ich gerade drei Jahre alt. Vater Heyer - so nenne ich meinen Stiefvater seit jeher - adoptierte mich damals. Ich hieß sogar eine Zeitlang ‚Heyer‘, doch als sich Mutter von ihm trennte, nahm sie wieder ihren alten Namen an. Und ich hieß fortan auch wieder Lärpers.“

So die Geschichte, wie Bernd sie sich für mich ausgemalt hatte und wie sie meiner Legende entsprach. Natürlich stimmte dies nicht mit meinen Vorstellungen überein, denn als Jonathan Lärpers lief ich ja schon mein ganzes Leben lang herum. Vielleicht wäre ‚Robin Gedfort‘ oder etwas ähnlich dramatischeres doch ansprechender gewesen. Nachdem Jennifer mir die fertigen Papiere übergeben hatte, ließ sich nun aber leider nichts mehr ändern. Warum besprach Bernd solche Sachen nicht auch vorher mit mir?

„Aha. Ich verstehe. Nun, die Papiere, die sie mir vorgelegt haben, scheinen ja alle zu stimmen. Ich habe diese Erbbescheinigung natürlich überprüfen lassen. Als rechtlicher Nachfolger ihres Vaters, äh Stiefvaters, übernehmen sie auch offiziell das Mietverhältnis. Wenn sie wollen.“ - „Ich will“, bestätigte ich, obwohl der Mann mich das nun zum dritten Mal fragte.

Dann drückte er mir die Schlüssel in die Hand, warf noch einen kurzen Blick in die Wohnung und verabschiedete sich. „Na gut, wenn sie unbedingt wollen. Sie müssen aber nicht ...“

Nachdem ich die Haustür hinter mir sorgfältig geschlossen hatte, sah ich mich in der Wohnung um. Heyer war im Keller sehr gesprächig gewesen und so fand ich mich direkt zurecht. Eine kleine Wohnung an der Steinsstraße im Ortsteil Geistenbeck. Der ‚Geistenbecker Marktplatz‘ in direktem Sichtkontakt. Daneben die Sparkasse. Auf dem Marktplatz schien irgendjemand seinen Metallschrott abgestellt zu haben, was das da sollte, konnte ich nicht genau erkennen. Nun, die Stadt würde das schon entsorgen. Irgendwann. Meine - also Heyers - Wohnung im zweiten Stockwerk verfügte über zwei Zimmer, Küche und ein kleines Bad. Alles in allem eine äußerst durchschnittliche Wohnung der unteren Preiskategorie. Ich sehnte mich jetzt schon nach meinen eigenen vier Wänden zurück. Dort musste ich auf Bernds Geheiß sogar mein Namensschild entfernen. Chrissi, die eine Etage unter mir wohnte, erzählte allen, ich sei auf einer Auslandsreise und sie selbst müsse auch fort. So konnte man das auch sehen …

Der kleine Fernseher stammte noch aus längst vergangenen Zeiten. Ein Gerät mit Bildröhre. Wer benutzte denn so etwas heute noch? Heyer - ja klar Heyer. Ebenso auch das Telefon: Ein vorsintflutliches Modell in Zahnschmerzen verursachendem orange. Aber schon mit Tasten. Im Kühlschrank fand ich nur ein paar Bierflaschen, dann machte ich mich an das Durchsuchen der Schränke. Sam hatte darauf bestanden, dass ich überall gründlich nachschaute. Falls doch noch etwas Unerwartetes auftauchen würde. Wir mussten ja auf alles gefasst sein. Lustlos durchwühlte ich Schubladen mit Papieren, alten Briefen und vergilbten Fotos. Erinnerungsstücke aus besseren Zeiten. Eine Fotoserie war ganz lustig; die zeigte Heyer mit vielleicht zwanzig Jahren. Er und einige illustre Typen standen neben bunten Mopeds und schauten grimmig aus der Wäsche. ‚Hellbent Gang‘ stand auf der Rückseite.

Ich suchte weiter.

Plötzlich klingelte es an der Tür. Zunächst ignorierte ich den melodischen Dreiklanggong, dann fiel mir das Gebimmel auf den Wecker.

„Guten Tag, Herr Heyer. Haben sie mich vergessen?“ Die alte Frau stand gebückt vor mir und sah mich aus dicken Brillengläsern an. „Sie haben sich aber verändert. Sind sie jünger geworden?“ Ich sah die Alte verwundert an. „Ich bin nicht Günther Heyer. Mein Name ist Jonathan Lärpers.“

Jetzt nahm sie die Brille ab und besah mich von oben bis unten. „Sie sehen aber ein wenig aus, wie Günther. Wie heißen sie? Länkers?“ - „Lärpers, Jonathan Lärpers.“ - „Aha. Herr Länkers. Aber was machen sie hier in der Wohnung von Günther? Sind sie ein Einbrecher?“

Im Geiste raufte ich mir die Haare. Was wollte die Frau von mir? „Nein, gute Frau. Ich bin kein Einbrecher. Ich bin der Sohn von Günther Heyer.“ - „Der Sohn? Ach deswegen die Ähnlichkeit. Sie sehen Günther wie aus der Rippe geschnitten ähnlich.“ - „Aus dem Gesicht geschnitten.“ - „Häh?“

Ich schaute an der Frau vorbei in das Treppenhaus. „Es heißt: Wie aus dem Gesicht geschnitten“, korrigierte ich sie.

„Junger Mann, junger Mann! Wer schneidet denn im Gesicht herum? Nein, nein Adam wurde auch aus einer Rippe gemacht.“ - „Das war Eva!“ Langsam langweilte mich diese unsinnige Diskussion. Aber die Frau war mit ihrem Wissen und ihrer Neugier anscheinend noch nicht am Ende. Ich beschloss, mich zurückzuhalten. „Eva hat Adam aus einer Rippe gemacht? Junger Herr Länkers - sie sollten ihre Bibel einmal genauer lesen!“

Ich seufzte und gab es auf. „Was kann ich denn für sie tun? Warum haben sie geklingelt?“ - „Sie sind aber neugierig, Herr Länkers. Sind sie nun ein Einbrecher?“

Verzweifelt schüttelte ich den Kopf. Das erklärte ich doch eben schon. „Lärpers, Jonathan Lärpers. Ich bin der Stiefsohn von Günther Heyer und trete sein Erbe an. Und jetzt muss ich weiter aufräumen.“ Rasch zog ich die Türe zu, scheiterte aber an dem Fuß der Alten, der im Türrahmen stand.

„Sie treten das Erbe?“ - „Ich trete an.“ - „Das spielt doch keine Rolle, Herr Länkers. Wenn Günther ihr Vater war, dann müssen sie auch seine Nachfolge antreten. Also los, junger Mann.“

Jetzt fühlte ich mich völlig verwirrt. Was wollte die Frau nun eigentlich? Und wer war das? Ich musste an die vielen Papiere denken, die noch durchzusehen waren. Wie wurde ich sie jetzt möglichst schnell wieder los? „Wer sind sie denn überhaupt? Ich kenne sie doch gar nicht.“ - „Ich sie doch auch nicht. Sie können viel behaupten, dass sie Günther Heyer sind. Wir sind halt zwei Fremde.“

Jetzt langte es mir. Ein beherzter Tritt gegen den in der Türe stehenden Fuß und ich wäre die Alte los. Warum ich das nicht tat, blieb mir schleierhaft. „So, jetzt noch einmal ganz langsam - ich heiße Jonathan Lärpers, bin der Stiefsohn von Günther Heyer und muss jetzt die Wohnung aufräumen.“

„Aha. Sie sehen auch nicht aus wie Günther. Mit der Behauptung wären sie nie und nimmer durchgekommen. Ich bin ihre Nachbarin von gegenüber. Klara Rohsner. Sie dürfen aber Frau Rohsner zu mir sagen. Und jetzt, da sie das Erbe übernehmen, also die Rechte des Günther, da müssen sie auch die Pflichten übernehmen.“

„Aha.“ Mir schwante Schlimmes. Die Frau wollte bestimmt, dass ich die Treppe putzte. Nun, Sam würde das schon organisieren.

„Ja, genau - aha. Und eine von Günthers Pflichten ist, mit mir einkaufen zu gehen. Günther war immer pünktlich montags bei mir. Und wo bleiben sie, Herr Länkers? Da sitze ich und warte und kein Günther kommt um mich abzuholen.“

„Frau Rohsner, ich wusste doch nicht einmal von ihrer Vereinbarung mit Günther Heyer. Außerdem habe ich keine Zeit für so etwas. Ich muss die Wohnung aufräumen, das sagte ich doch schon. Und jetzt nehmen sie endlich den Fuß aus der Tür.“ Ich drückte die Tür leicht gegen ihren Fuß, um meiner Forderung Nachdruck zu verleihen.

„Au, Hilfe, Hilfe!“, schrie die Alte und wummerte mit der Faust gegen das Türblatt. Überrascht ließ ich los und krachend schlug die Klinke gegen die Wand. „Sie Einbrecher! Ich bleibe hier, bis sie mich zum Einkaufen fahren! Ich schreie um Hilfe!“

Verzweifelt blickte ich auf den blockierenden Fuß. Wie kam ich jetzt aus der Nummer wieder raus?

„Können wir jetzt fahren oder muss ich den ganzen Tag hier in der Türe stehen? Wenn wir nicht bald fahren, dann schreie ich!“

„Gut, gut“, gab ich mich geschlagen. Dann kam mir eine grandiose Idee. „Ich fahre sie. Lassen sie mich nur schnell meinen Autoschlüssel und meine Papiere holen.“ Vorsichtig zog ich die Tür zu. Frau Rohsner dachte aber nicht daran, den Fuß aus der Tür zu nehmen. Auffordernd sah ich sie an. „Nun, was ist. Ich muss meinen Schlüssel holen.“ - „Ich warte hier. Mit dem Fuß in der Tür. Sie sind genau wie ihr Vater. Der hat auch immer versucht, mich reinzulegen. Aber das ist ihm nur einmal gelungen. Also los, holen sie ihre Papiere, ich warte hier.“

Gut, die Frau hatte gewonnen. Seufzend suchte ich meine Papiere und den Fahrzeugschlüssel zusammen. Endlich durfte ich die Tür schließen. Allerdings hakte Frau Rohsner sich jetzt bei mir unter, so dass es keine Gelegenheit gab zu entkommen.

„Was wollen sie denn damit?“ Frau Rohsner zeigte grimmig auf meinen Einkaufswagen. Dann schob sie mir ihren hin. „Na, dann sehen sie mal zu, wie sie mit beiden zurechtkommen. Günther hat meinen Wagen immer geschoben! Sie wollen doch nicht allen Ernstes, dass ich mich mit dem Ding abmühe?“

Bis in den Eingang des Discounters waren wir schon gekommen. Warum erwähnte die Frau das mit dem Einkaufswagen jetzt erst? Vorhin hätte ich meinen ja zurückstellen können. Aber jetzt … „Ich wollte auch ein paar Dinge einkaufen“, erklärte ich und schob meinen Wagen vor mir her, während ich ihren zog. Zwei Einkaufswagen, die ich schieben und ziehen musste, und die Frau legte ein Tempo vor, dass ich kaum mitkam. „Nicht so schnell, Frau Rohsner. Ich komme ja gar nicht mehr mit!“ - „Günther war da aber ein wenig fixer als sie. Nun machen sie schon, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Ach Moment, ich habe noch etwas vergessen.“ Frau Rohsner machte auf dem Absatz kehrt und strebte wieder dem Eingang zu. Kurz davor wandte sie sich einem Regal zu und fischte von ganz hinten eine Packung Kaffee hervor. Schnaufend eilte ich mit meinen zwei Einkaufswagen heran.

„Merken sie sich mal: Immer die Waren von hinten nehmen. Da stehen die frischen und länger haltbaren Sachen. Nie von vorne!“ Ich nickte. Hauptsache, ich kam bald wieder nach Hause - also in Heyers Wohnung. Schließlich gab es noch genug zu tun für mich.

Schon stürmte die Alte weiter. „Wie heißen sie eigentlich?“, rief sie durch den halben Laden. Rasch sah ich zu, dass ich sie wieder einholte. „Lärpers, aber das sagte ich doch schon!“ - „Nein, nicht ihren Nachnamen. Wie heißen sie mit Vornamen? Günther habe ich auch Günther genannt. Das war nämlich sein Vorname.“ - „Ich weiß. Günther“, nickte ich bestätigend.

„Ach, sie heißen auch Günther? Welch ein merkwürdiger Zufall.“ - „Nein, Frau Rohsner, ich heiße Jonathan. Jonathan Lärpers. Aber das sagte ich doch vorhin schon.“ Frau Rohsner eilte schon wieder mit Riesenschritten voran. Bisher war nicht mehr als die eine Packung Kaffee in meinen beiden Wagen. „Also doch nicht Günther? Sie sind ein komischer Mensch. Mal heißen sie so, dann wieder so. Wissen sie was - ich nenne sie jetzt einfach Günther. Das kann ich mir gut merken.“

Egal. Meinetwegen sollte sie mich doch ‚Günther‘ nennen. Hauptsache, die Frau gab Ruhe und wurde bald mit ihrem Einkauf fertig. Mittlerweile standen wir in der Nähe der Kassen. War‘s das jetzt?

„Ach, ich Schussel.“ Schon eilte sie wieder davon. So schnell konnte ich ihr nicht folgen, meine beiden Einkaufswagen hatten sich ineinander verkeilt. Als ich endlich zu ihr unterwegs war, hörte ich sie schon durch den Laden schreien: „Günther! Günther, wo bleibst du?“ - „Bin schon da“, keuchte ich und bremste beide Wagen scharf neben ihr ab. Wir standen vor dem Regal mit dem Kaffee. Und Tee. Wieder wühlte Frau Rohsner im hinteren Regalteil und brachte schließlich eine Packung Tee zum Vorschein. Zufrieden legte sie das Paket in ihren Wagen. „Sie müssen auch ein wenig mitdenken, junger Mann - Günther. Mein Günther hat das auch immer gemacht.“

Ich nutzte die Gelegenheit und fischte mir ebenfalls eine Teepackung aus dem Regal. Jetzt war mein Einkaufswagen wenigstens nicht ganz so leer.

„Was soll denn das? Hast du mir eben nicht zugehört?“ Schon lag mein Tee wieder an der Stelle, von der ich ihn zuvor weggenommen hatte. „Nie von vorne nehmen. Immer von hinten. Da liegen immer die frischesten Sachen. Nun du.“

Ich blickte mich um, ob uns auch ja niemand beobachtete. Die Alte schien verrückt zu sein. Trotzdem wiederholte ich gehorsam: „Nie von vorne nehmen. Immer von hinten.“ - „Bist du blöde, Günther? Wieso wiederholst du alles, was ich sage? Du sollst dir die Packung aus dem Regal nehmen. Jetzt mach schon, deinetwegen verpasse ich noch meine Einkäufe!“ Meinetwegen die Einkäufe ‚verpassen‘? Die fuhren doch nicht hier vorbei. Quasi wie ein Zug, nach Fahrplan und so. Bei dem Gedanken musste ich lächeln.

„Was grinste denn so blöd? Du willst dich wohl über mich lustig machen? Na, dann warte ich eben nicht mehr auf dich. Nächste Station Milchprodukte.“

Ich griff rasch zu meiner Packung - natürlich der, die ich vorhin schon genommen hatte und wollte sie in den Wagen legen. Hinten sind die frischeren Sachen? Jetzt wühlte ich doch und zog mühevoll Tee von ganz hinten heraus. Dann verglich ich die Haltbarkeitsdaten. Von wegen, hinten sind die frischeren Artikel! Hier vorne die Packung war einen ganzen Monat länger haltbar, als die von hinten. Das würde ich der Rohsner gleich einmal brühwarm unter die Nase reiben.

„Güüüünnntherrrrr!“ War die Frau angegriffen worden? So wie die schrie? Fast im Laufschritt, jedenfalls so schnell, wie es die beiden Wagen zuließen, eilte ich Richtung Kühltheke. Schon in Sichtweite der Frau, die erneut ‚Güüüünnntherrrrr!‘ schrie, knallte mein hinterer Wagen gegen einen dieser metallenen Warenkörbe und verkeilte sich. Rasselnd fiel ein Berg Suppendosen in sich zusammen. Ein Großteil der Dosen kullerte in meinen Einkaufwagen. Ein anderer Teil landete krachend auf dem Boden.

„Güüüünnntherrrrr! Verdammt, wo bleibst du?“

Gut, dass mich in diesem Laden keiner kannte.

„Das muss aber schneller gehen. Du behinderst mich ja mehr, als dass du mir hilfst.“ Kopfschüttelnd legte sie einen Becher Joghurt in ihren Wagen. Dann fiel ihr Blick auf mein Gefährt. „Günther, Günther! Isst du diese Suppe so gerne, dass du so viele davon kaufst? Sind die im Angebot?“ Mit einem Finger auf die Dosen zeigend, zählte sie nach. „Achtzehn“, meinte sie schließlich und tippte sich an die Stirn, „du bist wirklich komisch, Günther. Aber zeige mir doch einmal, wo du die her hast. Eine könnte ich auch mitnehmen.“

Großzügig reichte ich ihr eine Dose aus meinem Wagen. „Nehmen sie die. Ich wol...“ - „Nein, nein, Günther. Du sollst deine Dosen schon behalten. Ich hole mir meine eigene. Also, wohin?“ Seufzend zeigte ich ihr den Weg. Wenigstens könnte ich die Dosen so wieder zurückräumen.

„Jetzt schau dir doch einmal diese Sauerei hier an.“ Frau Rohsner stand vor den am Boden liegenden Dosen und zeigte kopfschüttelnd auf einige eingedellte Exemplare. „Wer so etwas macht, gehört aus dem Laden geschmissen. Los Günther, ich brauche noch Zahnpasta.“ Diesmal zog sie am vorderen Wagen und zwangsläufig musste ich ihr folgen. „Ihre Suppe!“, rief ich ihr noch zu, bekam aber einen mitleidigen Blick zu spüren. „Bei der Sauerei? Da kaufe ich keine Dose.“

Nach der Zahnpasta eilte Frau Rohsner schnurstracks zur Kasse. Meine Versuche, ihr zu erklären, dass ich noch einige Dinge bräuchte, ignorierte sie. Achtzehn Dosen chinesische Suppe - übrigens alle der gleichen Art - und eine Packung Tee waren meine Ausbeute. Immerhin mehr als Frau Rohsner, die lediglich Kaffee, Tee und einen Joghurt kaufte. Gegen die Zahncreme entschied sie sich letztlich doch noch. Sie würde ihr Gebiss ja sowieso nicht damit putzen.

„Günther, mit dir macht das Einkaufen keinen Spaß. Ich muss mir überlegen, ob ich dich noch einmal mitnehme! Da war mein Günther doch ganz anders.“ Wir standen im Hausflur und Frau Rohsner öffnete ihre Tür. Ich reichte ihr die Einkaufstüte. Wortlos verschwand die Frau in ihrer Wohnung. Deutlich konnte ich vernehmen, dass sie eine Sicherheitskette vorlegte.

Leute gab‘s!

Chrissi kam mich Dienstag besuchen. Um den Schein unserer angeblichen Freund- und Liebschaft zu wahren, versuchte ich ihr schon an der Wohnungstür einen Kuss zu entlocken. Christine schob mich aber einfach zur Seite. „Jonathan, lass den Scheiß.“ Chrissi sah sich in der Wohnung um. „Du hast ja ein ganz ordentliches Durcheinander angerichtet.“ Sie zeigte auf die Stapel von Papieren, die fein säuberlich geordnet dalagen. „Hat alles sein System“, meinte ich.

„Und? Hast du irgendetwas gefunden, das für uns von Wert sein könnte?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Alles was Heyer uns im Studio erzählte, wurde durch die Papiere bestätigt. Er hat ausnahmslos die Wahrheit gesagt. Aber es gibt auch keine Aufzeichnungen über seine Aktivitäten als Kurierfahrer oder die Rumänenbande. Da war Heyer wohl sehr vorsichtig. Wenn man bedenkt, wie brutal dieser Dimitru Pâgescu ja auch sein soll … Gibt‘s denn bei euch etwas Neues?“

Chrissi schüttelte den Kopf. Dann nickte sie zur Küche hin, die sie kurz zuvor inspiziert hatte. „Nein, keine Neuigkeiten. Sag mal, Jonathan, hortest du Chinasuppen?“ Sie lachte. Ich winkte ab und erzählte ihr die Geschichte mit Frau Rohsner.

„Da hast du es ja noch gut getroffen. Deine Nachbarin scheint ja ganz nett zu sein. Bei uns im Haus hat wohl irgendjemand herausbekommen, dass ich aus dem Gefängnis komme. Also angeblich ja. Außerdem ist die Wohnung verdammt klein und alles ist ziemlich schmuddelig. Ich bin froh, wenn das Ganze hier vorüber ist und ich wieder in meine eigene Wohnung ziehen kann.“

„Ich auch“, bestätigte ich. „Kann ich dir einen Tee anbieten?“ - „Gerne Jonathan.“

Minuten später reichte ich ihr den Tee. „Ich muss unbedingt einkaufen gehen. Gestern habe ich mich nur von der Dosensuppe ernährt und jetzt hängt mir das Zeug zum Hals heraus.“ Christine lachte. „Ja, am besten du gehst wieder mit deiner Nachbarin in den Discounter.“ - „Danke, bloß nicht. Wie geht‘s den anderen denn so?“

Meine Kollegin schüttelte grinsend den Kopf. „Jonathan, du bist gerade einmal zwei Tage weg und tust so, als wären es Monate. Aber selbstverständlich lassen dich alle schön grüßen. Du sollst tapfer die Stellung halten. Aber sag‘ einmal: Hast du Lust Essen zu gehen?“

Lust verspürte ich schon. Gar keine schlechte Idee, was Chrissi da vorschlug. Wollte sie mich etwa einladen? „Gute Idee. Du willst mich doch nicht etwa einladen?“ - „Nein, Jonathan. Eher andersherum: du lädst mich ein.“

Uje, das hatte ich befürchtet. Aber wenigstens war es eine Möglichkeit der Langeweile hier ein wenig zu entgehen. Am besten wir gingen zu ‚Curry - Erwin‘, dann würde das Ganze auch nicht so teuer werden.

„Wie hieß noch gleich das Restaurant?“, fragte sie jetzt. „Curry - Erwin“, antwortete ich. Aber Chrissi schüttelte den Kopf. „Komm, Jonathan. Das kannst du besser! Ich rede von deinem Steakrestaurant.“ - „Chez Duedo. Aber da war ich schon lange nicht mehr. Dagegen bei Cu...“ - „Wenn du mich einladen willst, dann ordentlich und nicht in diese abgewrackte Frittenbude. Also überlege es dir, ansonsten bin ich gleich wieder weg ...“

Die Tage schlichen zäh dahin. Nach unserem Mittagessen im ‚Chez Duedo‘ verabschiedete Chrissi sich und versprach am Mittwoch wiederzukommen. Diesmal brachte sie sogar etwas zu Essen mit und kochte für uns. Und unbehelligt von meiner Nachbarin schaffte ich es sogar, einige notwendige Lebensmittel einzukaufen.

Der Donnerstag begann mit leichtem Schneeregen. Bis zum Frühling schien es noch ewig hin zu sein. Nun, wenigstens käme jetzt Bewegung in die Angelegenheit. Heute Vormittag würde ich den Versuch starten, Pâgescu zu kontaktieren. Ich nahm mir vor, den Wagen - Heyers Wagen - stehen zu lassen und zu Fuß nach Rheydt zu laufen. Schlechtes Wetter hin oder her. Erneut prüfte ich das Handy, mit dem Pâgescu mit mir Kontakt aufnehmen würde. Komplett geladen und einsatzbereit. Nichts durfte schiefgehen. Nach meinem Anruf aus der Telefonzelle würde ich direkt zu Chrissi gehen und dort mit ihr zusammen auf den Rückruf warten. Sie konnte dann über unseren besprochenen Umweg Sam von den Neuigkeiten in Kenntnis setzen. Jetzt blieb eigentlich nur zu hoffen, dass der Rumäne auch wirklich zurückrief.

Die Telefonzelle war nicht schwer zu finden. Ich suchte den Zettel mit der Rufnummer und ein wenig Kleingeld heraus. „Günther Friedhelm Heyer“, sprach ich in die Muschel, nachdem mir ein Piepston signalisierte, dass ich sprechen sollte. Dann legte ich den Hörer wieder auf.

Mittlerweile ließ der Schneeregen nach. Gut, bis zu Chrissis Ein-Zimmer-Wohnung war es nicht weit. Ich fragte mich, ob man mich wirklich beobachten würde. Das war doch mehr als unwahrscheinlich! Trotzdem - diese umständlichen Sicherheitsmaßnahmen erfolgten ja in unser aller Interesse. Ich könnte mir nie verzeihen, wenn Christine bei dieser Aktion zu Schaden kommen würde.

‚Weru‘. Das Klingelschild musste ich zunächst suchen. Christine operierte, ebenso wie ich, unter ihrem richtigen Namen. Christine Weru. Beherzt drückte ich den Knopf. Dann noch einmal. Nichts. Chrissi musste doch zu Hause sein! Immerhin waren wir miteinander verabredet. Ich wollte gerade ein drittes Mal klingeln, als sich die Haustüre öffnete und ein kleiner Junge mit einem Skateboard unter dem Arm durch die Öffnung trat. „Na, du hast wohl keine Schule?“, scherzte ich, bekam als Antwort aber nur seine ausgestreckte Zunge zu sehen. Na, das war ja ein tolles Früchtchen … Wenigstens stand jetzt die Türe offen, so dass ich rasch in den Hausflur schlüpfen konnte. Eine Welle von Essensgerüchen, hauptsächlich Kohl vermischt mit sauer riechendem Fisch, schlug mir entgegen. Grinsend betrat ich die schmale Treppe. Chrissi hatte es definitiv schlechter getroffen als ich.

„Wo willst du denn hin?“ Nahezu lautlos öffnete sich eine Tür und ein dicker Mann mittleren Alters trat in die Öffnung. Über einer buntscheckigen Freizeithose bedeckte ein ehemals weißes Unterhemd, Marke ‚Feinripp‘, seinen voluminösen Bierbauch. Die obligatorische Zigarette steckte im Mundwinkel und fein rieselnde Asche schwebte gerade zu Boden. Die ganze Erscheinung war nur als äußerst widerwärtig zu bezeichnen.

„Zu Frau Weru“, entgegnete ich freundlich sein aufdringliches Duzen ignorierend. „Anscheinend hat sie mein Klingeln nicht gehört und da woll...“

Der unsympathische Typ unterbrach mich: „Weru? Zu der alten Schlampe willste? Die war im Knast und jetzt isse hier.“ - „Na, viel besser scheint sie es da aber auch nicht getroffen zu haben“, entfuhr es mir.

„Wat sachste? Wen haste getroffen?“ - „Nichts, guter Mann. Im wievielten Stockwerk ist denn die Wohnung von Frau Weru?“ - „Das sach ich dir doch nich! Scher dich lieber wieder nach Haus. Die Weru ist gerade erst aussem Knast. Was haste denn mit der zu schaffen? Biste auch so‘n Knastbruder? Sowat woll‘n wa hier nich haben. Dat is nen anständiches Haus!“

Langsam wurde mir die Sache mit diesem Mann zu dumm. Ich setzte an, die nächste Treppe hochzusteigen, als der Fette sich mir in den Weg stellte. „Nix da Mann. Hier kommse nich weiter. Zu der Schla...“

Jetzt reichte es mir. Was bildete dieser ... dieser ... Mensch sich überhaupt ein? „Kümmern sie sich um ihren eigenen Scheiß. Noch einmal solch ein Wort über meine Freundin ...“ Was dann geschehen würde, wusste ich selbst noch nicht. Aber nach meiner Drohung dürfte dieser fiese Zeitgenosse doch wohl nicht weiter nachhaken.

„Schlampe, Schlampe, Knasti ...“ Der legte es ja förmlich auf eine Tracht Prügel an. Mich juckte es in den Handkanten, meine Krav Maga Kenntnisse wieder einmal zur Anwendung zu bringen. Aber die Vernunft siegte. „Lassen sie mich vorbei, ansonsten muss ich Gewalt anwenden.“

Jetzt grinste der Dicke. „Gewalt? Junge, ich hau dir glei...“ Der Mann redete nicht einmal aus, sondern schoss plötzlich seine Faust in Richtung meines Gesichts ab. Ich rechnete zwar nicht mit einem Angriff, aber meine Reflexe waren noch nicht eingerostet. Leichtfüßig wich ich dem Schlag aus.

„Wat is denn hier los? Herrmann, wat machste da?“ Die Frau war unbemerkt und lautlos in die Tür getreten. Vermutlich seine Gattin. Jedenfalls stand sie in Körperfülle dem Schmuddeligen in nichts nach. Herrmann fing sich nach seinem fehlgegangen Schlag gerade wieder und stierte jetzt seine Frau an. „Der Typ hier will zu der Weru - Schlampe.“ - „Der, die da innen Knast war?“ - „Genau. Un ich hab jesacht das geht nich.“

Jetzt blickte die Frau abwechselnd auf mich, dann auf ihren Mann. „Herrmann, warum jeht dat nich?“ - „Weil ich dat sage!“ - „Und wat hampelse hier im Flur rum? Gleich kommt Fernsehen. Die Bullenstreife. Willste dat verpassn - wegem dem hier?“

Herrmann sah mich irritiert an. Ich grinste und wartete einfach ab. „Der is frech geworden. Dem hau ich jetz in die Fresse! Tu ma kucken, wie der grinst!“ - „Herrmann lass dat. Film kommt.“

Doch Herrmann schien sein Versprechen halten zu wollen. Wie ein wilder Stier visierte er mich an und versuchte erneut einen Schlag in meinem Gesicht zu landen. Diesmal wich ich nicht aus, sondern blockte die Faust mit beiden Händen ab, fixierte den Arm und nutzte Herrmanns Restschwung, um ihn mit Wucht gegen die Wand neben seiner Tür stolpern zu lassen. Der Dicke schlug sich den Kopf an und rutschte langsam zu Boden. Seine Frau sah ihm reglos zu. „Mach watte wills, Herrmann. Ich geh jetz de Bullen kucken.“ Und weg war sie.

Ich beugte mich zu Herrmann hinunter, der mich zwar benommen, aber noch ganz bei Bewusstsein anstierte. „Jetzt pass‘ mal gut auf, Herrmann“, sprach ich ihn freundlich aber bestimmt an, „sollte mir zu Ohren kommen, dass du noch einmal etwas Schlechtes über Frau Weru sagst, dann komme ich wieder und dann bin ich nicht so freundlich zu dir. Hast du das verstanden?“ Der Dicke nickte. Zum Abschied tätschelte ich ihm noch einmal freundlich die Wange. „Guter Mann!“

Christines Wohnung lag im vierten Stockwerk in einer hinteren Ecke. Der Gang stank nach Katzenpisse und aus den Wohnungen nebenan drangen laute Fernsehgeräusche. Ich klopfte an Chrissis Tür. „Jonathan. Wo bleibst du denn? Ich habe schon auf dich gewartet.“

„Tolle Begrüßung. Dir auch einen schönen, guten Tag, Christine. Aber anscheinend funktioniert deine Klingel nicht. Und dann war da noch dieser, dieser …“ Ich suchte nach dem richtigen Wort. „Blockwart. Genau. Herrmann. Der wollte mich nicht zu dir lassen.“

Christine zog mich in die Wohnung und schloss die Tür sorgsam. „Ja, ein unangenehmer Mensch. Ich gehe ihm aus dem Weg, so gut es geht. Ich habe richtig Angst.“ Mitfühlend legte ich ihr meine Hand auf die Schulter. „Das kann ich verstehen, Chrissi. Der Mann ist ja wie ein wilder Stier, wenn der dich erst einm...“ Christine unterbrach mich. „Nein, das meine ich nicht, Jonathan. Ich habe Angst, dass ich diesem Idioten eines Tages eine Tracht Prügel verabreichen könnte.“

Ich lachte. Ach so lief der Hase! „Nun, das habe ich eben schon für dich erledigt. Hat der Kerl doch wirklich versucht, mich anzugreifen. Wenn er schlau ist, dann benimmt er sich jetzt und lässt dich in Ruhe.“

„Der ist aber nicht schlau.“

Ja, da konnte Chrissi recht haben.

„Und hat das mit dem Anruf funktioniert?“ Christine stellte Kaffee und ein paar Kekse vor mich hin.

„Ja“, bestätigte ich. „Kein Problem. Ich habe meinen, also Heyers, Namen auf den Anrufbeantworter gesprochen. Jetzt muss dieser Pâgescu nur noch zurückrufen.“ - „Du hast doch aber auch das Handy dabei?“ - „Na klar, hältst du mich für einen Dummkopf?“, erwiderte ich ein wenig pikiert. Diese Frauen! Trauten sie uns Männern denn gar nichts zu?

„Ich koche uns eine Kleinigkeit, wenn du möchtest. Oder willst du mich lieber zum Essen einladen? Vielleicht wieder ins Chez Duedo?“

Ich winkte ab. „Lieber nicht. Ich würde den Anruf ganz gerne in aller Ruhe und ohne irgendwelche Zuhörer entgegennehmen. Aber ich lade dich gerne ein Andermal ein. Als Dankeschön für deine Kochkünste.“ Chrissi sah mich forschend an. „Nanu, Jonathan. Was ist denn mit dir los? Auf einmal so spendabel?“ Dann lachte sie und verschwand in der Küche. Ich kramte das Handy hervor, überprüfte noch einmal die Empfangsbereitschaft und schaltete dann den kleinen Fernseher ein. Was war das für eine Sendung, die die Frau vom Herrmann unbedingt sehen wollte? Schnell ging ich die Programme durch. Irgendetwas mit Bullen. Polizei? Ein Krimi vielleicht? Bei einer Kindersendung blieb ich für ein paar Minuten hängen. Irgendwelche Phantasiestrichmännchen machten mit einer Rakete Jagd auf eine Phantasiestrichkatze. Das Ganze war so niveaulos und grenzdebil, dass ich mich allen Ernstes fragte, ob Kinder wirklich so einen Schrott schauten. Schnell wechselte ich erneut den Kanal. Jetzt standen zwei - zugegebenermaßen ziemlich dämlich dreinblickende - Polizisten vor einem Polizeibüschen. War dies der Krimi, von dem die Frau vorhin redete? Ich drehte den Ton ein wenig lauter, um die Dialoge besser verstehen zu können.

„Wollen wir eine Pause einschieben?“ Der Kleinere der beiden sah seinen Partner von unten treuherzig an. So schien es mir jedenfalls. Doch der ältere Polizist reagierte nicht. Jetzt blickte er stur in die Kamera. Hatte der Mann seinen Text vergessen? Erneut versuchte es der jüngere Beamte. „Es ist nicht viel los. Da können wir uns ruhig eine kleine Pause gönnen.“ - „Ja.“

Aha, der zweite Mann konnte also doch sprechen.

Dann quäkte es irgendwo in dem kleinen Bus, was durch die offenstehende Tür gut zu hören war. „Walter dreizehn von Walter Zentrale kommen.“ Der Jüngere zuckte die Schultern und nahm ein Mikrofon in die Hand. „Walter dreizehn an Walter Zentrale. Ich höre.“ - „Einsatz in der Grubenstraße. Dort scheint ein Betrunkener in sein Auto steigen zu wollen.“ - „Walter dreizehn verstanden. Wir fahren dort einmal hin.“ Der Polizist hängte das Mikrofon wieder in den Wagen und wandte sich an seinen Partner, der sich aber bisher noch nicht bewegte. „Ein Einsatz.“ - „Ja.“ - „In der Grubenstraße.“ - „Ja.“ - „Da müssen wir hin. Ein Betrunkener, der in sein Auto steigen will.“ - „Ja.“

Ich fragte mich, warum der junge Polizist dem anderen das jetzt alles erzählte, denn der hatte doch unzweifelhaft das vorherige Funkgespräch mit anhören können. Und warum machten die beiden sich nicht endlich auf den Weg? Ein merkwürdiger Krimi!

Jetzt sprach der Jüngere seinen anscheinend wortkargen Kollegen erneut an. „Wenn der mit seinem Wagen wegfährt und einen Unfall baut ...“ - „Ja.“ - „Dann los. Steig ein, Werner.“ - „Ja.“ - Ich fahre.“ - „Ja.“

Die beiden stiegen in den Wagen und fuhren los. Jetzt zeigte die Kamera die Innenansicht und die Gesichter der beiden Männer. Ich war ein wenig verwirrt. Kriminalfilme kannte ich noch anders. Aber vielleicht spielten die neueren Filme nun einmal so. Ich war ja schon lange nicht mehr dazu gekommen, Fernsehen zu gucken.

Der ältere Polizist popelte jetzt ungeniert in der Nase und betrachtete sich anschließend seinen Fund, während der Jüngere wieder munter drauflos plauderte: „Ein großer Fang.“ - „Ja.“ Der Popler besah sich das Ergebnis seiner Bohrtätigkeit genauer. Jetzt schien auch er etwas redseliger zu werden. „Recht haste.“ - „Ja, wenn wir den Besoffenen kriegen. Wenn der nicht schon weggefahren ist.“ - „Ja.“

Irgendwie erschien mir dieser Krimi ziemlich blöde. So etwas schauten sich die Menschen vormittags an? Nun gut, das Wetter lud nicht zum Spazierengehen ein. Und die Innenstädte Rheydt oder Mönchengladbach konnten jetzt ja auch nicht unbedingt als Shoppinghighlight durchgehen.

Ich konzentrierte mich wieder auf den Film: „Da steht er.“ - „Ja.“ - „Ist noch nicht weggefahren.“ - „Ja.“ - „Gut so.“ - „Ja.“ - Ich mach‘ dann mal Meldung.“ - „Ja.“ Der jüngere Beamte sprach in das Mikrofon, während er den Wagen am Straßenrand einparkte. Tat der ältere Mann eigentlich gar nichts? Außer vielleicht in der Nase zu bohren?

„Die Zentrale ist informiert.“ Überflüssiger Weise kommentierte der Mann jetzt das, was sowieso jeder wusste. - „Ja.“ - „Dann wollen wir mal aussteigen.“ - „Ja.“ Die beiden stiegen aus. Jetzt wechselte die Kamera wieder in die Außenansicht. So einen schlecht gemachten Film musste ich mir noch nie ansehen. Und würde ich auch nie wieder, schwor ich mir.

Die beiden Beamten stellten sich wieder vor den Bus. Das Bild ähnelte nun stark der ersten Szene, die ich schon kannte. Da der Streifenwagen nur halb zu sehen war, konnte man im Hintergrund einen kleinen, dürren Mann erkennen, der versuchte einen Schlüssel in das Türschloss eines Autos zu stecken. Offensichtlich ohne Erfolg. Ein paar Mal sackte der Betrunkene weg, kam torkelnd wieder hoch und begann das Spiel mit dem Schlüssel erneut. Die beiden Polizisten, die die Aktion hinter ihrem Rücken offensichtlich nicht störte, blickten jetzt stur in die Kamera.

„Wir sollen den Verkehrsteilnehmer am Wegfahren hindern.“

„Ja.“

Ich antwortete mit dem Gesetzesmann nun im Chor. Es war auch nicht allzu schwer, zu erraten, was der Beamte sagen würde. „Dann sollten wir eine Blutprobe nehmen.“ - „Ja.“ - „Und mit aufs Revier nehmen.“ - „Ja.“ Während für den älteren Polizisten die Situation klar schien, fragte ich mich, was der Mann jetzt meinte. Die Blutprobe mit aufs Revier nehmen oder den Betrunkenen? Oder beide? Und wenn sie den Betrunkenen schon mitnahmen, warum konnte die Blutprobe denn nicht dort gemacht werden? Und: durften die Polizisten überhaupt hier eine Blutprobe nehmen? Wer schrieb für solch einen Film eigentlich das Drehbuch? Der Autor gehörte eindeutig erschossen! Aber meine Fragen wurden alsbald geklärt, denn der Jüngere besann sich jetzt: „Ich meinte Alkoholkontrolle.“ Der Mann lachte. „Da habe ich mich aber versprochen. Pusten muss er, pusten.“ - „Ja.“

Der Betrunkene im Hintergrund verlor gerade die Schlüssel und als er sich danach bückte, schlug er lang hin. „Ich hole dann mal das Pusteröhrchen.“ - „Ja.“ Der junge Polizist drehte sich um und schaute verwirrt auf das dastehende Fahrzeug. Der am Boden liegende Trunkenbold war aus dieser Perspektive nicht zu sehen.

„Er ist weg“, stellte der Beamte überrascht fest. - „Ja.“ - „Der Wagen steht aber noch da.“ - „Ja.“ - „Dann können wir auch wieder fahren. Wo kein Täter, da auch ...“, er suchte nach Worten, „da auch, da auch … kein Polizeieinsatz“, schloss er dann und grinste selig.

„Ja.“

„Jonathan, was schaust du dir denn da für einen Scheiß an?“ Christine stand hinter mir, ich hatte sie nicht bemerkt. „Irgend so ein Krimi“, brummte ich und stellte den Ton leiser.

„Das soll eine Polizei Dokusoap sein“, klärte sie mich auf. „Der ganz große Renner zur Zeit. Authentische Polizeiarbeit.“

„Ja.“

Mehr fiel mir dazu nicht ein.

„Du kannst übrigens Essen kommen, falls du dich von dem Schwachsinn da losreißen kannst.“ - „Ja.“ - „Aber wundere dich nicht, ich habe nur ein paar Spaghetti gemacht. Nichts Besonderes.“ - „Ja.“ - „Magst du Tomatenketchup?“

„Ja.“

Unser Rumäne meldete sich nicht. Chrissi und ich waren enttäuscht. Den ganzen Nachmittag verbrachten wir mit Warten und Mensch-ärgere-dich-nicht spielen. Ich gewann nicht einmal und fragte mich, ob Chrissi vielleicht fuschen würde. Aber mannhaft stand ich dann doch noch die nächste Runde durch.

„Der meldet sich nicht mehr“, stellte ich schließlich frustriert fest und überprüfte zum x-ten Mal das Handy. Aber an dem Gerät lag es nicht. Aufgeladen, Empfang und der Klingelton an.

„Pâgescu weiß doch auch, dass Heyer tot ist. Das stand ja groß und breit in den Zeitungen und wurde sogar in den Nachrichten erwähnt. Wenn dann plötzlich jemand anruft und Heyers Namen nennt, muss doch auch der Dümmste misstrauisch werden. Und Heyer hat nicht erwähnt, ob Pâgescu dumm ist ...“

Ich musste Chrissis Ausführungen bestätigen. Aus jetziger Sicht war es nur logisch, dass unser Plan schiefgehen musste. „Tja und was nun?“, seufzte ich. Oberstaatsanwalt Eberson würde nicht erfreut über unseren Fehlschlag sein.

„Ich spreche morgen mit Sam. Warten wir erst einmal ab, was Sam und Bernd dazu sagen. Bis dahin bleiben wir auf jeden Fall bei unserer Rolle.“ - „Ich könnte Pâgescu noch einmal anrufen und etwas mehr auf Anrufbeantworter sprechen. So, wer ich bin und so weiter“, schlug ich vor. Chrissi winkte ab. „Warte noch damit, Jonathan. Vielleicht ist das eine ganz gute Idee, vielleicht auch nicht. Ich spreche mit Sam, bis dahin halte die Füße still.“

Ich nickte. „Gut, dann fahre ich jetzt nach Hause - also in Heyers Wohnung. Kommst du morgen zu mir, oder soll ich noch einmal hierhin kommen?“ - „Weder noch, Jonathan. Wir treffen uns morgen in Rheydt. Zum Mittagessen bei Chez Duedo. Da kannst du dich für meine Kochkunst bedanken. Einverstanden?“

Ich nickte. Nun ja, Curry - Erwin wäre zwar als Ausgleich für ein paar Spaghetti eher angebracht, aber was tat man nicht alles für eine Kollegin … Außerdem würde Chrissi ja eh nicht mit zu Curry - Erwin kommen. Warum eigentlich nicht?

Frustriert machte ich mich zu Fuß auf den Heimweg nach Geistenbeck. Es war bitterkalt und leichte Schneeflocken schlugen mir ins Gesicht. Gut, dass ich meinen Schirm bei mir trug.

Undercover - Auftrag

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