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V.

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Über meinen Auftrag mit dem Nacktputzer wurde nicht mehr gesprochen. Birgit kümmerte sich um die Rechnung, dann verschwand die Akte im Archiv. Hier lagerten alle alten Unterlagen oder nicht mehr benötigten Utensilien.

Nur einmal, da bekam ich mit, wie Birgit einen zwanzig Euro Schein zu Chrissi hinschob. Dabei meinte sie bedauernd: „Nun, ich dachte ja, dass Jonathan für den Auftrag länger brauchen würde.“ Dann lachte sie und fügte hinzu: „Oder eher gar nicht schafft!“

Ich war mir sicher, dass sie bemerkte, wie ich zuhörte.

Es wurde schneller Samstag, als gedacht. Sam ließ Chrissi und mich am Freitag noch einmal unauffällig die Örtlichkeiten inspizieren. Die kleine Kneipe, in der die Feier stattfinden sollte, lag direkt an der Hauptstraße. Von hier aus war es bis zu dem Hochhaus, in dem wir Heyer abfangen sollten, nicht weit. Der Mann würde also auf jeden Fall mit seiner neuen Bekanntschaft zu Fuß gehen.

Auch den Aufzug im Haus überprüften wir. Es gab nur einen davon, was uns die Arbeit natürlich erleichtern würde. „Wir müssen zuerst im Aufzug sein, vor Heyer und der Frau“, meinte Chrissi, „nicht, dass uns die beiden noch davonfahren.“ - „In den wievielten Stock soll es denn gehen?“, fragte ich nicht ohne Berechtigung. Nicht, dass Heyer nachher noch zu Fuß über die Treppe hinaufgehen wollte.

„Ganz nach oben. Die Dame wohnt dort zwar nicht, aber Heyer soll ja auch nie in der Wohnung ankommen. Sobald die Aufzugtüre sich schließt, betäubst du den Mann. Ich blockiere dann die Fahrstuhltür und öffne sie wieder und wir schleppen Heyer zum Wagen. Dazu haken wir uns bei ihm unter. Sollte uns jemand begegnen, so geht der Mann garantiert als Betrunkener durch. Einzig, falls noch andere Personen in der Nähe sind, kann es problematisch werden. In diesem Fall müssten wir improvisieren.“

Ich nickte. „Am besten du stellst unauffällig einen Fuß in die Tür. Dann vermeiden wir, dass sie schließt und wir doch noch in den obersten Stock hinauffahren.“ Chrissi sah mich nachdenklich an: „So hatte ich mir das vorgestellt, Jonathan!“

„Alles klar, Jonathan?“ Sam stand in der Tür meines Büros und sah mich an. In wenigen Stunden würde es losgehen.

„Ich bin fit. Keine Probleme.“ - „Prima. Um achtzehn Uhr treffen wir uns noch einmal kurz im Konferenzraum. Du, Chrissi, Moni und ich. Wir werden noch ein letztes Mal den Einsatz besprechen. Ruh‘ dich bis dahin noch etwas aus, es kann eine lange Nacht werden.“

Ich nickte. Wir würden das Kind schon schaukeln. Viel wichtiger erschien mir, dass unsere ‚Dame‘ es auch schaffte, Günther Heyer in das Hochhaus abzuschleppen. Eindeutig der Schwachpunkt unseres Planes. Ließ Heyer sich nicht zu einem Stelldichein überreden, wären alle Planungen hinfällig.

Mir fiel etwas ein und ich blickte zu Sam auf. Der war allerdings schon wieder verschwunden.

„Die ganze Aktion muss schnell und lautlos über die Bühne gehen“, fasste Sam seinen Vortrag noch einmal zusammen. „Dem Mann darf nichts passieren. Wir brauchen Informationen von ihm, also seid entsprechend rücksichtsvoll.“

Er schaute auf den Beamer, der offensichtlich immer noch nicht funktionierte. Dann fuhr er fort: „Ein Unsicherheitsfaktor sind andere Menschen. In dem Gebäude oder selbst im Aufzug. Noch einmal - du hörst mir doch zu, Jonathan? - es darf niemand zu Schaden kommen. Unsere Bekannte wird sich den Abend über an diesen Günther Heyer heranmachen und auch dafür sorgen, dass der Mann genügend Alkohol zu sich nimmt. Das bedeutet aber auch - Jonathan! -, dass du mit Chloroform eher sparsam umgehen solltest.“

Ich nickte. Sam konnte sich auf mich schließlich verlassen. Aber eine Frage brannte mir auf den Nägeln: „Sam, nur eine kleine Frage.“ - „Ja, Jonathan?“ - „Wieso ist der Beamer noch nicht wieder repariert?“

Die anderen stöhnten auf. Ja, bestimmt hatte diese Frage allen schon auf dem Herzen gelegen. Sam fixierte mich eindringlich: „Und sonst noch Fragen zum Thema?“

Ich überlegte. Fragen zum Thema? Kein Problem: „Diese Bekannte von Bernd. Wer ist das überhaupt? Ist die Frau zuverlässig?“ - „Der Name der Frau tut nichts zur Sache. Einfach eine Bekannte, die hin und wieder kleine Dienstleistungen für uns übernimmt. Zuverlässig ist sie allemal, macht euch darüber also keine Gedanken. Wichtiger ist, dass der geplante Ablauf des Abends funktioniert. Ansonsten sind wir gezwungen zu improvisieren. Aber auch in diesem Fall bin ich guter Dinge.“

Jetzt meldete sich Monika zu Wort: „Was ist mit dem Wagen für den fingierten Unfall? Wird man das Fahrzeug später zu uns zurückverfolgen können? Wem gehört der überhaupt?“

Sam nickte, dann schaute er in die Runde. „Der Wagen wurde vor einiger Zeit über Mittelsmänner gebraucht gekauft und kann nicht zu uns zurückverfolgt werden. Die Sache mit dem Ablauf und dem Krankenwagen besprachen wir ja schon. Wir werden auf dem Platz vor der Post in Odenkirchen Stellung beziehen und auf unseren Einsatz dort warten. Das ist weniger auffällig, als wenn wir direkt an dem Hochhaus parken würden. Sobald die beiden die Kneipe verlassen, werden wir aktiv. Der Krankenwagen für Monika steht unauffällig auf einem Parkplatz in der Nähe der Polizeiwache. Aber keine Sorge, die ist um diese Zeit nicht besetzt. Moni verursacht zunächst den Unfall und begibt sich dann schnellstmöglich zu dem Krankenwagen. Anschließend fährt sie mit Blaulicht und viel Lärm wieder zurück zur Unfallstelle. Dort bleibt sie kurze Zeit stehen, um anschließend mit Alarm zu verschwinden. Über Umwege landet der Krankenwagen dann wieder in unserer Tiefgarage. Aber natürlich ohne Tatütata und Blaulicht“, fügte er schmunzelnd hinzu.

Monika nickte Sam zu. „Der Unfall wird sich in unmittelbarer Nähe der Kneipe ereignen. Nichts Großartiges, ich werde ein Schild auf dem Gehweg plattfahren.“

Sam übernahm wieder das Erklären: „Genau, Monika ist instruiert. Im Krankenwagen befindet sich ein Beutel mit Blut, den Moni an der Unfallstelle ausgießen wird. Inzwischen dürfte auch unsere Bekannte zurück sein und der eintreffenden Polizei von dem Unfall, dem Krankenwagen und einem zu Fuß flüchtenden Autofahrer erzählen. Sollte ein Polizist Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der ganzen Sache haben, so bügelt das der Oberstaatsanwalt Eberson gerade. Wir brauchen uns darüber also keine Gedanken zu machen.“

„Was ist denn mit dem Fahrer des Unfallwagens?“, wollte ich wissen. Nicht, dass dem armen Mann noch etwas geschehen würde.

Sam und die anderen sahen mich verständnislos an. „Äh, Jonathan, welcher Fahrer? Monika wird den Wagen fahren ...“ - „Ich meine den Besitzer, den Besitzer natürlich“, korrigierte ich mich rasch.

„Der ursprüngliche Käufer des Fahrzeuges - also unser Strohmann - hat den Wagen schon vor einer ganzen Weile als gestohlen gemeldet. In dieser Hinsicht gibt es also auch keine Probleme. Also, Herrschaften. Es kommt auf das funktionierende Timing an. Besonders du bist gefordert, Moni. Heyer wird später als bei dem Unfall verstorben gemeldet, eine entsprechende Meldung erhält die Presse zur rechten Zeit. Auch das hat Eberson schon organisiert. Wenn ihr sonst keine Fragen habt, dann bereitet euch vor und ruht euch noch ein wenig aus. Ach ja, bevor ich es vergesse: Denkt an eure Headsets, damit wir in Verbindung bleiben können.“

Eine Frage brannte mir nun doch noch auf den Lippen: „Hat unsere ‚Bekannte‘ auch ein Headset?“

Sam schüttelte den Kopf. „Nein, Jonathan. Sie wird mich über Handy informieren. Und zwar einmal, wenn absehbar ist, dass der Abend sich dem Ende zuneigt und einmal in dem Augenblick, wenn die beiden die Kneipe verlassen. Jetzt alles klar soweit?“

Wir nickten. Es schwirrten zwar noch einige Fragen in meinem Kopf herum, aber diese Probleme würden sich wahrscheinlich schon von alleine lösen. Zum Beispiel die Frage, ob wir während der Wartezeit auch mit Essen und Trinken versorgt wären. Aber so etwas dürfte sich dann schon zeigen …

Die Zeit verging quälend langsam. Anfänglich unterhielten wir uns noch über dieses und jenes, nach und nach aber wurde es zusehends stiller. Unser Wagen befand sich gut eingeparkt zwischen anderen Fahrzeugen auf dem Parkplatz vor der Post. Einerseits standen wir sehr unauffällig dort, andererseits war es uns möglich, aus dieser Position direkt auf die Straße zu gelangen. Um diese Zeit befanden sich nur noch wenig Passanten hier draußen. Ein angetrunkenes Pärchen schlenderte quer über den Parkplatz. Er schien wirkliche Schwierigkeiten mit der Koordination seiner Schritte zu haben, immer wieder musste die Frau ihn stützen und auf den rechten Weg zurückführen. Ich grinste und machte die anderen auf das Pärchen aufmerksam. Eine willkommene Unterbrechung unserer Wartezeit!

Auf einmal blieb der junge Mann vor einem niedrigen Gebüsch stehen. Seine Freundin wandte sich dezent ab, denn irgendetwas vor sich hin brabbelnd urinierte er jetzt in das Gebüsch. Dabei schwankte der Angetrunkene verdächtig vor und zurück. Plötzlich fiel er vornüber in das Gestrüpp, rappelte sich aber kurz darauf fluchend wieder auf. An meiner Seite hörte ich Chrissi leise kichern. Der Mann stand nun vor dem Gebüsch und führte seine Tätigkeit fort. Dann krachte er erneut in die nun nassen Sträucher. Diesmal half ihm seine Freundin wieder hoch. Anschließend hakte das Mädchen ihren Freund wieder unter und die beiden torkelten weiter.

Ich grinste Chrissi an: „Klasse Nummer, was?“ Aber die schüttelte nur den Kopf: „Leute gibt’s.“

Ich wollte noch ein paar lustige Sprüche zu dem Vorgang loswerden, als Sams Telefon klingelte. Leise sprach er ein paar Worte hinein, dann wandte er sich an uns: „Es sieht so aus, als wenn es gleich losgehen würde. Unser Kandidat ist zur Toilette und danach wollen die beiden wohl die Kneipe verlassen. Offensichtlich hat Heyer bei unserer Bekannten angebissen, denn er ist ganz wild darauf, mit ihr zu gehen. Allerdings scheint er nicht so viel getrunken zu haben, wie uns lieb wäre. Also seid auf der Hut. Jonathan, Chrissi - und auch du Moni - prüft eure Headsets!“

Ich steckte mir das kleine Gerät in mein linkes Ohr, nachdem ich es angeschaltet hatte. Ein kurzer Test bestätigte die Funktionsfähigkeit.

„Alles klar, ich bin bereit!“ - „Ich auch“, erklärten Chrissi und Moni fast gleichzeitig. Sam nickte. „Dann los. Jeder auf seinen Posten. Ich melde mich, sobald die beiden das Lokal verlassen haben. Jonathan, wenn ihr den Mann habt, dann bringt ihr ihn zu dem Parkplatz vor dem Hochhaus.“ - „So wie wir es besprochen haben“, warf ich ein.

„Genau. Hast du das Chloroform?“

Ich fühlte nach der kleinen Flasche in meiner Tasche. Chloroform und einen Lappen. Es würde genügen, den Mann ein wenig zu betäuben. Gedankenverloren nickte ich. Alles klar.

„Jonathan, hast du das Chloroform?“ - „Ja sicher, alles in Ordnung.“ Sam konnte in der Dunkelheit mein Nicken natürlich nicht sehen.

Rasch verließen wir drei den Wagen. Monika trennte sich schon nach wenigen Metern von uns. Sie würde jetzt zu dem ‚Unfallwagen‘ gehen und sich vorbereiten. Sobald wir Heyer sicher hatten, könnte sie ihren Part der Aktion ausführen. Bis jetzt lief alles wie geschmiert. Chrissi und ich überquerten die Straße und dann eine kleine Brücke.

Früher, als kleines Kind, liebte ich solche Brücken. Auf der einen Seite konnte man herrlich ein Stück Papier oder ein Stöckchen ins Wasser werfen und auf der anderen Seite beobachten, wie es den Fluss hinab schwamm. Schade eigentlich, dass uns jetzt für so etwas keine Zeit blieb! Allerdings konnte ich mich auch an ein Erlebnis meiner Kindheit erinnern, das von Enttäuschung geprägt war. Damals spazierten mein Großvater und ich über eine kleine Brücke und ich durfte wieder ein Stöckchen ins Wasser werfen. Großvater ließ mich gewähren und Sekunden später stand ich auf der anderen Seite und wartete auf mein Stöckchen. Aber es kam nicht. Ich weiß nicht, wie lange ich gewartet hatte, aber irgendwann rief mich Großvater ungeduldig zu sich. „Jonathan. Du hast das Stöckchen auf der falschen Seite ins Wasser geworfen! Siehe der Fluss fließt doch von dort nach dort. Dein Stöckchen ist schon lange weit fort.“

Immerhin lernte ich dadurch, auf die Strömung zu achten.

„Da ist der Eingang“, hörte ich Chrissi bemerken. Ich rüttelte an der Eingangstüre. Verschlossen. Damit hatte natürlich niemand gerechnet! „Verschlossen“, merkte ich überflüssigerweise an. „Das war‘s dann wohl.“ Wie lange würde es dauern, bis Heyer hier wäre? Allerdings schien der sich noch in der Kneipe aufzuhalten, denn von Sam kam ja noch keine entsprechende Meldung. Christine grinste mich an und zog einen Dietrich aus der Tasche. „Keine Sorge, Jonathan. Sam hat an alles gedacht.“ Dann öffnete sie ohne Probleme die Tür.

Puh, der erste Teil unserer Aktion war geschafft! Den Aufzug fanden wir dank unserer Vorbereitungen direkt und rasch betätigte ich den Rufknopf. Rumpelnd setzte sich im Innern des Aufzugschachts etwas in Bewegung.

„Sam hat sich noch nicht gemeldet“, raunte ich Chrissi zu, während wir auf den Aufzug warteten. „Ob die noch in der Kneipe sind?“ Meine Kollegin tippte auf ihr Headset am Ohr: „Ich weiß, Jonathan. Schließlich höre ich ja mit. Aber vermutlich sind die beiden wirklich noch in dem Lokal. Sonst wüssten wir ja schon etwas.“

Plötzlich klang Sams Stimme aus dem Headset: „Die Beiden haben gerade das Lokal verlassen. Also Leute, auf eure Posten! Es dürfte nicht lange dauern, bis sie das Hochhaus erreichen.“

Knirschend öffneten sich die Aufzugtüren. Gut, niemand drin. Rasch stiegen wir ein und ich blockierte die Tür mit meinem Fuß. Jetzt hieß es warten. Wieder fühlte ich nach dem Fläschchen in meiner Tasche. Sicher wäre es sinnvoll, das Betäubungsmittel schon einmal vorzubereiten. Chrissi stand an die Aufzugwand gelehnt und schaute mir zu.

„Ich bereite mich am besten schon einmal vor“, erklärte ich ihr, „das würde ja dumm aussehen, wenn ich später im Beisein Heyers erst damit anfange.“ Dann stülpte ich den Lappen über das offene Fläschchen und hielt beides verdeckt an meiner Seite. Jetzt brauchte ich lediglich die Flasche umzudrehen und das Tuch dem Mann vor Mund und Nase zu halten. Ein Kinderspiel. Insbesondere für einen Jonathan Lärpers!

„Wo bleiben die?“ Chrissi warf einen Blick auf ihre Uhr. „Das dauert doch viel zu lange!“ Ich zuckte mit den Schultern. Ja, eigentlich müssten die beiden schon da sein. Chrissi wurde unruhig. Ewig konnten wir auch den Aufzug ja nicht blockieren. Gut nur, dass bis jetzt niemand hereingekommen war.

Chrissi überlegte einem Moment, dann meinte sie: „Ich geh‘ mal eben nachschauen. Nur zur Tür.“ Ich nickte. Das konnte ja nicht schaden. Vielleicht standen die beiden ja schon draußen. Vorsichtig drängte Chrissi sich an mir vorbei. Ich hielt ja immer noch die Tür auf. Dann sah ich sie zielstrebig zur Eingangstüre gehen.

Ich betrachtete das kleine Fläschchen in meiner Hand. Chloroform. Wie viel davon sollte ich auf das Tuch schütten? Auf keinen Fall zu viel. Wir durften Heyer ja nicht umbringen. Wie riecht eigentlich Chloroform? Rasch drehte ich die Flasche um und spürte, wie sich das Tuch mit Feuchtigkeit füllte. Einmal kurz schnuppern konnte bestimmt nicht schaden. Ein Blick zu Chrissi bestätigte mir, dass sie ganz mit der Tür beschäftigt war. Vorsichtig führte ich das nasse Tüchlein zu meiner Nase.

Irgendwie musste ich einen Schlag abbekommen haben - oder Ähnliches - denn plötzlich saß ich an der Aufzugwand am Boden. Merkwürdigerweise schwankte das ganze Gebäude. Verschwommen erkannte ich Christine, die gerade wieder die Eingangstüre schloss und sich zu mir wandte. Mühsam hob ich einen Arm und winkte ihr zu.

Dann schloss sich die Aufzugtüre.

Ich musste kurz weggetreten sein, denn als sich der Aufzug wieder öffnete, befand ich mich im sechsten Stock. Schwankend stand ein ungepflegter Mann Mitte vierzig vor mir. „Na Kumpel - auch einen zu viel getankt?“, lallte er. Mit einer Bierflasche in der Hand setzte er sich neben mich. In meinem Headset vernahm ich aufgeregte Stimmen, konnte die aber nicht so recht zuordnen. Immer noch drehte und schwankte alles um mich herum. Dann schloss sich die Türe und es wurde still in meinem Ohrhörer. Rumpelnd setzte sich die Kabine abwärts in Bewegung. Was war bloß geschehen? Mühsam versuchte ich mich zu erinnern, wurde aber von dem Ungepflegten daran gehindert. „Willste nen Schnaps?“ Hecktisch suchte er nach seiner Flasche, noch bevor ich ‚Nein‘ sagen konnte.

„Scheiße. Die hab‘ ich oben stehen lassen!“ Umständlich rappelte er sich auf, wobei die Hälfte seines Bieres auf meiner Jacke landete. Ich musste würgen. Das stank ja widerlich! Der Betrunkene betätigte jetzt den Nothalt-Knopf. Abrupt blieb der Aufzug stehen. Dann setzten wir uns wieder in Bewegung. Nach oben.

„Hier, nimm mal nen Schluck von meinem Bier. Du siehst aus, als wenn du den gebrauchen kannst.“ Er hielt mir die Flasche hin, zuckte aber nur mit den Schultern, als ich dankend den Kopf schüttelte. Glucksend nahm er selbst einen tiefen Zug. „Alles Scheiße.“ Dann rülpste er laut und vernehmlich. Mir schlug eine Welle aus Bier- und Schnapsdunst entgegen. Diesmal schaffte ich es nicht an mich zu halten und würgend übergab ich mich in eine Aufzugecke.

„Ja, das hilft. Kannste gleich wieder mehr trinken“, belehrte mich der Mann und hielt mir erneut die Bierflasche hin. Dann blickte er neugierig auf mein kleines Fläschchen mit dem Chloroform.

„Wat hasse denn da?“ Die Tür öffnete sich. Ob der Typ jetzt ausstieg? Dann könnte ich in Ruhe alleine nach unten fahren. In meinem Kopfhörer ließen sich wieder die aufgeregten Stimmen vernehmen. „Jonathan, hallo Jonathan. Hörst du mich?“ Das war Christine. Na klar, Chrissi stand ja noch unten vor der Eingangstüre. Wir wollten do...

„Zeig doch mal. Was‘n das?“ Ungeschickt versuchte der Mann mir das Fläschchen aus der Hand zu nehmen, erwischte aber nur den feuchten Lappen.

Knirschend schloss sich die Tür und wir rumpelten wieder abwärts.

„Was haste denn da? Drogen? Oder Schnaps? Oh, Scheiße mein Schnaps.“ Er ließ das Tuch fallen und rappelte sich erneut auf. Jetzt landete eine Bierpfütze direkt vor meinen Füßen. Dann stoppte der Aufzug wieder und Sekunden später fuhren wir wieder hoch.

„Wir sitzen doch alle in einem Boot.“

„In einem Aufzug“, bemerkte ich und überlegte, ob ich den Mann nicht einfach erwürgen sollte.

„Ja, da hasse recht, Kumpel. Jetzt brauch‘ ich aber erstmal nen Schnaps. Du kannst auch einen vertragen. Was is‘n das für‘n Gesöff?“

Blitzschnell entwand er mir die kleine Flasche. Damit hatte ich nicht gerechnet. Schnuppernd hielt er seine Nase darüber. „Stinkt aber fürchterli...“ Seine Worte verschwammen zu einem undeutlichen Gemurmel, dann rutschte er neben mir zu Boden und blieb lang ausgestreckt liegen. Das Fläschchen kullerte aus seiner Hand und die Flüssigkeit ergoss sich auf den Aufzugboden. ‚Chloroform‘, dachte ich noch und sah aus müden Augen, wie sich die Aufzugtüre wieder öffnete. Sechster Stock. Aha. Dann wurde es schwarz um mich herum.

„Jonathan! Jonathan!“ Irgendjemand - jemand weibliches - rief ständig meinen Namen und schlug immer wieder etwas Feuchtes in mein Gesicht. Mühsam öffnete ich die Augen. Chrissi! Im diffusen Licht konnte ich meine Kollegin erkennen.

„Wa... was ist passiert?“, stammelte ich mühselig. Mein Schädel brummte, als hätte ich einen ganzen Schnapsladen leergetrunken. „W... wo bin ich?“

„Noch im Hochhaus. In dem Vorraum der Eingangstür. Ihr habt da im Aufzug wohl eine wilde Party gefeiert, was?“

Im Aufzug? Langsam, ganz langsam kehrte meine Erinnerung zurück. Der Auftrag. Der Aufzug. Der Betrunkene. Mein Chloroform. „Was ist passiert? Ich hab‘ doch nur einmal kurz geschnuppert!“

Chrissi wischte erneut mit einem feuchten Tuch durch mein Gesicht. „Jonathan, Jonathan. Das Letzte was ich von dir gesehen habe, war als du im Aufzug auf dem Boden gesessen bist. Du grinstest blöd und hast gewunken. Sollte das ein Scherz sein?“

„Chloroform“, erklärte ich. „Ich habe doch nur mal kurz geschnuppert, da ich auch mit der Dosis sichergehen wollte. Und dann fuhr der Aufzug einfach so nach oben!“ - „Ja, und jedes Mal wenn ich den Rufknopf gedrückt habe, bist du ein Stück heruntergefahren und dann wieder in den sechsten Stock hoch. Was sollte das eigentlich? Und wer war der andere Mann im Aufzug?“

Fragen über Fragen. Trotz des dröhnenden Kopfes versuchte ich mich zu erinnern. „Der Typ stand oben vorm Aufzug. Gut möglich, dass er ihn hochfahren ließ. Dann hat er seine Schnapsflasche oben vergessen und ist wieder hochgefahren. Was ist mit dem Mann?“

Chrissi wischte erneut durch mein Gesicht. „Da vorne liegt er und schläft tief und fest. Ihr beide wart ziemlich weggetreten, als der Aufzug hier unten ankam. Das stank ja fürchterlich da drin. Irgendeiner hat da hingekotzt. Alles voller Bier und Chloroform. Ich musste erst eine Weile warten, bis der Dunst abgezogen war. Dann konnte ich euch aus der Kabine herausziehen. Anschließend musste ich euch in Decken verpacken, da es auf dem Boden ja ziemlich kalt ist. Was hast du denn wieder angestellt?“

„Das war der Mann. Der hat mir das Fläschchen einfach geklaut.“ Jetzt erinnerte ich mich nahezu vollständig. „Was ist mit Heyer? Haben wir ihn verpasst?“

Chrissi schüttelte den Kopf. Die ganze Aktion ist mächtig schief gegangen. Aber keine Sorge - nicht deinetwegen. Heyer ist mit unserer Bekannten raus aus der Kneipe. Darüber informierte sie Sam ja auch.“ Ich konnte mich erinnern. Die beiden seien auf dem Weg, lautete unsere letzte Information. Ich nickte. „Und weiter?“

„Dann wollte Heyer plötzlich nicht mit in das Hochhaus und hat darauf bestanden, in seine Wohnung zu fahren. Er ließ unsere Bekannte ein Taxi rufen und die beiden sind damit zu ihm gefahren. Aber die Frau ist ja nicht auf den Kopf gefallen und bevor es zu irgendwelchen Aktivitäten kam, hat sie Heyer mit K.O. Tropfen außer Gefecht gesetzt. Monika zog derweil ihre Aktion wie besprochen durch. Die Sache mit dem Unfall und dem Krankenwagen, du erinnerst dich? Nur nicht hier, sondern in der Nähe von Heyers Wohnung. Und Sam ließ den Mann zuvor wie geplant verschwinden.

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Und das alles in der kurzen Zeit?“ - „Nein, Jonathan. So kurz war die Zeit nicht, du hast zirka drei Stunden geschlafen. Nachdem ich euch beide aus dem Aufzug herausgezogen hatte, besorgte ich die Schutzdecken, du weißt, die, die man im Auto haben muss, und ließ euch erst einmal hier in dem Vorraum schlafen. Denn Monika benötigte meine Hilfe, um den Krankenwagen umzusetzen. Danach bin ich zurückgekommen und seit einer dreiviertel Stunde versuche ich dich wach zu kriegen. Mensch, Jonathan. Das war wieder eine Aktion von dir!“

Ich nickte schwach, musste aber grinsen. Schließlich war ja nichts schief gegangen. Die ganze Sache war doch ein voller Erfolg!

„Was gibt es denn da zu grinsen? Chloroform schädigt das Gehirn. Wie geht es dir?“ - „Gut, danke. Ich musste gerade nur daran denken, dass unsere Aktion ein voller Erfolg war.“

Chrissi sah mich merkwürdig an. „Na klar, Jonathan. Volltrunken mit dem Aufzug rauf und runter zu fahren war ja auch dein Auftrag. Und den hast du glänzend erfüllt!“

War sie jetzt sauer? Ich überlegte mir gerade ein paar tröstende Worte, da meinte Chrissi: „Kannst du aufstehen? Es wird allmählich Zeit zu verschwinden. Ein Wunder, dass bisher niemand herein- oder herausgegangen ist. Also, versuch mal dich aufzurappeln.“

Schwankend kam ich auf die Beine. Meine Jacke stank fürchterlich. Bier und Erbrochenes. Chrissi bemerkte meinen Blick. Sie vermied es tunlichst mich anzufassen. „Hast du in den Aufzug gekotzt?“ Ich nickte. Dann schwankte ich Richtung Parkplatz hinter ihr her. Gut, dass der Weg nicht allzu weit war. Klugerweise stand der Wagen direkt am Hochhaus. Nachdem Chrissi sämtliche Scheiben heruntergefahren hatte, ließ sie mich vorsichtig auf dem Beifahrersitz Platz nehmen.

„Ich bringe dich jetzt erst einmal nach Hause. Morgen geht es dann weiter nach Plan. Schließlich musst du nun als Sohn des angeblich Verstorbenen aktiv werden. Sam möchte, dass wir morgen um elf Uhr im Sportstudio sind. Es geht darum, Informationen aus Heyer herauszuholen. Da sollst du natürlich dabei sein, damit wir dir später nicht alles noch einmal erzählen müssen. Und Jonathan - Sam lässt dir bestellen, dass du bitte nüchtern sein sollst!“

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