Читать книгу Undercover - Auftrag - Jürgen H. Ruhr - Страница 9

VI.

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Der Sonntagmorgen begann für mich mit pochenden Kopfschmerzen. Gestern sorgte Chrissi eigenhändig dafür, dass ich ins Bett kam. Gut, dass ihre Wohnung direkt unter der meinen lag. Später wollte sie mich abholen, so dass wir gemeinsam zu Bernd Heisters Sportstudio ‚Krav Maga‘ fahren konnten. Ich war froh, nicht selbst fahren zu müssen. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass noch genügend Zeit für eine ordentliche Dusche und ein paar Tassen Kaffee blieb. Das war auch nötig!

Pünktlich klingelte es an meiner Wohnungstür.

„Morgen Jonathan. Wie geht‘s?“ Chrissi grinste mich breit an. Ich versuchte ebenfalls ein Grinsen. „Besser. Danke. Ich habe zwar noch nichts gegessen, aber das Duschen und der Kaffee brachten mich wieder ein wenig auf Trab. Diese blöde Sache mit dem Chloroform!“

Christine nickte. „Dann los, sonst kommen wir noch zu spät. Und du weißt, wie Sam zu spät kommen hasst.“

Zwanzig Minuten später betraten wir das langgezogene Gebäude. Jennifer erwartete uns schon hinter ihrer Anmeldung. „Hallo ihr beiden. Guten Morgen. Das war ja noch eine spektakuläre Aktion gestern.“ Dabei blickte sie mich lächelnd an. „Zu tief ins Chloroform geschaut, Jonathan?“ Die beiden Frauen lachten. Anscheinend sprachen sich Neuigkeiten hier schnellstens herum. Vermutlich war es Sam gewesen, der Jennifer alles haarklein erzählt hatte. Nun, wer sonst?

„Ihr findet Sam in der Bibliothek. Unser Gast ist übrigens im Keller untergebracht. Bernd ließ extra einen Gästeraum mit Waschmöglichkeit einrichten. Dem Mann mangelt es also an nichts. Den Raum findet ihr direkt neben unserem kleinen Schwimmbad. Aber Sam wird ja mit euch hinunter gehen.“

Wir nickten Jenni zu und machten uns auf den Weg in die Bibliothek. Nun, dieses ‚Sportstudio‘ war halt etwas Besonderes: Neben den Trainingsräumen befanden sich ein Dojo für Kampfsportübungen, ein Kraftraum, eine Bibliothek, ein kleines Schwimmbad, ein kleines Labor und sogar ein Schießstand in und unter dem flachen Bau. Und zur Krönung darunter noch eine Tiefgarage, die durch einen geheimen Zugang befahren werden konnte. Nun, und jetzt gab es offensichtlich auch noch einen Gästeraum neben dem Schwimmbad. Bernd sorgte wirklich für alle Fälle vor!

„Morgen Chrissi, morgen Jonathan. Wie geht es dir? Wieder besser?“ Sam, der kleine, drahtige Asiate stand auf und kam uns entgegen. Sein Gang erinnerte mich immer an den einer Raubkatze. Sams Bewegungen erfolgten nahezu lautlos und geschmeidig. Er reichte uns beiden die Hand. „Unser Gast schlief dank der K.O. Tropfen bis heute Morgen. Jennifer und ich haben ihn im Wechsel ständig überwacht, damit dem Mann auch ja nichts passiert. Ich war dann einmal kurz bei ihm und brachte das Frühstück.“ Sam kratzte sich am Kopf, nickte dann gedankenverloren und fuhr fort: „Das Frühstück, was jetzt an einer Wand klebt. Der Typ ist ziemlich cholerisch. Brüllte zunächst herum, dass er seinen Anwalt sehen wollte und ging dann auf mich los!“

Ich musste grinsen. Die Kampfkünste des Asiaten waren mir bekannt. Trainierten wir doch regelmäßig miteinander. Bestimmt hatte Heyer sich eine ordentliche Tracht Prügel abgeholt.

Doch Sam blickte mich prüfend an und schüttelte den Kopf: „Ich sehe, was du denkst, Jonathan. Aber: nein. Ich bin dann schnellstmöglich raus aus dem Zimmer. Mittlerweile hat Heyer sich beruhigt. Und wenn er euch nachher ebenfalls angreifen sollte: Bitte schlagt mir den Mann nicht direkt zusammen. Verteidigen ja, aber mehr nicht. Das gilt besonders für dich, Jonathan. Verstanden?“

Ich nickte. Günther Heyer war mit seinen Informationen viel zu wichtig für uns, als dass wir ihn jetzt krankenhausreif schlagen konnten. Das brauchte Sam ja nicht extra zu erwähnen!

„Und noch etwas, Jonathan: Der Mann wird kontinuierlich Videoüberwacht. Das zeichnen wir alles auf. Also auch unser Auftritt gleich. Benimm dich bitte entsprechend.“

Was sollte das jetzt? Natürlich würde ich mich benehmen. Entsprechend. Tat ich ja sowieso immer. Ein wenig beleidigt kehrte ich Sam den Rücken zu.

„Gut, wie ich sehe hast du verstanden. Dann mal los. Lasst eure Waffen bitte hier. Besser noch: Ihr solltest bei der gesamten Aktion ohne eure Waffen auskommen. Es passt kaum zu dem angeblichen Stiefsohn von Heyer und seiner gerade aus dem Gefängnis entlassenen Freundin, dass beide Waffen tragen. Und den dazugehörigen Waffenschein ebenfalls. Solltet ihr durchsucht oder kontrolliert werden, so wäre das Tragen der Waffen äußerst unpassend.“

Wir nickten. Auch wenn es mir schwerfiel, ich würde mich von meinem Revolver trennen müssen.

Chrissi legte ihre Pistole in den kleinen Safe, den Sam zuvor geöffnet hatte. Meinen Smith & Wesson Revolver platzierte ich daneben.

Sam verschloss den Safe sorgfältig und nickte uns zu: „Gut, dann folgt mir bitte in den Keller.“

Über die kurze Treppe gelangten wir in das Kellergeschoss. Linker Hand befand sich der Schießstand, daneben ein kleines Labor und rechts das Schwimmbad. Nichts Besonderes, aber für ein paar Trainingsrunden reichte es allemal. Ich nahm mir vor, bald einmal wieder meine Badehose zu benutzen. Während wir so an dem Schwimmbad vorbeigingen, erinnerte ich mich an ein Badeerlebnis meiner Jugend.

Das Wetter zeigte sich einmal mehr von seiner besten Seite. Für diesen Tag hatte ich meinem Vater versprochen, ihm im Garten zu helfen. Rasen mähen, Hecke schneiden und dies und das. Ein richtiger Vater - Sohn Tag. Und gegen Abend wollte mein alter Herr dann mit Mutter und mir grillen.

Dank der Sonne, die durch mein Fenster fiel, wachte ich schon recht früh auf. Keine zehn Uhr. Aber es waren ja auch Schulferien und für mich galt: jeden Tag genießen. Und da gehörte langes Ausschlafen nun einmal dazu. Ob ich nun im Garten helfen musste, oder nicht. Überhaupt - überlegte ich, während ich noch einmal versuchte einzuschlafen - so viel Arbeit war doch in diesem verflixten Garten auch nicht zu tun. Konnte mein Vater das nicht ohne mich schaffen? Mit siebzehn Jahren hat man schließlich andere Dinge im Kopf, als im Grünzeug herumzuwühlen.

Letztendlich holte mich meine Mutter aus dem Bett, indem sie leise an meine Türe klopfte und sagte: „Jonathan, bist du wach? Jonathan?“

Ich ignorierte die Frage zunächst, sprang aber blitzschnell auf, als sie auf der anderen Seite der Tür meinte: „Na gut, dann sage ich Dirk eben, dass du nicht zu sprechen bist!“

„Moment! Ich komme!“ Schnell zog ich mir eine Hose über.

Dirk am Telefon! Dirk Beldger und ich waren dicke Freunde. Und Frank Eggbach. ‚Drei Freunde sollt ihr sein‘, sagten wir immer. Dirk und Frank schoben dann oftmals noch ein ‚Zwei Freunde und ein Fragezeichen‘ nach. Auch passend, aber nicht so sehr.

Nun, wenn Dirk mich anrief, dann war bestimmt etwas im Busch. Mutter stand im Flur, hielt den Telefonhörer in der Hand und grinste mich an. „Guten Morgen, Jonathan. Du denkst doch aber daran, dass du deinem Vater heute im Garten helfen wolltest? Ich habe das auch schon diesem Dirk hier gesagt.“

Mutter mochte Dirk nicht. Und Frank auch nicht. Ausgerechnet die! Schließlich waren es meine besten Freunde. Warum sie die beiden nicht mochte, habe ich nie ergründen können. Aber Vater mochte sie ja auch nicht. Vielleicht lag es daran.

„Morgen Jonathan.“ Dirk zog das ‚Jonathan‘ immer gern in die Länge. Er wusste genau, dass er mich damit ärgern konnte. Außerdem hatte ich ihm schon tausend Mal erklärt, dass er mich ‚Jon‘ nennen sollte. Tat er aber nicht. Genauso wenig wie Frank. Doch ich wusste zu kontern: „Hallo Dick.“ Das hasste er. Denn Dirk war wirklich etwas fülliger. Vermutlich eine Folge des vielen Bieres, das er immer genoss. „Was gibt‘s alter Freund?“

„Schon mal aus dem Fenster geschaut, Jonathan? Herrliches Wetter draußen. Ideal für‘s Schwimmbad. Frank ist jedenfalls dabei. Wie ich höre, hast du heute anderweitig Termine?“

Dieser blöde Affe! ‚Anderweitig Termine‘. Dirk versuchte sich immer etwas geschwollener auszudrücken. Meistens ging das schief.

„Deine Chefin hat mich ja schon informiert. Eigentlich schade, du weißt ja: Zwei Freunde und ein Fragezeichen.“ - „Drei Freunde sollt ihr sein“, korrigierte ich.

„Was ist nun? Das Schwimmbad macht um zehn auf und jetzt ist es schon zehn Uhr! Kommst du nun mit oder spielste lieber Wühlmaus?“

Ich überlegte. Das Wetter war herrlich. Mit Freunden im Freibad zu sein, hatte auch etwas. Mehr jedenfalls, als mit Vater im Dreck zu buddeln. Und außerdem: Der Garten würde ja nicht weglaufen.

„Okay, ich bin dabei. Treffen wir uns in einer halben Stunde vor dem Schwimmbad.“ - „Na siehste, geht doch. Und bestell‘ deiner Alten einen schönen Gruß von mir.“ Das würde ich bestimmt nicht machen. Eher sann ich darauf, möglichst unauffällig aus dem Haus zu kommen.

Was mir dann auch gelang. Vater werkelte schon im Garten herum und mühte sich mit einer übergroßen Leiter ab. Ach ja, die Dachrinne wollte er ja auch noch reinigen. Mutter musste irgendwo in der Küche sein. Ohne Frühstück, aber mit Badehose und Handtuch bewaffnet, schlich ich in die Garage und schwang mich auf mein Fahrrad. Bis zum Schwimmbad in Wickrath würde ich es von unserem Häuschen hier in Wickrathberg mit einiger Anstrengung gut und gerne in einer halben Stunde schaffen können. Dirk und Frank sollten schließlich nicht warten müssen!

Ich schaffte es in fünfundzwanzig Minuten. Schweißnass sah ich mich vor dem Eingang suchend um. Das Wickrather Schwimmbad bestand aus einem überdachten Teil und einem Freibad. Ideal für Tage, wenn es das Wetter einmal nicht ganz so gut mit uns meinte …

Nur meine Freunde konnte ich nirgends entdecken. Ob die vielleicht schon im Bad waren? Das wäre nicht das erste Mal. Andererseits war ich jetzt etwas zu früh dran. Ich beschloss noch zu warten. Nach dreißig langen Minuten - und keinen eintreffenden Freunden - konnte ich mir sicher sein, dass die beiden schon im kühlen Nass sein mussten.

Und wirklich, da lagen sie grinsend und noch vor Feuchtigkeit triefend auf ihrer Decke. „Jonathan, wo bleibst du denn? Haste es doch nicht in dreißig Minuten geschafft?“ Frank klatschte mir seine nasse Hand auf die Schulter. „Das haben wir uns gleich gedacht und gar nicht erst lange auf dich gewartet. War ja auch in deinem Interesse!“

Was da nun in meinem Interesse dran war, konnte ich nicht erkennen. Schließlich war ich es, der vor dem Eingang gewartet hatte. „Ich gehe jetzt erst einmal ins Wasser. Kommt jemand mit?“ - „Nee, wir waren doch gerade. Zuviel Wasser schadet doch nur. Geh du mal alleine.“ Dirk zog aus seinem Rucksack eine angefangene Flasche Bier. Dass der schon morgens mit dem Trinken anfangen musste!

Dann stand ich unter der Dusche. Oder eher daneben. Erst einmal die Wassertemperatur prüfen. Natürlich eiskalt! Warum sollte ich aber auch duschen? Einfach rein ins Wasser und gut. Gerade, als ich meine Gedanken in die Tat umsetzen wollte, trat eine blonde Schönheit mir gegenüber unter die zweite Dusche. Schlanke Figur, süßes Gesicht und ein verdammt knapper Bikini. Mit siebzehn Jahren kann man das schon beurteilen! Die Kleine mochte so in meinem Alter sein. Vielleicht ein Jahr jünger. Jetzt drückte sie den Wasserknopf und wand sich unter den kalten Strahlen. Welch ein Anblick!

Irgendwie musste ich das Mädchen auf mich aufmerksam machen. Mit einem Schritt stand ich unter meiner Dusche und drückte den Knopf. Eiskaltes Wasser rauschte herab und ließ mich erschreckt aufjapsen und nach Luft schnappen. Verdammt, war das kalt. Aber ich riss mich zusammen. Lächelnd schaute ich die Kleine an. Ja, ich bin ein Lärpers! Mir ist kein Wasser zu kalt. Nur gut, dass der kalte Fluss jetzt versiegte. Lächelnd blickte ich der Hübschen ins Gesicht.

„Was grinste denn so dämlich?“ Und schon war sie fort. Mit einem gekonnten Sprung landete sie im Schwimmerbecken. Ich natürlich hinterher. Das war jetzt die Gelegenheit sie näher kennenzulernen. Platschend landete ich im Wasser. Dummerweise haarscharf neben einem älteren Herrn, der hier seine Bahnen zog.

„Verdammt“, brüllte der, „nicht vom Beckenrand springen, nicht vom Beckenrand!“ Durch das Gebrüll machte er den Bademeister auf uns aufmerksam. Schon gab dessen Trillerpfeife ein schrilles Signal von sich. „Du da - eine Verwarnung! Nicht vom Beckenrand springen!“

Ich konnte erkennen, wie die Leute um mich herum grinsten. Aber wo befand sich meine Schönheit eigentlich?

Suchend schwamm ich umher. Aus den Augenwinkeln erkannte ich, dass der Bademeister mich genau im Blick behielt. Drohend spielte er mit der Trillerpfeife. Aber wo war die Kleine? Irgendwo musste sie ja stecken. Dann endlich entdeckte ich das hübsche Mädchen. Gerade streckte sie sich auf dem Dreimeterbrett und mit gekonntem Sprung landete sie kopfüber im Wasser. Ein schmächtiges Bürschlein wollte es ihr gleichtun, beobachtete zunächst sorgfältig das Wasser und absolvierte dann einen grandiosen Bauchklatscher. Ich grinste. Das konnte ein Jonathan Lärpers doch besser! Rasch schwamm ich an den Rand und stellte mich neben die Leiter zum Sprungturm. Jetzt brauchte meine Schöne nur noch hierhin zu kommen!

Und da war sie auch schon. Wie auf Bestellung. Unauffällig stellte ich mich hinter ihr an. Dann folgte ihr Sprung. Wieder perfekt. Nachdem sie sich versichert hatte, dass das Wasser frei war, ließ sie sich voller Anmut vom Sprungbrett fallen.

Aber nun war ich an der Reihe! Auf diese Gelegenheit wartete ich schließlich schon sehnsüchtig. Die Kleine würde sich wundern, denn jetzt kam der Jonathan Lärpers Kunstsprung! Anlauf über die gesamte Brettlänge nehmend, sprang ich am Ende voller Schwung noch einmal richtig hoch. Der Lärpers - Schrei! Damit würde die Kleine garantiert auf mich aufmerksam werden: „Huääääääääh!“ Meine Arschbombe musste das gesamte Becken in Wellen versetzt haben. Na, wenn das meine Schönheit jetzt nicht mitbekommen hatte, dann wusste ich auch nicht!

Prustend tauchte neben mir der alte Mann von vorhin auf. „Sie Rüpel!“, brüllte er und hustete lautstark. „Sie sind eine Gefahr für alle Schwimmer!“ Schon gellte die Trillerpfeife vom Rand des Beckens. „Zweite Verwarnung, Freundchen. Noch ein so‘n Ding und du kannst nach Hause gehen!“

Ich war versucht, dem Bademeister meinen Mittelfinger zu zeigen, entschied mich dann aber dagegen. Nicht, dass der Aufpasser mich am Ende doch noch aus dem Bad werfen würde. Stattdessen streckte ich dem immer noch prustenden Alten meine Zunge heraus und kraulte dann Richtung Beckenrand. Diese Spießer und Kleingeister!

Aber wo war mein Mädchen? Ob sie meine Sprungkünste bewundert hatte? Suchend sah ich mich um. Nichts. Sie war wie vom Erdboden verschwunden.

„Da ist ja unser Held wieder.“ Dirk sah mir grinsend entgegen. Seine Aussprache schien nicht mehr allzu deutlich und mehrere Bierflaschen lagen auf der Decke neben ihm. „Feucht das Wasser, was?“ Dann reichte er mir eine Flasche. „Jetzt wird erst einmal angestoßen. Drei Freunde müsst ihr sein!“ - „Sollt ihr sein“, korrigierte ich ihn automatisch und schob die hingehaltene Flasche zurück. Jetzt bei der Hitze Bier, ohne vorher etwas gegessen zu haben? Das ging gar nicht.

„Du willst uns doch wohl nicht beleidigen. Ich sag‘s doch immer: Zwei Freunde und ein Fragezeichen. Los, Jonathan. Ein Bier wird dir doch wohl nicht schaden. Bist doch kein Weichei.“

Hilfesuchend schaute ich auf Frank. Der aber lag mit geschlossenen Augen da und schien die Sonne zu genießen. Seufzend griff ich nach der Flasche.

„Na, geht doch. Hepp und ex!“ Klirrend stießen die Flaschen zusammen. Wenigstens war der Gerstensaft kalt. Nach den ersten Schlucken wollte ich die Flasche absetzen, doch Dirk, selbst noch trinkend, sah mich strafend an. Mit Mühe und Not schaffte ich es, den gesamten Inhalt in mich hineinzuschütten. Fast hätte ich mich übergeben. „Lecker, nicht?“, grinste mein Freund mich an und ließ seine leere Flasche zu den anderen kullern.

Mir wurde flau. Das fehlende Essen, die Hitze und - ja, was war das eigentlich für Bier? Das schmeckte doch nicht normal! Ich schaute auf das Etikett. ‚Bockbier‘. Dirk füllte sich hier vormittags schon mit Starkbier ab? Das Schwimmbad begann sich plötzlich ganz leicht zu drehen. Nur gut, dass ich jetzt einfach hier auf meiner Decke ein Nickerchen machen konnte …

„Fussballtime, Jonathan!“ Frank schien sein Sonnenbaden jetzt lange genug genossen zu haben. Nun verlangte es ihn offensichtlich nach körperlicher Betätigung. „Komm, Jonathan. Es wird Zeit die Kugel zu bewegen.“ Frank stupste mich freundschaftlich an. Warum musste er das aber immer so feste tun?

„Ich brauch ne Pause, Frank.“ Das Drehen in meinem Kopf wurde schlimmer. Jetzt einfach nur ein wenig schlafen! Frank schüttelte den Kopf und lachte: „Pause? Ich höre immer Pause.“ Der Ball traf meinen Kopf. Mein Freund fing ihn geschickt wieder auf. „Nix Pause, Jonathan. Erst kommste zu spät, dann willste nur faulenzen. Wo bleibt deine Freundschaft - Solidarität?“ - „Spiel mit Dirk“, entgegnete ich und ließ mich langsam zurücksinken. Schon traf mich wieder dieser Scheißball am Kopf.

„Dirk, hat zu viel gesoffen. Der muss sich erst einmal ausruhen. Aber du bist ja gerade erst angekommen. Also los!“ - „Aber ich war doch schon im Wasser“, protestierte ich schwach.

„Das zählt nicht. Wir waren auch schon im Wasser.“ Unsanft zog Frank mich am Arm hoch. Fast hätte er ihn mir ausgerenkt. Ich fügte mich in mein Schicksal.

„Da vorne ist ein freies Plätzen!“ Schon zuckelte ich hinter meinem Freund her. ‚Drei Freunde sollt ihr sein‘ … Naja.

„Los, du Flasche. Schlaf nicht ein. Schieß!“ Frank wusste mich mit freundlichen Worten aufzumuntern. Aber ich hatte ja auch einfach keine Lust. Lustlos kickte ich das Leder zu ihm zurück.

Dann fiel mein Blick auf sie! Auf dem Bauch liegend, unterhielt sich die Schönheit mit einer Freundin. Lachend machte sie mit den Händen einige Gesten. Auch die Freundin lachte, war aber bei weitem nicht so hübsch wie meine kleine Freundin. Ich lächelte. Ein neuer Anfang konnte gemacht werden. Dann traf mich der Ball am Kopf.

„Komm, du Weichei.“ Frank half mir wieder hoch. „Du musst schon besser aufpassen! Und deine Schüsse sollten auch besser gezielt kommen. Nicht, dass du am Ende noch jemanden triffst!“

Frank war so fürsorglich. Aber er brachte mich auf eine geniale Idee. Jetzt wusste ich, wie ich mit dem Mädchen in Kontakt treten konnte.

„Geh da rüber, du kriegst jetzt die Flanke deines Lebens“, wies ich Frank an. So war es recht, er stand direkt in einer Linie mit der Kleinen. Noch einmal ließ ich meinen Plan im Kopf Revue passieren: Mein Schuss musste für Frank nach einer echten Bombe aussehen, durfte aber in Wirklichkeit nicht zu fest werden. Der Ball sollte meine zukünftige Freundin nur leicht streifen.

Ich nahm Anlauf. Frank sah mir erwartungsvoll entgegen. Dann rannte ich los, Fünf Schritte, vier, drei, … Ich stolperte. Zwei - und Schuss! Durch das Stolpern fiel der Tritt mit mehr Energie aus, als ich zunächst geplant hatte. Der Ball zischte an Frank vorbei, über die Mädchen herüber und klatschte irgendeinem Badegast gegen den Kopf. Naja, kann ja mal passieren …

„Sie verdammter Lümmel.“ Ausgerechnet den Alten aus dem Schwimmbecken musste mein Schuss treffen. Der kam jetzt mit erhobener Faust und dem Ball auf mich zu. „Du bist ja nicht nur eine Gefahr im Wasser, Bürschchen“, tobte er.

Nun, eigentlich war es ja Franks Schuld. Der sollte den Ball doch halten! Ich sah mich nach meinem Freund um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Der Alte stand nun vor mir. Hochrot im Gesicht. Dem bekam bestimmt die Sonne nicht.

Na, wenigstens war meine Schönheit jetzt auf mich aufmerksam geworden. Ich lächelte sie an.

„Du unverschämter Lausebengel! Jetzt auch noch so dämlich grinsen. Na warte, den Ball kannste dir beim Bademeister abholen!“ Gut, dass das nicht meiner war. Das würde Frank übernehmen müssen.

Plötzlich gellte hinter mir eine Trillerpfeife lautstark auf. Langsam drehte ich mich um und da stand er vor mir: der Bademeister. „Bürschchen, Bürschchen. Ich beobachte dich schon eine ganze Weile. Du bist der typische Unruhestifter! Unschuldige Badegäste belästigen. Außerdem scheinst du betrunken zu sein. So etwas dulde ich hier nicht!“ - „Genau“, bestätigte der dicke Alte und hielt den Ball hoch, „damit hat er mich getroffen.“

„Das war‘s mein Freund! Du packst jetzt deine Sachen und verschwindest aus meinem Schwimmbad. Komm wieder, wenn du gelernt hast, dich zu benehmen.“ Der Badeaufpasser begleitete mich zu meiner Decke. Hätte der Mann Handschellen dabeigehabt, ich wäre wohl gefesselt abgeführt worden. Frank und Dirk konnte ich nirgends entdecken. Vermutlich tummelten sich die beiden gerade wieder im kühlen Nass.

Dann stand ich wieder vor dem Eingang des Schwimmbades. Mister Badeaufseher begleitete mich sogar bis hinter das Kassenhäuschen. Und an meinem Fahrrad waren die Ventile gestohlen worden. So durfte ich anschließend auch noch zu Fuß nach Hause gehen …

An diesen Tag im Schwimmbad musste ich jetzt denken, als wir an Bernds kleinem Pool vorbeigingen. Das Mädchen sah ich nie wieder, nur in meinen Träumen lächelte sie mir oft zu.

„Jonathan. Was ist? Wo bleibst du?“ Sam stand vor der offenen Tür zum ‚Gästezimmer‘, in dem dieser Günther Heyer untergebracht war. Ich löste mich von meinen Jugenderinnerungen und folgte den beiden in den Raum.

Das Zimmer war geräumiger, als ich es mir zunächst vorgestellt hatte. Sogar ein kleines Bad befand sich an der hinteren Seite. Günther Heyer, der Kurierfahrer, saß an einem kleinen Tisch und blickte unwillig auf, als wir den Raum betraten.

„Was soll das? Wieso werde ich hier gefangen gehalten? Wer sind sie überhaupt?“, raunzte er uns unfreundlich an. Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch. „Das wird Konsequenzen für sie haben! Ich will meinen Anwalt sprechen. Ich sage nichts. So!“ Heyer verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich sah mich in dem Raum um. Ein gemütliches Bett an der Wand links, Fernseher, ein kleines Tischchen, auf dem die Reste des Frühstücks - soweit sie nicht an der Wand klebten - standen, mehrere Stühle, dann der Tisch hier und ein kleiner Schrank. Eingerichtet wie ein gemütliches Hotelzimmer.

„Sie sind bis auf weiteres unser Gast“, begann Sam das Gespräch. Dann sah er Chrissi und mich an und bedeutete uns, zu schweigen. „Wer wir sind, spielt keine Rolle. Ihnen wird nichts geschehen und wir wollen auch nicht, dass sie irgendetwas ‚sagen‘. Was sollten sie auch zu erzählen haben?“ - „Genau“, fiel ihm der Mann ins Wort. „Ich habe nichts zu sagen. Also, was soll ich hier? Das ist Entführung, Kidnapping, ...“

Sam sah den Mann scharf an. „Sie reden zu viel. Ich denke, sie wollen nichts sagen, also schweigen sie einfach. Wir verfügen über alle erforderlichen Informationen. Bis zu ihrer Liquidierung brauchen sie also nichts zu sagen und es wird ihnen auch nichts geschehen!“

Der Frührentner wurde bleich. Ich betrachtete den Mann genauer: Insgesamt eine ungepflegte Erscheinung. Unrasiert, schütteres, fettiges Haar und Zähne gelb vom Nikotin. Auch die Finger seiner rechten Hand zeigten diese typische gelbe Färbung. Da Bernd auf unbedingtes Rauchverbot Wert legte, musste dem Mann der Aufenthalt hier recht schwer fallen.

„Sie haben gesagt, dass mir nichts geschieht“, begehrte er auf. Sam nickte nachdenklich. „Das gilt für uns hier. Nur unser Boss, der ist da anders drauf. Sehen sie, ich bin ja der Meinung, dass wir sie durchaus am Leben lassen können … Sie und ihre Organisation sind einige Nummern zu klein für uns. Aber der Boss ...“ Sam ließ den Satz in der Luft schweben. Eindringlich blickte er auf seine Hände. „Ich werde sie jedenfalls nicht umbringen.“ Dann sah er mich an. „Dafür haben wir unsere Spezialisten.“

Aha, so lief der Hase. Sam wollte ‚guter Cop - böser Cop‘ spielen. Und ich war in diesem Fall der Böse. Nun, wie er wollte. „Kein Problem, Chef“, sprach ich jetzt mit tiefer, grimmiger Stimme, „den zerstückle ich bei lebendigem Leib.“

Sam schüttelte den Kopf. „Nicht du, Jonathan. Du bist zu sanftmütig.“ Jetzt schob sich Chrissi nach vorne und an Heyer heran. „Unsere kleine Freundin hier darf sich mit ihnen später beschäftigen!“

Angstvoll blickte Günther Heyer auf die vor ihm stehende Christine, die ihn sanft anlächelte. Dann zog Chrissi ein spitzes Messer aus ihrer Tasche, legte ihre linke Hand auf den Tisch, lächelte Heyer noch einmal an und stieß sich die Klinge durch die auf dem Tisch liegende Hand. Blut spritzte. Ich musste die Luft anhalten, um nicht laut herauszuschreien. Verdammt, Chrissi, was tust du da?

Christine zog das Messer jetzt langsam wieder aus dem Fleisch und leckte es dann genüsslich ab. „Ah, das tut gut“, meinte sie dann lächelnd.

Sam sah sie tadelnd an: „Musste das jetzt wieder sein? Du kannst es wohl kaum abwarten, dem armen Mann etwas zu tun? Ich sage ja, er muss nicht sterben. Und schon gar nicht auf eine so bestialische Art.“ Ich würgte. Was war mit Chrissi los? So kannte ich sie doch gar nicht.

„Ich sollte noch einmal mit dem Boss reden“, meinte Sam leichthin, dann sah er Chrissi wieder an: „Kann ich dich mit dem Herrn alleine lassen?“

Christine lächelte erst Sam, dann Heyer an. Blitzschnell stieß sie sich das Messer erneut durch die Hand. „Ja, ja. Lass mich ruhig alleine mit ihm. Und nimm das Weichei dort mit!“

Ich schüttelte den Kopf. Das mussten doch wahnsinnige Schmerzen sein. Ob Chrissi irgendetwas genommen hatte? Und wieso hielt Sam sie nicht von diesem Unsinn ab? Der wandte sich jetzt zur Tür und nahm mich am Arm. „Wir gehen mal eben zum Boss. In einer halben Stunde sind wir wieder da ...“

„Nein, bitte, nein. Bleiben sie hier. Lassen sie mich bloß nicht mit der da alleine!“ Heyer schrie uns gellend hinterher. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie Chrissi sich erneut das Messer in die Hand rammte. Und dabei lachte. Die war bestimmt irre geworden! Sam wandte sich zu dem Mann um. „Aber ich will ihnen doch helfen. Dazu muss ich mit dem Boss sprechen. Außerdem haben sie ja nichts zu sagen, da spielt es doch keine Rolle, ob ...“

Sam kam nicht dazu auszureden, Heyer unterbrach ihn hysterisch. Mittlerweile war der Mann auf sein Bett zurückgewichen und verkroch sich dort in einer Ecke. Das Kopfkissen hielt er schützend vor sich. „Bitte, bitte bleiben sie hier. Die bringt mich doch um! Ich sage alles, alles was ich weiß. Bitte. Vielleicht interessiert sie das: Ich fahre Kurierdienste für eine rumänische Bande, Diebesgut na...“ - „Sie haben also doch etwas zu erzählen? Nun, dann sieht die Sache ja anders aus, als ich dachte.“ Sam blickte Chrissi und mich an. „Ihr beiden holt den Boss. Mal sehen, ob ihn interessiert, was dieser Mann uns erzählen will. Und verbindet Chrissi die Hand. Bevor sie sich noch weitere Löcher hineinsticht!“

Heyer atmete erleichtert auf. Obwohl es in dem Raum hier nicht übermäßig warm war, schien der Mann nassgeschwitzt zu sein. Chrissi zog enttäuscht das Messer aus ihrer Hand und wandte sich zur Tür. Dann drehte sie sich noch einmal zu Sam um: „Aber wenn der Boss nicht mit dem zufrieden ist, was er erzählt, dann darf ich doch, oder?“

„Chrissi, bist du verrückt geworden? Hast du Drogen genommen?“ Kaum, dass die Tür hinter uns geschlossen war, fasste ich Christine bei den Schultern. „Was ist mit dir los?“

Chrissi lachte und machte sich frei. Dann hob sie die verletzte Hand und zog am Handgelenk. Der Arm wackelt und löste sich. Plötzlich hielt sie den halben Arm mit der verletzten Hand hoch.

„Oh mein Gott!“, stöhnte ich auf. War Chrissi zu einem Zombie geworden? Nachdem ich ein oder zwei solcher Filme gesehen hatte, beschloss ich diesen Horrorscheiß nie wieder zu gucken. Und jetzt stand ein Chrissi - Zombie leibhaftig vor mir. Wäre ich ihr nächstes Opfer? Hier im Kellergeschoss des Krav Maga Sportstudios?

Aber Christine lachte nur und nestelte an ihrer Jacke. Plötzlich füllte wieder ein Arm den Ärmel, aus dem sie zuvor ihr Körperteil gezogen hatte. Es wurde immer gruseliger! So schnell wuchs ihr der Arm nach? Mir wurde schwindelig. Bevor ich umfallen konnte, stützte ich mich an der Wand ab.

„Jonathan!“ Ihre Stimme drang wie durch Watte an mein Ohr. „Alles okay?“ Grinsend stand sie vor mir. War das der Wahnsinn, das da in ihren Augen?

„Jonathan, nun reiß dich zusammen. Der Arm hier“, sie hielt die verletzte Hand mit dem halben Arm hoch, „ist nur eine Attrappe. Das Ganze war von Bernd so geplant, um Heyer zum Reden zu bringen.“ Jetzt konnte ich erkennen, dass ihre linke Hand verbunden war.

„Bist … bist du verletzt?“ Ich deutete auf die Hand.

„Nein, das gehört zur Show. Hier, die Kunsthand“, erneut hob sie die Attrappe, „ist mit Himbeersirup gefüllt. Lecker, sag ich dir. Die ganze Aktion sollte Heyer nur einschüchtern. Was ja auch wohl vortrefflich funktioniert hat! Bernd müsste jetzt auch gleich hier sein. Der wird unseren Kurierfahrer dann befragen und es würde mich wundern, wenn der Mann nicht bereitwillig alles erzählt was wir hören wollen!“

Ich nickte. Vorsichtig blickte ich auf den abgerissenen Arm, dann wieder auf Christine. Ganz so sicher, dass sie nicht doch ein Zombie sei, war ich mir aber nicht.

Kurz darauf trat Bernd zu uns. „Alles klar? Morgen, ihr beiden.“ Wir begrüßten uns. Dann sah er Chrissi an. „Und, wie hat Heyer unsere kleine Inszenierung aufgenommen?“ Christine grinste. „Der scheint glücklich zu sein, uns - also dir - alles erzählen zu dürfen. Hauptsache, ich beschäftige mich nicht mit ihm.“

Bernd lachte. „Und Jonathan? Du siehst so bleich aus.“ Chrissi wedelte mit der bandagierten Hand. „Jonathan hat gut mitgespielt, da er ja nicht eingeweiht war. Allerdings habe ich das Gefühl, dass er genauso geschockt ist, wie Heyer!“ Die beiden lachten. Ich versuchte es auch, brachte aber nur ein schiefes Grinsen zustande. Zu sehr kreisten noch die Gedanken um einen Chrissi - Zombie in meinem Hirn.

„Na, dann schauen wir mal, was der Knabe uns zu erzählen hat. Und Christine - lass den Kunstarm hier draußen.“ Dann öffnete er die Tür und betrat mit grimmigen Gesicht den Raum. Chrissi, die wieder das spitze Messer in der Hand hielt, folgte ihm auf dem Fuße.

„Aha, der Herr Heyer. Nun, dann setzen sie sich mal hier an den Tisch. Meine Mitarbeiter sagten mir, dass sie mich unbedingt sprechen wollten.“

Sam musste den Frührentner zwischenzeitlich instruiert haben, denn Heyer setzte sich ohne Murren auf den angebotenen Stuhl. Christine reinigte sich angelegentlich die Fingernägel mit ihrem Messer. Mich würde es nicht wundern, wenn sie das Messer erneut durch ihre Hand stoßen würde. Unauffällig beobachtete ich die Frau.

„Sie haben gesagt, dass es einige interessante Dinge gäbe, die sie berichten könnten. Ich will alles hören. Alles, ohne Wenn und Aber. Mein Mitarbeiter dort“, Bernd zeigte auf mich, „hat mir das Versprechen abgetrotzt, dass ich sie dann am Leben lasse. Ehrlich gesagt, hoffe ich eigentlich, dass sie lügen werden. Außerdem wissen wir auch so schon genug.“ Jetzt blickte Bernd wieder auf Chrissi. „Ich denke wir verschwenden eh nur unsere Zeit hier.“ Chrissi grinste.

Dann wandte Bernd sich wieder an Heyer: „Fangen wir ganz klein an. Wie heißen sie?“

„Heyer“, antwortete der Mann kleinlaut. „Aber das wissen sie doch.“ Bernd sah Heyer nur streng an. „Günther Heyer“, beeilte der sich zu sagen und schob dann nach: „Günther Friedhelm Heyer, geboren zwölfter Mai Neunzehnhundertundsechzig.“

Bernd nickte. „Na also, geht doch. Weiter so und ich muss mein Versprechen, sie am Leben zu lassen, auch noch halten. Nächste Frage: Was machen sie beruflich?“

Heyer sah zu Boden, während er antwortete: „Ich bin Frührentner. Früher habe ich als Bäcker gearbeitet, bekam dann aber eine Mehlstauballergie und konnte meinen Beruf nicht mehr ausüben. Nach einiger Zeit der Arbeitslosigkeit ging ich in Rente.“

Bernd grinste Heyer an. „Prima. Das war das was ich hören wollte.“ Heyer streckte erschrocken beide Arme von sich. „Halt, halt. Da ist noch etwas: Ich arbeite jetzt ‚nebenbei‘ als Kurierfahrer.“

Bernd unterbrach ihn: „Wir kommen der Sache näher. Weiter!“

„Vor einigen Jahren lernte ich einen Mann kennen, der mir einen Nebenverdienst anbot. Ich bräuchte lediglich einige Kurierfahrten für ihn durchzuführen. Der Mann war Rumäne und als er mit einem Bündel Geldscheinen winkte, konnte ich kaum ‚nein‘ sagen. Für das Geld sollte ich mir einen Transporter mit Anhänger kaufen.“

Bernd sah erst mich an, dann nacheinander die anderen. „Wie hieß dieser Rumäne?“ - „Dimitru Pâgescu. Es ist der Mann, zu dem ich heute noch Kontakt habe. Pâgescu gibt mir die Aufträge und bezahlt mich. Bar natürlich.“

Bernd nickte. „Gut. Erzählen sie uns etwas über die Art der Aufträge und die Kontaktaufnahme mit diesem Pâgescu. Und sparen sie nicht an Details. Wir wollen alles wissen!“

Heyer gab sich mittlerweile geschlagen. Als Häuflein Elend saß er auf seinem Stuhl und es sprudelte nur so aus ihm heraus. „Ich fahre zu einer Lagerhalle in der Nähe von Düren und lade dort verschlossene Kisten in meinen Wagen und Anhänger. Dann erfahre ich das Ziel und die Route.“

Bernd hakte nach: „Was befindet sich in den Kisten?“ - „Das kann ich nicht genau sagen, da die Kisten alle fest verschlossen sind. Allerdings weiß ich, dass es sich um alle möglichen Gegenstände handelt, die irgendwo gestohlen wurden. Aber - bitte glauben sie mir - Einzelheiten sind mir nicht bekannt. Auch weiß ich nie vorher, wohin ich fahren muss. Das sagt man mir immer erst beim Einladen der Kisten.“

Bernd brummte etwas, dann sah er Heyer lauernd an. „Wie treten sie mit Pâgescu in Kontakt?“ - „Normalerweise gar nicht. Pâgescu ruft mich auf meinem Handy an. Prepaid und nur für den Empfang seiner Anrufe. Für andere Anrufe darf ich das Handy nicht benutzen. Aber es gibt eine Möglichkeit, mit ihm in Kontakt zu treten, wenn ich etwas Dringendes habe. Allerdings muss es wirklich dringend sein. Der Mann ist sehr aufbrausend und wird schnell wütend. Also versuche ich, zu vermeiden ihn anzurufen!“ Diesmal musste Bernd nicht erst nachfragen, Heyer erzählte freiwillig weiter: „Ich rufe eine bestimmte Nummer aus der Telefonzelle an der Kirche in Rheydt an. Es muss unbedingt diese Telefonzelle sein. Dann spreche ich auf ein Band und exakt sechzig Minuten später ruft Pâgescu mich zurück. Außerdem gibt es einen Code, der vor jedem Gespräch abgefragt wird. Diese Losung wird nach jedem Gespräch geändert.“

„Aha.“ Das waren endlich die Neuigkeiten, die wir uns erhofft hatten. Bernd sah den Mann eindringlich an. „Was sprechen sie auf Band? Eine spezielle Nachricht?“ - „Nein, ich nenne nur meinen Namen. Mehr nicht. Aber meinen vollständigen Namen. Also: Günther Friedhelm Heyer. Dann lege ich wieder auf. Die Nennung des vollständigen Namens ist unbedingt erforderlich, sonst weiß Pâgescu, dass etwas nicht stimmt.

Bernd nickte und sah mich an. Das war wichtig. Wenn ich Pâgescu anrufen musste, durfte ich nicht vergessen, den vollständigen Namen zu nennen. Ich bestätigte Bernd, dass ich ihn verstand, indem ich leicht mit dem Kopf nickte. Zufrieden wandte der sich wieder Heyer zu: „Und wie lautet der aktuelle Code?“ - „Pâgescu sagt: ‚de ce nu râzi?‘ und ich muss antworten: ‚pentru ca sunt trist‘. Das ist die aktuelle Losung. Damit weiß Pâgescu, dass es sich auch wirklich um mich handelt und nicht irgendjemand anderes ihn kontaktiert.“

Nach und nach erfuhren wir immer mehr Einzelheiten zu der Rumänischen Bande und Heyers Kurierfahrten. Gut, dass Bernd das Gespräch aufzeichnete, soviel Details hätte ich mir nie merken können. Schließlich fragte Bernd unseren Gast nach dem Aussehen Pâgescus.

„Der Mann ist ziemlich klein, höchstens einmeterfünfundsechzig. Dafür aber dick. Richtig dick, wenn sie wissen, was ich meine. Der wiegt bestimmt seine hundertachtzig Kilo. Und einen Schnurrbart trägt er.“

Bernd nickte. „Gut. Gibt es zu dem Mann noch etwas zu berichten?“ - „Pâgescu ist brutal. Ein brutaler Schläger. Bei unseren Treffen befand immer so ein ‚Bodyguard‘ dabei. Das ist auch ein Rumäne. Überhaupt, die ganze Bande besteht aus Schlägertypen. Mit denen möchte ich mich nicht anlegen!“

„Gut, für‘s erste haben sie ihren Kopf gerettet.“ Bernd tat ganz gönnerhaft. „Jetzt erzählen sie uns doch mal einige Details aus ihrem Leben. Sind sie verheiratet? Haben sie Kinder?“

Natürlich war uns der Familienstand Heyers bekannt. Bernd wollte aber auf diese Art und Weise Details erfahren, die wir noch nicht kannten. Doch Heyer konnte uns nicht wirklich weitere Neuigkeiten mitteilen. Endlich winkte Bernd ab. „Das reicht erst einmal.“ Lächelnd blickte er auf uns. „Ihr lasst mir den Mann in Ruhe. Jedenfalls so lange, bis ihr von mir persönlich andere Befehle erhaltet. Habt ihr das verstanden?“ Wie gute Gauner - Mitarbeiter nickten wir ernst. Chrissi steckte bedauernd ihr Messer fort und deutlich war Heyer die Erleichterung anzusehen.

„Das ging ja leichter, als geplant.“ Wir saßen in der Bibliothek des Krav Maga Studios an unserem ‚Stammtisch‘. Wie viele Stunden verbrachte ich hier schon mit Lernen, Lesen und Diskussionen. Bevor wir in unsere Detektei - Gebäude umzogen, war dies hier eine der Anlaufstellen gewesen. Auch heute versorgte uns Jennifer mit frischen Brötchen und Kaffee. Ob es nicht doch eine Möglichkeit gab, dieses Goldstück hier gegen unsere ‚Sekretärin‘ Birgit zu tauschen?

„Möchte jemand Orangensaft?“ Die Blonde stand mit einer Karaffe vor uns. Zweifellos gehörte das Mädchen zu uns in die Detektei. Ich lächelte und hob die Hand. „Gerne, Jenni. Das ist so lieb von dir. Du bist doch einfach die Beste.“

Bernd blickte uns an: „Bevor Sam jetzt mit weiteren Ausführungen zum Ablauf beginnt, muss ich mich verabschieden. Alles Weitere besprecht ihr mit ihm; er behält auch die Koordination der gesamten Aktion. Hat noch einer von euch eine Frage, die nur ich ihm beantworten kann?“

Bernd wollte sich schon wieder verdrücken? Das war jetzt meine Gelegenheit. Und ob ich eine Frage hatte, die nur er beantworten konnte: „Bernd, eine kleine Frage habe ich noch.“ - „Ja, Jonathan, dann schieß los.“ - „Also, also“, ich wusste nicht so recht, wie ich die Frage formulieren sollte, dann aber sagte ich mir, dass geradeheraus wohl der beste Weg wäre. „Also, Bernd. In Anbetracht der momentanen Lage, also unseres Auftrages, also … wenn ich das mal so betrachte … Wir haben ja auch alle Hände voll zu tun und deswegen ...“ Na gut, das war jetzt nicht so direkt geradeheraus. Ich suchte nach Worten.

„Jonathan. Was ist? Komm zur Sache!“ - „Also, ja, kann nicht Jennifer bei uns als Sekretärin arbeiten und Birgit, die ko...“

Bernd unterbrach mich: „Jonathan! Sag nicht, dass das deine Frage ist. Allerdings kann ich dir darauf eine kurze und bündige Antwort geben: NEIN! Außerdem, warum willst du Jennifer gegen Birgit tauschen?“

Jennifer enthob mich einer Antwort und weitere Kommentare gingen in dem Lachen hinterher unter: „Wegen der Brötchen, Bernd. Birgit macht ihm keine Brötchen.“ - „Und Kaffee ...“, fügte ich an, wurde aber wegen des Lachens nicht mehr gehört.

„Okay, dann mal weiter im Text.“ Sam übernahm jetzt wieder das Ruder, nachdem Bernd sich verabschiedet hatte. „Jonathan, du bist echt lustig. Immer für einen Witz gut. Denk aber daran - und das möchte ich als Warnung an alle Mitwirkenden hier verstanden wissen: Diese Rumänen sind gefährlich. Die Leute sind bewaffnet und gehen über Leichen. Bei allem Humor, Jonathan, ich habe keine Lust dich irgendwann in der Pathologie identifizieren zu müssen.“

Wir nickten ernst. Es war mir schon klar, dass mit diesen Leuten nicht zu spaßen sein würde.

„Gibt es ein Foto oder Bild von diesem Pâgescu?“, fragte Chrissi. Sam schüttelte den Kopf. „Auch das wird eine Aufgabe für Jonathan sein. Sobald er mit dem Mann Kontakt hat, soll er heimlich ein paar Fotos schießen. Wir haben da eine nette kleine Spielerei für dich, Jonathan.“

Ich nickte. Auf dem Gebiet der Fotografie war ich ja nun einmal kein Neuling mehr. „Kein Problem. Ich kenne mich inzwischen mit der digitalen Spiegelreflex gut aus“, bemerkte ich auch sofort. Doch Sam schüttelte schon wieder den Kopf und sah mich nur merkwürdig an. Dann fischte er eine Brille aus seiner Tasche und hielt sie hoch. Kein sonderlich hübsches Modell, aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten. Oder doch? Aber wieso musste Sam plötzlich eine Brille tragen?

„Hier, Jonathan. Das ist dein Fotoapparat. Die Brille verfügt über eine kleine Linse, hier in der Mitte des Stegs.“ Sam deutete auf einen Punkt an der Brille. Obwohl ich ja nicht allzu weit entfernt saß, konnte ich keine Linse erkennen. „Ich sehe nichts“, bemerkte ich dann auch richtig.

„Das ist ja der Witz an der Sache, Jonathan. Ich befürchte, wenn Pâgescu dich beim Fotografieren erwischt, ist es die Polizei, die die nächsten Bilder knipst. Dann aber von deiner Leiche! Also nutze die Brille unauffällig und mache dich vor allen Dingen damit vorher vertraut.“ Sam reichte mir die Brillen - Kamera Kombination. Dann schob er mir auch einen kleinen Zettel zu.

„Das ist die Anleitung. So und jetzt zum weiteren Ablauf. Du, Jonathan, erhältst nachher von Jennifer alle notwendigen Unterlagen, die dich als Sohn und Erben Heyers ausweisen. Da Heyer nachweisbar keine eigenen Kinder hat, bist du der erbberechtigte Stiefsohn. Dank dem Oberstaatsanwalt Eberson verfügen wir über die notwendigen Papiere. Die ganze Sache ist absolut wasserdicht und hält auch intensiveren Nachforschungen stand. Morgen übernimmst du Heyers Wohnung.“ Sam hielt kurz inne und schaute in die Runde. „Übrigens gibt es heute in den Lokalnachrichten Meldungen über den Unfalltod Heyers und morgen erscheint in den Zeitungen ein kurzer Artikel. Unfalltod und Fahrerflucht.“

Ich nickte und trank einen Schluck Orangensaft. Eiskalt. Birgit würde uns nicht einmal ein lauwarmes Glas Leitungswasser bringen …

„Man wird auch - diskret natürlich - einen Erben erwähnen und dabei andeuten, dass dieser Mann nicht ganz gesetzestreu ist. Sollte Pâgescu aufgrund dieser Informationen nicht selbst an dich herantreten, so rufst du ihn am Donnerstag aus dieser Telefonzelle in Rheydt an. Was dann folgt, ist abhängig von dem Rumänen. Treffen, kennenlernen und Vertrauen aufbauen. Du musst unbedingt diesen Job als Kurierfahrer bekommen, Jonathan. Einen Fehler kannst du dir nicht erlauben!“

Das war klar. Wieder einmal hing alles von meinem Können und Fingerspitzengefühl ab. Aber auf mich war ja auch Verlass! Warum gönnte man mir dann denn nicht wenigstens eine vernünftige Sekretärin?

„Das war‘s zunächst von meiner Seite. Chrissi, du bist Jonathans Freundin, den Part der Geschichte kennt ihr ja alle. Monika - die ja heute fehlt, wie ihr bemerkt haben dürftet - befindet sich schon wieder auf dem Weg zu ihrem nächsten Job.“ - „Personenschutz“, unterbrach ich und glänzte mit meinem Wissen.

„Ja, Jonathan. Personenschutz. Es ist auch kein Geheimnis, wen Monika da zu beschützen hat. Oder weißt du das auch schon, Jonathan?“ Ich schüttelte den Kopf. Sam grinste mich an: „Du wirst es kaum glauben: Wim Schlensbow! Der Knabe war so zufrieden - also mehr sein Manager - mit unseren Diensten letztes Jahr, dass er - also, der Manager - dich wieder angefordert hat. Diesmal tritt Schlensbow in Amerika auf.“

Ich staunte. Dass wir solch einen guten Eindruck bei unserem Auftrag hinterlassen hatten, konnte ich kaum glauben. Und dass Schlensbow nun sogar nach Amerika gereist war - mit seiner Reiseangst - alle Achtung.

Aber schon erzählte Sam weiter: „Schlensbow ist mit dem Schiff unterwegs und wird in gut drei Tagen in New York ankommen. Moni soll ihn dann dort empfangen. Der Manager war wirklich traurig, als ich ihm lediglich Monika als Ersatz für dich anbieten konnte.“

‚Tja, Qualität zahlt sich halt aus‘, dachte ich und lächelte selig bei dem Gedanken an meine vortrefflichen Leistungen als Personenschützer.

Undercover - Auftrag

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