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I.

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Endlich wieder daheim!

Nun ja, ‚daheim‘ schien vielleicht ein wenig zu viel gesagt - aber es hörte sich gut an und brachte in mir die sentimentale Saite zum Schwingen.

Immerhin war ich ja drei Monate nicht hier gewesen.

Leise knackte der abkühlende Motor meines Fahrzeuges vor sich hin, während ich das Gebäude durch die Windschutzscheibe betrachtete. ‚Krav Maga Heisters‘, Bernds Sportstudio. Hier durfte ich meine ersten Kampfsporterfahrungen sammeln. Damals - damals ist gut, es ist gerade einmal knapp ein Jahr her - versuchte ich mich als Privatdetektiv. Auf meiner Geburtstagsfeier lernte ich Bernd kennen. Bernd Heisters. Den Besitzer dieses Kampfsportstudios. Und weiterer solcher Einrichtungen im Land.

Und Sam, sowie Jennifer. Mittlerweile sind wir richtig gute Freunde geworden.

Natürlich gehört Christine auch dazu. Christine Weru, die als Studentin zunächst nebenberuflich meine Sekretärin wurde und nun bei Bernd fest angestellt ist. Und ihr Studium nunmehr nebenbei betreibt.

Ebenso wie ich. Also nicht das mit dem Studium. Nein, die Sache mit der Arbeit bei Bernd. Denn als das mit meiner Detektei nicht mehr so recht funktionierte, bot Bernd mir an, für ihn zu arbeiten.

Als Personenschützer. Bodyguard. Für die Entscheidung ließ ich mir richtig Zeit, so dass Christine noch vor mir zusagte und bei Bernd begann.

Nun, egal. Seit dem Ersten Achten vergangenen Jahres gehöre auch ich dazu: Personenschützer Jonathan Lärpers. Ausgestattet mit Waffenschein, einem Smith & Wesson Revolver 36 und einer soliden Kampfsportausbildung in Krav Maga. Diesen Kampfsport betreibt die israelische Armee. Aber nicht nur die.

Durch halb geschlossene Augenlider betrachtete ich den flachen Bau hier im Industriegebiet Mönchengladbach - Güdderath. Niemand würde vermuten, dass es sich nicht um ein einfaches Sportstudio handelt. Die vorhandenen Räumlichkeiten sorgten Anfangs auch für einige Überraschungsmomente bei mir: Im Keller befindet sich ein Schießstand, ein Labor und ein Schwimmbereich. Und unter dem gesamten Komplex gibt es eine riesige Tiefgarage mit einem geheimen Zugang. Aber Bernds Unternehmung besteht ja nicht nur aus der Vermittlung von Kampfsporttechniken. Wir sind ja ebenfalls im Personenschutz tätig.

Deswegen auch meine dreimonatige Abwesenheit: Ich hatte an einem Lehrgang zum Personenschutz in Rendsburg teilgenommen. Ich und Christine. Neben den rechtlichen Aspekten, praktischen Aufgaben und Besonderheiten des Personenschutzes wurden wir auch in der Kampfsportart ‚Taekwondo‘ unterrichtet. Durch unsere Vorkenntnisse im Kampfsport befanden wir uns den anderen Kursteilnehmern gegenüber deutlich im Vorteil. Sogar Prüfungen mussten wir absolvieren. Warum Christine aber nun zwei Stufen weiter ist als ich, verstehe ich leider nicht. Denn Chrissi fing doch mit dem Kampfsport deutlich später an als ich. Vielleicht liegt es ...

Ein energisches Klopfen an meiner Seitenscheibe riss mich aus meinen Gedanken. Verwirrt drehte ich den Kopf. Zunächst sah ich nur die langen blonden Haare, dann auch das lächelnde Gesicht. Jennifer! Unser ‚Mädchen‘ für alles. Die hübsche Blonde betreut die Rezeption. Und in dieser Eigenschaft ist sie in diesem ‚Sportstudio‘ natürlich auch bestens mit Kampfsport und Waffen vertraut.

Jenni fuchtelte jetzt mit beiden Händen vor der Seitenscheibe herum. Ich lächelte selig zurück. Dann öffnete diese blonde Maus die Beifahrertür.

„Hallo Jonathan. Hast du Drogen genommen? Du grinst so dämlich! Wieso sitzt du eigentlich seit einer halben Stunde hier im Auto? Ich habe dich über den Überwachungsmonitor beobachtet. Es wäre wirklich schön, wenn du deinen Hintern ins Studio bequemen könntest. Bernd wartet schon in seinem Büro auf dich.“

Mit einem lauten Rums schlug die Türe wieder zu. Ja, so war Jennifer. Immer charmant und direkt heraus. Ich drehte den Zündschlüssel und versuchte eine kleine Melodie auf der Hupe erklingen zu lassen. Ich bin wieder da!

Jennifer drehte sich nicht einmal um. Lediglich der ausgestreckte Mittelfinger zeigte mir, dass sie mein Signal mitbekommen hatte.

„Morgen Jonathan. Schön, dass du es endlich in mein Büro geschafft hast! Bist du im Auto eingeschlafen?“

Offensichtlich hatte Jennifer allen direkt nach ihrer Rückkehr von meinem Aufenthalt auf dem Parkplatz berichtet. Diese alte Klatschtante.

„Guten Morgen Bernd.“ - „Wie geht’s Jonathan?“ Bernd erhob sich und kam lächelnd um seinen Schreibtisch herum. Dann nahm er mich in den Arm. „Willkommen zurück. Wir haben dich schon vermisst.“

Mir kamen die Tränen der Rührung. Welch ein Empfang. Bernd wies auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch: „Setz‘ dich.“ Dann nahm auch er wieder Platz. „Wie war der Lehrgang? In drei Monaten kann man natürlich nicht viel lernen, aber ihr werdet doch hoffentlich einige Grundlagen im Personenschutz mitbekommen haben?“

Ich nickte. Noch steckte ein Riesenkloß in meinem Hals und mir war kaum zum Sprechen zumute. Gut, dass sich jetzt die Tür öffnete und Jennifer mit einem Tablett voller Brötchen und zwei Bechern Kaffee den Raum betrat. „Schön dich wieder bei uns zu haben, Jonathan.“

Langsam fing ich mich wieder. „Wir haben in den drei Monaten eine Menge gelernt. Leider waren die Personenschutzübungen ein wenig dürftig.“

Bernd nickte. „Du wirst noch genug Gelegenheit finden, deine Kenntnisse in der Praxis anzuwenden. Aber dazu später. Ich warte noch auf Christine, dann erfahrt ihr mehr zu eurem ersten Auftrag als Personenschützer. Aber bis dahin wäre es schon interessant, wenn du mir über deinen Eindruck bezüglich des Seminars etwas Genaueres erzählen würdest. Schließlich planen wir eine engere Zusammenarbeit mit dieser Akademie. Also, wie war dein erster Eindruck, wie war die Unterbringung, wie der Lernstoff?“

Ich schluckte einen Bissen Brötchen herunter und nahm einen Schluck Kaffee. „Nun, die Unterbringung war ganz in Ordnung. Da ich ja keine Kosten tragen muss, ist es natürlich für mich schwierig zu sagen, ob der Preis angemessen ist. Aber die Zimmer waren sauber, wobei wir selbst für Sauberkeit und Ordnung sorgen mussten. Das erinnerte mich ein wenig an den Militärdienst.“

„Inwiefern? Ich denke, du warst nie bei der Bundeswehr?“

„Stimmt, Bernd. Trotzdem hört man ja so einiges. Der gesamte Ablauf, sowie der Ton, erinnerten mich stark an das Militär. Nur höflicher. Das Ausbildungsprogramm hielt man sehr straff und Freizeit wurde uns kaum gewährt. Dafür bekamen wir aber sämtliche Informationen, Bücher und Unterlagen. Einerseits die, die für die Ausbildung erforderlich waren, andererseits alles, wonach wir fragten. Nachmittags und abends stand dann meistens Kampfsport auf dem Plan, was uns natürlich sehr entgegen kam. Besonders Chrissi“, merkte ich schmunzelnd an.

Ich musste an den ersten Tag des Seminars denken. Tags zuvor kamen wir nach einer längeren Bahnfahrt recht spät an, bezogen direkt unsere Stuben und nachdem alle Teilnehmer nach einem kurzen Abendessen noch eine gemeinsame Begrüßung über sich ergehen lassen mussten, freuten wir uns, in unsere Betten fallen zu können. Frauen und Männer natürlich getrennt.

Bei den Zimmern handelte es sich um Vierbettzimmer mit je zwei Etagenbetten. Ich bekam einen Platz am Fenster und zum Glück in der oberen Etage. An das Geschnarche der Kollegen gewöhnte ich mich allerdings erst nach einer Woche.

Der erste Tag verging mit organisatorischen Dingen und einer kurzen Einführung in allgemeine Rechte. Und am Nachmittag folgte direkt ein Kampftraining. Christine konnte den Beginn des Trainings kaum abwarten. Seitdem Monika und Sam ihr einige Krav Maga Techniken beigebracht hatten, war sie Feuer und Flamme für den Kampfsport.

Hier sollten wir zunächst eine Einführung in Taekwondo bekommen und später auch verschiedene Prüfungen absolvieren. Der Trainer war ein Bulle von Mann und nannte sich ‚Dozer‘. In Wirklichkeit hieß er aber Thomas Friedlich. Nomen est omen halt.

Wir bekamen die Kleidung gestellt. Weiße Judoanzüge. Meiner war ein wenig zu kurz, aber es musste reichen. Wir trainierten in einer kleinen Sporthalle, in der auf dem Boden Matten lagen.

Wie sich herausstellte, verfügte kaum einer der Teilnehmer über Erfahrungen im Kampfsport. Dozer erklärte uns die Grundregeln des Sports und zeigte auch bei den dümmsten Fragen eine erstaunliche Ruhe. Endlich befand sich die Gruppe in der Lage, dass wir uns zum Training - wie es bei diesen Sportarten ja so üblich ist - verbeugen konnten.

„Ich freue mich, sie ab heute in die Geheimnisse des Kampfsportes einführen zu können. Das Training wird, jedenfalls soweit es möglich ist, jeden Tag stattfinden.“

Schon ließ sich ein leises Stöhnen vernehmen. Und ein Kichern. Ich schaute mich um. Christine, natürlich. Das entging auch dem Trainer nicht.

„Ja, soweit möglich. Denn selbstsicheres Auftreten und körperliche Fitness sind das A und O des Personenschutzes. Ihre Auftraggeber müssen sich auf sie verlassen können. Schließlich vertrauen sie ihnen ihr Leben an.“

Jetzt entstand ein wenig Unruhe in der Gruppe und ein kleiner, magerer Mann konnte sich einer Frage nicht enthalten: „Aber wir haben dann doch Waffen. Wofür also diese Schinderei?“

Christine kicherte wieder.

Dozer sah erst Christine, dann den Frager böse an. „Egon Selbstki, richtig? Die Frage lässt sich ganz einfach beantworten: Es kann durchaus sein, dass sie einmal keine Waffe zur Hand haben. Oder ihre Pistole versagt. Ladehemmung oder so ... Dann müssen sie in der Lage sein, sich auch ohne Waffe zu verteidigen und die ihnen anvertraute Person zu schützen. Aber bei dieser Gelegenheit: Falls man es ihnen noch nicht mitgeteilt hat, so erfahren sie es jetzt und hier von mir. Dies ist kein ‚Bezahllehrgang‘ den sie so oder so mit einem Zertifikat verlassen. Sie werden Prüfungen absolvieren müssen und besonders hier im Kampfsport erwarte ich, dass sie mindestens die Prüfung zum sechsten Kup, dem grünen Gürtel schaffen. Das ist jedenfalls eine der Voraussetzungen um das Abschlussdiplom zu erhalten.“

Es wurde totenstill in dem Raum. Lediglich ein leises Kichern ließ sich vernehmen. Christine - natürlich.

Dozer sah sich lauernd um. „Ah, da scheint ja jemand das Ganze sehr, sehr lustig zu finden. Sie sind sehr albern, junge Dame. Treten sie doch bitte einmal vor!“

Christine trat aus der Reihe und stellte sich dem Trainer gegenüber. Das Kichern bekam sie mittlerweile unter Kontrolle - oder es war ihr vergangen.

„Sie sind Christine Weru“, stellte Dozer fest. „Nun, Christine, so lustig sie das auch finden mögen - in der Realität werden sie kaum etwas zu kichern haben. Da bekommen sie nicht einmal die Zeit, um darüber nachzudenken, ob sie kichern wollen. Und dann sind sie tot. Dumm gelaufen was?“

Dozer umkreiste Chrissi jetzt, so als wolle er sie von allen Seiten begutachten. Der Mann war gut anderthalb Köpfe größer als sie und bestimmt um die achtzig Kilo schwerer. Dann stand er wieder vor ihr.

„Ich las in ihrer Akte, dass sie schon über Kampfsporterfahrung verfügen. Allerdings haben sie noch keine Prüfungen absolviert und besitzen somit keinen Gürtel. Also wohl ein wenig Hobbykampf, was?“ Dozer lachte meckernd.

„Um ihnen allen ein Gefühl dafür zu geben, was mit Kampfsport möglich ist, erhalten sie zur Einstimmung nun eine kleine Demonstration. Aber zunächst einmal: Wir duzen uns hier alle und ich finde, dass wir es in diesem Kurs ebenso halten sollen. Für euch bin ich ‚Dozer‘, das reicht. So und nun zu unserer Demonstration. Wer wäre als Gegner besser geeignet, als unsere kampfsporterfahrene, kichernde kleine Christine hier? Bleibt nur die Frage, ob die ‚böse‘ Christine mich angreifen will, oder ob ich sie angreifen soll?“

Dozer sah Chrissi fragend an. Die blickte lächelnd zurück. „Du kannst mich ruhig angreifen. Wir lernen ja schließlich die Selbstverteidigung hier, oder?“

Dozer nickte. „Okay. Aber nicht meckern, wenn es heute die ersten blauen Flecken gibt.“ Dann verbeugten sich beide voreinander.

Christine stand abwartend da. Nach ihrer Verbeugung rührte sie sich nicht mehr und blickte dem Ausbilder gelassen entgegen. Dozer sah sie ein wenig verwirrt an. „Christine, keine Verteidigungshaltung? Du weißt doch, ich greife dich jetzt an.“

Christine schüttelte den Kopf. „Als Personenschützer weiß ich doch auch nicht, wann ein Angriff stattfindet. Wie sollte ich da in Verteidigungshaltung gehen?“ - „Aber du hast wirklich schon einmal Kampfsport betrieben?“

Chrissi nickte. „Ja, ein wenig. Moni und Sam haben mir ein paar Dinge gezeigt.“

Dozer sah Christine zweifelnd an. „Ich kenne ja Moni und Sam nicht und was ihr so ‚trainiert‘ habt, aber vielleicht sollte ich dich doch lieber ganz vorsichtig angreifen? Mit Samthandschuhen quasi?“ - „Nein, nein. Ist schon in Ordnung. Es wäre nur schön, wenn du endlich anfangen würdest. Wir wollen ja kämpfen und nicht nur quatschen, oder?“

Christine hatte kaum ausgesprochen, als Dozer losstürmte. Dabei täuschte er einen Handkantenschlag an und trat mit dem Bein nach. Aber da, wo die Frau eben noch stand, war niemand mehr und so ging der Tritt ins Leere. Dozer kam ein wenig ins Straucheln. Fast wäre er lang hingeschlagen.

Chrissi stand nun wiederum abwartend und ohne Regung da. Dozer sammelte sich und griff erneut an. Diesmal legte er mehr Energie in seinen Angriff. Man sah deutlich, dass er wieder mit dem Ausweichen seines Gegners rechnete. Aber Christine dachte diesmal nicht daran, sondern ließ sich mit dem Rücken auf die Matte fallen und benutzte die Beine und Dozers Schwung, um ihn über sich zu befördern. Schon stand sie wieder, während Dozer mit dem Gesicht unsanft auf der Matte aufschlug.

„Okay, so nicht“, zischte der und ging erneut zum Angriff über. Chrissi wehrte jetzt ruhig die Schläge und Tritte ab und Dozer kam einfach nicht an sie heran. Nach einer kurzen Weile wirbelte Christine plötzlich herum und setzte einen gezielten Tritt gegen Dozers Hals. Der Angriff fiel nicht allzu hart aus, schließlich wollte sie unseren Ausbilder nicht schon am ersten Tag verletzen. Trotzdem schlug der Trainer hart auf der Matte auf und einige Minuten war nur ein Keuchen und Schnaufen zu vernehmen. Dann rappelte er sich hoch, stellte sich vor Christine und verbeugte sich. Christine tat es ihm nach.

Das alles erzählte ich Bernd natürlich nicht. Auch nicht, dass Chrissi und ich fortan aus dem allgemeinen Training herausgenommen wurden und Dozer uns beide in fortgeschritteneren Techniken unterrichtete. Und irgendwie wurden Dozer und Chrissi richtig dicke Freunde, denn die beiden brachten bald fast jede freie Minute miteinander zu.

„Wir haben dann auch beide entsprechende Prüfungen in Taekwondo gemacht“, schloss ich meinen Bericht.

„Ja, ich bin darüber informiert“, erwiderte Bernd, „Chrissi den ersten Kup, also den roten Gürtel und du den dritten. Christine scheint im Kampfsport ein echtes Naturtalent zu sein.“

Ich nickte. „Dafür war ich beim Schießen besser.“ Wenigstens eine Sache, in der ich meiner Kollegin überlegen war.

Bernd sah auf seine Uhr. „Gut, Jonathan, gleich kommt Chrissi. Mit der möchte ich zunächst auch noch alleine sprechen. Du kannst die Zeit nutzen, dich hier wieder entsprechend einzurichten. Obwohl eigentlich alles vorhanden sein sollte. Sei so gegen zwölf Uhr in der Bibliothek, dann habe ich mit euch beiden bezüglich eures ersten Auftrages einiges zu besprechen.“

Ich nickte. Schon auf dem Weg zur Tür griff ich noch nach einem Brötchen. Jennifer hatte aber auch einen ausgezeichneten Bäcker an der Hand.

Samuel L. Terbarrus, von allen nur Sam genannt und die rechte Hand Bernds, traf ich in der Umkleidekabine. Wir begrüßten uns herzlich und Sam schien es nichts auszumachen, dass er so nackt, wie er aus der Dusche kam, mich in die Arme schloss. Mit seinen knapp einsachtundsechzig war er bald mehr als einen Kopf kleiner als ich. Man sah Sam deutlich seine asiatische Abstammung an. Den Doktor der naturwissenschaftlichen Medizin allerdings nicht.

„Jonathan. Schön dass du wieder da bist. Wie war dein Lehrgang?“

Während Sam sich anzog, berichtete ich ihm die wichtigsten Dinge. „Und gibt es hier etwas Neues?“

„Eigentlich nicht viel. Wir stecken bis über beide Ohren in Arbeit, aber das ist ja wirklich keine Neuigkeit. Monika ist mit ihrem Mann zu irgend so einem Kongress nach Quebec geflogen. Die beiden wollen dort einen Urlaub anschließen. Für die nächsten Wochen müssen wir also auf Monika verzichten.“

Monika Salders, kurz Moni genannt, arbeitete ebenfalls für Bernd. Allerdings stand sie in keinem festen Arbeitsverhältnis. Ihr Mann war ein erfolgreicher Neurochirurg und fast ständig unterwegs. Moni nutzte die Zeit, um freiberuflich als Dolmetscherin zu arbeiten, wenn Bernd sie nicht gerade beauftragte.

„Frank und ich führen momentan die Kampfsportkurse alleine durch, da Bernd sich um andere Sachen kümmern muss“, fuhr Sam fort.

Frank Behrmann war ein weiterer fester Mitarbeiter hier am Standort Mönchengladbach. Insgesamt wusste wohl niemand genau - außer Bernd selbst natürlich - wie viele Leute für ihn arbeiteten.

„Dieses Jahr kommen wohl einige Personenschützer - Jobs auf uns zu.“ Sam korrigierte sorgfältig den Sitz seiner Krawatte. „Schließlich haben wir Wahljahr. Aber da wird Bernd noch mit euch drüber reden. Sollte es eng werden, dann wird wohl Hendrik hier mit anfassen müssen. Du erinnerst dich doch an Hendrik Gadwer?“

Natürlich erinnerte ich mich an Hendrik. Bei einer kleinen ‚Geländeübung‘ mussten wir ihn schließlich quer durch das Landschaftsschutzgebiet De Meinweg in der Nähe von Niederkrüchten schleppen. Hendrik mimte damals einen Verwundeten. Dass er gar nicht verletzt war, erfuhren wir erst später.

„Deswegen ist es auch gut, dass Christine und du wieder hier seid.“

Sam sah mich forschend an. „Hast du denn schon eine Unterkunft oder musst du wieder bei deinen Eltern unter der Rennbahn übernachten?“

Ich schüttelte den Kopf. Einerseits verfügte ich noch über keine Unterkunft - ich war ja nach der langen Zugfahrt erst heute Morgen mit Christine wieder hier in Mönchengladbach angekommen - andererseits spürte ich aber auch kein Verlangen wieder bei meinen Eltern zu übernachten.

Nachdem letztes Jahr meine Wohnung samt meinem Detektivbüro abgebrannt war, zeigten sich meine Eltern gnädig und ließen mich in meinem ehemaligen Jugendzimmer zuhause übernachten. Nur dumm, dass mein Vater das Zimmer inzwischen für seine Carrera - Rennbahn nutzte, die er vorzugsweise mit seinem Nachbarsfreund betrieb. Wenn ich mich recht erinnerte, durfte ich mit ihm nur einmal ein Rennen fahren. Oder ein halbes Rennen, denn als mein Wagen aus der Kurve flog und krachend auf dem Boden zerplatzte, war es vorbei mit gemeinsamen Autorennen. Mein Vater schloss sogar die Fahrzeuge und Regler weg, damit ich auch ja nicht alleine mit der Bahn spielen würde ...

„Ich werde mir etwas suchen. Eine Pension vielleicht. Und dann natürlich eine neue Wohnung.“ Aber auf gar keinen Fall in Rheydt. Vielleicht eher schön weit außerhalb. Wickrath, Rheindahlen oder besser noch Wegberg oder so. Genaueres schwebte mir noch nicht vor.

„Komm doch so lange zu mir. Du weißt, ich habe genug Zimmer. Nur am Abwasch wirst du dich beteiligen müssen.“ Sam lachte leise.

„Ich werde drüber nachdenken, Sam. Vielleicht für einige Tage, bis ich selber etwas gefunden habe. Ich möchte dir schließlich nicht zur Last fallen.“

„Wirst du nicht, Jonathan.“ Sam kramte in seinen Taschen. „Hier der Schlüssel. Nur eine Sache: Wenn du hinfährst, achte darauf, dass du nicht verfolgt wirst. Bisher kennt niemand mein kleines Haus und so soll es auch bleiben. Also nimm Umwege und lass dich nicht verfolgen. Mir gefällt mein Zuhause und ich möchte nicht umziehen müssen!“

„Danke Sam. Das ist sehr großzügig von dir. Vielleicht kann ich mich ja einmal revanchieren.“ - „Ach was, nicht der Rede wert. Nimm das gleiche Zimmer wie damals. Ich muss jetzt los. Grüße bitte Christine von mir.“

„Mach ich.“

Inzwischen war ich umgezogen und trug meinen Kampfsportanzug. Ein Blick auf die Uhr bestätigte mir, dass noch gut eine dreiviertel Stunde zum Trainieren blieb. Die Zeit wollte ich ausnutzen.

Im Dojo, dem Trainingsraum, unterrichtete Frank gerade eine Gruppe junger Polizisten. Während er die jungen Leute selbständig trainieren ließ, begrüßten wir uns. Auch Frank musste ich über meine Erfahrungen im Seminar berichten; nur diesmal fasste ich mich wesentlich kürzer als bei Sam. Ohne viel Federlesens integrierte er mich in das Training.

Pünktlich um zwölf Uhr betrat ich frisch geduscht die ‚Bibliothek‘. Dies war der zentrale Raum im Gebäude, ausgestattet mit mehreren Tischen und den dazugehörigen Stühlen. Neben zahlreichen Fachbüchern befanden sich an den Wänden kleine Schrankfächer, in denen jeder seine persönlichen Habseligkeiten verstauen konnte. Ebenso wie die Fächer in der Umkleide oder dem Schießstand ließen sie sich mit einer Codekarte öffnen. Jedes Mitglied im Krav Maga Sportstudio erhielt jeweils einen eigenen Spind in den Räumen. Ich fragte mich, was Bernd machen würde, wenn mehr Mitglieder als diese kleinen Fächer vorhanden waren.

„Jonathan. Nach deinem Gesichtsausdruck zu schließen, trägst du schwerwiegende Gedanken mit dir herum. Worum geht‘s?“

Bernd und Christine machten es sich an unserem ‚Stammplatz‘ derweil bequem. Außer uns befand sich niemand in der Bibliothek.

„Ach, nichts Wichtiges.“ Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich habe mich nur gerade gefragt, was passiert, wenn du mehr Mitglieder als Schränke hast ...“

Bernd lachte. „Ja, wahrlich. Das sind weltbewegende Gedanken.“ Er wies auf einen freien Stuhl am Tisch. „Die Sache ist aber ganz einfach: Es gibt nicht mehr Mitglieder als Schränke. Richtige Mitglieder - so wie Christine, Monika, Sam, du, und so weiter - bekommen natürlich entsprechende Schränke. Mitglieder, die hier mehr oder weniger nur trainieren, nutzen die Schränke, die frei zugänglich sind. Stell dir das so wie im Schwimmbad vor. Du musst eine Münze einwerfen.“

„Ach.“ Das war mir noch gar nicht aufgefallen. „Naja, dann ...“

Christine und Bernd lachten.

„Ja, manchmal sind die kleinsten Dinge die kompliziertesten ... Aber lasst uns zum Thema kommen. Ich bin froh, dass ihr beide wieder hier seid, denn es kommt einiges an Arbeit auf uns zu. Nicht nur, dass uns ja dieses Jahr wieder einmal ein Wahlkampf ins Haus steht, auch von anderer Seite haben wir Anfragen in Bezug auf Personenschutz erhalten. Erinnert ihr euch noch daran, welchen Auftrag ich vergangenes Jahr hatte?“

Ich musste überlegen. Dass es damals um Personenschutz ging, war klar; aber wen zu ...

„Rihanna“, platzte es aus Christine hervor.

Bernd nickte. „Ja, das war eine ziemlich anstrengende Sache. Wenn ihr‘s keinem weitersagt: die Dame kann ganz schön nervig sein. Aber offensichtlich haben wir unsere Aufgabe so gut erledigt, dass wir weiterempfohlen wurden. Es kommt also dieses Jahr nicht nur der Wahlkampf auf uns zu, zu dem wir auch schon einige Anfragen von Politikern bezüglich Personenschutz bekommen haben, sondern einige Musiker wollen sich ebenfalls dieses Jahr bei Konzerten von uns schützen lassen.“

„Wow, super“, entfuhr es mir.

„Dass du so reagieren würdest, dachte ich mir Jonathan. Und es ist auch genau der richtige Einsteigerjob, in dem ihr eure erste praktische Erfahrung sammeln könnt. Sam ist“, Bernd schaute auf die Uhr an der Wand, „jetzt dabei die ersten Verträge abzuschließen.“

„Wann geht‘s los?“, fragte ich. Endlich ein richtiger Auftrag als Personenschützer. Ich konnte es kaum fassen.

„Langsam, Jonathan, langsam. Ihr habt jetzt noch fast genau einen Monat Zeit, euch vorzubereiten. Sam wird euch für diesen ersten Auftrag die notwendigen Dinge beibringen.“

„Aber wir haben doch gerade erst den Lehrg...“, wollte ich protestieren, jedoch unterbrach mich Bernd: „Jonathan. Langsam. Nach eurem Lehrgang in Rendsburg verfügt ihr zwar über allgemeine Grundlagen; ja auch die rechtlichen Seiten werdet ihr in- und auswendig kennen, trotzdem gibt es bei der ‚Betreuung‘ von Stars und Sternchen viele Besonderheiten zu beachten.“

Christine nickte. „Das wurde im Seminar kurz angesprochen. Man meinte, unsere Erfahrungen kämen aber schon von alleine.“

„Ja und nein. Meistens ist es nämlich leider zu spät, wenn ihr auf diese Art und Weise eure Erfahrungen macht. Ist der Star erst einmal sauer, dann gibt es auch keine Folgeaufträge mehr. Andererseits, wenn er zufrieden ist - nun, ihr seht es ja am Beispiel von Rihanna.“

„Also, müssen wir auf der Hut sein, müssen den ‚Star‘ wie ein rohes Ei behandeln?“, fragte ich. Den Job stellte ich mir anders vor, als vorsichtig und diplomatisch auf alles und jedes achtzugeben was man sagte oder tat.

„So ähnlich, Jonathan. Jeder Star, Musiker oder Musikgruppe hat so seine Eigenarten. Damit müsst ihr euch im Vorfeld vertraut machen. Denkt einmal an diverse Auftritte und Aktivitäten von sogenannten Stars in Hotels. Da wurden auch schon einmal ganze Zimmereinrichtungen in Kleinholz verwandelt. Diese ‚Stars‘ haben das Geld und bezahlen alles großzügig. Also wird solch ein Verhalten allgemein toleriert - solange es nicht allzu sehr über die Stränge schlägt.“

„Uje, das hört sich aber nicht prickelnd an.“ Mein Bild vom Schutz eines Musikers mit Backstageparty und Musikgenuss wandelte sich schlagartig.

„Keine Sorge, Jonathan. Für euch beide habe ich einen netten, kleinen Sänger. Genau die richtige Aufgabe für den Start. Er gilt als unproblematisch, also keine großen Extravaganzen. Auch kein außergewöhnliches Gefährdungspotenzial. Also alles recht harmlos.“ Nachdenklich blickte Bernd Christine an: „Und Frauen gegenüber soll er sich auch ganz manierlich verhalten. Also auch in dieser Hinsicht keine Sorge, Chrissi.“

Christine winkte ab. „Da mache ich mir die wenigsten Gedanken drum. Um welchen großen Künstler handelt es sich denn?“

„Winnibald Schlensbow, besser bekannt auch als Wim Schlensbow.“

Wie aus einem Mund entfuhr es Chrissi und mir: „Wim Schlensbow? Oh nein, nicht ausgerechnet der!“

Bernd konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Was habt ihr gegen den Mann?“

Chrissi hatte sich noch nicht ganz gefasst: „Hast du jemals diese grottenschlechte Musik gehört? Dieses Gejammer“, und Chrissi stimmte einen jammernden, heulenden Singsang an: „Warum gibt es keine Fische mehr? Ich will mehr Fische mehr ...“

Bernd lachte. Mir war so gar nicht zum Lachen zumute. Immer wenn solche Lieder im Radio kamen, drückte ich schleunigst den Ausschaltknopf.

„Die Kids lieben es. Aber im Ernst: Natürlich können wir einen Auftrag nicht einfach ablehnen, nur weil uns der Auftraggeber nicht passt. Das machen wir nur, wenn die Person oder ihr Verhalten wirklich nicht mit unseren Vorstellungen von Moral und Anstand vereinbar sind. Und die Art der Musik ist nun einmal kein Grund für eine Absage. Aber noch eines ist wichtig: Dieser Wim Schlensbow gilt als unproblematisch, wie ich schon sagte, und für euch beide als Anfänger ist dies genau der richtige Auftrag. Musikgeschmack hin oder her!“

„Wenigstens singt er zeitgemäße Lieder: Warum gibt es keine Fische mehr?“, sinnierte ich. „Na, das dürfte doch klar sein: wegen der Überfischung. Könnt ihr euch vorstellen, wie gerne ich einmal wieder eine Schillerlocke essen würde?“ Mir lief das Wasser im Mund zusammen.

„Typisch Jonathan“, meinte Chrissi, „denkt wieder einmal nur ans Essen. Jedenfalls wirst du ja so genügend Gelegenheit erhalten, dir die schönen Reime dieses Sängerknaben aus nächster Nähe anzuhören.“

Mir schauderte. Wie lange dauerte so ein Konzert? Zwei Stunden, drei Stunden? Und dann vielleicht noch eine Zugabe? Eine Frage schoss mir durch den Kopf: „Bekommen wir Ohrstöpsel?“

Nach dieser Hiobsbotschaft ließ Bernd uns mit unseren Gedanken und Ängsten alleine. „Ich bekomme immer Ekelpickel von dieser Musik“, bemerkte ich scherzend zu Chrissi, die ernst nickte: „Ich verstehe nicht, was die Kinder und Jugendlichen daran finden.“ Langsam erhob sie sich von ihrem Stuhl. „Gut, ich mag auch Popmusik und es gibt ja eine Reihe von guten deutschen Liedern, aber ...“

„Nenne mir nur ein einziges gutes deutsches Lied“, unterbrach ich sie, „der neueren Zeit. Ich meine nicht so Klassiker wie ‚Über den Wolken‘ oder so.“

Christine überlegte nicht lange. „Kennst du ‚Gibt‘s das auch in groß‘ von Barbara Schöneberger?“ Ich schüttelte den Kopf.

„Oder die Lieder von - hmm - zum Beispiel Roger Cicero?“

Erneut musste ich verneinen. „Wenn ich schon einmal Musik höre, dann meistens Klassik.“

„Na, dann höre dir die Titel einfach einmal an. Es gibt halt auch gute deutsche Musik und nicht nur dieses Gejaule und Gequäke, das in letzter Zeit so populär geworden ist.“

Chrissi lachte und schob ihren Stuhl zurecht. „Kommst du mit ins Dojo? Ich muss nach dieser Nachricht unbedingt ein wenig trainieren und mich abreagieren. Du kämst mir als Partner gerade recht!“

Ich nickte, dachte aber auch an die zahlreichen blauen Flecken, die das Kampfsporttraining in Rendsburg bei mir hinterlassen hatte. Wir waren übereingekommen, uns beim Training nicht mit Samthandschuhen anzufassen. Seufzend erhob ich mich ebenfalls. „Dann wollen wir mal.“

Christine hatte es mir ‚richtig gezeigt‘. Aber auch ich konnte einige gute Treffer landen. Wir bereiteten uns jetzt beide auf weitere Prüfungen in Taekwondo vor. Auch wenn ich nicht ganz so verbissen bei der Sache war wie meine Kollegin. Die wollte in Kürze unbedingt noch die Prüfung zum ersten Dan machen. Vielleicht würde ich es ja noch schaffen, mit ihr gleichzuziehen.

Nach dem Duschen trafen wir uns wieder in der Bibliothek, wo Sam schon auf uns wartete.

„Hallo ihr beiden. Ich habe euch eben ein wenig beim Training beobachtet. Ihr geht ja ganz schön hart ran. Denkt immer daran, dass das lediglich ein Training ist und ihr euch auf gar keinen Fall verletzen sollt. Gerade jetzt, da die Verträge mit Wim Schlensbow in trockenen Tüchern sind.“

„Ja, deswegen mussten wir uns ja so abreagieren“, warf Chrissi ein.

Sam schaute sie verständnislos an. Lachend erklärte ich: „Wir mögen beide diese furchtbare Musik nicht. Und der Gedanke, zwei oder mehr Stunden bei so einem Konzert verbringen zu müssen ...“

Jetzt lachte auch Sam. „Da müsst ihr durch. Leider können wir uns unsere Auftraggeber nicht aussuchen. Gut, bestimmte Personen lehnen wir ab. Auch für diesen Schlensbow würden wir normalerweise nicht arbeiten. Der ist einfach ein paar Nummern zu klein. Aber für euch beiden Anfänger ist der Job ideal. Ungefährlich und problemlos.“

„Ja, das erwähnte Bernd schon“, meinte Chrissi, „aber wozu braucht dieser Schlensbow dann eigentlich Bodyguards? Wenn alles so problemlos ist?“

„Wim Schlensbow ist ein Angeber. Ein typischer Medienmensch. Da braucht er ein wenig Show - sprich Bodyguards, und die möglichst bewaffnet, eine Stretchlimo und eine Riesensuite im Hotel. Seine Fans verlangen das einfach. Und es schmeichelt seinem Ego.“

Ich schüttelte den Kopf. „Der Mensch wird mir immer unsympathischer.“

„Sag das nicht Jonathan, bevor du ihn nicht persönlich kennengelernt hast. Das sind die Attribute, die er der Öffentlichkeit gegenüber verwendet. Urteile erst, wenn du ihn wirklich kennst.“

„Kennst du ihn, hast du ihn getroffen?“, wollte Christine wissen.

„Nein, ich habe nur mit seinem Manager gesprochen. Ziemlich arroganter Kerl. Und als es an das Unterzeichnen der Verträge ging, fragte der doch wirklich noch nach einem Preisnachlass. Am liebsten hätte ich die Papiere direkt zerrissen und dem Kerl um die Ohren gehauen. Das ist keine Liga in der wir normalerweise spielen ... Aber egal, Augen - und Ohren - zu und durch.“

„Und was genau wird dort unsere Aufgabe sein?“ Mit ein paar Details sollte Sam ja schon herausrücken.

„Ihr bekommt beide noch ein Dossier mit den Informationen. Das Konzert soll am dritten Mai stattfinden. Das ist ein Samstag. Ort des Ereignisses ist der Hockeypark in Holt. Aber eure Aufgabe besteht nicht nur darin, bei dem Auftritt Präsenz zu zeigen. Schlensbow kommt am Tag vor dem Konzert - also dem Freitag - mit dem Zug in Rheydt an. Ihr holt ihn am Bahnhof mit einer Stretchlimousine und großem Tam -Tam ab. Das ganze wird als Medienereignis gefeiert. So nach dem Motto ‚Ankunft des Superstars in Mönchengladbach.‘“

Chrissi und ich stöhnten gleichzeitig auf. „Auch das noch! Ist das wirklich notwendig?“

„Gehört alles zu unserem Komplettservice. Wir stellen auch das Fahrzeug. Selbst die Kleidung müssen wir euch vorschreiben: Rock, beziehungsweise natürlich Hose für dich Jonathan, weißes Hemd und offenes Jackett. Ihr werdet euch noch entsprechend einkleiden müssen. Das Jackett offen, damit eure Schulterhalfter sichtbar werden.“

Jetzt war es an mir zu jammern: „Das hat ja gerade noch gefehlt! Wir sollen für diesen Sangesbruder herumlaufen wie die Trottel?“

Sam nickte bestätigend. „Genau. Ihr müsst aussehen wie Typen vom FBI oder so.“ Dann lachte er. „Nehmt es locker. Das wird ein einfacher Job und ihr könnt eine Menge lernen. Eigentlich ist alles nur Show.“ Dann wurde Sam wieder ernst: „Und trotzdem gilt es wachsam zu sein. Es laufen genug Spinner herum. Also bedeutet das: Augen und Ohren immer offen halten!“

Er sah uns beide in die Augen: „Ich möchte nicht, dass ihr euren ersten Job vermasselt. Denn dann seid ihr wieder draußen. Hier darf euch einfach kein Fehler unterlaufen. In der Beziehung kennt Bernd wirklich keinen Spaß. Schließlich geht es um das Geschäft ...

Aber weiter zum Tagesablauf: Vom Bahnhof fahrt ihr direkt zum Hotel ‚Palace St. Georg‘. Das liegt nur ein paar Autominuten vom Hockeypark entfernt. Ihr begleitet Schlensbow beide bis in seine Suite. Christine macht dann Feierabend für diesen Tag und verlässt das Hotel durch den Hintereingang. Jonathan postiert sich vor der Zimmertür dieses Sängers. Zumindest so lange, bis die Presse fort ist. Das wird zirka eine Stunde dauern, Schlensbow will auch noch ein paar Worte an die Pressefuzzis richten. Du erhältst ein Zimmer direkt neben dem großen Künstler und stehst ihm auf Abruf zur Verfügung. Aber es ist eigentlich nichts geplant für den Abend, so dass das Ganze ruhig verlaufen dürfte. Am Morgen befindest du dich um zehn Uhr in der Suite von Schlensbow. Besser vielleicht sogar halb zehn, denn dann wird auch wieder die Presse erwartet. Schlensbow schläft immer gerne lange und wird so gegen elf Uhr erwartet.“

„Aber baden und anziehen muss ich den Knaben nicht?“, warf ich bissig ein. Ja war ich denn der Hausdiener dieses Früchtchens? Nur weil der ein paar grässliche Lieder sang und diese dumme und jeglichen Musikgeschmacks ferne Jugend sich das auch noch anhörte? War ich denn der Hampelmann?

„Nein, waschen und anziehen wird er sich wohl selber können“, erklärte Sam, „ich kann ja verstehen, dass dir der Job nicht schmeckt. Wie gesagt: Augen zu und durch! Aber weiter: Kurz bevor Schlensbow aufsteht, bringt der Zimmerservice das Frühstück. Schlensbow wird mit seinem Manager zusammen frühstücken, also dürfte der auch um diese Zeit in der Hotelsuite eintreffen.“

Sam zwinkerte mir zu. „Damit der Mann sieht, dass du auch dein Geld wert bist, kannst du ja ein wenig den Raum und das Frühstück checken.“

„Soll ich jetzt auch noch den Vorkoster spielten?“ Langsam wurde ich sauer. Aber Sam lachte nur: „Ach, Jonathan. Sieh das Ganze doch positiv. Und nein - Finger weg von dem Essen. Unterstehe dich dem Mann die Brötchen wegzuessen.“

Sam und Christine lachten und langsam besserte sich auch meine Laune wieder. Ein Grinsen stahl sich auf mein Gesicht.

Sam fuhr fort: „Sobald Schlensbow im Raum ist, beziehst du wieder vor der Tür Posten. Und immer schön das Jackett offen halten, so dass die Pressefotografen auch deine Waffe sehen können.“ Der kleine Asiate unterbrach sich nachdenklich. „Nimm auf jeden Fall deinen Waffenschein mit. Und noch etwas: die Waffen sollten natürlich geladen sein!“

Christine und ich nickten. Das war uns von Bernd und Sam schon bei den Vorbereitungen zur Waffensachkundeprüfung eingebläut worden: eine Waffe niemals ungeladen bei sich tragen.

In dieser Hinsicht war ich ja mittlerweile ein alter Hase: Schon vergangenes Jahr absolvierte ich hier meine Waffenkundeprüfung. Erst erschien es mir ja ein wenig suspekt - ich und eine Waffe - aber mittlerweile wollte ich meinen sechsunddreißiger Smith & Wesson Revolver nicht mehr missen. Und auch Christine schaffte unter Bernds und Sams Leitung in den Wintermonaten ihre Prüfung. So gar nicht damenhaft entschied sie sich für eine Sig-Sauer P226 mit neun Millimeter Parabellum Munition. Immerhin konnte das Magazin fünfzehn Schuss fassen.

In Gedanken verglich ich meinen Revolver mit ihrer Automatik. Dann stellte ich mir beide Waffen in einem Schulterholster vor. Sah die Smith & Wesson gegenüber der P226 von Chrissi nicht eigentlich ein wenig popelig aus? Dieser kleine Revolver; also ich gestandener Mann und dieser kl...?

„Jonathan, bist du noch bei uns?“, holte Sam mich aus meinen Gedanken in die Gegenwart zurück. „Fein, dann können wir ja weitermachen. Gegen Mittag fährt Schlensbow mit seinem Manager zur Probe. Jonathan chauffiert wieder. Christine ist kurz vor der Abfahrt - die genaue Zeit erfahrt ihr noch - im Hotel. Geht davon aus, dass die ganze Angelegenheit wieder mit viel Brimborium veranstaltet wird. Während Jonathan den Wagen vom Parkplatz des Hotels holt und vor den Eingang fährt, begleitet Chrissi unseren Sänger. Zeitlich genau abgestimmt soll er dann aus dem Haupteingang treten und in den Wagen steigen.“

Wieder schmunzelte Sam: „Du brauchst unserem Gast auch nicht die Tür aufzuhalten, das macht der Hotelportier.“

Ich lachte. „Muss ich denn eine Chauffeurmütze tragen?“ - „Eine gute Idee, Jonathan. So eine Mütze würde schließlich etwas hermachen. Sehr gut, dass du so kreativ mitdenkst!“

Ich hätte mich für meine vorlaute Äußerung ohrfeigen können. Wenn Sam jetzt wirklich auf die Idee käme, dass ich so ein Ding tragen sollte ...

„Die Konzertprobe findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Eigentlich sollen dann nur die Feineinstellungen für Sound und Licht durchgeführt werden ...“

„Soundcheck“, fiel ich ein.

„Genau, Jonathan, Soundcheck. Danach geht es wieder zum Hotel zurück. Diesmal direkt auf den Parkplatz. Schlensbow und sein Manager betreten das Hotel durch den Hintereingang und fahren dann mit euch beiden im Aufzug hoch. Zum Konzert geht es später auch durch den Hinterausgang wieder raus zum Wagen. Die Abfahrtzeiten bekommt ihr noch. Sowohl mittags, als auch abends parkt ihr direkt hinter der Bühne. Ihr begleitet Schlensbow zum Aufgang und haltet euch ab dort möglichst im Hintergrund. Beobachtet die Umgegend. Auch wenn nicht mit Gefahr zu rechnen ist - man weiß schließlich nie!“

Sam nahm einen Schluck Orangensaft. „Soweit also der grobe Plan. Genaue Zeiten bekommen wir noch vom Manager. Wann der Zug eintrifft, zum Beispiel. Und in der verbleibenden Zeit bis zum Konzert bringe ich euch noch Einiges über Personenschutz bei. Speziell auch Personenschutz in der Film- und Musikbranche. Macht euch also keine Gedanken, dass dieser Monat zum Urlaub für euch werden könnte!“

Personen - Schutz

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