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V.

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Bernd goss sich zum zweiten Mal Orangensaft nach. Wir waren zu viert in der Bibliothek: Christine, Bernd, Sam und ich.

„Dann erzählt einmal: Was ist schiefgegangen. Am besten du, Christine. Und nur die Tatsachen.“

Christine nahm einen tiefen Schluck, setzte sich zurecht und begann. Die Verzögerung auf der Hinfahrt überging sie mit dem Hinweis auf eine Polizeikontrolle. Bernd fragte zum Glück auch nicht weiter nach. Bis zu dem Punkt mit der nackten Frau in Ibn sal Abdars Hotelzimmer unterbrach er Christine nicht ein einziges Mal.

„Das war natürlich die optimale Ablenkung“, warf Bernd ein aber Christine schüttelte nur den Kopf.

„Im Prinzip schon. Allerdings habe ich in dem Moment den Koffer nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen. Ibn sal Abdar hat ihn nicht vertauscht. Er hätte es tun können - jedenfalls bemerkte er nicht, dass ich den Koffer im Blick hatte.“

Bernd resümierte: „Also mussten sich die Diamanten zu diesem Zeitpunkt noch im Koffer befunden haben.“

„Auf jeden Fall“, bestätigte Christine, „der Händler Aaron Wenderlen schloss den Koffer nach der Begutachtung der Diamanten. Dann sollte Abdar das Geld mit Hilfe seines Laptops überweisen. Es gab bis zu dem Feueralarm keine Möglichkeit die Koffer auszutauschen. Außerdem“, fügte sie hinzu, „dieser Koffer ist ein Unikat. Auf dem Deckel befindet sich eine kleine goldene Krone.“

„Das muss nicht unbedingt etwas bedeuten“, meinte Bernd, „mit ein wenig Aufwand lässt sich eine Kopie herstellen. Gehen wir aber einmal davon aus, dass dieser arabische Typ den Koffer nicht ausgetauscht hat, beziehungsweise gar nicht austauschen konnte: wo sind dann die Diamanten?“

Wir überlegten, kamen aber zu keinem vernünftigen Schluss. Sam konnte nicht viel zur Aufklärung beisteuern, denn er war ja die ganze Zeit über in der Tiefgarage gewesen.

Bernd seufzte. „Also, noch einmal von vorne. Jetzt du, Jonathan. Erzähle uns bitte haargenau deine Sicht der Vorgänge. Und versuche dich an jedes noch so kleine und unwichtige Detail zu erinnern!“

Jetzt war es an mir, erst einmal einen tiefen Schluck des eiskalten Orangensaftes zu nehmen. „Die Frau betrat den Raum - nein, halt, sie blieb in der Türe stehen. Es musste das Schlafzimmer gewesen sein ...“, begann ich. Das Szenario entstand erneut vor meinen Augen.

Aber Bernd wollte es noch genauer wissen: „Warum habt ihr zu der Frau geschaut, Jonathan?“

„Warum?“ Ich konnte mir auf Bernds Frage keinen Reim machen.

„Ja, wieso habt ihr dahin geguckt? Hat die Türe gequietscht oder ...“

Ich unterbrach Bernd hastig: „Es hat gepoltert. In einem der Räume ist etwas zu Boden gefallen. Wenderlen, Abdar und ich haben uns dann zur Türe gedreht.“

„Was ist mit dir, Christine? Hast du dich auch umgedreht?“

Christine schüttelte den Kopf. „Ich stand so, dass ich sowohl den Koffer, als auch die Türen im Blickwinkel hatte. Außerdem war ich auf den Koffer fixiert. Da hätte schon einiges passieren müssen, damit ich abgelenkt worden wäre.“

„Gut“, meinte Bernd, „aber ihr anderen wart abgelenkt?“

Ich nickte. „Aber nicht lange. Ibn sal Abdar hat die Frau sofort wieder in das Zimmer zurückgeschickt. Sie sollte sich etwas anziehen. Zugegebenermaßen hätte die Zeit aber gereicht, die Koffer auszutauschen. Ibn sal Abdar stand recht nah dort. Wenn ich es von Christine nicht besser wüsste, wäre meine erste Vermutung auch, dass Abdar die Koffer vertauscht hat.“

„Okay, Jonathan. Wie ging es dann weiter?“

„Die Frau verschwand wieder in dem Zimmer. Wenderlen sah noch einige Sekunden auf die geschlossene Türe, dann bat er den Araber die Überweisung vorzunehmen. Der kramte umständlich einen Laptop hervor, stellte ihn neben den Koffer auf den Tisch und in diesem Moment ging auch schon der Feueralarm los. Wenderlen reagierte sofort und kettete sich mit seinen Handschellen wieder an den Koffer. Jetzt wollten wir das Hotel verlassen, aber Ibn sal Abdar konnte seine Freundin ja nicht zurücklassen. Also verschwand er im Schlafzimmer. Ich klopfte an die Türe und er öffnete. Allerdings sei die Frau noch nicht ganz angezogen. Wir sollten schon einmal vorgehen. Also verschwand der Araber wieder im Schlafzimmer. In dem Moment floh Wenderlen in Panik aus dem Zimmer und schlug die Türe hinter sich zu. Chrissi und ich sind dann gleich hinterher.“

Bernd hakte nach: „Gleich? Wie viel Zeit verging zwischen Wenderlens Verlassen des Zimmers und eurer Verfolgung?“

Ich sah Christine fragend an. „Vielleicht zehn Sekunden.“ - „Nein, eher dreißig“, warf Christine ein.

„Also zwischen zehn und dreißig Sekunden“, fasste Bernd zusammen. „Versucht euch zu erinnern: Wenderlen hatte nach der Begutachtung den Koffer geschlossen. Aber hat er auch die Zahlenschlösser verriegelt?“

Chrissi und ich überlegten. „Nein, hat er nicht“, antwortete sie, „er hat lediglich den Koffer geschlossen.“ Ich nickte bestätigend.

„Sicher?“ Bernd hakte erneut nach.

„Ganz sicher“, bestätigten wir beide.

„Wir haben Wenderlen dann auf der Treppe eingeholt. Zum Glück war er nicht in den Fahrstuhl gestiegen!“

„Gut, fassen wir bis hierhin zusammen.“ Bernd nickte uns zu. „Ibn sal Abdar kann den Koffer nicht ausgetauscht haben. Die Diamanten befanden sich bis zu dem Zeitpunkt, da Wenderlen den Raum verließ, noch im Aktenkoffer. Der Koffer war verschlossen, aber nicht durch die Zahlenkombinationen gesichert. Und Wenderlen hatte zehn bis dreißig Sekunden Zeit.“

Ich ahnte, worauf Bernd hinauswollte und auch bei Christine schien der Groschen gefallen zu sein. „Du meinst also“, begann ich, „dass Wenderlen selbst dahinter stecken könnte? Warum aber ist dieser Ibn sal Abdar dann verschwunden?“

„Weil das Ganze vermutlich ein abgekartetes Spiel war. Eine Frage zu den Hotelgängen: Gab es vor oder in der Nähe des Zimmers etwas Besonderes?“

„Was meinst du, Bernd?“, hakte Christine nach.

„Ist euch da irgendetwas aufgefallen? Servierwagen, wie der Zimmerservice sie benutzt oder etwas Ähnliches.“

„Vasen“, Christine hob die Hand, „oder besser gesagt: eine. Ungefähr einen halben Meter hoch. Irgendetwas Chinesisches. Die stand an der Wand Richtung Fahrstuhl.“

Bernd sah uns ernst an. „Was ich jetzt sage, ist nur eine Vermutung: Die ganze Sache war geplant. Wenn Wenderlen die Diamanten auf seinem Weg zur Treppe in der Vase verschwinden ließ, war es für diesen Ibn sal Abdar ein Leichtes sie zu nehmen, während ihr mit dem Händler das Hotel verlassen habt. Abdar könnte gut und gerne unser Freund Holger Diester sein. Sam hat euch ja informiert. Diester saß wegen einer ähnlichen Betrugssache sechs Jahre im Gefängnis. Der Mann hat ein ellenlanges Vorstrafenregister und ist vor zwei Wochen aus der JVA Köln entlassen worden. Allerdings hat er nicht das Niveau solch eine Sache alleine durchzuziehen. Dazu ist Diester einfach zu dumm und deswegen hat man ihn damals ja auch ziemlich schnell geschnappt. Sollte der Plan allerdings von Wenderlen stammen ... Ich werde gleich morgen Jennifer auf diesen Wenderlen ansetzen. Sie soll doch einmal alles über seine Geschäfte herausfinden.“

Jetzt meldete sich Sam zu Wort: „Da ist noch eine Sache, der ich vorher keine Bedeutung beigemessen habe: Kurz nach dem Feueralarm haben zwei Frauen durch die Tiefgarage das Hotel verlassen. Die eine mittelgroß und dunkelhaarig, die andere ziemlich groß und füllig. Viel war von der nicht zu erkennen, da sie ein Kopftuch trug.“

„Das könnte Holger Diester alias Ibn sal Abdar mit seiner Gefährtin gewesen sein“, überlegte Bernd, „aber das sind alles nur Spekulationen. Gut, man kann euch also keine Vorwürfe machen. Ihr - hauptsächlich du, Christine - habt euch vorbildlich benommen. Ich werde einige Recherchen anstellen, beziehungsweise Jennifer einmal im Internet wühlen lassen. Sam wird euch in den nächsten Tagen noch auf euren Auftrag Anfang Mai bei diesem Schlagerfuzzi vorbereiten. Es sind nur noch wenige Tage bis dahin. Aber jetzt noch eine Frage: Christine, erzähl doch einmal, was es nun mit der Polizeikontrolle in Holland auf sich hatte!“

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