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IV.

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Die letzten beiden Tage vergingen mit den Vorbereitungen für unseren Auftrag. Sam nahm sich viel Zeit uns zu instruieren und eigentlich dürfte nichts schiefgehen. Während er uns Unterlagen hinschob, erläuterte der kleine Asiate noch einmal den Ablauf: „Ihr holt den Mann um neun Uhr in seinem Ladenlokal in Amsterdam ab. Die genaue Adresse bekommt ihr noch. Dann fahrt ihr auf direktem Weg nach Köln zum Casa Cologne. Das Hotel liegt ziemlich im Zentrum, in der Nähe des Bahnhofs. Der Termin dort ist um vierzehn Uhr. Ihr habt also genügend Zeit, in aller Ruhe von Amsterdam nach Köln zu kommen. Jonathan fährt und Christine, du steigst mit der 'ProP' hinten ein. Der Mann heißt übrigens Aaron Wenderlen.“

„Wissen wir inzwischen etwas Genaueres über den Käufer?“, erkundigte sich Christine.

„Nein, leider nicht. Wenderlen, der Händler, hat uns auf massive Nachfragen einen Namen genannt, der aber nicht zu überprüfen ist. Der Mann soll sich Ibn sal Abdar nennen. Jennifer hat die Computer heiß laufen lassen, konnte aber nichts herausfinden. Vermutlich ein erfundener Name.“

Chrissi sah Sam nachdenklich an: „Das gefällt mir ganz und gar nicht. Wenn die ganze Sache sauber ist, fresse ich einen Besen!“

„Und ich einen Schrubber“, fügte Sam hinzu, „entweder soll das wirklich ein Raubüberfall oder etwas Ähnliches werden, oder dieser Abdar versucht Schwarzgeld unterzubringen. Aber es nützt nichts, im Vorfeld zu viel zu spekulieren. Ihr zieht beide schusssichere Westen an. Und sorgt dafür, dass eure Waffen in Ordnung sind. Außerdem werde ich immer in eurer Nähe sein und euch notfalls Rückendeckung geben.“

„Warum übernehmen wir überhaupt den Job?“, wollte ich wissen. Solche ungewissen Aufträge konnten mir den ganzen Tag versauen.

„Gute Frage, Jonathan. Da Bernd ja im Garten eine Schonung mit Geldbäumchen hat ... Aber Spaß beiseite: Natürlich müssen auch wir etwas Geld verdienen. Außerdem kann es zu Problemen führen, einen Auftrag ohne wirklich triftige Gründe abzusagen. So etwas spricht sich in der Branche herum. Dann dauert es nicht lange und du bekommst gar keine Aufträge mehr. Und wo könnte man nun wirklich konkret Einwände gegen den Auftrag anbringen?“

„Apropos Geld: Hat dieser Wendelin ...“ - „Wenderlen, Jonathan.“ - „Hat der Mann denn mal verlauten lassen, wieviel die Steinchen wert sind?“

Sam nickte. „Die Rede ist von zirka einskommazwei Millionen.“

Chrissi und ich pfiffen leise durch die Zähne. Eine ordentliche Summe, die wir da durch die Gegend kutschieren sollten.

Sam wedelte mit der Hand. „ Kommt, lasst uns noch einmal den gesamten Ablauf durchsprechen ...“

Wir nahmen einen viertürigen Mercedes C 117 in einem unauffälligen Cremeweiß aus unserer Tiefgarage. Der Wagen war gepanzert und hielt dem normalen Beschuss aus einer Pistole oder einem Gewehr stand. Chrissi hatte so lange gebettelt, bis ich sie ans Steuer ließ. Zumindest auf dem Hinweg nach Amsterdam. Jetzt rauschten wir mit überhöhter Geschwindigkeit über Hollands Autobahnen.

„Nicht so schnell, Chrissi. Hier darfst du höchstens einhundertundzwanzig fahren.“

Chrissi nickte, verringerte aber nicht das Tempo.

„Die Strafe zahlst du“, versuchte ich an ihre Vernunft zu appellieren.

Und wie es schien, hatten meine Einwände erfolgt: Christine verringerte das Tempo. Und wurde immer langsamer.

„So langsam musst du nun auch nicht fahren, Chrissi. Wir stehen ja gleich.“

„Genau. Schau doch einmal aus dem Fenster. Stau, Jonathan.“

Durch den Stau verloren wir eine halbe Stunde. Irgendein Dummkopf war gegen die Leitplanke geprallt und auf der Überholspur zum Stehen gekommen. Gott sei Dank wurde niemand verletzt. Aber natürlich nutzte Chrissi die Verspätung, um den Wagen wieder richtig auf Touren zu bringen.

„Wir müssen ja schließlich pünktlich sein“, argumentierte sie grinsend und ließ den Motor aufheulen.

Ich schloss die Augen und lehnte mich zurück. Wie waren eigentlich die Strafen für zu schnelles Fahren hier in Holland?

Christine hielt mit kreischenden Bremsen vor dem Amsterdamer Geschäftshaus. Bevor der Wagen noch stand, sprang ich schon mit gezogener Waffe heraus. Chrissi folgte mir. Da stand er: Unser ‚ProP‘, unsere Protected Person.

„Schnell in den Wagen“, schrie Chrissi und gab sicherheitshalber einen Schuss in die Luft ab. Ich rannte auf den Mann zu und wollte ihn am Arm zum Fahrzeug ziehen.

Der Händler sträubte sich und zeigte auf das Haus: „Meine Diamanten! Der Koffer muss mit!“

Ich sah mich um. Ein riesiger Schrankkoffer stand im Hausflur. Chrissi schoss erneut in die Luft. Sicherheitshalber.

„Kommen sie, fassen sie mit an“, rief ich dem Mann zu und begann den schweren Koffer Richtung Auto zu wuchten.

„Ich bin der Gast. Ich brauche doch den Koffer nicht zu tragen.“ Der Mann rührte keinen Finger.

Ein weiterer Schuss und zersplitterndes Glas. Ich schaute zu Christine. „Was ist passiert?“ - „Nichts Schlimmes, nur ein Fenster“, antwortete sie mir. Das konnte passieren. Kleinere Kollateralschäden gab es bei diesen Einsätzen immer.

Der Koffer war zu groß für den Kofferraum. Mit Mühe brachte ich ihn halb hinein. Vielleicht fand ich ja irgendwo ein Seil.

Chrissi gab erneut einen Warnschuss ab. Deutlich konnte ich erkennen wie eine Straßenlaterne zerplatzte.

„Chrissi, nur in die Luft schießen“, schrie ich.

„Ja, ja. Aber so macht es mehr Spaß.“ Erneut klirrte eine Fensterscheibe. Ich fand kein Seil, um den Koffer zu befestigen. Dann musste es halt so gehen.

„Los, auf den Rücksitz“, herrschte ich den Mann an. Der rührte sich allerdings nicht.

„Meine Frau muss auch mitkommen.“ - „Ihre Frau?“ Der Mann drehte sich zum Haus, hielt die Hände trichterförmig vor den Mund und schrie aus Leibeskräften: „Saaaaabiiiiene!“ Sekunden später trat eine langbeinige, blonde Schönheit durch die Eingangstüre. Eine Kugel schlug dicht neben ihr in das Holz.

„Chrissi nicht“, rief ich aus Angst, meine Partnerin könnte diese blonde Schönheit treffen. Langsam kam die Frau auf uns zu. Durch ihr dünnes Sommerkleid war ein nahezu ungetrübter Blick auf ihre makellose Figur möglich. Feste, runde Brüste reckten sich dem Betrachter entgegen. Sie lächelte immerfort und sah mir direkt in die Augen. Dann legte sie eine Hand auf meine Schulter und schüttelte mich leicht.

„Aufwachen, hallo. Mann, der schläft ja so fest wie ein Toter.“ Was mich da an der Schulter rüttelte, war nicht die Blonde. Auch die männliche Stimme mit dem holländischen Akzent passte nicht dazu. Ich öffnete die Augen. Musste man mich so unsanft aus dem Traum reißen?

„Na, da ist er ja. Guten Morgen.“

Ich gähnte. Waren wir hier nicht in Amsterdam? Bei dem Händler? Offensichtlich nicht.

Wir befanden uns auf einem Rastplatz an der Autobahn und der Mann, der mich so lieblos geweckt hatte, stand in Polizeiuniform vor mir. Ein zweiter Polizist befand sich bei seinem Streifenwagen und schien irgendwelche Papiere zu überprüfen.

„Darf ich ihren Ausweis bitte einmal sehen?“ Ich warf einen Blick zu Christine, die hinter dem Steuer saß. Chrissi zuckte aber nur mit den Achseln.

Allmählich dämmerte es mir. Wir waren wegen des schnellen Fahrens erwischt worden.

„Ihre Papiere bitte.“ Der Ton wurde eine Spur ungeduldiger, „sie können sich doch ausweisen - oder?“

„Natürlich kann ich das.“ Mühsam kramte ich meine Brieftasche hervor und reichte dem Polizisten meinen Personalausweis. Der überprüfte das Dokument sorgfältig und verglich immer wieder das Bild mit meinem Gesicht. Endlich schien er zufrieden zu sein und gab mir das Dokument zurück. Dann gesellte er sich zu seinem Kollegen.

„Verdammt, Chrissi. Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht so schnell fahren sollst. Die kennen hier keinen Spaß.“

Christine zeigte keine Reue. „Kann ja jedem mal passieren. Als du so schön geschlafen hast, habe ich die Kiste bis auf Zweihundert hochgejagt.“

Zweihundert Stundenkilometer? Kein Wunder, dass die Polizei uns angehalten hatte. „Oh verdammt, Chrissi. Das wird dich deinen Führerschein kosten.“

Christine lachte. „Keine Sorge, Jonathan. Als die mich anhielten, waren es gerade noch hundertundvierzig. So jedenfalls das offizielle Messergebnis.“

„Ja. Und die verlorene Zeit? Wie lange stehen wir hier überhaupt schon?“ Ich schaute auf meine Uhr. Kurz vor neun. „Wo sind wir überhaupt?“

„Knapp vor Amsterdam“, klärte Christine mich auf, „bis zu dem Juwelier ist nicht mehr weit. Aber keine Sorge, ich habe Sam schon informiert, dass es etwas später werden kann.“

„Ha, da wirst du dir aber einen mächtigen Anschiss abgeholt haben.“

„Nein, eigentlich nicht. Sam zeigte sogar so etwas wie Verständnis. Und solche Routinekontrollen kann es ja schließlich überall geben.“

„Heißt das, du hast ihm einen falschen Grund für diese Kontrolle genannt?“

Christine schüttelte entschieden den Kopf. „Nein. Natürlich nicht. Aber Sam fragte ja auch nicht extra nach - und die Verbindung war so schlecht ...“ Chrissi sah mich zuckersüß an: „Du wirst mich doch nicht anschwärzen, oder?“

Resigniert verdrehte ich die Augen. Christine Weru. Studentin und einst meine Teilzeit - Sekretärin. Hätte ich damals schon geahnt, welche ‚Teufelin‘ in ihr steckt, dann ... „Nein, keine Sorge. Ich halte meinen Mund. Das Protokoll aber zahlst du!“

Grinsend kam jetzt der Polizist, der mich geweckt hatte, zum Wagen zurück. Sein Kollege stieg in den Streifenwagen und setzte sich hinter das Steuer.

„Da haben sie aber noch einmal Glück gehabt, junge Dame. Sie waren genau zwanzig Stundenkilometer zu schnell. Sie können jetzt direkt zahlen oder der Fahrzeughalter“, der Polizist sah in eine Papiere, „dieser Herr Heisters bekommt einen Zahlungsbefehl.“

„Wie viel muss ich denn bezahlen?“ - „Hundertsechzig Euro.“

Christine sah mich groß an. „Hast du noch Bargeld bei dir, Jonathan? Ich habe nur zwanzig Euro. Kannst du mir den Rest leihen?“

Ich knurrte unwillig und blätterte die Scheine hin. Wenige Minuten später befanden wir uns wieder auf der Autobahn. Wenigstens hielt sich Christine jetzt an die Verkehrsregeln. Das Lenkrad wollte sie allerdings noch nicht mir überlassen.

Amsterdam. Christine steuerte den Wagen zielsicher durch die Innenstadt. Allerdings war dies auch keine große Kunst, da das Fahrzeug über ein ausgezeichnetes Navigationsgerät verfügte. Ich hatte mir vorgenommen, mich nicht mehr über die Geldstrafe zu ärgern; außerdem müsste Chrissi mir das Geld ja zurückzahlen. So genoss ich die Ansicht der Stadt. Es war jetzt zwanzig Minuten nach neun und wenn nichts mehr dazwischen kam, wären wir eine halbe Stunde zu spät. Nun gut. Die Sonne schaffte es endlich durch die Wolken und es versprach ein schöner Tag zu werden. Sam müsste mittlerweile schon vor Ort sein und das Geschäftshaus beobachten. Das gab uns unauffällig Rückendeckung. Bei unserer Ankunft würden wir mit ihm über unsere Headsets in Kontakt treten. Unauffällig überprüfte ich noch einmal meinen Revolver. Alles in Ordnung. Ich plante ohnehin nicht, die Waffe einzusetzen.

„Da ist es.“ Christine deutete auf ein Haus im Stil des Klassizismus. Fast zeitgleich bekamen wir Kontakt mit Sam.

„Guten Morgen ihr beiden. Ihr seid spät dran. Die Sache mit der Polizeikontrolle musst du mir später einmal in Ruhe erklären, Chrissi.“ Sam lachte leise, dann schlug er seinen sachlich - geschäftigen Ton an. „Euer Gast - die ‚ProP‘ erwartet euch in dem Ladengeschäft. In ein paar Sekunden wird ein roter Citroen DS 4 die Parklücke vor dem Geschäft verlassen. Das bin ich. Ihr parkt dort ein. Hier dürft ihr nur mit Parkschein stehen. Ich habe meinen mit einem kleinen Steinchen beschwert auf den Bürgersteig gelegt, ihr dürftet ihn direkt finden. Legt den Zettel in die Windschutzscheibe. ProP ist nicht erfreut darüber, dass ihr zu spät kommt, also seid nett zu dem Mann. Das wäre es erst einmal. Auf eurem Weg nach Köln werde ich euch folgen. Außerdem bleiben wir über die Headsets in Kontakt.“

Kurze Zeit später fuhr der rote Citroen aus einer Parklücke. Christine parkte direkt ein. Ich angelte mir den auf dem Bürgersteig liegenden Schein und platzierte ihn vor der Windschutzscheibe.

„Alles klar, Chrissi?“ Meine Kollegin nickte.

Natürlich lief alles nicht so ab, wie in meinem Traum. Christine schoss nicht in die Luft und es stand auch kein Schrankkoffer bereit. Mijnheer Wenderlen erwartete uns schon sehnsüchtig. Der dürre, mittelgroße Mann mit Glatze sah uns ernst entgegen. Sein Anzug schien maßgeschneidert und offensichtlich sehr teuer. Alles in allem hinterließ der Mann einen sehr seriösen Eindruck.

„Ah, da sind sie ja endlich.“ Sein Deutsch war fast perfekt, lediglich ein feiner Akzent wies ihn als Niederländer aus. Immerhin kein solches Genuschel wie einst bei diesem Rudi Carrell.

„Kommen sie, ich möchte zu meinem Termin nicht zu spät kommen.“

Christine sprach beruhigend auf den Mann ein: „Wir haben genug Zeit, keine Sorge. Sie werden pünktlich zu ihrem Termin in Köln sein. Das garantieren wir.“

Na, wenn Chrissi da den Mund nicht einmal zu voll genommen hatte. Wer konnte schon wissen, was unterwegs alles passieren könnte? Allerdings behielt ich meine Gedanken für mich.

Wenderlen legte jetzt einen schmalen Aktenkoffer, auf dem dezent eine goldene Krone prangte, auf seinen Schreibtisch und befestigte ihn mittels ein paar Handschellen an seinem Handgelenk. Dann überprüfte er noch einmal die beiden Zahlenschlösser am Koffer.

„Alles in Ordnung, wir können. Wo haben sie geparkt?“

„Direkt vor dem Haus.“ Christine stand schon an der Tür. Professionell warf sie einen Blick auf den Gehweg und die Straße. „Bitte kommen sie, es ist alles ruhig.“

Während Wenderlen sein Ladenlokal abschloss, hielt ich die hintere Wagentüre auf. Chrissi ließ den Händler zuerst einsteigen, dann ging sie um den Wagen herum und setzte sich neben ihn.

Keine zehn Minuten später befanden wir uns auf der Autobahn Richtung Köln.

Die Fahrt verlief problemlos, da der meiste Berufsverkehr inzwischen vorüber war. Wenderlen und Christine unterhielten sich im Fond leise. Chrissi hatte ihr Headset abgeschaltet, aber hin und wieder bekam ich mit, dass es sich bei dem Gespräch um Diamanten und Schmuck drehte. Nun ja, Frauen ...

Köln. Es gibt Städte, die von Jahr zu Jahr mehr herunterkommen. Rheydt, Mönchengladbach, Duisburg, Köln. Wahrscheinlich alle Städte, die unter Geldmangel leiden oder an der Pleitegrenze entlangschrabben. Und wie alle diese Städte wurde auch Köln immer dreckiger und heruntergekommener. Da half auch keine Umweltzone mehr. Wer es sich leisten konnte, wanderte ins Umland ab. Haus- und Wohnungseigentümer investierten kaum noch in ihre Häuser und dementsprechend sahen die Gebäude auch aus.

Rasch bog ich in die hoteleigene Tiefgarage ein. Wenigstens brauchten wir uns keine Gedanken um einen Parkplatz zu machen. Wie bei diversen Parkhäusern musste man auch hier einen Parkschein ziehen.

„Wir parken in der Nähe eines Aufganges“, erläuterte ich, während ich nach einem geeigneten Parkplatz Ausschau hielt, „um die Wege durch diese Garage so kurz wie möglich halten!“

Christine aktivierte wieder ihr Headset und plötzlich vernahmen wir Sams Stimme: „Gut, ich sehe euch. Jonathan, links findest du einen geeigneten Platz direkt an der Türe zum Treppenhaus. Nehmt den Fahrstuhl, auch wenn es nur eine Etage ist.“

Langsam setzte ich den Wagen auf den bezeichneten Parkplatz. „Wartet noch, ich will erst einmal einen Blick in den Treppenaufgang werfen“, wies ich Chrissi an. In der Garage war es ruhig, ich konnte niemanden sehen. Ebenso im Treppenhaus. Dann ließ ich den Fahrstuhl kommen. Auch niemand drin. Gut so. Mittels eines Pflasters blockierte ich die Fahrstuhltüre, indem ich es auf die Lichtschranke klebte. Den Trick kannte ich noch aus meinem Personenschützer - Lehrgang. Damit ließ sich sicherstellen, dass der Fahrstuhl nicht wieder unterwegs wäre, wenn wir mit unserer Zielperson, unserer ‚ProP‘ zurückkämen.

Mich nach allen Seiten umsehend, öffnete ich Wenderlen die Türe. Gleichzeitig stieg Chrissi auf der anderen Seite aus. Ich konnte erkennen, dass sie ihre Sig-Sauer verdeckt in der Hand hielt.

Aber alles blieb ruhig. Vielleicht zu ruhig. Eine gewisse Nervosität war Chrissi und mir nicht abzusprechen. Immerhin handelte es sich hier um unseren ersten Job als Personenschützer. Schon standen wir im Aufzug. „Welches Stockwerk?“, fragte ich, aber Christine schüttelte den Kopf. „Wir müssen uns erst an der Rezeption anmelden. Außerdem kenne ich die Zimmernummer nicht.“ - „Ich auch nicht“, fügte Wenderlen hinzu.

Also doch erst einmal zur Rezeption. Ich drückte den Knopf für das Erdgeschoss. Das Hotel verfügte offensichtlich über fünf Etagen. Nichts geschah. Erneut drückte ich ‚E‘. Wir warteten. Nachdem sich mehrere Minuten nichts getan hatte, sah ich Christine fragend an. „Defekt? Dann müssen wir vielleicht doch zu Fuß gehen.“

Chrissi sah an mir vorbei auf die Fahrstuhltüre. „Hast du das Pflaster von der Lichtschranke wieder entfernt, Jonathan?“

Von Aufzugmusik umdudelt, erreichten wir die Lobby. Chrissi ließ ihre Pistole wieder im Holster verschwinden. Wie würde es auch aussehen, wenn wir mit gezückter Waffe durch das Hotel liefen?

Wenderlen befand sich in unserer Mitte. Mein Adrenalinspiegel stieg in den letzten Minuten ins Gigantische. Unsere Augen und Ohren waren überall. Jeder hier konnte ein mutmaßlicher Räuber sein. Konnte eine Waffe zücken und ... Ich verwarf den Gedanken. Nein - auch ein Grundsatz aus dem Lehrgang - man durfte sich nicht selbst verrückt machen. Und dann Gespenster sehen. Wem in solch einer Situation die Nerven durchgingen, der war für diesen Job definitiv ungeeignet.

Ein Ausbilder wusste von einem Fall zu berichten, wo ein selbsternannter ‚Body - Guard‘ aus Panik fast sechs Menschen erschossen hätte. Dieser ‚Personenschützer‘ sollte einen Geschäftsmann schützen und - wie in unserem Fall - die Person durch die Lobby zur Rezeption bringen. Neben drei Studenten befand sich aber auch eine Familie mit einem kleinen Kind dort. Und dieses Kind nannte einen wunderhübschen, knallroten Luftballon sein eigen. Es kam dann natürlich, wie es kommen musste: der Luftballon zerplatzte. Unser ‚Personenschützer‘, ohnehin schon mehr als nervös, fing daraufhin an wie wild um sich zu ballern. Und das auch noch mit einer nicht registrierten, gestohlenen Waffe. Natürlich besaß der Mann auch keinen Waffenschein. Zum Glück traf er niemanden. Außer die Person, die er schützen sollte. Seine ‚ProP‘ erlitt einen Armdurchschuss. Als der ‚Body - Guard‘ merkte, was er da angerichtet hatte, ist er schnurstracks abgehauen. Allerdings dauerte es nicht lange, bis die Polizei ihn festnahm. Wir hatten über die Geschichte geschmunzelt. Welch ein Trottel! Wie kann man denn in solch einer harmlosen Situation durchdrehen?

Aber jetzt, unter dieser Anspannung, sah ich die Geschichte mit anderen Augen. Ja, es zerrte an den Nerven, ständig mit einem Angriff rechnen zu müssen. Jede Person in der näheren Umgebung war verdächtig. Das peitschte den Adrenalinspiegel mächtig hoch. Dass Chrissi ähnlich dachte, konnte ich erkennen.

„Zimmer dreihundertunddreißig.“ Der Portier zeigte zum Fahrstuhl. „Im dritten Stock. Wenn sie aus dem Aufzug kommen, links. Herr Abdar erwartet sie schon.“

Also zurück zum Aufzug. Eine der beiden Kabinen stand offen da. Dritter Stock. ‚Maximal 5 Personen‘ - ‚Aufzug im Brandfall nicht benutzen‘. Ich sah mich um. Die üblichen Warnhinweise. ‚Notruf nur im Notfall benutzen‘ - ‚Eltern haften für ihre Kinder‘. Ich musste grinsen. Man sollte einfach einmal ein Schild: ‚Kinder haften für ihre Eltern‘ anbringen. Nur aus Jux. Das wäre ein Brüller.

Abrupt hielt der Fahrstuhl. Chrissi ging in den Gang hinaus. Dann winkte sie uns. In diesem Moment wollte sich die Fahrstuhltüre schließen, was ich aber so gerade eben noch verhindern konnte. Dafür wurde mein Bein kurz schmerzhaft zwischen Türe und Rahmen eingeklemmt. Leise fluchend und humpelnd stolperte ich hinter Chrissi und Mijnheer Wenderlen her.

Das Zimmer ließ sich nicht schwer finden. Wenderlen klopfte verhalten an. Während Chrissi ihre Blicke immer wieder durch den Flur schweifen ließ, rieb ich mir das schmerzende Schienbein.

„Ah, meine Gäste. Inschallah! Inschallah! Kommen sie herein, kommen sie herein.“

Ibn sal Abdar sah genau so aus, wie man sich einen Araber vorstellt. Er trug ein langes, weißes Gewand, das mich stark an ein Nachthemd erinnerte. Auf dem Kopf saß eine Art Turban, ebenfalls in Weiß. Der Mann mochte vielleicht dreißig oder vierzig Jahre alt sein, das ließ sich schwer bestimmen. Das herausragendste Merkmal allerdings war die Geiernase, die sein Gesicht dominierte. Wort- und Gestenreich komplimentierte er uns in sein Zimmer.

„Und wer von ihnen ist Mijnheer Wenderlen? Ich hatte ehrlich gesagt nicht mit so vielen Personen gerechnet.“

Wenderlen schob sich vor. „Ich bin Aaron Wenderlen. Ich freue mich ...“

Abdar unterbrach Wenderlen. „Wunderbar, wunderbar. Und wer sind die anderen beiden dort?“ - „Bodyguards, verehrter Ibn sal Abdar. Immerhin habe ich die gewünschten Diamanten im Wert von bald anderthalb Millionen Euro bei mir.“

„Wunderbar, wunderbar, lieber Herr Wenderlen. Dann zeigen sie doch mal her die Steinchen!“

Chrissi und ich sahen uns fragend an. Verliefen so die Verhandlungen im Millionen - Euro Bereich? Aber Wenderlen schien sich an dem Verhalten des Käufers nicht zu stören. Vielleicht hatten die Leute mit dem entsprechenden Geld immer irgendwelche Marotten. Ich zuckte mit den Achseln. Wir würden schon aufpassen, dass nichts schief ging.

Wenderlen schritt nun zu dem großen Tisch, der mitten im Zimmer stand. Als einfaches Hotelzimmer ließ sich dies hier allerdings nicht bezeichnen. Links führten zwei Türen zu weiteren Räume. Ich vermutete, dass eine zum Schlafzimmer und eine zum Bad gehörte. Wenderlen löste inzwischen die Handschellen und stellte die Zahlenkombination der Schlösser ein. Ibn sal Abdar schaute diskret zur Seite.

„Ah, wunderschön.“

Chrissi und ich mussten automatisch auf den geöffneten Koffer schauen. Dicht an dicht lagen dort die schönsten Diamanten auf einem schwarzen Samttuch.

Ibn sal Abdar klemmte sich eine Lupe in das rechte Auge und begann die Steine zu begutachten. Von Zeit zu Zeit ließ er ein ‚Wunderbar, einfach wunderbar‘ vernehmen. Endlich schien er mit seiner Begutachtung zum Ende zu kommen.

„Wahrlich großartige Stücke“, meinte er zu Wenderlen. „Ich kaufe, ich kaufe.“

Aaron Wenderlen schloss zufrieden den Koffer. „Dann sind wir uns einig? Einskommavierfünf Millionen Euro?“ - „Aber ja, wunderschön. Ganz wie wir es besprochen haben.“

Wenderlen rieb sich die Hände. Ganz offensichtlich machte er ein sehr gutes Geschäft. Vor allem, wenn man bedachte, dass zuvor die Rede von einem Wert von einskommazwei Millionen gewesen war. Aber solche Gedanken standen mir wohl nicht zu ...

„Gut, dann bekommen sie den Koffer noch gratis dazu. Können wir nun zur Überweisung schreiten? Sie haben doch einen Laptop hier?“

„Aber sicher, Mijnheer Wenderlen. Ganz wie besprochen. Ich zahle das Geld per Sofortüberweisung und sie übergeben mir die Klunkerchen. Ach, es ist so wunderbar.“

Ibn sal Abdar klatschte vor Freude wie ein kleines Kind in die Hände. Diese Araber. Ich schüttelte verwundert den Kopf. Kaufte für Millionen Diamanten und konnte sich wie ein kleines Kind darüber freuen!

Etwas polterte in einem der Räume laut auf den Boden. Erstaunt sahen wir uns um und in diesem Moment öffnete sich eine der beiden Türen. Wie ich flüchtig erkannte, musste es sich um die Schlafzimmertüre handeln. Eine wunderhübsche, nackte Frau trat in den Raum. Lange schwarze Haare fielen auf ihre Schultern. Allerdings waren es weniger die Haare, als mehr die eindeutig natürlich belassenen Brüste, die ich mir anschaute. Die Haut der Schönheit schien makellos und ein gepflegtes Dreieck aus schwarzen Haaren verbarg dezent ihre Scham.

Die Frau kreischte auf und versuchte ihre Brüste mit den Armen zu bedecken.

Ibn sal Abdar sah die Frau lächelnd an und sprach in leicht tadelndem Ton: „Mira, meine Herzblume. Zieh dir etwas an - wir haben Gäste.“

Der magische Augenblick war vorbei, die Tür fiel hinter der Schönheit wieder zu. Ich musste leicht grinsen, als mir Wenderlens enttäuschter Blick auffiel. Er starrte noch eine ganze Weile in Richtung der geschlossenen Türe. So, als warte er auf einen erneuten Auftritt der Nackten. Dann endlich fing er sich.

„Nun, kommen wir zur Überweisung, Herr Ibn sal Abdar.“ Wenderlen legte eine Hand auf den Koffer. „Dann gehört das hier ihnen.“

Abdar nickte und zog einen Laptop hervor. Es schien sich um ein älteres Modell zu handeln, denn das Gerät war ziemlich dick und schwer. Er stellte den Computer neben den Koffer auf den Tisch.

Plötzlich schrillte eine Alarmsirene. Feueralarm. Verdammt, irgendetwas musste ja noch passieren! Chrissi und ich verständigten uns mit einem kurzen Blick. Jetzt galt es, besondere Obacht walten zu lassen! Auch Aaron Wenderlen reagierte und befestigte den Koffer wieder mit den Handschellen an seinem Handgelenk.

„Wir müssen über die Treppe runter“, rief ich, „keine Panik. Ich gehe voran, sie Herr Wenderlen und sie Herr Abdar folgen mir. Christine macht den Schluss.“

Ibn sal Abdar schrie in Panik auf. „Ich kann nicht. Mein Täubchen, mein Herz, mein Alles ist noch in dem Zimmer. Ich hole sie. Wir können doch Mira nicht zurücklassen!“

Schon war er in dem Zimmer verschwunden.

„Wir müssen hier raus“, drängte Christine.

Ich klopfte gegen die Türe. „Wir müssen runter“, schrie ich. Die Tür öffnete sich einen Spalt und sal Abdar trat vor mich. Jetzt klang seine Stimme weinerlich.

„Mira ist noch nicht fertig. Zwei Sekunden noch.“ Dann schien ihm etwas einzufallen. „Oder besser: Gehen sie doch schon vor. Schließlich finden wir die Treppe auch alleine. Das war doch direkt neben dem Fahrstuhl, oder?“

Ich nickte. „Aber beeilen sie sich.“

Die Sirenen gellten weiter und von der Straße mischte sich das Geheul der Feuerwehrwagen darunter.

Chrissi und ich waren noch unschlüssig, ob wir nicht doch auf Abdar und seine Gefährtin warten sollten. Allerdings nahm Wenderlen uns die Entscheidung ab, indem er voller Panik aus dem Hotelzimmer stürmte. Krachend schlug die Zimmertüre zu. Ich sah Chrissi an: „Wir müssen hinterher. Abdar soll selbst zurechtkommen. Unser Auftrag lautet schließlich Wenderlen und die Diamanten zu schützen!“

Ich klopfte noch einmal energisch an die Schlafzimmertür, dann folgten wir dem Diamantenhändler. Auf der Treppe holten wir den Mann ein. Wenigstens war er nicht in den Fahrstuhl gestiegen.

Auf der Straße sammelten sich nach und nach die Hotelgäste. Ein Absperrband hielt den Bereich vor dem Hotel frei. Mehrere Feuerwehrfahrzeuge standen bereit, bei einem davon beobachtete ich hektische Arbeiten. Auch sammelten sich immer mehr Schaulustige hinter der Absperrung. Erste Reporter von Funk und Fernsehen trafen ein.

Im fünften Stock trat dichter Rauch aus einem Fenster. Schon fuhr die Feuerwehr die Leiter aus. Wasserschläuche wurden ausgerollt und noch bevor die Leiter das Fenster ganz erreicht hatte, hetzten die ersten Feuerwehrmänner nach oben. Trotz aller Hektik ließ sich deutlich das koordinierte und durchdachte Handeln erkennen.

„Was ist da bei euch los?“, hörte ich Sams Stimme über das Headset.

„Feueralarm.“ - „Ja, soviel habe ich auch schon mitbekommen. Wo seid ihr jetzt?“

Chrissi antwortete: „Draußen vor dem Hotel. ‚ProP‘ ist bei uns und in Sicherheit. Im fünften Stock brennt es in einem der Zimmer. Die Feuerwehr ist jetzt oben und löscht. Wie es aussieht, kamen keine Menschen zu Schaden.“

„Was ist mit den Diamanten?“ - „ProP hat seinen Koffer wieder am Handgelenk. Jonathan und ich schirmen ihn so gut es geht ab. Mir wäre allerdings wohler, wenn wir im Auto wären.“

„Verständlich“, kam es von Sam. „Ich sitze immer noch im Wagen in der Tiefgarage. Bis auf zwei Frauen ist hier niemand durchgekommen. Vielleicht schafft ihr es über den Eingang der Tiefgarage bis zu eurem Wagen. Moment, wartet noch. Bernd ruft mich gerade auf dem Handy an.“

Die Verbindung zu Sam brach ab. Ja, wir sollten es durch den Eingang zur Tiefgarage versuchen und dann zurück nach Amsterdam fahren. Diamanten - Deal hin oder her.

Wenderlen zeigte schon seit einigen Minuten ein aufgeregtes Verhalten. „Was ist los, Mijnheer Wenderlen?“, fragte ich.

„Ich suche Ibn sal Abdar, kann ihn aber nicht finden. Vielleicht können wir das Geschäft ja noch woanders abwickeln. Oder zumindest eine neue Verabredung treffen. Können sie den Mann und seine Begleiterin irgendwo sehen?“

Christine und ich schauten uns um. Die auffällige Erscheinung des Arabers war nirgends auszumachen.

Jetzt ging ein Raunen und Klatschen durch die Menge. Offensichtlich war der Brand gelöscht. Die ersten Schaulustigen entfernten sich allmählich vom Schauplatz.

Plötzlich drang Sams Stimme wieder über das Headset: „Ihr müsst dringend die Diamanten überprüfen, Jonathan! Bernd hat mich eben angerufen. Er ließ Jennifer alle Raubüberfälle und Diebstähle in Bezug auf wertvollen Schmuck, Uhren oder Diamanten überprüfen. Dabei ist sie auf etwas gestoßen, dass eurem Szenario in etwa gleichen könnte: Ein Mann namens Holger Diester scheint vor acht Jahren einen großangelegten Betrug an einem Schmuckhändler vorgenommen zu haben. Er hat den Händler in ein Hotel gelockt und ihn dort um seinem hochwertigen Schmuck erleichtert.“

„Aber Wenderlen hat seinen Koffer am Handgelenk“, warf ich ein. Ich erinnerte mich an die kleine goldene Krone auf dem Koffer. „Und es muss derselbe Koffer sein, da war so eine kleine Krone ...“

Sam unterbrach mich. „Überprüft die Diamanten. Ich sage ja auch nicht, dass es so sein muss!“

Christine dirigierte inzwischen Wenderlen zum Hotel zurück. Mit knappen Worten informierte sie ihn über das, was Sam uns mitgeteilt hatte.

Wenderlen grinste. „Keine Sorge. Das ist mein Koffer. Sehen sie die goldene Krone? Spezialanfertigung. So einen Koffer gibt es nur einmal.“

Die Feuerwehr entfernte die Absperrungen und gab den Weg zum Hotel wieder frei. Aus Gesprächen, die ich aufschnappte, ging hervor, dass es sich wohl lediglich um einen Papierkorbbrand mit starker Rauchentwicklung gehandelt hatte. Die Hotelgäste konnten wieder zu ihren Zimmern zurückkehren.

Wenderlen, Chrissi und ich hielten weiter Ausschau nach Ibn sal Abdar, während wir auf die Rezeption zusteuerten.

„Wir brauchen kurz einen Raum, in dem wir ungestört sind“, machte ich dem Portier klar.

„Sie können ein Zimmer buchen. Warten sie i...“ - „Ich will kein Zimmer buchen. Hören sie, Mann, wir müssen lediglich etwas ungestört überprüfen. Und zwar dringend und jetzt sofort!“

„Da kann ich ihnen nicht helfen. Sie können aber ein ...“

„Sturkopf!“ Ich ließ den Mann stehen und wandte mich wieder Chrissi und Mijnheer Wenderlen zu: „Ich glaube, es wird einfacher, wenn wir in die Tiefgarage zu unserem Auto gehen.“

„Gute Idee“, kam es über Headset, „ich erwarte euch am Fuß der Treppe.“ Sam verfolgte unsere Gespräche aufmerksam über die Funkverbindung.

„Verdammt.“ Der Koffer, mittlerweile lag er auf der Motorhaube unseres Wagens, ließ sich nicht öffnen. Schweren Herzens hatte Wenderlen sich von den Handschellen mit denen der Koffer an seinem Handgelenk hing, getrennt. Immer nervöser fummelte er an den Zahlenschlössern herum.

„Das ist die Kombination. Ich schwöre.“ Mit steigender Aufregung fiel der Mann immer mehr in seinen holländischen Akzent zurück. Er hörte sich jetzt eindeutig schlimmer an als dieser Rudi Carrell.

„Dat is ook meine Koffer!“

Sam näherte sich jetzt mit einem großen Schraubendreher. Wir hatten den Händler und Sam zuvor miteinander bekannt gemacht und Wenderlen versichert, dass Sam zu uns gehörte. Jetzt setzte Sam kurzerhand den Schraubendreher an und hebelte den Koffer auf.

„Die schöne Koffer“, seufzte Wenderlen kurz auf, nur um daraufhin in einen Weinkrampf auszubrechen. Er lag vollkommen leer vor uns und eine Weile starrten wir entgeistert darauf. Sam war der erste, der sich wieder fasste. „Wir müssen die Polizei verständigen. Wie konnte es dazu kommen, dass die Diamanten fort sind?“

Sam stellte die Frage rein rhetorisch und erwartete auch keine Antwort. „Ihr geht zur Rezeption und lasst die Polizei verständigen. Ich informiere derweil Bernd!“

Wenderlen liefen immer noch die Tränen die Wangen herunter, als wir dem Portier gegenüberstanden.

„Bitte verständigen sie die Polizei, wir sind bestohlen worden“, wies ich den Hotelangestellten an. Der rührte sich jedoch nicht.

„Die Polizei ist schon unterwegs“, meinte er nur lakonisch und wandte sich seinem Computerbildschirm zu.

Doch Christine hatte keine Lust auf diese Spielchen. Schon vorhin, als er uns nicht weiterhelfen wollte, konnte meine Kollegin sich nur mit Mühe zurückhalten. Jetzt schnellte ihr Arm vor und sie bekam den Mann am Kragen zu packen. Schon lag der Portier quer über dem Tresen. Chrissi näherte ihr Gesicht dem seinigen.

„Jetzt pass mal auf, Bürschchen! Wenn du dich nicht gleich ein wenig kooperativer zeigst, sehe ich mich gezwungen, dir einen Finger zu brechen. Haben wir uns verstanden?“

Der Portier nickte ängstlich. „W-Was kann ich denn für sie tun?“

Christine ließ den Mann los. „Schon besser. Warum ist die Polizei hierhin unterwegs?“ - „Wegen dem Brand.“ - „Des Brandes!“

Der Mann schaute mich verwirrt an. „Des Brandes?“ - „Ja“, erklärte ich geduldig „es heißt ‚des Brandes‘.“

Jetzt mischte Chrissi sich wieder ein: „Lass gut sein, Jonathan. Das ist doch jetzt egal. Was ist jetzt mit dem Brand?“

„Das war Brandstiftung. Jemand hatte eine Kerze im Mülleimer angezündet und als die heruntergebrannt war, entzündeten sich irgendwelche Stofffetzen.“

Chrissi nickte. „Okay, trotzdem verbinden sie mich jetzt sofort mit der Polizei!“

„Sie schicken einen Kriminalbeamten, der die Sache aufnimmt. Wir sollen so lange hier warten.“ Christine zeigte auf eine Sitzgruppe. „Setzen wir uns dort hin.“ Dann wandte sie sich ab und sprach mit Sam über ihr Headset.

„Sam, kannst du mich hören?“ - „Ja.“ - „Wir warten jetzt hier auf einen Polizisten, der den Diebstahl aufnehmen soll. Wie gehen wir danach vor?“

Sam überlegte einen Moment. „Fragt Wenderlen, was er noch plant und bietet ihm an, dass ihr ihn nach Amsterdam zurück kutschiert. Soviel sind wir dem Mann schuldig ...“

Chrissi nickte und wandte sich an den Händler. Der beruhigte sich allmählich und hörte zum Glück auf zu heulen. „Mijnheer Wenderlen, sollen wir sie nach der Vernehmung durch die Polizei nach Amsterdam zurückfahren? Ich befürchte, dass wir hier nicht mehr viel ausrichten können.“

Aaron Wenderlen schüttelte entschieden den Kopf. Nachdem er jetzt etwas ruhiger war, klang sein Deutsch auch wieder ganz passabel. „Nein, danke. Ich buche mir hier ein Zimmer. Vielleicht ergibt sich ja noch etwas mit der Polizei. Dann fahre ich mit dem Zug zurück.“

Wir nickten. Chrissi übernahm es, Sam wieder zu informieren. Dank meinem Headset konnte ich das Gespräch mit anhören.

„Gut, dann beendet Ihr die Sache hier nach dem Gespräch mit der Polizei und kommt ins Sportstudio. Bernd möchte, dass wir ihm genauestens Bericht erstatten. Ich verschwinde jetzt auch. Wir sehen uns dann später.“ Ein Knacken im Headset zeigte an, dass Sam die Verbindung abgebrochen hatte. Wir nahmen unsere Geräte ebenfalls aus den Ohren. Ich unterhielt mich leise mit Christine.

Wenderlen saß zusammengesunken da und starrte vor sich hin. Nur von Zeit zu Zeit ließ er ein ‚Wo bleibt nur verdammtes Polizei?‘ vernehmen.

„Ich kann mir nur vorstellen, dass dieser Ibn sal Abdar die Koffer vertauscht hat“, meinte ich.

„Und wann?“ - „Als diese Frau in den Raum kam. Du erinnerst dich? Die Nackte. Wir waren alle abgelenkt. Ideal um die Koffer zu vertauschen!“

Chrissi schüttelte den Kopf. „IHR wart abgelenkt. Ich nicht. Ich habe den Koffer nicht aus den Augen gelassen.“

„Du willst damit sagen, der Koffer wurde nicht ausgetauscht?“ - „Richtig. Zumindest nicht in diesem Moment.“

„Aber sonst gab es keine Gelegenheit. Ich hatte Ibn sal Abdar immer im Blick. Das Ganze ist sehr, sehr merkwürdig.“ Dann fiel mir noch etwas ein: „Aber die Koffer müssen vertauscht worden sein. Erinnere dich einmal an die Sache in der Tiefgarage. Wenderlen konnte seinen Koffer nicht mehr öffnen, da die Kombinationen der Zahlenschlösser nicht stimmten.“

Unsere Diskussion wurde durch das Eintreffen des Polizisten unterbrochen. Chrissi zuckte nur mit den Schultern.

„Kriminalkommissar Artur Asens, Kripo Köln“, stellte sich der Polizist vor, „wer von ihnen ist der Diamantenhändler?“

Wenderlen erhob sich und reichte dem Mann die Hand. „Aaron Wenderlen. Ich komme aus Amsterdam, um hier zu verkaufen Diamanten. Die beiden“, er zeigte auf uns „sind meine Bodyguard.“

Kriminalkommissar Asens nickte uns leicht zu. „Ihnen wurden die Diamanten gestohlen?“

„Deswegen sind sie hier“, konnte ich mich zu bemerken nicht zurückhalten.

„Ich werde sie gleich schon noch befragen.“ Der Polizist zückte einen Block und einen Stift. „Also, wie heißen sie?“ - „Aaron Wenderlen, aber das habe ich doch schon gesagt.“

Asens sah mich an. „Und sie?“ - „Jonathan Lärpers.“ Eifrig notierte er unsere Namen. „Christine Weru.“

„Dann schildern sie mir doch bitte einmal den Hergang, Herr Wenderlen.“

Wenderlen blickte traurig auf seinen Aktenkoffer. „Hier waren sie drin, Herr Kriminalkommissar.“

Asens schaute irritiert auf. „Wo war ich drin?“

„Nicht sie, Herr Polizist. Die Diamanten natürlich. In diesem Koffer hatte ich Diamanten im Wert von anderthalb Millionen Euro.“

„Und die tragen sie so einfach im Koffer spazieren?“ - „Ich habe doch die Bodyguards!“

Asens machte sich fleißig Notizen. „Und weiter?“

„Wir haben einen Käufer hier im Hotel getroffen. Eine hochgestellte arabische Persönlichkeit.“ - „Und der heißt? Wo befindet sich diese Person denn jetzt?“

„Ibn sal Abdar. Und wo der Mann jetzt ist, weiß ich nicht. Da war doch dieses Feuer und alle mussten das Hotel verlassen und ...“

„Würden sie die Geschichte bitte der Reihe nach erzählen?“

Wenderlen nickte ergeben. „Ibn sal Abdar wollte die Diamanten kaufen. Deswegen trafen wir ihn auf seinem Zimmer. Nummer dreihundertdreißig. Dort hat er die Diamanten begutachtet. Er wollte sie kaufen und die Geldtransaktion vornehmen, als plötzlich diese Frau das Zimmer betrat.“

„Diese Frau dort?“ Der Kriminalkommissar zeigte auf Christine.

„Nein, nein. Eine andere Frau. Vollkommen nackt.“

„Aha!“ Kriminalkommissar Asens sprang von seinem Sitz auf. „Klarer Fall! Eine nackige Frau! Da haben sie natürlich alle dahin glotzen müssen. Und ihr Scheich konnte in aller Seelenruhe die Koffer austauschen.“

Jetzt meldete Christine sich zu Wort: „Also, ich habe d...“

Asens unterbrach sie unwirsch: „Frau Bodyguard. Habe ich sie befragt? Sie kommen auch noch zu Wort - aber später. Also halten sie sich zurück, ja?“

Christine nickte und verdrehte die Augen, was aber nur mir auffiel.

„Und dann ging auch schon der Feueralarm los“, erzählte Wenderlen weiter. Wir sind sofort die Treppe herunter. Bei Feuer darf man den Aufzug ja nicht benutzen.“

Wieder machte sich der Polizist eifrig Notizen. „Und wann haben sie bemerkt, dass die Diamanten weg waren?“

„In der Tiefgarage. Wir haben den Koffer zuerst nicht aufbekommen. Aber ein Helfer dieser Bodyguards hat ihn dann kaputt gemacht und da war er leer.“

Asens schaute von seinem Notizbuch auf. „Ein Helfer? Das erscheint mir aber verdächtig. Und den Koffer hat er auch noch kaputt gemacht?“ Dann sah er uns an: „Zeigen sie mir doch einmal ihre Personalausweise. Und wo ist jetzt dieser ominöse Helfer? Vielleicht auch verschwunden?“

Chrissi und ich reichten dem Beamten unsere Papiere. Keiner sprach ein Wort.

„Nun, wo ist der Helfer?“, herrschte Asens Christine an.

„Der ist nach Hause gefahren.“ - „Zum Dojo“, ergänzte ich, „also nicht direkt zu seinem Haus, aber das Dojo ist ja unser Zuh...“

„Wollen sie mich verarschen? Wo liegt denn Doso? Hört sich ausländisch an. Außerdem habe ich sie nicht gefragt!“

„Dojo“, stellte Christine richtig, „das ist unser Kampfraum im Studio.“

Der Polizist schien zunehmend verwirrt. Da Christine erneut die Augen verdrehte, wollte ich auch etwas zur Situation beitragen: „Wir haben auch eine Folterkammer im Studio!“

Das war nun doch ein wenig viel für den braven Beamten. „Wollen sie damit sagen, dass sie ein Studio, eines dieser zweifelhaften Etablissements, und dort auch einen Sado - Maso Bereich unterhalten?“

Chrissi lachte. „Nein, nein. Es handelt sich um ein Sportstudio und die ‚Folterkammer‘ ist der Kraftraum. Was sie aber auch denken, Herr Kommissar.“

Asens notierte sich unsere Daten. Dann plötzlich klappte er sein Notizbuch zu.

„Ich muss das alles erst einmal in Ruhe überdenken. Ich weiß ja, wo ich sie erreichen kann, falls ich noch weitere Fragen habe.“

Dann saßen wir wieder alleine im Foyer.

Personen - Schutz

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