Читать книгу Personen - Schutz - Jürgen H. Ruhr - Страница 6
III.
ОглавлениеIch schüttelte die Gedanken ab. Nein, bloß keinen Urlaub. Davon hatte ich wahrlich genug im Moment.
Sam erhob sich. „Okay, wir fangen am Siebten mit der Ausbildung an. Ich muss noch einige Dinge erledigen, bevor ich mich euch uneingeschränkt widmen kann. Bis dahin habt ihr auf jeden Fall Gelegenheit, euch erst einmal zu akklimatisieren. Macht ein paar Tage frei.“
Chrissi und ich nickten. Wir wüssten uns auch so zu beschäftigen. Irgendetwas gab es immer zu tun.
Am nächsten Morgen stand ich mit einer Tüte Brötchen in der Einfahrt meiner Eltern. Wir hatten uns jetzt eine ganze Weile nicht gesehen und ich freute mich schon auf die überraschten Gesichter. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass ich auch nicht zu früh da war. Mein Vater liebte es nicht, so zeitig gestört zu werden.
Nach dem fünften Klingeln gab ich es auf. Entweder waren beide plötzlich an Taubheit erkrankt oder es befand sich niemand zu Hause. Ich tippte auf die zweite Möglichkeit. Also doch zum Studio. Irgendein dankbarer Abnehmer für die Brötchen würde sich schon finden.
„Ah, der junge Lärpers.“
Vor mir stand der Nachbar, Herr Taubern. Bei Taubern handelte es sich um den speziellen Rennspielfreund, mit dem mein Vater immer Rennen auf seiner Carrerabahn fuhr. Ich hielt den Mann für leicht dement, was mein Vater aber immer bestritt.
„Herr Taubern. Wie geht es ihnen?“ - „Wieso?“ - „Nur so, ich will doch nur höflich sein.“
Taubern schien nachzudenken. „Wie geht es dir, Jonathan?“
Jetzt stach mich der Hafer: „Wieso?“
„Geht‘s dir nicht gut? Soll ich einen Krankenwagen rufen?“ Schon kramte der Nachbar nach seinem Handy. „Wo hab ich nur mein Telefon?“
„Mir geht es gut, danke Herr Taubern.“ - „Aha. Nun. Und warum rufen sie mich an?“ - „Ich habe sie nicht angerufen. Wir stehen hier und reden miteinander.“
„Stimmt. Sie bringen mich aber auch ganz durcheinander. Also, junger Mann, was wollen sie von mir?“
Die Sache gestaltete sich zunehmend schwierig. „Ich wollte meine Eltern besuchen. Aber die scheinen nicht da zu sein.“
„Das stimmt. Die sind in Urlaub.“
Ich musste grinsen. Hatte meine Mutter es also letztlich doch geschafft. Sie und ihre Städtereisen.
„Die sind in Portugal. Bei irgend so einem Pöting. Was immer das sein mag. Bestimmt ein portugiesisches Festival. Bah, so ein ausländischer Kram.“
Albert Pöting Senior war der Vater meines ehemaligen Schulkollegen Albert Pöting Junior. Und Albert Junior saß bei der Polizei Mönchengladbach als Kriminalkommissar. Noch letztes Jahr überstand der mit viel Glück einen Anschlag einer chinesischen Gang. Aber das ging Hermann Taubern nichts an. Ich nickte nur. „Ich muss weiter, Herr Taubern. Danke für die Information.“
Schon steckte der Schlüssel im Türschloss meines Wagens. Bloß weg hier!
Plötzlich wurde mir die Tüte mit den Brötchen entrissen. Taubern lief zur Straße. „Nichts ist umsonst, Jüngelchen.“ Dann war er verschwunden. Toll, wie der alte Mann noch so schnell rennen konnte.
Die Brötchen waren verloren; ich würde jetzt bestimmt nicht hinter Taubern herrennen. Sollte er doch damit glücklich werden. Also zum Sportstudio. Vielleicht würde ich ja auf dem Weg dorthin ein kleines Frühstück zu mir nehmen können.
Jennifer stand hinter der Empfangstheke und begrüßte mich. „Morgen Jonathan. Solche Sehnsucht nach uns? Ich dachte, Sam hat euch noch ein paar Tage frei gegeben.“
„Tja, stimmt. Eigentlich wollte ich ja meine Eltern besuchen, aber die sind in Urlaub. Also, was soll ich machen? Ich muss sowieso meine Schießkünste noch ein wenig aufpolieren.“
„Ihr seid doch alle gleich. Christine ist auch schon da. Na dann viel Spaß.“
Chrissi konnte es also auch nicht lassen! Meine ehemalige Sekretärin war dem Kampfsport mit Haut und Haaren verfallen. Nun, zumindest hatte ich für heute einen Trainingspartner.
Pünktlich um acht Uhr am Montagmorgen betrat Sam mit einem Stapel Unterlagen und Kopien die Bibliothek. Christine und ich hatten es uns schon bequem gemacht und wir fieberten den Dingen entgegen, die da kommen würden. Jennifer versorgte uns mit frischem Kaffee.
„Morgen ihr beiden. Ich hoffe, ihr seid bereit für einen anstrengenden Monat. Wir werden zwar auf den Grundlagen eures Lehrganges aufbauen können, trotzdem bleibt aber noch genügend Lernstoff. Bis zu eurem Job Anfang Mai werdet ihr aber einigermaßen fit sein. Außerdem gibt es auch einen Praxisteil. Da aber noch nicht feststeht, was das genau sein wird, kann ich jetzt noch nichts darüber verraten.“
Sam reichte uns den Stapel Unterlagen hin. „Das sind eure Arbeitsunterlagen für die nächste Zeit. Natürlich läuft das übliche Trainingsprogramm weiter. Das bedeutet: Schießübungen, sowie Kraft- und Kampftraining. Außerdem werden wir jeden Morgen vor dem Frühstück einen kleinen Waldlauf absolvieren, um eure Ausdauer zu trainieren.“
„Und wann fangen wir an?“, wollte Chrissi wissen.
„So um sechs Uhr morgens. Aber ich habe dir noch einen Vorschlag zu machen: Wie du weißt, wohnt Jonathan zurzeit ja bei mir. Um unseren kleinen Lehrgang und das Training flexibler zu gestalten, könntest du ebenfalls zu mir ziehen. Für diesen einen Monat.“
Christine nickte. Wir kannten Sams Haus, da wir vergangenes Jahr schon einmal ein paar Tage bei ihm übernachtet hatten. Damals befand sich auch Monika bei uns, Platz war ja genügend vorhanden.
„Gute Idee“, meinte sie jetzt auch, „das würde uns auch vermutlich einige Fahrerei sparen.“
Sam grinste. „Richtig. So dachte ich mir das. Wir fahren dann morgens gemeinsam zum Lauftraining und anschließend hier ins Studio, wo wir duschen und die Theorie durchgehen können. Oder wir schließen an das Laufen direkt Kampftraining an.“
Ich nickte. Das machte Sinn.
„Sam, werde ich Gelegenheit haben, mich auf die nächste Prüfung in Taekwondo vorzubereiten?“ Chrissi sah Sam fragend an.
„Auf jeden Fall. Auch du, Jonathan. Wenn du möchtest. Wir können den Unterricht total flexibel gestalten und konzentrieren uns im Kampftraining halt auf euren Prüfungsstoff. Vielleicht schafft Jonathan es ja auch, mit dir gleichzuziehen und ebenfalls seinen ersten Dan zu erhalten. Also lasst uns beginnen.“
Der Tag verging mit trockener Theorie zum Thema Personenschutz. Vieles davon kannten wir schon aus unserem Lehrgang. Nach dem Mittag wurde es ein wenig interessanter, da Sam auf die verschiedenen Eigenarten zu schützender Personen zu sprechen kam.
„Die Betreuung eines Stars ähnelt dem Lauf über rohe Eier!“
Den Satz musste ich mir merken.
Am frühen Nachmittag hängte Sam noch eine Stunde Kampftraining an. Auch hier bezog er sich auf den aktiven Schutz eines Stars oder Sternchen. Insbesondere der Aspekt der Unberechenbarkeit stellte uns immer wieder vor besondere Herausforderungen.
„Ihr müsst bei solch einem ‚Star‘ immer mit allem Möglichen rechnen“, erläuterte der Asiate, „so eine Person - das gilt übrigens auch, oder gerade für Politiker - lässt sich häufig von seiner Geltungssucht leiten. Deshalb müsst ihr besonders dann wachsam sein, wenn eure zu schützende Person - wir nennen sie hier intern: ProP - mit der Menge oder Fangruppen zusammentrifft. Denn jeder in solch einer Gruppe, der unserer ProP nahe kommen kann, könnte auch ein Attentäter sein!“
Ich warf eine Frage ein: „ProP? Sam, soll das für ‚Propeller‘ stehen, weil sich ja alles um diese Person dreht?“
Sam lachte. „Nein, nicht ganz, Jonathan. ‚ProP‘ steht für ‚Protected Person‘. Dann gibt es noch ‚ProOb‘ für ‚Protected Object‘. Aber solche Feinheiten lernt ihr noch. Wir beschränken uns hier aber zunächst einmal auf die ‚ProPs‘. Immerhin ist es aber ein Unterschied, ob ich in einer Gefahrensituation schnell und für alle Beteiligten Angaben machen kann; so in der Art: ProP auf dem Weg ... Oder ob ich lange und umständlich versuche zu erklären, worum es geht. All diese Abkürzungen und Ausdrücke findet ihr in den Unterlagen, die ich euch gegeben habe. Aber worauf ich eigentlich hinauswollte: Wir werden jetzt einmal solch eine Situation durchspielen. Ich bin die ProP und ihr zwei habt die Aufgabe mich durch diese Halle hier zu begleiten. Links die Matten stellen die jubelnde Menge dar. Soviel Phantasie euch das vorzustellen habt ihr doch?“
Christine und ich nickten. Na klar, da stand sie: die jubelnde Matten - Menge. Ein lustiger Gedanke ...
Allzu lustig wurde die folgende Stunde allerdings nicht. Erst nach dem zwölften Versuch ließen wir uns von Sams unvorhersehbaren Aktivitäten nicht mehr täuschen. Allmählich spielte sich bei uns ein, immer auf beide Seiten zu achten: den Star und die Menge. Endlich zeigte Sam sich zufrieden und beendete das Training.
„So, genug für heute. Geht duschen und Christine soll einige Sachen zum Anziehen und was sie sonst noch braucht, zuhause einpacken. Wir sehen uns heute Abend.“ Sam wandte sich ab, kehrte dann aber noch einmal zu uns zurück. „Ach, bevor ich es vergesse, Chrissi: Lass dir von Jennifer einen Schlüssel für mein Haus geben. Du kennst dich ja aus. Aber bitte, denkt beide daran, auf etwaige Verfolger zu achten, wenn ihr hin fahrt. Ich weiß, das hört sich paranoid an, aber ...“
„Schon klar, Sam“, unterbrach ich ihn, „wir wissen Bescheid und werden entsprechend aufpassen.“
Die Tage vergingen wie im Flug. Früh morgens übernahm unser Freund den Weckdienst und scheuchte uns zum Waldlauf aus den Betten. Danach folgten Lektionen in Theorie und Kampftechnik. Christine zeigte sich innerhalb kürzester Zeit in der Lage, die nächste Taekwondo - Prüfung zu absolvieren und auch ich machte gute Fortschritte. Dann überraschte Sam uns eines Tages mit einer Botschaft.
Wir saßen gerade frisch geduscht in der Bibliothek und unterhielten uns leise; Sam ließ außergewöhnlich lange auf sich warten. Endlich aber gesellte er sich mit einem breiten Grinsen zu uns.
„So, gute Nachrichten. Ich habe eben Informationen über die Praxisaufgabe erhalten. Also quasi euer Praktikum. Wie ihr euch ja sicherlich denken könnt, handelt es sich um eine Aufgabe im Personenschutz. Bernd hat gestern Nachmittag den Auftrag bekommen. Die ganze Sache hört sich interessant und relativ ungefährlich an. Allerdings handelt es sich nicht um einen Prominenten, sondern um einen holländischen Geschäftsmann. Eure Aufgabe ist es, die Person in Amsterdam abzuholen und nach Köln zu bringen. Eigentlich ganz einfach ...“
Aha. Aus Sams Intonierung ließ sich allerdings leicht das ‚Aber‘ heraushören.
„Und wo steckt der Haken bei der Sache?“, wollte Chrissi jetzt auch wissen.
„Der Knackpunkt ist, dass es sich um einen Diamantenhändler handelt, der mit einem Koffer voller Steinchen sicher zu einem Kunden nach Köln gebracht werden muss. Der Kunde befindet sich im Hotel Casa Cologne. Ihr parkt in der hoteleigenen Tiefgarage und begleitet ProP bis in das Zimmer des Kunden. Geht der Verkauf problemlos über die Bühne, wird ProP euch entlassen und selbst nach Amsterdam zurückfahren. Sollte er auf seinen Steinchen sitzen bleiben, dann müsst ihr ihn auch noch zurückbegleiten.“
Chrissi schüttelte fragend den Kopf. „Sam, etwas verstehe ich da nicht: Warum fährt dieser Kunde nicht selbst von Köln nach Amsterdam? Dann müssten die Diamanten nicht transportiert werden und die ganze Angelegenheit wäre doch viel einfacher und sicherer?“
Sam nickte. „Ja, da hast du Recht. Das haben wir uns natürlich auch gefragt. Ehrlich gesagt, hatte Bernd den Händler auch schon darauf angesprochen. Die Antwort klang recht plausibel: Bei dem Kunden handelt es sich angeblich um irgendeine höher stehende Person aus einem arabischen Land. Der möchte schon am gleichen Abend vom Flughafen Köln - Bonn wieder zurückfliegen.“
„Das klingt aber trotzdem ziemlich merkwürdig“, warf ich ein.
„Ja“, gab Sam zu, „deswegen gilt auch erhöhte Alarmstufe. Bernd hat diesen Diamantenhändler überprüft, fand aber nichts Negatives. Natürlich klingt die Sache wie das klassische Szenario für einen Raub. Doch versicherte der Händler glaubhaft, dass außer ihm, dem Kunden und uns niemand etwas davon erfahren hat. Zur Sicherheit werde ich aber als unsichtbarer Dritter im Hintergrund bei euch sein. Wir bleiben über unsere Headsets in Verbindung.“
Gut, mit Sam im Hintergrund fühlte ich mich schon gleich viel wohler. Und diese Headsets würden uns während der ganzen Aktion die Kommunikation erlauben. Bei den kleinen Geräten handelte es sich um so ziemlich das Neueste, was es zu kaufen gab. Man klemmte sich so ein kleines, kaum sichtbares Ding in das Ohr und schon konnte jeder in der Gruppe mithören und -sprechen.
„Nähere Einzelheiten besprechen wir aber noch. Ebenso, welchen Wagen ihr nehmt. Der sollte einerseits nicht zu auffällig sein, andererseits aber auch sicher und gepanzert.“
„Und wann geht‘s los?“, wollte Chrissi wissen.
„In drei Tagen - am Donnerstag. Wir haben also noch genügend Zeit uns auf den Auftrag vorzubereiten.“