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Kapitel 4

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Zweimal kurvte Fiebig durch das Einbahnstraßengewirr des Luisenviertels, bis er endlich einen Parkplatz gefunden hatte. In ein Halteverbot wollte er sich nicht mehr stellen, schon gar nicht mit dem Dienstwagen, mit dem er nun unterwegs war. Seit er lautstark mit einer Politesse aneinandergeraten war, waren die städtischen Ordnungshüter nicht gut auf ihn zu sprechen. Fiebig hatte behauptet, er befände sich in einem dringenden Einsatz, was die Dame nicht geglaubt hatte. Sie ließ das überprüfen und Fiebig stand danach als Lügner da. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, nachzutreten und sich beim Leiter des Ordnungsamtes über die Politesse zu beschweren.

Dass er mit seinen verbalen Attacken die Anzahl der Menschen, die ihm wohlgesonnen waren, noch mehr reduzierte, war ihm egal.

»Irgendwann werden dich alle hassen«, hatte Lars ihm prophezeit und Fiebig hatte das nur mit einem »na und« kommentiert.

Es schien ihm wirklich egal zu sein. Ihm genügte sein Team im Kommissariat, das zu ihm stand, obwohl er es mit harter Hand führte. Er war kompromisslos, unhöflich und rechthaberisch. Er hatte so gut wie keine Freunde. Umso erstaunlicher, dass er sich mit dem Journalisten Lars Lombardi verstand, der doch ein halbes Leben jünger war als er selbst und überdies einer Zunft angehörte, die Fiebig als seine natürlichen Feinde betrachtete. Lombardi war das genaue Gegenteil seines väterlichen Freundes. Gut aussehend, stets freundlich, kommunikativ, mit einer positiven Lebenseinstellung. Machte sich jemand über die Konstellation der beiden Männer lustig, quittierte Fiebig das meist mit einem verschämten Grinsen. Er konnte selbst nicht sagen, was ihn an diesem Jungen faszinierte. Wahrscheinlich war es dessen unbekümmerte Jugendlichkeit, die Fiebig völlig abging.

Laura Conte, Staatsanwältin und Lars’ Freundin, hatte die beiden zusammengebracht. In der Pizzeria ihrer Eltern in Cronenberg hatten sie gesessen, Fiebig hatte mal wieder zu tief ins Glas geschaut und im Rausch des Alkohols Lars das Du angeboten. Seitdem bestand diese seltsame Freundschaft, die Fiebig nicht so nennen wollte.

Es war fast Ende April, sagte der Kalender. Die Temperaturen taten aber so, als ob es bereits Sommer wäre. Lang und heiß würde er werden. Und das kommende Geschehen verdiente die gleichen Attribute. Davon ahnte allerdings noch niemand etwas.

Auf dem Laurentiusplatz dominierte die große Kirche mit ihren zwei Türmen, deren ockerfarbene Fassade im Sonnenlicht erstrahlte. Alle Restaurants rund um den Platz hatten bereits ihre Außengastronomie eröffnet. Lars saß unter einem Sonnenschirm neben dem Glascafé und flirtete mit der Bedienung. Fiebig klopfte ihm zur Begrüßung auf die Schulter und bestellte sich ein Frühstück. Kaffee, Rührei und ein Käsebaguette. »Aber ohne Gedöns«, fügte er an.

»Ohne Salat, Gurke und Tomate, nur Butter und Käse«, übersetzte Lars.

Zu welcher Jahreszeit auch immer, Lars trug stets das gleiche Outfit: Jeans, schwarzes T-Shirt, schwarze, kurze Lederjacke. Die hing jetzt über der Stuhllehne. Groß, schlank, sportliche Figur, einen sympathischen Gesichtsausdruck, seine langen schwarzen Haare, die er zu einem Zopf gebunden hatte – das war es, was ihn so anziehend wirken ließ.

»Läuft es nicht mehr so gut mit Laura?«, fragte Fiebig und zeigte auf die abziehende Bedienung. Sein Blick verfolgte ihren wiegenden Gang. Ein wehmütiger Zug umspielte seine Lippen. Kurz schüttelte er den Kopf, als wollte er seinem Gehirn verbieten, die aufkommenden Gedanken weiterzuspinnen, dann wandte er sich wieder Lars zu.

»Unser Verhältnis ist gerade etwas unterkühlt.« Er grinste schief. Glücklich sah das nicht aus. Bewusst flapsig sprach er weiter: »Fiebig, alter Mann, setz dich. Du bist so frühlingshaft gekleidet. Ist was passiert?«

Den alten Mann nahm Fiebig gelassen hin. Die Anrede nur mit seinem Nachnamen genauso. Das war normal. Schon als Jugendlicher hatte er beschlossen, nicht mehr Franz Fiebig zu heißen, sondern nur noch Fiebig. Franz erschien ihm zu altbacken. Überdies hatten ihn seine Eltern nach seinem Großvater benannt, den er gar nicht mehr erlebt hatte. Menschen, die ihn weniger gut kannten, nannten ihn Herr Fiebig. Und wurde er irgendwo vorgestellt, etwa, wenn er vor fremden Kollegen ein Referat hielt, dann führte man ihn als »Erster Kriminalhauptkommissar Fiebig« ein, kurz EKHK Fiebig.

»Es muss sich etwas ändern«, beantwortete er Lars’ Frage.

»Das ist doch seit Langem meine Rede. Du solltest Sport treiben, deinen Bauch abtrainieren, dein miesepetriges Gesicht mit etwas Kosmetik auffrischen und dir vielleicht einen Dreitagebart zulegen. Würde gut zu deiner Glatze kontrastieren. Und deine Schuhe. Die gehen gar nicht.«

Fiebig schaute konsterniert auf seine ausgelatschten schwarzen Treter hinunter.

»Was stimmt damit nicht?«

»Das sind Altherrenschuhe. Zu der Kleidung«, er zeigte auf Fiebigs lässiges Jackett, »solltest du Sneaker anziehen. Blaue oder rote. Meinetwegen auch welche in Beige«, fügte er an, als Fiebig skeptisch schaute.

Der starrte Lars ins Gesicht. Schnell nahm der seine Sonnenbrille ab und legte sie auf den Tisch. Er hatte vergessen, dass Fiebig es gar nicht mochte, wenn jemand seine Augen vor ihm verbarg.

Jetzt war es Fiebig, der grinste. Heute Morgen war er wirklich gut drauf.

»Was machen deine Geschichten?«, fragte er leutselig. »Bist du immer noch an dem Schatzsucher dran?«

»Bis gestern dachte ich noch, die Geschichte sei nun ausgelutscht«, begann Lars vorsichtig. »Tagelang habe ich Kotthausen auf seiner Suche begleitet. Wir waren in fast allen Höhlen und Bunkern der Stadt, die ihm zugänglich gemacht wurden. Gefunden haben wir nichts.«

»Das war doch klar.« Fiebig wusste es natürlich schon vorher besser. »Wie kommt der denn überhaupt darauf, das Bernsteinzimmer in Wuppertal zu suchen?«

»Die Geschichte des Zimmers kennst du?«

Fiebig zuckte mit den Schultern. Ob das hieß »ja«, »in etwa« oder »keine Ahnung«, ließ er nicht durchblicken. Wahrscheinlich hieß es: »Interessiert mich nicht.«

Wenn es um Kunst ging, zeigte Fiebig sich uninformiert.

Lars half ihm auf die Sprünge und referierte kurz die wichtigsten Fakten.

»An unzähligen Orten wurde das verschollene Zimmer schon vermutet; aber bisher nie gefunden«, schloss er seinen kleinen Vortrag.

»Ja, und warum jetzt in Wuppertal?«, wollte Fiebig wissen.

»Kotthausen war gestern Nacht an der Hardt-Kaverne. Weil man ihn offiziell da drin nicht mehr suchen lassen wollte, versuchte er die Eingangstür aufzubrechen, musste aber unverrichteter Dinge abziehen. Jedenfalls blieb sein Rucksack liegen und darin befanden sich Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass er irgendwelche alten Verbindungen des NS-Mannes Koch zu Cronenberg gefunden hat. Unter anderem eine Todesanzeige für eine Elisabeth Koch, wer auch immer das gewesen ist. Jedenfalls wäre es interessant zu wissen, was da tatsächlich im Tunnel zu finden ist.«

»Wahrscheinlich haben die den gesperrt, weil da Höhlenforscher drin arbeiten, habe ich in eurer Zeitung gelesen.«

»Soso, du weißt also doch, um was es geht. Jedenfalls wäre das kein Grund, auf ihn zu schießen. Sein halbes Ohr ist weg.«

Jetzt war es heraus.

»Aha, das ist es, was du mir eigentlich sagen wolltest. Lieber Lars, das kann nur Bullshit sein.« Deutliche Ironie schwang bei Fiebig mit.

Bevor er das genüsslich ausbreiten konnte, fuhr Lars ihm dazwischen: »Gestern Nacht hab ich den Typen in der Notaufnahme getroffen. Ein Stück vom Ohr fehlte. Er sei angeschossen worden, behauptete er.«

Fiebig lachte.

»Habe ich auch erst nicht geglaubt«, sagte Lars. »Er hat mir erzählt, dass er kurz vor Mitternacht in die Hardt-Kaverne einbrechen wollte. Plötzlich habe es einen Knall gegeben und sein Ohr war weg. Ich habe mir den Eingang zum Tunnel angeschaut. Da waren tatsächlich Dellen in der Eisentür, die von Projektilen stammen könnten.«

»Das ist mehr als Bullshit«, knurrte Fiebig, ganz der alte Kripofuchs, der glaubte, Lars wolle ihm damit einen Ermittlungsvorgang aufdrängen, nur um ein weiteres Märchen zu veröffentlichen.

Lars versuchte es noch einmal:

»Sämtliche unterirdischen Räume hat die Stadt dem Mann zugänglich gemacht und den letzten und größten, den Hardttunnel, haben sie ihm verweigert. Und als er heimlich, nicht ganz legal, da rein wollte, wurde auf ihn geschossen. Das ist doch komisch, oder?«

»Ja, das ist komisch. Habe lange keine so lustige Geschichte mehr gehört.«

Fiebig lachte jetzt aus vollem Hals. Lars nicht.

»Du weißt, dass ich dich schätze«, begann Fiebig ernst. »Aber auf der Jagd nach ungewöhnlichen Geschichten bist du zu leichtgläubig. Das ist hanebüchen, was der Schatzsucher dir da erzählt hat. Wäre da was dran, hätte ich eine entsprechende Anzeige auf dem Tisch liegen und der Mann wäre nicht so sang- und klanglos aus unserer schönen Stadt verschwunden. Vergiss es also. Im Übrigen kann ich durchaus verstehen, warum man ihm dort den Zugang verweigert hat. Unsere Stadtoberen haben inzwischen begriffen, dass sie einem Fantasten auf den Leim gegangen sind. Sie wollten sich wohl nicht weiter lächerlich machen.«

Lars konterte nicht, aber er sah enttäuscht aus. Stumm schlürfte er seinen Cappuccino.

Für Fiebig war das Thema abgeschlossen. Er hatte gerade ein anderes Problem.

»Wie machst du das eigentlich, mit jeder Frau sofort ins Gespräch zu kommen?«, fragte er beiläufig.

Lars schaute überrascht auf.

Er verkniff sich ein Grinsen.

»Kommunikation nennt man das, oder auch Small Talk. Mit einiger Übung kann man es erlernen. Und nun, alter Mann, muss ich zur Arbeit.«

Er klemmte einen 20-Euro-Schein unter seine Kaffeetasse. »Ich lade dich ein«, sagte er dazu und ging mit einem kurzen Gruß davon.

»Beleidigte Leberwurst«, knurrte Fiebig ihm hinterher.

Begraben in Wuppertal

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