Читать книгу Soulac sur Mer - Das Fanal - Jürgen Nottebaum - Страница 3
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ОглавлениеAls der Ordner einen Schritt zur Seite trat, während er gleichzeitig mit dem linken Arm wild in der Luft herumfuchtelte, gab der Fahrer des ‚Citroen 15 CV familiale‘ kräftig Gas. Die Blaskapelle, der er gefolgt war, hatte bereits gut hundert Meter Vorsprung und bog gerade nach links auf den Bahnhofsvorplatz ab.
In genau diesem Auto hatte am Ende des Krieges niemand Geringerer als General de Gaulle persönlich die Parade der siegreichen Kämpfer nach der Befreiung von Soulac sur Mer abgenommen. Der stolze jetzige Besitzer hatte es aufwändig von einem Spezialisten aus St. Ysans restaurieren lassen. Nun sollte das Prachtstück der Zuschauermenge am Bahnhof erstmals präsentiert werden. Der Wagen hatte den Fahrer bei der Versteigerung eine Menge Geld gekostet, und es hatte - bei dem Gedanken an die Versteigerung überlief sein Gesicht ein amüsiertes, breites, selbstgefälliges Grinsen - außerdem noch eines ziemlich hinterhältigen Tricks bedurft, um am Ende erfolgreichster Bieter zu sein. Der ankommende Dampfzug war nicht mehr allzu weit entfernt.
Mit Schwung fuhr der Oldtimer über die Aufpflasterung, die zum Zweck der Verkehrsberuhigung im Kreuzungsbereich angelegt worden war. Die Bodenwelle hob den Wagen förmlich aus der Federung. Aus dem Augenwinkel heraus nahm der Fahrer wahr, dass vorne links aus dem Kotflügel ein kleiner glänzender Gegenstand auf die Straße fiel und im Zerplatzen einen gigantischen Blitz und einen gewaltigen Knall erzeugte. Im gleichen Moment ertönte von der Lok her ein langer durchdringender Ton aus der Dampfpfeife, der den Knall von der Straße her fast übertönte.
Der Fahrer fühlte sich aus dem Sitz in die Höhe geschleudert. Um ihn herum flogen die Einzelteile seines liebevoll und aufwändig restaurierten Fahrzeugs mit in die Höhe. Ein Schuh, sein rechter Unterschenkel mit zerrissenen Teilen seines Hosenbeines sowie der vordere linke Kotflügel überholten ihn in der Aufwärtsbewegung. Verblüfft konstatierte der Fahrer, dass diese Wahrnehmung völlig schmerzfrei geschah. Er blickte unter sich und begriff schlagartig, dass offenbar sein Körper ebenso wie sein Auto von einer Explosion zerrissen worden waren. Er bestand nur noch aus Wahrnehmung, seine Materie war tot.
Durch sein Bewusstsein wehte die vage Erinnerung an einen Drohbrief, den er erhalten hatte. Darin wurde ihm wegen seiner „Machenschaften“ bei einem Bauskandal aus längst vergangenen Tagen gedroht. War es ein Fehler gewesen, den Wagen über Nacht vor seinem Haus stehen zu lassen?
Die Wahrnehmungen begannen zu zerfließen. Unscharf sah er unter sich die Zuschauer in Panik auseinanderstieben, während sowohl Fahrzeugtrümmer als auch die einzelnen Teile seines zerrissenen Körpers auf den Boden hinunter fielen. Als letzte Erinnerung tauchten wie aus Nebelschwaden verschwommen die Gesichter verschiedener Frauen auf, die in seinem Leben eine Rolle gespielt hatten. Mit einem letzten Blick auf die Bahnhofsuhr erlosch Hastings. Es war 12.29 Uhr.