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Bock around the clock

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Seit wann die Brauerei Seelmann in Zettmannsdorf im Steigerwald den Bockbieranstich zelebriert, weiß nicht einmal Juniorbrauer Georg Seelmann genau. »Wahrscheinlich so seit fünfundzwanzig Jahren«, murmelt er, die ewige Zigarette im Mundwinkel, »seit der Gebietsreform, als die uns Schönbrunn zugeschlagen haben. Aber halt auf jeden Fall immer am ersten Samstag nach dem Buß- und Bettag.«

Es ist kurz nach sieben, und der Saal des 1847 gegründeten Familienbetriebs ist schon ziemlich voll. Zwei Bolleröfen heizen seit Tagen vor. Etwa vierzig Bierbänke bieten zweihundert Eventtrinkern Platz, darunter zahlreichen »Auswärtigen«, wie der Franke sagt. Eine Frankfurter Gruppe von Rockern hämmert bereits die zweite Runde Bock in sich hinein. Später am Abend disqualifiziert sie sich auf unrühmliche Weise.

Gerade wird eine Busladung Jugendlicher in den ehemaligen Speicher geschüttet. Drei, vier Aushilfskellnerinnen, forsche Mädels aus dem Bamberger Umland, das dem Bierkenner als »der Nabel der Welt« (www.bierkeller.de) gilt, knallen die Halblitertonkrüge, die »Seidla« zu 2,20 Euro, auf die weißblauen, von der Raiffeisenbank zur Verfügung gestellten Plastiktischdecken. Rote Schleifen und weißblaue Wimpel zieren etwas linkisch die gekalkten Wände, vor den klapprigen Strebenfenstern hängen blaßrote Stores, und am Querbalken der hohen Decke funzelt eine bordellrote Neonröhre.

»Des is’ mei’ erster Bockanstich«, beichtet die für unseren Tisch zuständige Aushilfe, doch ihr gerötetes Gesicht zeugt davon, daß ihr die landstrichtypischen Hauptnahrungsmittel, Bier und Schweinefleisch, nicht fremd sein dürften. Derweil dirigiert Seelmann jr. die letzten eintreffenden Trupps in die Ecken. Der Laden ist aufgefüllt, das Abfüllen kann beginnen.

Auf der Bühne heizt »Dieter« an der Franz-Lambert-Orgel einem Saal ein, der sich in Windeseile von selbst aufheizt. Bockbier ist bei einer Stammwürze zwischen 16 und 18 Prozent eine Art Kopfheizung – zumal der klare, von einem feinen malzrauchigen Nachtrunk beseelte Seelmann-Bock, der nach zwei Halben schlagartig den Schädel verschleiert. Einen Alkoholwert von 10 Prozent vermutet die eine Bedienung, die nächste spricht von 7,8, die eigenen Berechnungen nach der zu vorgerückter Stunde rausgerückten Brauergeheimformel »Stammwürze 17,8 geteilt durch drei plus 0,5« ergeben eindeutig schummrigkeitserzeugende 6,43 Prozent.

Die genügen vollauf. Die Frankfurter am Nebentisch scheitern mehrheitlich schon nach zwei Stunden. Die uniform schwarzgewandeten Gesellen zollen der tückischen Lieblichkeit des rostbraunen Tranks Tribut und strecken ihn in einem Akt der Verzweiflung mit Cola – ein Sakrileg, das Herr Rehse, ein begnadeter Bierkundler aus dem Odenwald, nicht durchgehen lassen kann. »Verkauft nicht euren guten Bock / An das Cola-Bier-Gesock’«, schüttelt er einen Kampfreim aus dem noch wackeren Kopf, weshalb ihm Brauerstochter Christine, die zu wasserstoffblondem Haar vor allem einen glitzernden Rockernietengürtel trägt, das dunkelblaue Tapferkeits-T-Shirt des Hauses überstreift, auf dem zu lesen ist: »Bleib der Heimat treu, / Trink Seelmann Bräu«.

Solche Brauerlyrik verlangt Gegenlyrik. »Der Maus den Käs’, / Dem Ratz den Speck, / Dem Beatle den Rock / Und mir den Bock«, wirft Frau Rehse ein, ihre Tochter spendiert die Sentenz: »Draußen gibt’s nur Kännchen, drinnen gibt’s nur Bock«, und der Schwiegersohn schwingt sich zu einem wagemutigen »Mein Name ist Bier – Bock Bier« auf.

Dieter an der Orgel kämpft währenddessen um die akustische Vorherrschaft, aber das Saalgeräusch überschwemmt alles – dieser anschwellende Bockgesang der Zecher und Zischer, dieses Wogen, das plötzlich kurz abebbt, als zagte die Gemeinde einen Moment lang, um umgehend wieder hinaufzurauschen in fette Höhen aus Clustergeschrei und durstig-kraftvoller Kakophonie.

Längst gehorcht der Deckelabzieh- und Bezahlvorgang postmodernen Free-Style-Regeln. »Na, wos meinst, wos hast?« fragt Seelmann jr. und gesteht sogleich: »Eigentlich is’ mir des Bockwurst. Siehst, etz sin’ 1.000 Promille im Saal«, freut er sich und eiert davon.

»Ein besseres Bier gibt’s kaum«, sagt Herr Rehse, der mit einer immensen Portion Bockbierschäufele – Schweineschulter mit rohem Kloß und Kraut – eine stabile Grundlage geschaffen hatte. »Wer so zu brauen versteht, darf die Welt betrunken machen. Man muß die Maßstäbe hoch ansetzen, um tief fallen zu können«, grinst er.

Einige sind bereits gefallen – gleich auf die Bänke, auf den Boden in der Gaststube, eingehüllt in Schlafsäcke, oder in ihre Wohnwagen oder Igluzelte, die auf der schlammigen Wiese hinter dem Haus stehen.

Um eins kommt der Shuttle-Bus aus dem zwanzig Kilometer entfernten Bamberg, und der alte Brauer Georg Seelmann sen. schleicht wahrscheinlich noch immer umher, zufrieden lächelnd, seine verschreckte weißbraune Katze zart im Arm wiegend.

Die Poesie des Biers

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