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I.

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Wie an den letzten Tagen auch schon, versprach es heute wieder herrlich warm zu werden. Trotz der frühen Morgenstunde schickte die gerade erst aufgegangene Sonne ihre warmen Strahlen zur Erde. Und das mitten im April: Hinter mir lagen ein paar ruhige und entspannte Ostertage.

Ich warf einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr und stellte fest, dass ich sehr gut in der Zeit lag. Wie seit nunmehr über einem halben Jahr, drehte ich meine Runden um Schloss Wickrath herum. Anfänglich, als Bernd mich zu dem Training verdonnert hatte, fiel es mir noch schwer, mit meiner Kollegin Christine Weru Schritt zu halten. Doch allmählich machte sich das viele Laufen bemerkbar: Meine Atmung ging gleichmäßig und ruhig, meine Muskeln waren gestählt und ich fühlte mich topfit.

Allerdings fehlte mir meine Kollegin jetzt, denn an unsere gemeinsamen Waldläufe hatte ich mich doch schon sehr gewöhnt. Christine - oder in Kurzform auch Chrissi - befand sich seit einer Woche in Urlaub und so musste ich die Strecke durch den Park um das Schloss herum alleine laufen.

Vor vielen Jahren arbeitete Christine als meine Sekretärin. Ich unterhielt damals ein kleines Detektivbüro und sie wollte sich während ihres Studiums etwas dazuverdienen. Leider wurde meine Detektivkarriere schon nach kürzester Zeit von einer chinesischen Gangsterbande, einer sogenannten Triade, beendet, als die das Gebäude, in dem sich mein Büro befand, abfackelten.

Zu meinem Glück lernte ich damals auf meiner Geburtstagsfeier Bernd Heisters kennen, der mir das Leben rettete und ein sehr guter Freund wurde. Und später traten Christine und ich in seine Firma ein. Bernd hat sich auf Personenschutz und Kampfsportstudios spezialisiert und durch ihn wurde ich an Krav Maga und andere Kampfkünste herangeführt. Inzwischen gehört zu Bernds Imperium auch noch eine Detektei, die hauptsächlich dazu dient, für den Oberstaatsanwalt Herrmann Eberson Aufträge auszuführen, die hart am Rand der Legalität liegen. Aber leider müssen wir uns auch noch allzu oft mit profaner Detektivarbeit herumschlagen.

So wie mein augenblicklicher Fall, den ich am liebsten an eine Kollegin abgegeben hätte. Doch Chrissi ist ja in Urlaub und Birgit Zickler, die ich im Stillen immer noch ‚die Zicke‘ nenne, befindet sich im Ausland und schützt dort eine Musikerin bei ihren Konzerten. Birgit und ich waren anfänglich eher so eine Art Feinde - jedenfalls hat sie es glänzend verstanden, mich zu ärgern - doch mittlerweile kommen wir ganz gut miteinander aus. Ich werde allerdings nie verstehen, wieso ein erwachsener Mensch, ständig mit bunt gefärbten Haaren herumlaufen muss ...

Leider kam ansonsten kein Kollege in Frage, dem ich diesen unsäglichen Auftrag übertragen konnte. Da war einmal der Kampfsportausbilder Thomas Friedlich, den alle nur ‚Dozer‘ nannten und dessen einhundertfünfzig Kilo Lebendgewicht jeden Gegner niedermähen konnten. Dozer arbeitet drüben im Krav Maga Studio, während sich unser Büro der Detektei in dem Gebäude einer pleitegegangenen Firma befindet, die früher einmal irgendwelche Dokumente digitalisierte. Aber immerhin liegen die Büros hier im Mönchengladbach - Güdderather Industriegebiet nur zwei Straßen auseinander.

Tja und der kleine Asiate Samuel L. Terbarrus, kurz Sam, kam natürlich auch nicht in Frage, wenn es darum ging, meine Aufträge an andere weiterzugeben. Sam war mir in all den Jahren auch ein sehr guter Freund geworden und ist Bernds rechte Hand.

Seufzend dachte ich daran, dass der Auftrag auf jeden Fall an mir hängen bleiben würde. Als wenn es mein Schicksal wäre, nach verlorenen Hunden oder Ehegatten zu suchen. Doch Bernd war der festen Meinung, dass ich auch irgendwie die Brötchen mitverdienen müsste und nicht nur tatenlos im Büro sitzen könnte.

Kurz wanderten meine Gedanken zu der blonden Jennifer Enssel, die die gute Seele des Krav Maga Studios darstellte und die Arbeit im Empfangsbereich abdeckte. Doch Jennifer würde mit mir auf keinen Fall die Aufgaben tauschen. Und sie ist ja eigentlich auch keine Detektivin.

Das, was ich so salopp mit ‚Krav Maga Studio‘ bezeichne, ist weit mehr als eine Art Turnhalle für Kampfsüchtige. Das Gebäude beinhaltet natürlich ein Dojo - den Trainingsraum für Kampfsport - und einen Fitnessbereich, sowie ein kleines Schwimmbad; doch daneben befinden sich im Kellergeschoss ein Schießstand, ein Labor und Räume für ‚Gäste‘. Gäste, die weniger freiwillig bei uns übernachten dürfen ...

Und unter dem Kellergeschoss gibt es eine riesige Garage mit einer geheimen Zufahrt, in der sich Bernds Dienstfahrzeuge befinden. Vom Porsche bis zum Mercedes sind dort die edelsten und feinsten Wagen vertreten. Leider war es mir bisher nur selten vergönnt, eines der Fahrzeuge zu nutzen. Stattdessen durfte ich alle Wege mit meinem postgelben Kia Venga zurücklegen, den ich mir vor einigen Jahren aus einer Not heraus kaufen musste. Mein alter Ford Fiesta war damals nach einem Motorbrand nicht mehr instand zu setzen gewesen.

Ein weiterer Blick auf die Uhr sagte mir, dass es Zeit wurde, den Heimweg anzutreten. Meine Wohnung befand sich nur wenige Minuten zu Fuß vom Schloss Wickrath entfernt und lag direkt über der von Christine, die sie mir auch vermittelte hatte. Aber auch das lag jetzt schon einige Jahre zurück.

Frisch geduscht und überaus pünktlich schloss ich die Tür zu unserer Detektei auf und begab mich in mein Büro. Der Schreibtisch stand immer noch so da, wie ich ihn verlassen hatte und eine einzige kleine Akte meines aktuellen Falles wartete schon auf mich.

Ein Nachbarschaftsstreit. Wie langweilig.

Irgendein Hundebesitzer war an uns, also die Detektei Argus, herangetreten, da sein Nachbar ihn verklagen wollte. Die beiden stritten sich offensichtlich schon seit mehreren Jahren wegen aller möglichen Kleinigkeiten und jetzt sollte sein Hund den anderen Mann gebissen haben. Angeblich wäre der Köter aber niemals zu so etwas fähig und jetzt musste sich Jonathan Lärpers, Privatdetektiv und Personenschützer, damit herumquälen. Ich erwog kurz, den Hund zu erschießen und wenn dann noch keine Ruhe wäre, dies auch mit beiden Nachbarn zu tun, doch instinktiv wusste ich, dass Bernd mit dieser Lösung nicht einverstanden gewesen wäre ...

In dem Moment, als ich die Akte aufnehmen wollte, klingelte das Telefon.

„Lärpers, Dete...“, meldete ich mich, wurde aber sofort unterbrochen. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang rau und ich erkannte sofort, dass sich jemand Mühe gab, sie zu verstellen.

„Hör mal zu du kleiner Scheißer“, vernahm ich. „Ich mach dich platt. Wenn du denkst, dass du damit durchkommst, dann hast du dich geschnitten. Hast du das verstanden? Geschnitten!“

Ich verstand die Worte sehr wohl, konnte mir aber keinen Reim auf deren Bedeutung machen. „Was so...“

„Stottere nicht dumm rum, Mann“, schrie die Stimme jetzt eine Oktave höher. „Du hast Zeit bis morgen Mittag. Zwölf Uhr. High Noon. Dann knallt‘s! Wir legen dich um, dich und deine Familie. Deine Frau gleich mit. Kapiert? Und damit du das verinnerlichst, kannste ja mal nach deinem schicken Wagen schauen. Die Luxuskarosse gibt ein herrliches Osterfeuer ab!“

Unabhängig davon, dass ich meinen Kia Venga nicht als Luxuskarosse bezeichnen würde - das Wort ‚Postkutsche‘ hatte ich wegen der gelben Farbe schon eher gehört - fragte ich mich, welche Frau er meinte. Immerhin war ich nicht verheiratet und befand mich momentan auch in keiner Beziehung.

„Entschuldigung, was meinen Sie damit?“, fragte ich noch, merkte aber, dass der Anrufer das Gespräch schon unterbrochen hatte. Achselzuckend legte ich den Hörer auf, nahm ihn aber sofort wieder hoch. Wenn jemand mein Auto angezündet hatte, dann war es doch sinnvoll die Feuerwehr zu rufen. Schnell tippte ich eins - eins - zwei ein, legte aber beim ersten Tuten schon wieder auf. Brannte der Wagen wirklich?

Rasch ging ich durch das kleine Foyer zur Eingangstüre. Von hier aus konnte ich meinen postgelben Kleinwagen gut sehen. Der Wagen stand unversehrt an seinem Platz und brannte kein bisschen. Doch um mich zu vergewissern, verließ ich die Detektei und sah mir den Kia genauer an. Nein, den hatte niemand versucht anzuzünden und eine Bombe konnte ich auch nirgends entdecken. Lediglich auf dem Beifahrersitz lag ein Brief, den jemand durch den Spalt am Fenster eingeworfen hatte. Wieder so ein Witzbold, der mir zeigen musste, was er von meinem Fahrzeug hielt!

Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass es sich bei dem Umschlag nicht um eine Briefbombe handelte und das Seitenfenster sorgfältig geschlossen war, kehrte ich an meinen Schreibtisch zurück.

Was wollte der mysteriöse Anrufer von mir?

‚Du hast Zeit bis morgen Mittag. Zwölf Uhr. High Noon. Dann knallt’s.‘

Ich dachte angestrengt über die Worte nach. Wozu hatte ich bis morgen Mittag Zeit? War das einer der Nachbarn, deren Fall ich zurzeit bearbeitete? Wohl kaum, denn zu dem Mann mit dem Hund würde ich heute Nachmittag fahren. Der Termin stand ja schließlich fest. Wer aber sollte mich bedrohen? Ich nahm die dünne Akte meines Falls noch einmal zur Hand, um einen Blick auf die Notizen zu werfen, die Jennifer bei der Aufnahme der Angelegenheit angefertigt hatte. Doch die Informationen gaben nicht viel her. Ein Herr Edgar Bersmann hatte bei uns angerufen und um Hilfe gebeten. Sein Hund hätte angeblich den Nachbarn - einen Herrn Guido Ownatz - gebissen und der wolle ihn nun verklagen. Dann folgte die Adresse des Anrufers, die sich in einer kleinen Eigenheimsiedlung am anderen Ende der Stadt befand. Jennifer hatte dem Mann mein Kommen für heute fünfzehn Uhr zugesagt. Viel mehr stand nicht auf dem Blatt. Keine Information darüber, warum der Mann ausgerechnet unsere Detektei anrief oder was er von uns wollte. Ich sollte mich einfach einmal nur ‚kümmern‘. Jennifer stellte sich das so einfach vor. Was der Mann brauchte, das war ein Anwalt und kein Detektiv.

Ich würde ihn auf diese Tatsache hinweisen und dann wäre der Fall erledigt. Oder ich erschoss doch besser den Hund ...

In diesem Moment klingelte wieder das Telefon. War das wieder der Anrufer?

„Ja?“, meldete ich mich.

„Jonathan?“

Es war nicht der Anrufer, sondern Jennifer vom Krav Maga Studio.

„Ja, am Apparat.“

„Wieso meldest du dich nur mit ‚Ja‘? Außerdem versuche ich dich schon eine ganze Weile zu erreichen. Was ist los, warst du nicht im Büro?“ Ich hörte sie kurz lachen, dann fügte Jennifer hinzu: „Oder bist du wieder eingeschlafen?“

Ich knurrte. „Ich schlafe nicht, Jenny. Ich war nur kurz draußen bei meinem Wagen. Da ist so eine merkwürdige Sache, also eben ha...“

Jennifer unterbrach mich: „Das kannst du mir gleich alles persönlich erzählen, Jonathan. Bernd will dich sehen, also schwing deinen Arsch hier rüber ...“

„Wow“, grinste ich, „du hast aber auch schon einmal freundlicher geklungen. Kein gutes Osterwochenende gehabt?“

Doch Jennifer antwortete nicht, die Leitung war tot.

Ich warf die Akte auf den Schreibtisch. Vielleicht gab es ja einen wichtigeren Auftrag, den Bernd mir erteilen wollte und ich würde den Termin heute Nachmittag absagen können. Ob uns der Oberstaatsanwalt Eberson wieder beauftragt hatte? Vielleicht ein brisanter Einsatz gegen Terroristen, Mörder, Erpresser? Alles war besser, als dieser dämliche Hundestreit ...

Die Strecke zum Krav Maga Studio legte ich mit überhöhtem Tempo in meinem gelben Auto zurück. Obwohl es lediglich einige Meter an Weg waren, wollte ich keine Zeit verlieren und so schnell wie möglich zu meinem Chef ins Büro gelangen.

„Hallo Jonathan“, begrüßte mich Jennifer, als ich das Foyer betrat. Die Blonde blickte mir lächelnd entgegen, ordnete aber weiter einige Papiere auf der Theke, hinter der sie stand. „Das ging aber schnell.“

„Ist Bernd in seinem Büro?“

Sie nickte. „Er erwartet dich schon. Allerdings wirst du dich noch einen Moment gedulden müssen, er telefoniert gerade noch.“

Ich lächelte die Hübsche an. Leider war es mir bisher nicht gelungen, sie zum Essen einzuladen, doch das konnte ja noch werden. Gut Ding will eben Weile haben ... Immerhin blieb etwas Zeit, ihr noch von dem merkwürdigen Anruf zu berichten.

„Was ich dir vorhin erzählen wollte“, begann ich und Jennifer nickte. „Da war so ein merkwürdiger Anruf. Ein Mann drohte mir, mein Auto anzuzünden und mich ‚platt zu machen‘, wenn ich nicht irgendetwas bis morgen Mittag tun würde. Leider habe ich keine Ahnung, was der Kerl meinte. Und mein Wagen brannte auch nicht. Deswegen befand ich mich ja kurze Zeit nicht im Büro“, fügte ich entschuldigend hinzu.

Jennifer grinste. „Ja, das klingt sehr merkwürdig. Wer war denn der Anrufer, hast du nach seinem Namen gefragt?“

„Nein, dafür ging alles viel zu schnell. Er hat nach der Drohung sofort wieder aufgelegt.“

Jennifer hielt jetzt mit ihrer Sortierarbeit inne und sah mich intensiv an. „Bist du sicher, dass du das nicht geträumt hast? Wie lautet denn die Rufnummer deines Anrufers?“

Ich schüttelte den Kopf, während die blonde Maus auf ihrer Tastatur herumtippte. „Keine Ahnung“, gab ich freimütig zu.

„Das ist kein Problem, Jonathan. Ich schaue gerade im Telefoncomputer nach. Ah, da ist es ja. Zehn Uhr achtundvierzig. Allerdings wird keine Nummer angezeigt, der Anrufer hat wohl die Rufunterdrückung benutzt.“

Ich nickte wissend: „Ja, genau die Rufunterdrückung. Nur zu schade, dass ich nicht zurückrufen kann, um zu fragen, was er von mir wollte ...“

„Vielleicht warst du ja auch gar nicht gemeint.“

„Wie meinst du das? Er hat doch bei mir angerufen.“

Jennifer schüttelte den Kopf. „Vielleicht hat der Typ sich verwählt und wollte eigentlich ganz woanders anrufen.“ Sie machte sich einige Notizen. „Ich werde die Sache einmal im Auge behalten, vielleicht kann ich ja etwas in Erfahrung bringen. Übrigens kannst du jetzt zu Bernd, er hat sein Telefonat beendet.“

Ich lächelte Jennifer gewinnend an und machte das Daumen-hoch Zeichen. Dann wandte ich mich um.

„Und grins nicht so blöd, Jonathan. Du weißt, dass Bernd das nicht mag.“

„Guten Morgen, Jonathan“, begrüßte mich mein Freund, als ich in sein kleines, fensterloses Büro trat. Hier war kaum Platz für den Schreibtisch, einen kleinen Schrank und einen Besucherstuhl. Bernd nutzte den Raum selten, doch er war abhörsicher und für seine Zwecke ausreichend. Er kam um seinen Schreibtisch herum und nahm mich freundschaftlich in den Arm. „Ich hoffe, dir geht es gut.“

Vor vielen Jahren, zu der Zeit, als ich gerade meine eigene Detektei eröffnet hatte, lernten wir uns auf meiner Geburtstagsparty kennen. Leider war ich dermaßen voller Tequila, dass ich in der Nacht offensichtlich mit ihm im Bett gelandet bin. Bernd dachte in mir einen neuen Liebhaber gefunden zu haben, doch ich musste ihn enttäuschen. Ich war und bin nicht homosexuell und meine damaligen Handlungen beruhten allein auf dem übermäßigen Tequilakonsum. Bernd ist ein Hüne von Mann, gut einen Kopf größer als ich und der gepflegte Vollbart steht ihm ausgezeichnet. Ich bin froh, dass wir so gute Freunde geworden sind.

„Morgen Bernd. Danke, ausgezeichnet. Wie waren deine Ostertage?“

„Ruhig. Ich kann mich nicht beklagen. Was macht dieser Nachbarschaftsstreit?“ Mein Freund nahm wieder Platz und sah mich fragend an.

Hatte Bernd mich deswegen rufen lassen? Ihm musste doch bekannt sein, dass der Termin bei diesem Bersmann erst heute Nachmittag anstand.

„Da bin ich erst um fünfzehn Uhr. Bisher kann ich also noch nichts dazu sagen. Mich würde allerdings interessieren, warum der Mann ausgerechnet uns angerufen hat.“

„Nun, das kann ich dir erklären.“ Bernd lächelte und zeigte auf den Besucherstuhl. „Setz dich, Jonathan. Vor einigen Jahren, noch bevor du bei mir angefangen hast, haben wir dem Mann einmal zufällig aus der Patsche helfen können. Um genau zu sein: Jennifer war es, die ihm aus einer prekären Situation half. Daran wird Bersmann sich erinnert und sie deswegen angerufen haben.“

Ich nickte verstehend. „Na, wenn die Sache so liegt ... Hast du mich deshalb rufen lassen?“

Bernd schüttelte den Kopf und ich schöpfte Hoffnung, dass Eberson unsere Hilfe brauchte.

„Ein Auftrag vom Oberstaatsanwalt?“, fragte ich und sah meinen Freund freudestrahlend an.

Doch der schüttelte erneut den Kopf. „Nein, Jonathan. Und lass bitte dieses dämliche Grinsen. Es geht um eine andere Angelegenheit.“

Er druckste ein wenig herum, während ich mich fragte, was auf mich zukam. Wenn Bernd sich so verhielt wie jetzt, war es nichts Angenehmes, das wusste ich. Plötzlich wünschte ich mich zurück in mein Büro.

„Es ist ... nun also“, begann er zu erklären und ich merkte, dass ihm die Worte nicht leichtfielen. Obwohl ich meinem Freund aufmunternd zulächeln wollte, behielt ich ein ernstes Gesicht. Nicht, dass er wieder dachte, ich würde ‚dämlich‘ grinsen.

„Es ist mehr eine persönliche Sache. Ein Gefallen. Ein Freund braucht unsere Hilfe und hat eigentlich ausdrücklich nach Christine verlangt. Doch die ist ja in Urlaub, wie du weißt.“ Bernd machte eine kurze Pause und sah mich prüfend an. Als ich kurz nickte, fuhr er fort: „Nun, ich weiß auch nicht so genau, worum es geht. Doch da Chrissi nicht zur Verfügung steht und auch Birgit beschäftigt ist, dachte ich, Jennifer einzusetzen. Aber leider ist auch Jenny nicht abkömmlich, da sich der Oberstaatsanwalt Eberson überraschend ankündigte. Du weißt doch, dass er ein Programm initiiert hat, bei dem südafrikanische Polizisten hier in Deutschland im Austausch mit ihren Kollegen Erfahrungen sammeln sollen ...“

Erneut nickte ich. Wer wusste besser als ich über dieses Programm Bescheid, denn im vergangenen Jahr durfte Christine im Austausch nach Südafrika reisen. Leider wurde sie dort von Terroristen entführt und nur mit knapper Not gelang es uns, sie - und einige andere Geiseln - zu befreien.

„Eberson kommt also heute Mittag mit einer südafrikanischen Delegation zu uns und dazu brauche ich Jennifer. Es tut mir leid, Jonathan, doch du bist der einzige, der sich um unseren Freund kümmern kann.“

„Okay Bernd. Aber worum geht es eigentlich? Soll ich deinen Freund vom Flughafen abholen oder hinfahren? Oder was soll ich tun?“

Bernd machte ein ernstes Gesicht und spielte mit einem Kugelschreiber herum. „Unser Freund musste plötzlich ins Krankenhaus. Worum es genau geht, kann ich dir aber leider auch nicht sagen.“

Ich sah wie Bernd auf den Stift blickte und hatte das Gefühl, dass er doch mehr wusste und es mir nur nicht ins Gesicht sagen wollte. Aber warum? Was konnte so unangenehm sein, dass er damit hinter dem Berg hielt? Sollte ich vielleicht jemanden liquidieren? Jemanden für diesen ominösen Freund aus dem Weg räumen?

„Nur damit wir uns verstehen, Bernd“, versuchte ich ihn zu warnen. „Ich mache nichts Ungesetzliches oder Unmoralisches.“

Bernd lachte kurz auf und sah mich an. „Keine Sorge, Jonathan. Das wird auch niemand von dir verlangen. Geh einfach ins Krankenhaus und höre dir an, was der Mann von uns möchte. Du schaffst das schon.“

Irgendwie wusste ich, dass der eigentliche Hammer bei der Sache noch kommen würde. „Welches Krankenhaus, und wie heißt dieser ‚Freund‘?“, fragte ich leise. „Ein paar Details musst du mir schon mit auf den Weg geben. Und wann soll ich zu dem Mann gehen? Ich habe ja heute noch diesen Termin beim Hundebesitzer.“

Bernd atmete ein wenig auf. „Das Krankenhaus kennst du, es ist das Elisabeth Krankenhaus. Somit hast du nicht viel Fahrerei. Und unseren Freund kennst du auch. Er ist sogar ein alter Bekannter von dir.“ Bernd holte tief Luft. „Es ist Herr Weser. Aber ich weiß nicht, auf welchem Zimmer er liegt, das wirst du erfr..."

„Weser?“, rief ich entsetzt. Dieser dicke, alte Mann, der mich eines Tages noch zum Herzinfarkt treiben würde. „Du meinst doch nicht wirklich Herrn Weser? Bitte, Bernd, sag, dass ich mich verhört habe!“

Doch Bernd schüttelte den Kopf. Dann sah ich, dass sich ein leichtes Grinsen auf sein Gesicht stahl. „Tut mir leid, Jonathan. Es handelt sich wirklich um Herrn Weser.“ Er hob abwehrend beide Hände: „Aber warum er im Krankenhaus ist und was er von uns möchte, das weiß ich wirklich nicht. Am besten wird es sein, wenn du sofort zu ihm fährst.“

„Sofort?“ Ich warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Vor mir lag die Mittagspause und die würde ich bestimmt nicht für diese alte Nervensäge opfern. Doch das sagte ich Bernd nicht. Ich nickte lediglich ergeben. „Gut, dann fahre ich noch vor meinem Termin zu ihm und frage, was er will“, gab ich mich geschlagen. Vorher würde ich aber auf jeden Fall noch gut essen gehen. Die Henkersmahlzeit sozusagen. Dann kam mir eine Idee. „Sollte ich nicht den Porsche aus der Tiefgarage nehmen, wenn ich schon zu Weser fahren muss?“ Ich meinte natürlich den 911er oder den Cayman. An dem Porsche SUV, der dort unten stand, war mir nicht unbedingt gelegen.

„Ist dein Wagen kaputt, Jonathan?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Na siehst du. Dann nimmst du deinen Kia und rechnest später das Kilometergeld ab. So wie immer.“

Ich parkte meinen postgelben Wagen auf dem Seitenstreifen und legte den vorgeschriebenen Parkschein auf das Armaturenbrett. Bevor ich den Wagen verschloss, vergewisserte ich mich, dass alle Seitenscheiben auch geschlossen waren.

Wenn ich schon zu diesem unsäglichen Herrn Weser musste, dann wollte ich zuvor wenigstens noch gut essen. Und wo war das besser möglich, als in der kleinen gemütlichen Frittenbude meines Freundes Curry-Erwin mitten in Rheydt. Curry-Erwin war der unangefochtene Meister seines Fachs hier in der Gegend. Seine Kreationen waren ... ich überlegte, dann fiel mir der richtige Ausdruck ein: ungewöhnlich. Nicht nur der Lärpers Spezialteller mit einer gelungenen Mischung aus Mayonnaise, Soße und Senf, den er extra nach mir benannt hatte, sondern auch solche Spezialitäten wie das Schaschlik Eiffelturm, das er mir nach einem Auftrag in Frankreich kredenzte. Dummerweise war es ihm bis jetzt nicht gelungen, eine Lösung für das Problem des senkrecht in der Schale steckenden Spießes zu finden, so dass immer noch Soße durch das Loch im Boden austreten konnte. Aber Erwin arbeitete an einer Lösung, wie er mir glaubhaft versicherte.

Schwungvoll trat ich durch die gläserne Eingangstüre, die mich immer wieder an die guten alten Zeiten erinnerte. Naja, Zeiten vor meiner Geburt, doch so sahen in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts viele Türen aus. Der kleine Imbiss wurde - wie immer um diese Zeit - bestens besucht. Hier traf sich ein repräsentativer Querschnitt der Bewohner Mönchengladbachs. Bauarbeiter, Jugendliche und die Fachkräfte vom städtischen Reinigungsdienst verbrachten hier regelmäßig ihre wohlverdienten Mittagspausen. In dem kleinen Raum strotzte es nur so von Lokalkolorit.

Heute drängten sich an zweien der Stehtische mehrere Bauarbeiter dicht aneinander und prosteten sich lautstark mit ihren Bierflaschen zu. Hätte ich nicht gewusst, dass diese Männer eine Menge Alkohol vertrugen, so wäre ich vermutlich in den Gedanken verfallen, dass sie allesamt schon ziemlich angetrunken waren. Ein Teil der Männer wandte sich mir kurz zu, als ich den Laden betrat, die kleinen Glöckchen über der Tür melodisch anschlugen und mich als neuen Gast ankündigten. Curry-Erwin, der fleißig hinter seiner gläsernen Theke hantierte, blickte auf und ein breites Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Rasch wischte er sich die fettigen und mit Soße und Mayonnaise bekleckerten Hände an seiner Schürze ab. Dann stürzte er auf mich zu und nahm mich fest in den Arm.

„Jonathan. Wie schön dich wiederzusehen. Wie geht es dir, es ist doch jetzt schon eine ganze Weile her, dass du mich besucht hast ...“

Ich grinste. Wie schön war es doch, so freundlich begrüßt zu werden. Dann rechnete ich kurz nach. „Fünf Tage, Erwin. Am Donnerstag vergangener Woche war ich zuletzt hier. Und danach hast du ja den Imbiss dicht gemacht, um die Ostertage in Ruhe zu genießen.“

Erwin winkte ab. „In Ruhe ist gut, Jonathan.“ Er zwinkerte mir zu. „Ich musste die Feiertage für einen Kurzurlaub nutzen. Frau und Kinder, weißt du.“

Nein, wusste ich nicht. Aber er würde es mir bestimmt sofort erzählen.

„Weißt du mein Freund“, fing Erwin auch gleich an zu erklären, während er wieder hinter seiner Theke verschwand, „wir waren mal kurz in Thailand. Herrliche Gegend dort.“

Einer der Bauarbeiter drehte sich um und machte in Erwins Richtung das Daumen-hoch Zeichen. „Dat kannse wohl sagen. Ich war auch mal dort, wegen dat Bumsen.“ Seine Kollegen lachten und jeder wusste anzügliche Bemerkungen zu machen. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Ja, so waren sie die Gladbacher!

„Jonathan, was kann ich dir zu essen anbieten? Ein Bier dazu?“

„Kein Bier, Erwin. Ich muss noch fahren und arbeiten. Eine Cola wäre ganz nett. Und zu essen käme mir eine ordent...“

„Sag nichts, Jonathan“, unterbrach mich mein Freund und ich wusste, was jetzt kam. Er schob mir eine Flasche Cola hin. „Lass dich einfach überraschen. Ich habe ein paar super Rezepte aus Thailand mitgebracht und möchte dir dieses kulinarische Highlight nicht vorenthalten. Du kannst dich mit deinem Kaltgetränk schon einmal an den Tisch dort stellen, in ein paar Minuten erhältst du deine Überraschung.“

Ein wenig wehmütig blickte ich auf die vor sich hin brutzelnden Bratwürste. Eigentlich hatte ich mich auf eine leckere Currywurst mit einer Riesenportion Pommes und Mayonnaise gefreut, doch wenn Curry-Erwin eine seiner neuen Kreationen vorführen wollte, hatte mein profaner Geschmack zu schweigen. Hauptsache, es waren genügend Pommes Frites mit ordentlich Mayonnaise dabei ...

Ich musste eine ganze Weile auf mein Essen warten, doch ich wusste, dass Erwin mich nicht vergessen hatte. Inzwischen gelangten die Bauarbeiter bei ihrer fünften Flasche Bier an und die Stimmung an den zwei Nebentischen stieg. Als einer der Männer sich an einem Stück Wurst verschluckte und es gerade so eben schaffte, sich nicht zu übergeben, wusste ich, dass diese Leute aus echtem Schrot und Korn waren.

Endlich schob Curry-Erwin eine Pappschale vor mich hin. Wie bei allen seinen Gerichten verdeckte eine dicke Schicht Mayonnaise das eigentliche Essen. Ich wusste, dass sich unter dieser Schicht die Pommes Frites verbargen, doch was würde darunter folgen? Fragend sah ich Erwin an.

„Wohl bekomm’s mein Freund. Das ist ein altes traditionelles Thaigericht. Thai Hack Spezial. Na gut“, gab Erwin gutgelaunt zu, „ich habe es ein wenig abgewandelt, denn in Thailand besteht es aus Hundefleisch.“

Am Nebentisch vernahm ich wieder das bekannte Würgen. Neugierig blickte ich auf. Würde der Mann sich jetzt übergeben?

„Doch hier gibt es nur Schwein und Rind“, fügte Erwin laut hinzu und das Würgen ließ etwas nach. Er deutete auf die Spitze der kleinen Pommesgabel, die aus der Mayonnaise ragte. „Lass es dir schmecken, Jonathan. Du weißt, dass ich deinem fachlichen Urteil sehr vertraue!“

Ich fummelte das Gäbelchen hervor, musste aber meine Finger tief in die Mayonnaise tauchen. Suchend sah ich mich nach einer Serviette um, die aber fehlte. Dann stieß ich die Gabel durch die gelblich-weiße Substanz und hoffte, ein paar Pommes aufzuspießen. Enttäuscht zog ich schließlich die leere Gabel zurück.

Erwin befand sich wieder hinter seiner Theke und nach einem verstohlenen Blick schob ich die Mayonnaise mit den ohnehin schon fettigen Fingern zur Seite. Was darunter zum Vorschein kam, ließ mich auch ein paarmal würgen und ich hörte, wie der Mann am Nebentisch nun auch wieder diese Laute von sich gab. Vor mir lagen, von der Mayonnaise verklebt und verschmiert, eine Vielzahl von kleinen weißen Würmern. Die Bauarbeiter beobachteten mein Handeln genau und einer von ihnen hielt dem würgenden Kollegen eine halbvolle Schale vor den Mund.

„Erwin, was ist das?“ Ich deutete auf die Schale. „Sind das etwa Maden?“

Beim Wort ‚Maden‘ brach es aus dem Bauarbeiter hervor und halbverdaute Wurst mit Pommes und Soße landeten unter dem Tisch.

Erwin schüttelte den Kopf. „Die Sauerei macht ihr aber selber weg!“, herrschte er die Männer an, dann rief er mir zu: „Reis, Jonathan. Thailandreis. Noch eine Cola?“

Ich schüttelte den Kopf und schob den Reis vorsichtig zur Seite. Leider ließ es sich nicht verhindern, dass ein Teil des Mayonnaise - Reismatsches auf den Tisch floss. Jetzt kam eine Frikadelle zum Vorschein, die in einer roten Soße schwamm. Kleine Käsestückchen waren mit Zahnstochern auf dem Fleisch befestigt und weiße Mayonnaiseschlieren durchzogen die Soße. Ich entfernte die Käsestücke sorgfältig, pikste die Frikadelle auf und biss vorsichtig hinein. Das Fleisch war eiskalt und schmeckte wie einer der Billigfrikadellen aus dem Discounter.

„Ah, du bist zum Hack durchgedrungen.“ Curry-Erwin stand neben mir. Er musste sich lautlos angeschlichen haben. „Schmeckt es dir? Ein gelungenes Gericht, nicht wahr mein Freund?“

Ich nickte, während ich auf der Frikadelle herumkaute. Die Bauarbeiter waren mittlerweile dabei, die Sauerei unter dem Tisch aufzuwischen, verteilten das Erbrochene aber lediglich großflächig. Endlich konnte ich das kalte Fleisch herunterschlucken.

„Hervorragend Erwin“, log ich, denn meinen guten Freund wollte ich nicht enttäuschen. „Aber die Frikadelle ist eiskalt!“

„Hack, Jonathan. Thai - Hack. Das muss so sein.“ Er blickte auf den Reis und die Mayonnaise auf dem Tisch. „Da hast du aber wieder eine ordentliche Sauerei angerichtet“, tadelte er mich dann. „Wenn es dir schwerfällt mit einer Gabel zu essen, dann nimm ruhig die Finger. In Thailand machen das alle so.“

Ich warf einen Blick auf meine Uhr und mimte den Erschrockenen. „Oh verdammt, ich muss los ...“

Curry-Erwin nickte wissend. „Deine Termine lassen dir aber auch nicht das kleinste bisschen Zeit, in Ruhe zu essen. Und wie deine Finger aussehen.“ Er hob seine Schürze an und hielt sie mir hin. „Hier, da kannst du deine Hände abputzen ...“

Spür - Nase

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