Читать книгу Spür - Nase - Jürgen Ruhr - Страница 8

V.

Оглавление

Die Nacht verbrachte Bingo wieder auf dem Läufer vor meinem Bett. Und das, obwohl ich ihn abends noch in seinem Körbchen verabschiedet hatte. „So, Bingo. Diese Nacht bleibst du aber hier. Verstanden?“ Es schien so, als würde er doch nicht alle Befehle verstehen. Oder er hatte einfach nur seinen eigenen Kopf.

Jedenfalls zeigte er bei unserem Waldlauf am Morgen wieder vollen Einsatz und absolvierte die kleinen Spielchen und Übungen, die ich geschickt in unseren Sport einflocht, mit Bravour. Als wir an einem Tisch mit Bänken vorüberkamen, tippe ich mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte und Bingo sprang sofort hinauf. Dann ließ ich ihn noch über die ein- oder andere Lehne einer Bank springen und mir machte es genauso viel Spaß, wie dem Hund. Als ich aus Übermut einmal selbst über die Sitzbank springen wollte, verfing sich mein Fuß und ich landete schmerzhaft auf dem Bauch. Bingo kam zu mir, als ich so am Boden lag - wie ich vermeinte, grinsend - und leckte mir übers Gesicht. Dann rollte er sich auf den Rücken und ich musste erst einmal wieder seinen Bauch kraulen.

Trotz der sportlichen Aktivität, die ich genüsslich auf ein Maximum ausdehnte, trafen wir pünktlich im Büro ein.

Da ich noch keinen weiteren Auftrag von Bernd erhalten hatte und es weiterhin überaus ruhig war, überlegte ich mir, den Rest des Tages frei zu nehmen. Ich könnte dann bis heute Nachmittag mit dem Hund durch die Wälder streifen und noch einige Übungen mit ihm machen. Danach wäre ich pünktlich bei dem Tierheim und da heute auch kein Kampfsportkursus stattfand, hatte ich genügend Zeit.

Doch noch bevor ich Bernd um einen freien Tag bitten konnte, machte mir Jennifer einen Strich durch die Rechnung. Das Telefon schrillte und ich fuhr aus meinen Gedanken hoch. Bingo lag neben meinem Chefsessel, spitzte beim Klingeln die Ohren und blickte mich an, als wollte er sagen: ‚Nun geh doch endlich ran!‘

„Guten Morgen, Jonathan“, meldete sich die Blonde.

„Wünsch ich dir auch. Wie geht es, was gibt es?“

„Gut und Arbeit.“ Sie präzisierte ihre Antwort aber sofort: „Mir geht es gut und es gibt Arbeit für dich. Ich stelle gerade ein paar Unterlagen zusammen. Bernd wird in einer halben Stunde rüber in den Planungsraum kommen und mit dir den Auftrag durchsprechen.“

„Alles klar“, antwortete ich. „Kannst du mir schon verraten, worum es geht? Ist das eine größere Sache, ein neuer Auftrag vom Oberstaatsanwalt?“

„Ja und nein, Jonathan. Ja, ich kann dir schon etwas sagen und nein, es ist kein Auftrag von Eberson. Soweit ich das aus den Unterlagen ersehen kann, handelt es sich um diesen Anwalt, bei dem du warst. Seine Frau hat vorhin angerufen und mit Bernd gesprochen. Mehr weiß ich aber auch noch nicht, die Sache ist noch zu frisch.“ Sie verabschiedete sich und legte rasch auf, bevor ich noch weiter fragen konnte.

„Ein Auftrag, Bingo“, frohlockte ich. Ging es um Mord und Totschlag? Man hatte gedroht, mich - also den Anwalt - ‚platt zu machen‘. Vielleicht war das ja schon geschehen und die Polizei mit der Jagd nach dem Mörder überfordert. Natürlich musste dann der Personenschützer und Privatdetektiv Jonathan Lärpers ran. Natürlich in Zusammenarbeit mit der Polizei ... Ich dachte an meinen ehemaligen Schulkollegen Albert Pöting, der, mittlerweile Hauptkommissar, auf der Wache in Rheydt Dienst tat. Ich mochte den Kerl zwar nicht besonders, doch mit ihm ließ sich einigermaßen gut zusammenarbeiten.

Ganz anders, als mit seiner Kollegin Elisabeth Unruh, die aus mir unerfindlichen Gründen ebenfalls zur Hauptkommissarin befördert worden war. Die Frau hatte mich dummerweise schon mehrere Male in ihrem Kerker schmoren lassen und die bornierte Art, in der sie Probleme anging, erzeugte bei mir einen gruseligen Schauer. Hoffentlich musste ich mit Pöting zusammenarbeiten ...

Bernd erschien pünktlich und brachte Jennifer mit, die uns mit Kaffee und Brötchen versorgte. Und natürlich mit den Unterlagen. Bingo begrüßte die beiden schwanzwedelnd und ließ sich erst einmal intensiv kraulen und streicheln. Es war fast so, wie in der guten alten Zeit, nur die anderen fehlten. Christine, Sam, Monika und meinetwegen auch Birgit, die ja ebenfalls zu uns gehörte. Stattdessen waren Bernd, Bingo und ich alleine, nachdem Jennifer uns wieder verlassen hatte. Der Malinois kaute zufrieden auf einem Knochen herum und schien nur mit einem Ohr zuzuhören. Ich nutzte einen kurzen Moment, in dem Bernd unaufmerksam war und sicherte mir die beiden Brötchenhälften mit Mett. Als ich noch nach dem mit Schinken griff, ließen mich Bernds Worte erstarren. „Jonathan! Das habe ich gesehen. Verdammt, wir zwei sind hier alleine und die Brötchen alle nur für dich. Du brauchst nichts zur Seite zu schaffen, aus Angst ich würde auch etwas essen. Aber den Kaffee kannst du mir einmal herüberreichen.“

Mit zerknirschter Miene legte ich die Brötchen wieder zurück, zog aber dann den gesamten Teller zu mir herüber. Wenn mir alles zustand, musste der Teller ja nicht in der Mitte des Tisches stehen ... Dann erhob ich mich und schenkte Bernd Kaffee in seine Tasse ein. So leicht würde ich die Kanne nicht aus der Hand geben.

Bernd blickte meinem Treiben einen Moment zu, schüttelte leicht den Kopf und begann mit seinen Erklärungen als ich wieder an meinem Platz saß: „Normalerweise würde ich in dem vorliegenden Fall nicht extra ein Meeting abhalten, doch die Sache ist ein wenig ... brisant.“

Ein kräftiges Knuspergeräusch, als ich genussvoll in ein Brötchen biss, unterbrach ihn in seinen Ausführungen und zauberte einen unwilligen Ausdruck auf sein Gesicht.

„Tschuldigung, Bernd“, nuschelte ich. „Das schmeckt super. Fahr doch fort.“ Ich nahm einen Schluck Kaffee und kaute zufrieden. Jennifer hatte mit den Brötchen ganze Arbeit geleistet.

„Also: Wie ich sagte, die Sache ist ein wenig brisant, da der Boss der Anwaltskanzlei den Polizeidirektor persönlich kennt. Anscheinend sind die beiden dicke Freunde. Deswegen musst du die Sache auch mit viel Fingerspitzengefühl handhaben.“

Ich nahm einen weiteren Schluck Kaffee, verschluckte mich aber, da ich zuvor zu viel Brötchen in den Mund gesteckt hatte. Hustend schaute ich Bernd aus tränenden Augen an. Der machte entnervt eine Pause und wartete, bis ich mich ein wenig beruhigt hatte.

„Kann ich jetzt fortfahren, Jonathan? Vielleicht unterbrichst du ja dein Essen kurz und hörst mir zu. Je eher sind wir hier fertig.“

Ich nickte. „Tschuldigung, Bernd.“ Und steckte mir rasch eine ganze Brötchenhälfte in den Mund. Mit großen Augen bemühte ich mich, das zu große Teil zu zerkauen.

Bernd blickte mich staunend an und schüttelte den Kopf, als ich das Brötchen wieder herauszog. „Ich wusste gar nicht, dass du dich noch so steigern kannst“, murmelte er dann und warf einen Blick auf das vor ihm liegende Blatt.

„Eigentlich sollte Sam auch hier sein, doch der ist verhindert. Lass jetzt bitte die Brötchen liegen und hör zu!“

Ich legte die Hälfte mit dem Schinken auf den Teller zurück.

„Es geht um den Anwalt Dr. Maximilian Mürkens, bei dem du gestern wegen dieses merkwürdigen Drohanrufes warst. An der Sache scheint wirklich etwas dran zu sein, denn heute rief seine Frau an. Du hattest ihr ja deine Visitenkarte gegeben.“

Ich nickte und brachte schier übermenschliche Kräfte auf, um nicht nach dem Brötchen zu greifen. Stattdessen trank ich einen Schluck Kaffee.

Bernd fuhr fort: „Es macht den Eindruck, als wäre Dr. Mürkens wirklich verschwunden. Und zwar kurz nachdem du mit ihm gesprochen hast. Jennifer hat ein wenig recherchiert und festgestellt, dass der Anwalt kurz nach dir in einer ziemlichen Eile die Kanzlei verließ. Entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten gab er nicht an, wohin er sich begeben wollte.“

„Bringt man mich mit dem Verschwinden in Zusammenhang?“, fragte ich.

Bernd schüttelte den Kopf. „Nein. Zunächst dachte die Sekretärin, Dr. Mürkens wäre Mittagessen gegangen, doch er kehrte nicht mehr in die Kanzlei zurück. Und zuhause ist er auch nicht aufgetaucht. Die Ehefrau hat die Polizei verständigt, doch dort wurde sie nur vertröstet, da noch keine vierundzwanzig Stunden vergangen sind. Daraufhin gab sie uns den Auftrag, ihren Mann zu suchen.“

„Seine Leiche hat man noch nicht gefunden“, überlegte ich laut. „Das hätten wir erfahren. Was glaubst du, Bernd, ob der Mann untergetaucht ist? Oder wurde er doch ermordet?“

„Das wirst du herausfinden“, entgegnete mein Freund. „Vor allen Dingen müssen wir mehr über diesen ominösen Anrufer erfahren. Stell fest, ob Mürkens Feinde hatte, welche Mandanten er in den letzten Monaten vertreten hat, wer seine Freunde sind und was der Mann sonst so treibt. Jennifer versucht über die Telefongesellschaft etwas über den Anrufer herauszufinden, doch die Chancen, etwas zu erfahren, stehen eher schlecht.“

„Feinde wird der Mann garantiert haben“, meinte ich. „Sonst gäbe es ja nicht diesen Drohanruf.“

Bernd nickte. „Ja. Vielleicht kannst du bei seiner Frau anfangen und dort etwas in Erfahrung bringen. In den Unterlagen findest du übrigens ein Formular, das sie unterschreiben soll. Es geht dabei um die Beauftragung unserer Detektei.“

Ich blätterte die Unterlagen durch und fand das Blatt. Jennifer hatte es so weit wie möglich ausgefüllt und es fehlten lediglich die Unterschrift der Ehefrau, sowie deren Geburtsdatum. „Du meinst das hier?“

„Ja genau. Sieh zu, dass du immer eine Kopie des unterschriebenen Formulars bei dir trägst. Damit kannst du belegen, dass wir offiziell beauftragt wurden.“ Bernd trank einen Schluck Kaffee und sah mich an. „Sonst noch Fragen, Jonathan?“

„Warum glaubst du, dass ich den Zettel brauche? Eine Bestätigung, dass wir von der Frau den Auftrag bekommen haben, ihren Mann zu suchen? Das klingt für mich doch eher ungewöhnlich.“

„Ist es auch. Allerdings wirst du mit Schwierigkeiten rechnen müssen, wenn du sein Büro durchsuchen willst. Die Kanzlei ist dafür bekannt, dass sie sich nach außen hin ziemlich abschottet und allgemein wenig kooperativ ist.“

Ich sah Bernd fragend an. „Haben die etwas zu verbergen?“

„Nicht unbedingt. Das hat wohl eher mit dem Verhältnis zu dem Polizeidirektor zu tun. Laut Jennifers Recherchen halten die Anwälte sich dort für so etwas wie Götter.“

Ich nickte. „Ja, das kann ich bestätigen. Mürkens ist ein selbstgefälliges, arrogantes Arschloch und ha...“

Bernd sah mich scharf an und unterbrach mich hastig: „Lass das ja niemanden dort hören, Jonathan. Ich sag noch einmal: Fingerspitzengefühl. Du kannst uns eine Menge Ärger einbrocken, wenn die Anwälte sich bei dem Polizeidirektor beschweren und der sich an den Oberstaatsanwalt Eberson wendet. Schließlich ist ja allgemein bekannt, dass wir auch für Eberson arbeiten. Also: Halte dich zurück und keine solchen Bemerkungen wie eben.“

Ich sah Bernd fest in die Augen. „Du kennst mich doch.“

„Ja eben deswegen.“

Jetzt tat ich ein wenig beleidigt: „Habe ich nicht die Angelegenheit mit dem Nachbarschaftsstreit hervorragend und zu aller Zufriedenheit gelöst? Ohne mein diplomatisches Geschick und mein Einfühlungsvermögen hätte ich die Sache nicht so perfekt bereinigen können.“

Bernd lächelte und nickte leicht. „Ja, ehrlich gesagt hatte ich eher erwartet, dass du den Hund oder den Mann erschießt. Oder beide.“

Als ich Bernd entsetzt ansah, lachte er. Allerdings erklärte ich ihm nicht, dass ich kurz daran gedacht hatte, den Hund zu erschießen.

„Das war nur ein Scherz“, grinste Bernd, der das Entsetzen auf meinem Gesicht falsch deutete. Ich hatte lediglich Angst, mein Freund könne meine Gedanken lesen.

„Sonst noch Fragen? Ich möchte, dass du Jennifer über deine Ermittlungen auf dem Laufenden hältst, sie wird mir dann berichten. Alle wichtigen Informationen findest du in der Akte. Falls Jennifer noch etwas herausfindet, dann wird sie dich informieren. Und sollte es brenzlig werden, dann stehen Sam und ich dir zur Seite. Also keine Alleingänge, wenn es gefährlich wird, verstanden?“

Ich erhob mich, legte die Hand an die Stirn und meinte: „Jawohl, mon General. Das habe ich verstanden!“

Bernd sah mich kopfschüttelnd an: „Und gewöhn dir diesen Scheiß ab, Jonathan. Die Anwälte sind knochentrockene Leute, mit solchen ‚Scherzen‘ wirst du sie lediglich gegen dich aufbringen. Denk an meine Worte: Sei zurückhaltend und brocke uns keinen Ärger ein!“

Ich ließ mich wieder auf den Stuhl fallen. „Klar Boss, kein Problem.“ Dann griff ich nach einer Brötchenhälfte und ließ es mir schmecken. Für meinen Teil war die Besprechung beendet.

Nachdem Bernd gegangen war - nicht ohne den Hund noch einmal ausgiebig an Bauch und Brust zu streicheln - rief ich die Frau des Anwaltes an. Der Mann war immer noch verschwunden, doch etwas anderes erwartete ich auch nicht. Ich vermied es, zu fragen, ob man seine Leiche schon gefunden hatte, denn so etwas hätte sie mir ja von alleine erzählt. Stattdessen vereinbarte ich einen Termin für heute Vormittag. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass noch genügend Zeit blieb, um mit Bingo ein wenig spazieren zu gehen.

Diesmal hatte ich mir für unseren Spaziergang die Gegend um den Golfclub ausgesucht, der in der Nähe der Villa des Anwaltes Mürkens lag. Hier gab es Felder, Bäume und Wiesen und die Gegend war ziemlich menschenleer. Ich konnte Bingo also frei und ohne Leine laufen lassen, er würde niemanden stören.

Den Wagen parkte ich beim Golfclub, wo um diese Zeit schon reichlich Autos auf dem Parkplatz standen. Es handelte sich durchweg um teure Fahrzeuge und mein mickriger Kia sah daneben schon ziemlich schäbig aus.

Bingo nutzte die Gelegenheit, sich einmal so richtig auszutoben. Er jagte über ein Feld, stöberte ein Kaninchen auf und hetzte wie verrückt hinter dem armen Tier her. Doch das Kaninchen war schneller und verschwand schließlich in einem Loch.

Ich nutzte die Gelegenheit über meinen neuen Auftrag nachzudenken, doch schon bald schweiften meine Gedanken ab und kreisten um Bingo. Der Hund war so voller Kraft, Leben und Bewegungsdrang, dass ich mich fragte, ob man sich im Tierheim auch genügend um ihn kümmern würde. Oder müsste der Malinois den ganzen Tag in einem Zwinger verbringen und weder Auslauf, noch Beschäftigung bekommen? Ich musste unbedingt mit dem Personal dort reden und darauf hinweisen, dass Bingo auch genügend Aufgaben erhalten sollte. Und Streicheleinheiten, die liebte er doch so!

Für einen Moment verlor ich den Hund aus den Augen, doch kurze Zeit später stürzte er schon wieder auf mich zu. Erleichtert atmete ich auf. Als Bingo stolz einen Golfball zu meinen Füßen ablegte, beschloss ich, ihn heute noch nicht ins Tierheim zu bringen, das hatte auch bis morgen Zeit.

Pünktlich um elf Uhr drückte ich den Klingelknopf neben der Eingangstüre der Villa. Frau Mürkens öffnete mir und ich sah, dass sie geweint haben musste. Erschrocken blickte ich in ihre rotgeränderten Augen. „Hat man seine Leiche gefunden?“, fragte ich mitfühlend.

Doch die Frau schüttelte den Kopf und brach in hysterisches Schluchzen aus. „Leiche? Sie meinen, mein Maximi wäre tot? Oh Gott, oh Gott. Wer hat ihm das bloß angetan?“

„Nein, nein“, beruhigte ich sie. „Natürlich wird ihr Mann noch leben. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung!“

Immer noch schluchzend bat sie mich ins Wohnzimmer. Bingo, der uns folgte, ignorierte sie geflissentlich. Ich sah mich in dem Raum um. An einer Seite stand eine große Schrankwand und eine Fensterwand mit eingelassener Schiebetür gab den Blick auf eine Terrasse und den Garten frei. „Ich werde ihren Mann finden“, erklärte ich sanft und vermied es hinzuzufügen ‚tot oder lebendig‘. „Es gibt nur einige Fragen, die ich ihnen stellen möchte und außerdem“, ich zog das Formular hervor, „brauche ich noch eine Unterschrift von ihnen. Wegen der Beauftragung unserer Detektei.“

Sie nickte und trocknete sich die Tränen mit einem übergroßen Taschentuch ab. „Natürlich, ich sag ihnen alles, was ich weiß. Möchten sie einen Tee?“

Nun, Tee war nicht unbedingt mein Lieblingsgetränk. Wenn ich krank war, dann zwang ich mich schon einmal dazu, einen zu trinken, doch normalerweise bevorzugte ich Tee mit Rum, wobei ich den Tee lieber wegließ. „Haben sie auch Kaffee?“, fragte ich deshalb.

Frau Mürkens schüttelte den Kopf. „Wir trinken keinen Kaffee. Ich kann ihnen aber einen Anxi Tie Guan Yin anbieten oder einen Shou Pu Erh, beide pestizidfrei und von Hand geerntet.“

Einen Tee aus alten Schuhen wollte ich nun nicht, womit der Schuh Puh definitiv ausschied. „Dann nehme ich den Guardian Pie“, nickte ich freundlich.

„Anxi Tie Guan Yin“, murmelte die Frau, während sie in der Küche verschwand.

Kurze Zeit später kehrte sie mit einem Tablett, auf dem zwei Tassen, Unterteller und eine Teekanne aus dünnem Porzellan mit einem blauen Muster standen. Sie verteilte alles auf dem Wohnzimmertisch. Ich wollte nach der Kanne greifen und uns einschenken, doch sie schüttelte den Kopf: „Der Tee muss erst noch ziehen.“

Ich lehnte mich in dem Sessel zurück und zeigte auf das Formular, das noch auf dem Tisch lag. Bingo saß neben mir und beobachtete das Treiben träge. „Wenn sie jetzt bitte unterschreiben würden ...“

„Natürlich.“ Frau Mürkens erhob sich und trat an den Wohnzimmerschrank, wobei sie es peinlichst vermied, meinem Hund zu nahe zu kommen. Schließlich kehrte sie mit einem Füllfederhalter zurück und unterzeichnete das Formular.

„Wenn sie dort auch noch ihr Geburtsdatum eintragen würden“, bat ich und nachdem sie auch das eingetragen hatte, reichte sie mir das Schriftstück zurück. „Danke, damit wären die Formalitäten erledigt.“

Sie goss uns Tee ein und ich sah auf die kleinen grünen Stückchen von irgendwelchen Blättern, die darin schwammen. Vorsichtig nippte ich an dem Gebräu. Irgendwie schmeckte der Tee nach gar nichts und ich sehnte mich nach einem kräftigen Kaffee.

„Schmeckt ausgezeichnet, nicht wahr?“, fragte die Frau und schlürfte geräuschvoll aus ihrer Tasse. „Ein feiner aber doch nicht zu aufdringlicher Geschmack.“

Ich nickte zustimmend. Lauwarmes Wasser hatte auch einen feinen Geschmack, doch das behielt ich für mich. „Wissen sie, ob ihr Mann irgendwelche Feinde hat?“, fragte ich stattdessen. Irgendwann musste ich ja endlich einmal zum Thema kommen.

„Ach Feinde“, seufzte sie. „Wissen sie, mein Maximi ist Scheidungsanwalt. Da macht man sich automatisch Feinde.“

„Ich meine jetzt weniger die Mandanten oder ihre Gegner. Wissen sie von jemandem, der ihrem Mann etwas Böses will?“ Ich vermied es ausdrücklich, von dem Drohanruf zu sprechen, um die Frau nicht noch mehr aufzuregen. „Und wie steht es mit Freunden?“ Mittlerweile machte ich mir in einem kleinen Büchlein einige Notizen.

„Nein, von solchen Leuten weiß ich nichts. Maximi hat auch nie darüber gesprochen. Genauso wenig, wie über seine Arbeit. Aber die interessiert mich ja auch nicht. Scheidungen sind so eine unschöne Sache. Und Freunde, natürlich haben wir Freunde oder besser: Bekannte. Leute aus seinem Golfclub und ich habe einige Freundinnen, mit denen ich Shoppen gehe oder Kanaster spiele. Ich wüsste allerdings nicht, wer von denen meinem Maximi etwas Böses tun wollte. Es ist alles sehr harmonisch und Maximi ist überall gut angesehen.“

Sie nannte mir einige Namen und ich notierte fleißig mit. Allerdings gaben die Informationen nicht viel her.

„Natürlich gibt es auch Neider“, überlegte sie nach einem weiteren Schluck Tee. „Aber ein so erfolgreicher Mann, wie mein Maximi, hat immer irgendjemanden, der neidisch ist. Dabei arbeitet Maximi hart, das können sie mir glauben.“

„Das glaube ich, Frau Maxim... äh Mürkens. Und hat ihr Mann noch weitere Bekannte oder Freunde, außer die aus dem Golfclub?“

„Die Kollegen auf der Arbeit. Doch das sind alles durchweg feine Leute. Und selbst hochangesehene Anwälte, da befindet sich auch niemand darunter, der auf meinen Maximi neidisch sein könnte.“ Sie überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. „Nein, wirklich, da fällt mir niemand ein.“

Ich befragte sie noch eine Weile, doch es ergaben sich keine neuen Aspekte. Im Endeffekt stellte ich fest, dass die Frau sehr wenig über ihren Mann wusste. Aber nach ihrer Aussage war Maximilian Mürkens auch eher selten zuhause. Hin und wieder gingen die beiden gemeinsam in eine Oper, eine Theateraufführung oder zu Feierlichkeiten bei Bekannten. Soweit beschränkten sich auch schon die Gemeinsamkeiten. Urlaube und weitere Aktivitäten unternahm von den beiden jeder für sich.

„Hat ihr Mann einen eigenen Raum?“, fragte ich schließlich. „Ein Büro oder einen Hobbyraum?“

Frau Mürkens nickte. „Beides. Ein Büro und im Keller einen Hobbyraum.“ Sie seufzte. „Früher hat er dort unten immer gebastelt, doch in letzter Zeit ist er ja vor lauter Arbeit kaum noch zuhause ...“

„Ja, das verstehe ich“, gab ich mich mitfühlend. „Könnte ich mich denn in den Räumen einmal umsehen. Vielleicht zunächst im Büro ihres Mannes?“

„Natürlich, Herr Privatdetektiv. Kommen sie, ich zeige ihnen das Zimmer.“

Bei dem Büro handelte es sich um einen Raum, der bald doppelt so groß war, wie das Wohnzimmer. Bingo folgte mir wie ein Schatten. Er bewegte sich völlig lautlos und ging der Anwaltsfrau aus dem Weg, so als würde er spüren, dass sie eine Abneigung gegen ihn oder Angst vor ihm hatte. In dem Büro steckte der Hund die Nase in die Luft und schnupperte intensiv.

Ich blickte mich um. In dem Raum befanden sich die üblichen Büromöbel. An den Wänden standen ein paar kleine Schränkchen, eines mit einem Fotokopierer darauf und ein übergroßer Schreibtisch. Alle Möbel waren vom Allerfeinsten und an der Wand hingen Malereien, die ziemlich wertvoll aussahen. „Sind das Kunstdrucke?“, fragte ich die Frau, die in der Türe stand.

Sie schüttelte den Kopf: „Alles echt. Maximi legt Wert auf Authentizität. Er würde sich niemals billigen Ramsch an die Wände hängen.“

Mir kam eine Idee und ich zückte mein Handy. „Darf ich ein paar Fotos machen? Das würde meine Arbeit erleichtern.“ Ich sagte ihr nicht, dass ich vorhatte, die Bilder Jennifer zu zeigen und sie zu bitten, den Wert der Gemälde herauszufinden. Wieviel verdiente so ein Scheidungsanwalt eigentlich? Reichte das für so eine große Villa und all den Luxus, den ich hier sah?

„Ja, machen sie ruhig. Wenn es hilft, meinen Maximi zu finden ...“

Nachdem ich alles fotografiert hatte - es gab auch acht Aufnahmen von Bingo - bat ich, den Schreibtisch durchsuchen zu dürfen. Frau Mürkens hatte nichts dagegen.

Leider blieb meine Suche erfolglos. Ich fand keine Unterlagen oder Papiere, die mir in irgendeiner Weise weitergeholfen hätten. Allerdings wusste ich auch nicht, was genau ich gesucht hatte, doch irgendetwas in der Art, wie einen Drohbrief oder entsprechende Notizen hatte ich vielleicht erwartet. Ich fand nichts dergleichen. Ein Dokument war dann aber doch etwas hilfreich, denn es handelte sich um die Kopie eines Waffenscheins und der Erlaubnis für Dr. Mürkens, eine Waffe zu tragen. Das wiederum deutete schon darauf hin, dass der Anwalt zuvor vielleicht schon öfter bedroht worden war. Ich fotografierte die Dokumente noch, dann fragte ich die Frau nach dem Raum im Keller.

„Sein Hobbyraum? Meinen sie, dass sie dort etwas finden werden?“

Ich zuckte mit den Schultern: „Das kann ich immer erst nachher sagen. Wenn es etwas zu finden gibt, das uns helfen wird, ihren Mann zu finden, dann finde ich es auch.“ Ich musste lächeln, der Satz beherbergte drei ‚finden‘. Ich sinnierte an weiteren Kombinationen. ‚Finde ich etwas Findenswertes, dann habe ich das Gefundene gefunden.‘ Klang nicht wirklich gut, vielleicht das: ‚Ching Chang Chong, ich find fand fong‘. Nein, das war nicht halbwegs so gut, wie der ers...

„Herr Privatdetektiv?“, unterbrach die Anwaltsfrau meine Gedanken. „Wollen sie noch in den Keller? Sie stehen schon eine ganze Weile mit diesem merkwürdigen Grinsen im Gesicht hier. Kommen sie mit oder ist ihnen noch etwas eingefallen?“

Ich beeilte mich, mit der Frau in den Keller zu gelangen. Wenn mir einmal etwas mehr Zeit blieb, würde ich die Thematik der Sätze mit mehreren gleichen Worten noch einmal überdenken.

Der ‚Hobbyraum‘ stand dem Büro in seiner Größe in nichts nach. Wie oben das Zimmer, befanden sich hier auch die allerfeinsten Möbel, die besten Werkzeuge und elektrischen Maschinen und alles war penibel sauber und ordentlich. Allerdings war zu erkennen, dass der Raum schon eine ganze Weile nicht mehr genutzt worden war und hier lediglich noch die Putzfrau wirkte.

Außerdem befanden sich hier an den Wänden keine Gemälde, sondern Regale mit verschiedenen Modellen. Mürkens musste einmal ein fleißiger Bastler gewesen sein, denn vom Schiffsmodell bis hin zu Motorrädern, Panzern und Oldtimern, befanden sich die interessantesten Plastikmodelle auf den aus edlem Holz gefertigten Brettern. Ich machte erneut eine Reihe von Fotos, doch diesmal lichtete ich Bingo nur viermal ab. Hier unten war das Licht nicht so gut und die Aufnahmen mit dem Hund stellten mich nicht wirklich zufrieden. Ich nahm mir vor, den Malinois mit einer vernünftigen Kamera im Park und im Wald zu fotografieren.

Ich durchsuchte noch die Schubladen, war mir aber ziemlich sicher, nichts zu finden. Allerdings spukte in meinem Hinterkopf ein Gedanke herum, den ich nicht klar erfassen konnte. Irgendetwas war meinem Unterbewusstsein aufgefallen und ich überlegte angestrengt, was das gewesen war.

„Sind sie fertig, Herr Detektiv?“, hörte ich die Frau fragen.

„Noch nicht ganz. Da war noch etwas ... Ich weiß nur nicht genau, was.“

„Maximi war schon lange nicht mehr hier unten“, erklärte sie und blickte sich in dem Raum um. „Das war noch vor der Zeit ...“ Sie unterbrach sich und schlug mit der Hand leicht gegen die Stirn. „Ach, das hätte ich ja bald vergessen. Hinter der Garage gibt es einen Anbau, in dem befindet sich Maximis Motorrad. Er hat da schon fast so etwas, wie eine kleine Werkstatt. Wollen sie den Raum auch sehen?“

‚Sicher‘, dachte ich. Wenn die Dimensionen der ‚Werkstatt‘ in etwa denen des Büros und des Hobbyraums glichen, dann musste es sich um eine mittelgroße Halle handeln. Dann hätte ich mir fast selbst die Hand vor die Stirn geschlagen. Das war es! Die Modellmotorräder auf dem Regal. Während ich mich zu der Seite bewegte, an der sie standen, nickte ich der Frau zu: „Natürlich will ich die Werkstatt sehen. Eine Sekunde noch.“

Und dann sah ich, was mein Unterbewusstsein erfasst hatte: Auf sämtlichen Tankseiten der Modelle prangte das gleiche Symbol. Es war winzig und kaum richtig zu erkennen. Soweit ich sehen konnte, handelte es sich um einen Totenkopf mit einer Art Pickelhaube hinter einem hochgezogenen Motorradlenker. Das Symbol wurde umrahmt von Schriftzeichen, die ich aber nicht lesen konnte, da sie zu klein waren. Rasch fertigte ich einige Fotos davon an, vielleicht konnte Jennifer die Bilder ja vergrößern.

„So, das wär’s erst einmal. Lassen sie uns noch diesen Anbau besichtigen, dann sind sie mich auch schon fast wieder los.“ Ich nickte Bingo zu, der uninteressiert an der Werkbank schnupperte. „Komm mein Freund. Gleich haben wir es geschafft.“

Der Anbau entpuppte sich als bestens ausgestattete Motorradwerkstatt. Der Raum zog sich in seiner Länge an dem gesamten hinteren Ende der Doppelgarage entlang und war fast ebenso breit. Meine vorherige Vorstellung von einer Halle kam den tatsächlichen Maßen des Anbaus ziemlich nahe. Insgesamt war der Raum wesentlich größer als mein Wohnzimmer.

Aber die Werkstatt war leer und Frau Mürkens stand entgeistert in der Tür und starrte auf den Betonboden.

„Das Motorrad ist fort“, stammelte sie schließlich.

„Ja, das stimmt“, murmelte ich, da mit ansonsten nichts dazu einfiel. Bingo bewegte sich inzwischen schnuppernd durch den Raum.

„Es hat doch immer hier gestanden.“

„Was war das denn für ein Motorrad?“, fragte ich, während meine Augen dem Hund folgten, der nun an einer Farbdose intensiv schnupperte. Ob ihn der Geruch der Farbe so anzog?

„Keine Ahnung“, erklärte die Frau. „So ein hässliches Ding mit einem hochgezogenen Lenker.“

Ich nickte. Vielleicht ein Chopper, doch tat das jetzt eigentlich nichts zur Sache. Trotzdem fragte ich noch einmal nach und machte mir weiterhin Notizen. Bingo gab inzwischen ein leises Knurren von sich und fixierte mal die Dose und dann wieder mich. Ob er etwas von mir wollte? „Wie sah das Motorrad denn aus?“

„Hässlich. Also, der Lenker ist ziemlich hoch. Dann hat das Ding einen merkwürdigen Sitz mit einer hohen Lehne und einem Metallbügel. Der Tank ist eher klein und erinnert mich an eine Birne. Ja und dann ist da noch ein wuchtiger Motor, aber ich kenne mich mit so etwas nicht aus. Ob jemand das Motorrad gestohlen hat?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich denke nicht. Der Anbau war doch ordentlich verschlossen und es finden sich auch keine Einbruchspuren. Vielleicht ist ihr Mann ja damit unterwegs. Haben sie eine Ahnung, was für ein Typ das Motorrad ist?“

„Typ?“

„Ja, Marke. Kennen sie den Hersteller?“

„Nein. Maximi war nur ziemlich stolz darauf. Er hat oft gesagt, dass ein Typ in einem Film so etwas auch gefahren hat.“

„Und wissen sie auch wie der Typ oder der Film heißt?“

Sie stöhnte gequält auf. „Was sie aber auch alles wissen wollen. Ich habe mich nie für Maximis Motorrad interessiert und er sprach auch nur selten darüber. Es war irgendetwas mit Amerika, oder der Mann hieß Amerika. Ich weiß das nicht mehr so genau.“

Mir fiel dazu auch nicht viel ein und so nickte ich lediglich dankbar. „Danke, vielleicht helfen uns ihre Angaben ja weiter. Das war’s im Prinzip auch schon.“ Dann fiel mir noch eine Frage zum Motorrad ein: „Ach ja, wie lautet denn das Kennzeichen des Motorrades?“

Wieder sah mich die Frau verständnislos an. „Das weiß ich doch nicht. Ich sagte doch schon, dass ich mich für das Ding nie interessiert habe. Und schon gar nicht für das Kennzeichen!“ Sie überlegte einen Moment und fügte dann hinzu: „Aber mit MG für Mönchengladbach wird es schon sein ...“

„Ja, danke. Das hilft mir bestimmt weiter“, meinte ich leicht sarkastisch und als Bingo erneut leise knurrte, ergänzte ich: „Nur eine Sache noch.“ Ich nahm die Dose von dem Regal. Viel Farbe konnte sich nicht mehr darin befinden, denn sie war extrem leicht. Bingo nickte mir aufmunternd zu - zumindest kam es mir so vor.

Mit einem Schraubendreher hebelte ich den Deckel vorsichtig auf. Aber anstatt, dass mir Farbgeruch entgegenschlug, hüllte mich der Duft von Marihuana ein. ‚So‘, dachte ich, ‚hat der saubere Herr Anwalt also etwas zu naschen hier gebunkert. Dann sah ich Bingo an: „Fein gemacht“, lobte ich ihn, „such, such.“ Doch der Hund blickte nur auf die Dose und machte keine Anstalten, weiter in der Werkstatt zu suchen. Gerade so, als wollte er mir sagen, dass sich hier nichts mehr befinden würde.

Ich hielt die Dose hoch und erklärte der Frau: „Das nehme ich mit. Beweismaterial.“ Und als sie mich verständnislos anschaute, fuhr ich fort: „Wegen der Fingerabdrücke und Geruchsspuren.“ Ganz so falsch war das ja schließlich nicht.

Spür - Nase

Подняться наверх