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III.

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Während der gesamten Rückfahrt klopfte ich mir - zumindest symbolisch - auf die Schulter. Der Auftrag war zwar nicht so spannend gewesen und ich hatte den Hund nicht erschossen, doch dank meinem Fingerspitzengefühl war die Angelegenheit zu jedermanns Zufriedenheit von mir gelöst worden.

Vielleicht sollte ich in die Politik gehen. Bei meinem diplomatischen Geschick.

Dafür stand ich in Rheydt wieder im Stau und ärgerte mich darüber, dass ich nicht eine andere Route zu Wesers Haus gewählt hatte. Denn noch war mein Arbeitstag nicht zu Ende, jetzt musste ich mich auch noch um diesen unsäglichen Mallenar kümmern.

Ich tippte auf meinem Handy das Wort ein und suchte nach Informationen über diese Rasse. Doch solch einen Hund gab es anscheinend nicht, dafür schlug mir das Programm den Begriff ‚Malinois‘ vor, als ich nach ‚belgischem Schäferhund‘ suchte. Die verschiedenen Informationen erschienen auf dem kleinen Display und je mehr ich über die Rasse erfuhr, desto eher war mir klar, dass ich den Köter im Tierheim parken musste. Was sollte ich mit einem Tier anfangen, das gut sechzig Zentimeter an Risthöhe aufwies? In meiner Wohnung fand ich ja kaum alleine Platz.

Außerdem schien diese Rasse viel Bewegung und Beschäftigung zu benötigen. Die käme zu kurz, wenn ich die Abende auf meiner Couch vor dem Fernseher verbringen wollte. Mir war klar, dass es nur eine Lösung gab: Ich würde jetzt das Tier aus Wesers Haus abholen und es schnurstracks zum Tierheim bringen. Meinetwegen Vollpension oder was auch immer, aber Hauptsache weg. Danach wollte ich mir ein riesiges Steak in meinem Lieblingssteakhaus ‚Chez Duedo‘ in Rheydt gönnen. Dazu eine ordentliche Portion Pommes Frites und ein großes, eiskaltes Bier. Auf Salat würde ich verzichten, wer aß schon noch dieses welke Zeug?

An Wesers kleinem, alten Haus hatte sich nichts verändert. Immer noch wurde das Grundstück zur Straße hin von einer wild wuchernden Hecke umgeben, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Die Giebelseite des Hauses, an der ein kleiner Weg vorbeiführte, zeigte sich immer noch so heruntergekommen, wie ich sie kennengelernt hatte. Putz bröckelte von der Wand und die ehemals weiße Farbe war fleckig und starrte vor Schmutz. Dass der Alte sich hier überhaupt wohlfühlen konnte. Aber vielleicht besaß er ja nicht die nötigen finanziellen Mittel, um das Gebäude renovieren zu lassen.

Zum Weg hin schottete ein verrostetes Gartentor das Gelände ab. Es öffnete sich quietschend und ich hatte Sorge, dass es aus den Angeln fallen würde. Vor mir lag ein schmaler Plattenweg, zu dessen linker Seite ein ungepflegter Rasen vor sich hin wucherte. Bei dem herrlichen Wetter die letzten Tage hätte Weser den doch längst schon einmal mähen können.

Ich öffnete die Haustür und lauschte. Wo befand sich der Hund? Halb von der Türe verdeckt, warf ich vorsichtig einen Blick in die Diele. Der Malinois war nicht zu sehen. Leise trat ich in Haus.

In diesem Moment raste ein riesiges, hellbraunes Wesen durch die Wohnzimmertür auf mich zu. Instinktiv griff ich zu meiner Pistole, doch als das Tier schlitternd vor mir zum Stehen kam, hielt ich lediglich meine Hand auf der Waffe und zog sie nicht hervor. Über einer vollkommen schwarzen Nase blickten mir aus dem teilweise ebenfalls schwarzen Gesicht zwei hellwache und intelligente Augen entgegen.

„Herr Weser hat mich geschickt“, erklärte ich mit ruhiger Stimme und überlegte, wer von uns beiden wohl schneller sein würde. Er, wenn er mir an die Kehle springen wollte, oder ich mit meiner Pistole. Plötzlich sprang der Hund auf und fegte wie der Blitz an mir vorbei in den Garten. Meine Beretta 92 FS zeigte Sekunden später an die Stelle, an der der Hund zuvor gehockt hatte.

An Schnelligkeit war ich ihm eindeutig unterlegen.

Rasch steckte ich die Pistole wieder in das Holster und sah in den Garten hinaus. Der Hund erleichterte sich gerade auf dem ungepflegten Rasen. Dann schüttelte er sich wohlig und trabte gemütlich zum Haus zurück. Erneut nahm er den Platz vor mir ein und ich legte meine Hand wieder auf die Waffe.

„Herr Weser schickt mich“, wiederholte ich meine Worte von vorhin. Ich erinnerte mich an die Informationen, die ich im Auto gelesen hatte. Man sollte einen Hund erst einmal an einer Hand schnuppern lassen. Zögernd streckte ich dem Malinois meine Hand hin.

„Siehst du, Herr Weser liegt im Krankenhaus und ich soll mich um dich kümmern“, sprach ich beruhigend auf das Tier ein. Sollte es mir in die Hand beißen, würde ich es erschießen.

Aber ‚Bingo‘ schnupperte lediglich, sah mich noch einmal intensiv an und erhob sich dann. Langsam ging er in das Wohnzimmer, blieb aber stehen und sah sich nach mir um. So als wollte er sagen ‚nun komm schon‘. Ich folgte ihm bis in die Küche. Hier herrschte eine Unordnung, wie ich sie Weser mittlerweile zutraute. Dreckiges Geschirr stapelte sich in der Spüle und ein halbvoller Kaffeebecher stand auf dem Tisch.

Während ich mich umsah, trat der Hund an einen leeren Fressnapf heran und gab eine Art Fiepen von sich. „Du hast wohl Hunger“, sprach ich und meinte ein Nicken zu erkennen. Bingo ging an mir vorbei und stupste mit der Nase gegen die Schranktür unter der Spüle. Als ich sie öffnete, fand ich eine angefangene Dose Hundefutter.

Mit einer gebrauchten Gabel, die auf der Anrichte lag, leere ich den Rest der Dose in den Napf. Bingo machte sich sofort darüber her, ließ mich beim Fressen aber nicht aus den Augen.

„Herr Weser schickt mich“, wiederholte ich jetzt zum dritten Mal. Was sollte man auch sonst zu einem Hund sagen? Während das Tier fraß, ging ich durch das Wohnzimmer zu dem kleinen angrenzenden Raum, von dem Weser gesprochen hatte und fand den Hundekorb und einiges an Spielzeug. Aber die Sachen würde ich nicht benötigen, denn das Tierheim dürfte wohl selbst über solche Utensilien verfügen.

Ich wollte mich gerade umdrehen, als etwas Weiches meine Hand berührte. Erschrocken erstarrte ich und ließ langsam meinen Blick sinken. Bingo rieb seinen Kopf an meiner Hand und sah mich dabei an. Dann fiepte er wieder leise. Was wollte der Köter von mir? Sollte ich ihn jetzt etwa streicheln? Normalerweise mied ich den Kontakt zu Tieren. Es war ja bekannt, dass deren Fell vor Ungeziefer nur so strotzte. Auch wenn die Haare des Malinois‘ ziemlich kurz waren, so konnte doch niemand garantieren, dass dort keine Läuse, Flöhe oder Zecken hausten. Doch ein erneutes Fiepen veranlasste mich, über das weiche Fell zu streicheln. „Guter Bingo. Braver Bingo“, redete ich auf das Tier ein. „Herr Weser hat mich geschickt ...“

In der Diele fand ich die Hundeleine und als ich sie in die Hand nahm, gab der Hund einen freudigen Laut von sich. „Wir machen jetzt einen Ausflug“, erklärte ich dem Tier und es ließ sich bereitwillig die Leine anlegen. Ich grinste. Ja, Jonathan Lärpers konnte auch mit Hunden umgehen ...

Auf dem kurzen Weg zu meinem Auto hob der Köter drei Mal das Bein und bewässerte eine Mauerecke, eine Laterne und einen Autoreifen. Dummerweise den meines postgelben Kias und ich fragte mich, ob er mir damit zeigen wollte, was er von meinem Wagen hielt. Schließlich ließ er sich aber problemlos auf den Rücksitz verfrachten. Zum Tierheim musste ich wieder quer durch Mönchengladbach, doch es war noch früh genug, so dass ich zeitig ins Chez Duedo zu meinem Riesensteak kommen würde.

Als wir uns dem Tierheim näherten, vernahm ich schon von weitem das Kläffen der Hunde dort und im Rückspiegel sah ich, wie sich die Ohren des Malinois lauschend aufstellten. „Gleich bist du bei deinen Artgenossen, dort wird es dir gutgehen“, erklärte ich und grinste. Das hatte ja besser geklappt, als gedacht.

Ich parkte direkt vor der Eingangstüre. „Du wartest hier im Wagen“, sprach ich auf Bingo ein. „Ich hole jemanden, der sich um dich kümmern wird.“

An der Eingangstüre prangte ein Schild mit den Öffnungszeiten und ich warf einen Blick auf meine Uhr. Laut den Angaben war ich exakt dreißig Minuten zu spät dran, das Tierheim schloss seine Pforten schon um siebzehn Uhr. Doch bevor ich nun einfach die Flinte ins Korn warf - schließlich war dies hier ein Notfall - drückte ich den Klingelknopf. Irgendjemand würde schon noch da sein und mir den Köter abnehmen. Es war ja nur für eine kurze Zeit.

Auf mein Klingeln erfolgte keine Reaktion, doch ich wollte noch nicht aufgeben. Also schelle ich erneut. Leise vernahm ich drinnen den Klang der Klingel. Jedoch tat sich wieder nichts. Alles blieb ruhig, fast wie ausgestorben. Lediglich die Hunde kläfften weiter im Hintergrund.

Also versuchte ich es jetzt mit intervallartigem Drücken des Knopfes. Irgendjemand musste doch merken, dass hier ein Notfall vorlag. Dass Jonathan Lärpers endlich diesen Scheißköter loswerden wollte.

Eine ganze Weile später ging ich dazu über, Dauerton zu klingeln. Wenn jetzt niemand reagierte, dann war das Tierheim vielleicht wirklich nicht besetzt. Aber war so etwas überhaupt möglich?

Es dauerte exakt fünf Minuten, dann öffnete sich endlich die Eingangstür. Eine junge Frau, die mich ziemlich entnervt und böse ansah, erschien vor mir.

„Verdammt, sind sie bekloppt? Oder können sie einfach nur nicht lesen? Wir haben geschlossen. Steht doch da groß und breit. Und jetzt nehmen sie endlich den Finger von der Klingel!“

Ich lächelte die Frau gewinnend an und gab den Knopf frei. Das schrille Klingeln im Hintergrund erstarb. „Das hier ist ein Notfall.“

„So ein Quatsch“, herrschte die junge Frau mich an. „Kommen sie während der Öffnungszeiten wieder.“

„Ich muss einen Hund abgeben. Also für eine gewisse Zeit, verstehen sie?“

Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Nein, verstehe ich nicht und ich will’s auch nicht verstehen. Wir haben feste Öffnungszeiten. Rufen sie die Feuerwehr, wenn es um einen Notfall geht.“

„Die Feuerwehr?“ Ich konnte mir keinen Reim auf ihre Worte machen. „Es brennt doch nicht. Ich möchte lediglich den Hund hier abgeben. Das wird doch wohl möglich sein.“

„Nein, das ist nicht möglich“, kreischte sie nun. „Wir haben geschlossen. Was an ‚geschlossen‘ verstehen sie nicht? Warum wollen sie überhaupt ihren Hund abgeben? Wohl auf dem Weg in den Urlaub, oder was?“

„Nein, das nicht. Es ist doch gar nicht mein Hund.“ Ich lächelte sie erneut bittend an.

„Grinsen sie doch nicht so dämlich“, entfuhr es ihr. „Haben sie den Hund gefunden?“

„Nein, das nicht. Er gehört Herrn Weser.“

Die Frau schüttelte erneut den Kopf. „Dann geben sie ihn doch diesem Herrn Weser zurück. Oder kommen sie morgen wieder. Wenn das aber nicht ihr Hund ist, dann brauchen wir eine Einverständniserklärung von ihrem Herrn Weser. Besser wäre allerdings, er kommt selber her, wenn er das Tier loswerden will.“

Ich stöhnte. Es konnte doch nicht so schwer sein, den Köter loszuwerden. „Also, Herr Weser liegt im Krankenhaus, deswegen brauche ich eine Unterkunft für den Hund.“ Dann überlegte ich, denn bei dem Gedanken an das Krankenhaus fiel mir etwas ein. Ich fügte rasch hinzu: „Also, der Köter gehört ja gar nicht Herrn Weser ...“

Jetzt sah mich das junge Mädchen an, als hätte sie einen Geistesgestörten vor sich. Sie räusperte sich. „Der Hund gehört einem Herrn Weser, aber auch wieder nicht. Und sie sind hier, um ihn abzugeben? Wem gehört das Tier denn nun?“

„Das weiß ich nicht“, gab ich zu. Weser hatte mir schließlich den Namen seines Bekannten nicht genannt.

„Also haben sie den Hund doch gefunden?“

„Nein, ich habe ihn bei Herrn Weser abgeholt.“

Die junge Frau wich einen Schritt zurück und blickte jetzt ein wenig ängstlich. „Ich denke das Tier gehört nicht Herrn Weser? Wissen sie was: Kommen sie morgen wieder. Während der Öffnungszeiten.“

Jetzt war es an mir, Hartnäckigkeit zu zeigen. Ich ließ mir den Abend im Chez Duedo doch nicht wegen so eines dummen Hundes versauen. „Fräulein, das geht leider nicht. Ich muss ihnen das Tier jetzt geben, das kann doch nicht so schwer sein.“ Mir fiel keine wirklich passende Ausrede ein, deswegen fügte ich hinzu: „Ich muss doch heute noch ins Chez Duedo.“

Leider schien sie das Restaurant zu kennen, denn nun grinste sie verschmitzt. „Sie wollen den Hund hier abgeben, um ins Steakhaus zu gehen? Pfui, schämen sie sich. Außerdem darf ich keine Tiere aufnehmen, das kann nur die Chefin. Und die ist nicht mehr hier. Ich sag‘ ihnen aber, was wir machen können: Ich gehe jetzt hinein, sie kommen morgen wieder und wenn sie auch nur noch einmal klingeln, dann rufe ich die Polizei. Verstanden?“ Sie schob noch ein ‚Blödmann‘ hinterher, doch in dem Moment schlug sie auch schon die Türe zu.

Da stand ich nun. Ich warf einen Blick auf meinen gelben Wagen und bemerkte, dass mich der Malinois vom Rücksitz her intensiv beobachtete. Weidete er sich etwa an meiner Niederlage? Grimmig drückte ich den Klingelknopf, stürzte aber dann hinter das Steuer meines Fahrzeuges und sah zu, dass ich genügend Entfernung zum Tierheim zurücklegte, bevor die Polizei eintraf. Wenn das junge Mädchen überhaupt die Polizei gerufen hatte. Doch darauf wollte ich es jetzt nicht ankommen lassen.

Als ich den Wagen auf dem Parkstreifen vor Wesers Haus abstellte, hatte ich einen Plan B ausgearbeitet: Jennifer, unser blondes Mädchen für alles, würde sich des Köters annehmen müssen. Ich wollte nur schnell das Hundekörbchen, sowie die Spielsachen und einige Dosen Futter aus dem Haus holen und danach so schnell wie möglich zum Krav Maga Studio fahren. Noch war es nicht so spät, dass Jenny nicht mehr dort sein würde.

„Ich muss noch mal eben ins Haus, Bingo“, erklärte ich dem Hund. „Wir brauchen ja noch deinen Korb und etwas zu fressen. Du wartest schön brav hier, ich bin gleich wieder da.“

Bingo gab eine Art zustimmendes Grunzen von sich und legte sich lang auf die Rückbank. Er hatte mich bestimmt nicht verstanden, doch meine ruhige Stimme und mein erklärendes Wesen wirkten offensichtlich beruhigend auf das Tier.

Fünfzehn Minuten später war alles hinter der Heckklappe des kleinen Wagens verstaut. Der Malinois beobachtete mich auch dabei genauestens, doch jetzt lag er wieder auf der Rückbank, den Kopf auf den gekreuzten Pfoten gelagert. Als ich mich hinter das Steuer quetschte, seufzte er vernehmlich. „Ja, du hast es schon schwer“, grinste ich und hörte, wie der Hund erneut seufzte.

Von Wesers Haus bis zum Krav Maga Studio musste ich nicht weit fahren und atmete erleichtert auf, als ich Jennifers weinroten Honda Civic noch auf dem Parkplatz entdeckte. Ein kurzer Blick auf meine Uhr zeigte mir, dass ich mich nicht beeilen musste. Es war noch genügend Zeit, um ins Chez Duedo zu gelangen.

Bingo folgte mir willig, als ich ihn aus dem Fahrzeug ließ. Doch kaum berührte er den Boden, da hob er auch schon wieder das Bein an meinem Vorderreifen. Ich zog ihn an der Leine fort, musste aber an dem nächsten Laternenmast erneut eine Zwangspause einlegen.

„Hallo Jonathan“, begrüßte mich Jennifer und kam um ihren Empfangstresen herum. „Wen hast du denn da mitgebracht? Der ist ja total süß.“ Sie stürzte auf den Hund zu, kniete sich vor ihm hin und knuddelte das Tier, das wohlig grunzte. Für einen Sekundenbruchteil wünschte ich mir, mit dem Köter tauschen zu können.

„Hallo Jennifer“, lächelte ich die Blonde an. „Das ist Bingo. Der Hund gehört einem Bekannten Wesers, der im Krankenhaus ist und Weser hatte ihn zu sich genommen“, erklärte ich. Dann fügte ich schmeichelnd hinzu: „Du verstehst dich aber ausgezeichnet mit Hunden ...“

„Nicht nur mit Hunden „, lächelte Jennifer und kraulte dem Malinois den Bauch. Der lag inzwischen auf dem Rücken und hielt alle vier Beine in die Luft. „Ich liebe Tiere. Und dies hier ist ein ausgenommen hübsches Exemplar.“

„Das bin ich auch“, gab ich leise von mir.

„Was hast du gesagt, Jonathan?“

„Dass du da Recht hast. Ein hübscher und intelligenter Kö... Hund. Das ist ein Malinois.“

Jennifer hielt mit ihrem Kraulen inne und blickte auf. „Das weiß ich, Jonathan.“ Dann erhob sie sich und kehrte hinter ihren Tresen zurück. „Ich habe übrigens ein paar Informationen für dich.“ Sie hielt mir einen Zettel hin. „Es geht um diesen merkwürdigen Anruf, von dem du mir erzählt hast.“

„Anruf?“ Dann erinnerte ich mich. „Ach ja, diese Drohung heute Morgen. Was hast du denn herausgefunden?“

Während ich den Zettel an mich nahm, erklärte Jennifer: „Es gab wirklich mehre Wagen, die letzte Nacht, beziehungsweise heute im Laufe des Tages brannten. Insgesamt handelt es sich um drei Stück. Einer wurde in Odenkirchen angezündet, einer in Rheydt und einer geriet auf der Autobahn in Brand. Zum Glück wurde der Fahrer nicht verletzt. Ich glaube, diesen Fahrzeugbrand kannst du getrost ignorieren, da es sich offensichtlich nicht um Brandstiftung handelt. Trotzdem findest du die Daten ebenfalls auf dem Blatt. Bei den anderen beiden Fahrzeugen handelt es sich eindeutig um gehobene Klassen. Ein Mercedes und ein Porsche SUV. Die Namen und Adressen der Halter habe ich dir dazugeschrieben. Willst du etwas in der Angelegenheit unternehmen? Denk aber daran, dass wir keinen offiziellen Auftrag erhalten haben. Wenn überhaupt, dann unternimm etwas in deiner Freizeit.“

Ich nickte. „Gute Arbeit, Jennifer. Danke. Ich glaube, ich sollte die Leute warnen. Diese Drohung am Telefon klang ziemlich gefährlich und vielleicht kann ich ja etwas über den Anrufer herausfinden.“

Ich wandte mich um, tat dann aber so, als wäre mir noch etwas eingefallen. „Ach ja, Jennifer, ich habe da noch eine Bitte ...“

Jenny sah mir ins Gesicht. „Was denn, Jonathan?“

„Ich ... also ... du kommst so gut mit Tieren aus und da dachte ich ... Kannst du nicht Bingo zu dir nehmen? Ich habe kaum Platz in meiner kleinen Wohnung und außerdem ...“

„Was außerdem?“

„Ich habe Termine, weißt du? Und ich kann nicht so gut mit Tieren. Du tätest mir wirklich einen großen Gefallen und ich würde das auch wiedergutmachen. Ich könnte dich zum Essen einladen.“

Jennifer schüttelte angewidert den Kopf. „Zum Essen? In deine komische Curry-Bude? Wie hieß dein Freund da noch? Curry-Egon?“

„Curry-Erwin. Nein, ich würde dich ins Chez Duedo einladen.“

Jennifer lachte: „Das ist sehr nett, Jonathan. Doch leider muss ich ‚nein‘ sagen. Auf der einen Seite habe ich heute Abend noch einen Lehrgang un...“

„Einen Lehrgang?“, unterbrach ich sie. „Den kann man doch mal ausfallen lassen. Was lernst du denn?“ Ich schmunzelte, als ich mir vorstellte, dass die süße Blonde vielleicht an einem Kochkurs teilnahm. Dann könnte sie mich ja zu einem perfekten Steak bei sich zuhause einladen.

„Grins nicht so anzüglich, Jonathan. Es ist ein Sprachkurs in Latein.“

„Latein?“, meinte ich entgeistert. „Das ist doch eine tote Sprache, warum willst du die noch lernen?“ Ich konnte mich in der Schule nie für Latein begeistern und die Sprache natürlich auch nicht gewählt. Allerdings war meine Begeisterung für Fremdsprachen allgemein sehr gering und daran hatte sich bis heute kaum etwas geändert.

Jennifer seufzte vernehmlich. „Ich will sie nicht lernen, Jonathan. Ich bin die Lehrerin und bringe anderen die Sprache nahe. Schülern zum Beispiel, die mit ihrem kleinen oder großen Latinum Probleme haben. Und als Lehrerin kann ich den Kurs nicht mal eben so schwänzen.“

„Du kannst doch Bingo bestimmt mitnehmen. Der Hund ist doch total süß.“ Ich gebrauchte absichtlich ihre Worte von vorhin. Jennifer konnte einfach nicht ‚nein‘ sagen.

„Ja, das ginge. Aber ich habe zwei Katzen zuhause und die würden sich niemals mit einem Hund vertragen. Es tut mir leid, Jonathan, aber da kann ich dir nicht helfen.“

Ich blickte verzweifelt auf Jennifer, dann zu dem Hund. „Und wenn du es einfach mal versuchst?“, fragte ich lahm, doch das Kopfschütteln der Blonden nahm mir die letzte Hoffnung.

Mit Bingo auf der Rückbank fuhr ich zu der Adresse in Odenkirchen, wo der Mercedes gebrannt hatte. Der Wagen war in der Nacht angezündet worden, was zeitlich vor dem Drohanruf lag. Die Wohnung des Fahrzeughalters lag in einem heruntergekommenen Mehrfamilienhaus und ich fragte mich einmal mehr, warum jemand, der in so einer Gegend wohnte und offensichtlich kaum die Miete zahlen konnte, sich einen dermaßen Luxuswagen leistete. Aber den Leuten war es vermutlich wichtiger, in solch einer Karosse bewundert zu werden, als halbwegs vernünftig zu wohnen.

Der Aufzug funktionierte nicht und das Treppenhaus war schmutzig und roch nach Urin und Erbrochenem. Zum Glück musste ich nur bis in den zweiten Stock. Ich klingelte und ein mürrischer Mann in den Dreißigern öffnete mir. „Ich kaufe nichts“, bemerkte er kurz und wollte die Tür wieder zuschlagen.

„Ich will nichts verkaufen“, beeilte ich mich zu erklären. „Es geht um ihren Wagen, der angezündet wurde.“

„Sind sie von der Versicherung? Ich habe doch schon alle erforderlichen Angaben gemacht. Und die Polizei wurde auch verständigt.“

„Nein, ich bin ... quasi privat hier. Sind sie bedroht worden oder haben sie Schulden oder so etwas, das sie bis morgen Mittag zurückzahlen sollen?“

Der Mann sah mich an, als käme ich direkt vom Mond. Er kratzte sich unter der linken Achsel und ich erkannte, dass auf seinem Feinripp-Unterhemd zahlreiche Ascheflecken waren. Neben Flecken roter Farbe, die aber vermutlich nicht von Blut stammten, sondern von Tomatenketchup. „Sie haben wohl ne Macke, was? Mich bedrohen? Warum denn? Und Schulden habe ich auch nicht. Außer dem Kredit für den Wagen, aber ich wüsste nicht, was sie das angeht. Sie wollen mir doch nichts unterjubeln oder? So als hätte ich den Wagen selbst angezündet? Machen sie bloß, das sie wegkommen!“ Er knallte die Tür vor meiner Nase zu und ich hörte ihn noch eine Weile in der Wohnung vor sich hin schimpfen.

Den Gedanken, noch einmal bei ihm zu klingeln, verwarf ich.

Die nächste Adresse befand sich etwas außerhalb Mönchengladbachs, im Ortsteil Wanlo. Es handelte sich um eine großzügig angelegte Villa in der Nähe eines Golfplatzes. Laut Jennifers Notizen sollte es sich um einen Anwalt namens Maximilian Mürkens handeln. Dr. Maximilian Mürkens. Es war natürlich durchaus möglich, dass der Mann bedroht wurde. Vielleicht hatte er den einen oder anderen Kriminellen nicht gut genug vertreten und die waren jetzt sauer auf ihn.

Bevor ich aber an dem Haus klingeln konnte, musste ich mit Bingo ein paar Schritte gehen. Der Hund verhielt sich ziemlich unruhig auf dem Rücksitz und ich wollte nicht, dass er mir vielleicht noch den Wagen versaute. Zum Glück gab es hier viel Grün, Felder und Wiesen, so dass er ungestört sein großes Geschäft machen konnte. Ich erinnerte mich daran, dass die Hundehalter verpflichtet waren, die Hinterlassenschaften ihrer Schützlinge zu entsorgen und mir graute schon jetzt davor, dies in der Stadt machen zu müssen. Selbstverständlich war ich kein Freund dieser ‚Tretminen‘, doch mit der bloßen Hand - auch wenn ein dünnes Tütchen darum lag - diese Häufchen wegmachen zu müssen, erzeugte in mir einen Schauer von Ekel. Als Bingo wieder vor mir stand und ich sah, was er hinterlassen hatte, konnte ich ein leichtes Würgen nicht unterdrücken. Dies war auf jeden Fall ein Grund mehr, den Köter so schnell wie möglich loszuwerden.

Ich leinte den Hund rasch wieder an, brachte ihn in den Wagen zurück und ging zu der Villa. Schon nach dem ersten Klingeln wurde die Tür geöffnet und eine Frau von vielleicht fünfunddreißig Jahren stand mir mit fragendem Gesichtsausdruck gegenüber. Sie war gut und gerne über einen Kopf kleiner als ich und zeigte eine leichte Tendenz zur Übergewichtigkeit. Das Kleid, das sie trug, konnte man eher schlicht nennen und sie machte auf mich insgesamt einen recht einfachen Eindruck. Vielleicht war dies ja die Putzfrau ...

„Guten Tag. Mein Name ist Jonathan Lärpers. Ich hätte gerne“, ich warf einen raschen Blick auf meinen Zettel, „mit Herrn Mürkens gesprochen.“

„Mein Mann ist nicht da“, erklärte mir die Frau. Also war sie doch nicht die Putzfrau. „Er ist von der Kanzlei noch zu einem Mandanten gefahren. Worum geht es denn?“

„Das ist ein wenig schwierig ... Ich habe einen Anruf bekommen, der vermutlich ihren Mann betrifft und das wollte ich mit ihm besprechen. Ihr Wagen hat doch gebrannt, oder?“

Die Frau sah mich erschrocken an. „Mein Wagen?“, stöhnte sie dann und schlug ihren Handrücken vor den Mund. „Oh mein Gott, wie konnte das denn passieren? Und wieso habe ich davon nichts gemerkt. Warten sie eine Sekunde!“

Sie ging in den Hausflur zurück und kam kurze Zeit später mit einem Schlüsselbund und einem kleinen Kästchen in der Hand zurück. „Kommen sie, gehen wir zur Garage. Das muss ich mir selbst ansehen. Nur gut, dass die Garage oder das ganze Haus nicht abgebrannt sind.“

Während ich ihr zu einer Doppelgarage neben der Villa folgte, erklärte ich: „Der Wagen hat in Rheydt gebrannt, nicht in ihrer Garage.“

Sie blieb abrupt stehen und schlug erneut die Hand vor den Mund. „Oh Gott, das wird ja immer schlimmer. Hat man den Wagen gestohlen? Die Diebe werden auch immer dreister. Ich war doch den ganzen Tag im Haus. Nein, was hätte nicht alles passieren können!“ Jetzt drückte sie auf einen Knopf an dem Kasten und wie von Zauberhand öffnete sich das breite Garagentor. Ich erblickte zuerst einen leeren Stellplatz und daneben ein rotes BMW Cabriolet.

Ich hörte die Frau neben mir vernehmlich aufseufzen. „Da haben sie mir aber einen ordentlichen Schreck eingejagt. Sehen sie doch, da steht er: mein Wagen. Den hat niemand gestohlen.“

Ich nickte. „Es wird sich ja vermutlich auch um den Wagen ihres Mannes handeln. Wissen sie, ob er gebrannt hat?“

Während das Garagentor wieder herunterfuhr, gingen wir zum Haus zurück. „Nein, davon weiß ich nichts. Mein Mann ist heute noch nicht nach Hause gekommen und er hat auch nicht angerufen. Da kann ich ihnen leider nicht helfen. Und ich weiß auch nicht, wann er nach Hause kommt, das kann spät in der Nacht sein.“

Ich kramte eine Visitenkarte hervor und hielt sie der Frau hin. „Er kann mich ja anrufen, wenn er wieder da ist. Ich bin ab neun Uhr in meinem Büro.“

Frau Mürkens nahm die Karte, warf einen Blick darauf und schüttelte den Kopf: „Privatdetektiv? Nun, ich glaube nicht, dass Max sie anrufen wird. Er ist Anwalt, da müssen sie schon zu ihm in die Kanzlei gehen. Aber ich werde es ihm sagen ...“

„Heute funktioniert auch gar nichts“, stöhnte ich während der Fahrt nach Wickrath. Der Hund saß auf der Rückbank und blickte aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft. „Der blöde Anwalt ist nicht zu Hause, Jennifer kann nicht auf dich aufpassen und das Tierheim hatte auch schon geschlossen. Das ist einfach nicht mein Tag heute.“ Im Rückspiegel sah ich, dass mich Bingo jetzt aufmerksam beobachtete. Mir schien, als würde der Hund schadenfroh grinsen.

Zu allem Überfluss bekam ich in der Nähe meiner Wohnung keinen Parkplatz, so dass wir ein ganzes Stück zu Fuß gehen mussten. Ich war schwer bepackt mit dem Hundekörbchen und dem Futter, doch der Malinois trottete gehorsam neben mir her. Nur hin und wieder mussten wir stehenbleiben, damit er eine Laterne oder eine Hausecke bewässern konnte.

„Da vorne wohne ich, gleich sind wir da. Weißt du, Bingo, genau unter meiner Wohnung wohnt Christine. Eine sehr nette Kollegin.“ Leider gehörte Chrissi ebenfalls zu den Frauen, die mir schon frühzeitig klargemacht hatten, dass irgendwelche Annäherungsversuche bei ihr nicht fruchten würden. Aber wir waren sehr gute Freunde und hatten uns gegenseitig schon so manches Mal aus der Patsche geholfen. „Schade, dass du sie nicht kennenlernen wirst“, fügte ich mit einem verschmitzten Lächeln hinzu. Morgen Vormittag würde ich den Hund direkt ins Tierheim bringen, dann war ich ihn endlich los. Doch plötzlich fiel mir ein, dass das Heim nur von fünfzehn Uhr bis siebzehn Uhr geöffnet hatte und ich fluchte leise vor mich hin. Wieder schien es, als würde der Malinois grinsen, doch ich musste mich täuschen. Konnten Hunde eigentlich Gedanken lesen?

Meine Wohnung war so unaufgeräumt wie immer. Bingo schien das nicht zu stören, denn er durchschnupperte Raum für Raum. Ich wartete darauf, dass er ein Bein heben und sein Revier markieren würde, doch der Malinois schien gut erzogen und stubenrein zu sein. „Ja, schau dich ruhig um“, bemerkte ich, während meiner Suche nach einem geeigneten Platz für den Hundekorb. Gedanken, den Hund im Bad unterzubringen, verwarf ich rasch wieder. Dann müsste ich die Tür offenstehen lassen. Das war keine gute Idee. Schließlich räumte ich eine Ecke im Wohnzimmer frei, in der sich allerlei Krimskrams angesammelt hatte. „Hier ist dein Platz, Bingo“, machte ich dem Köter klar. Das war möglichst weit von meiner Couch entfernt, so dass er mich beim Fernsehgucken nicht stören würde.

Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass ich mich noch in Ruhe würde duschen und umziehen können. Danach wollte ich ins Chez Duedo. Aber ohne den Hund. Der könnte es sich hier gemütlich machen.

Dann kamen mir Zweifel an meiner Idee. Was, wenn das Tier anfing, hier etwas zu zerstören? Die Couch oder den Sessel ankaute? Oder mir die Gardinen von den Fenstern riss? Allerdings hatte er bei Herrn Weser auch nichts zerstört. Doch in meinem Hinterkopf regte sich der Gedanke, dass die Umgebung hier ja für das Tier neu war. Er müsste sich erst einmal eingewöhnen, dann könnte ich ihn auch alleine lassen. Wesers Haus hatte der Hund ja schon zur Genüge gekannt. Und was wäre, wenn er plötzlich zu kläffen anfing? Die alte Frau, die gegenüber von Chrissis Wohnung lebte, würde garantiert die Polizei rufen.

Schwer seufzend beschloss ich, meinen Besuch im Chez Duedo auf morgen zu verschieben, wenn Bingo sicher im Tierheim weilte.

Eine halbe Stunde später stand der Köter vor meiner Wohnungstür und gab ein leises Bellen von sich. Als ich nachschaute, blickte er mich vorwurfsvoll an und mir war sofort klar, was das Tier wollte. Nun ja, ein letztes Mal sollte er seinen Willen bekommen. „Aber nur einmal um den Block, mein Freund“, erklärte ich. Wie immer war das Programm im Fernsehen zwar ziemlich mies, doch nach so einem harten Arbeitstag musste ich mich einfach einmal richtig entspannen. Und das konnte auch bei einer dieser unsäglichen Dokusoaps auf einem Trash-Sender sein. Dazu ein leckeres, eiskaltes Bier und eine Tüte Chips, dann war ich zufrieden.

Leider schien Bingo das anders zu sehen, denn kaum, dass wir auf den Gehweg traten, schlug er die Richtung zum Schloss Wickrath und dem kleinen Wäldchen darum herum, ein. Eine vielleicht nicht einmal ganz so eine schlechte Idee, denn dort würde ich bestimmt keine seiner Tretminen in ein Tütchen verpacken müssen. Natur zu Natur quasi. Falls er überhaupt erneut etwas fallen lassen müsste. Wie oft musste so ein Köter eigentlich kacken? Das war doch sicherlich abhängig von der gefressenen Menge. Bekam er also weniger des Hundefutters, dann hätte ich vermutlich auch keine Probleme.

Vor dem Schloss befanden sich mehrere Seen und einer der Spazierwege führte an so einem Wasser vorbei. Ich sah mich um und entdeckte keine weiteren Spaziergänger oder Menschen mit Hunden. Natürlich nicht, um diese Zeit saßen bestimmt alle vor ihrem Fernseher und schauten ‚PUP - Proleten unter Palmen‘ oder ‚DSDD - Deutschland sucht die Doofen‘. Oder so ähnlich, ich konnte mir die verqueren Titel alle nicht merken. Nur ich latschte hier mit Bingo durch den Wald ...

Nachdem ich mich noch einmal umgesehen hatte, machte ich die Hundeleine los. „So, Bingo, jetzt kannst du nach Herzensluft toben“, ermunterte ich den Hund. „Aber bleib in der Nähe, ich habe keine Lust, dich auch noch suchen zu müssen.“

Bingo sah mich an, grinste - es musste ein Grinsen sein - und hechtete schnurstracks ins Wasser. Entgeistert blickte ich ihm hinterher. In diesem Moment radelte eine ältere Frau an mir vorbei und hätte mich beinahe umgefahren. Ich stand ratlos mit der Leine in der Hand da und fragte mich, ob ich jetzt ins Wasser musste, um den Hund wieder dort heraus zu holen.

Was für ein beschissener Tag!

Sekunden später hörte ich einen Hilferuf, der nur von der Frau kommen konnte. Ich blickte den Weg entlang und sah sie neben ihrem Fahrrad auf dem Boden liegen. Ein junger Mann rannte von ihr fort und ich erkannte, dass er eine Handtasche mit sich trug. Die Tasche der Frau.

Jetzt setzte ich mich in Bewegung, um der Frau zu Hilfe zu eilen, doch im selben Moment schoss ein hellbrauner Schatten an mir vorbei. Ich steigerte mein Tempo und erkannte Bingo, der schon die Frau passiert hatte und dem jungen Mann folgte.

„Hilfe“, krächzte die Alte. „Ein Räuber. Er hat meine Tasche gestohlen.“

„Sind sie verletzt?“, fragte ich ein wenig außer Atem. „Brauchen sie einen Krankenwagen?“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Meine Tasche. Da ist meine gesamte Rente für diesen Monat drin. Ich brauche das Geld doch!“

Ich half der Frau hoch sah mich nach dem Räuber um. „Der ist mit Sicherheit über alle Berge“, meinte ich dann und hörte, wie die Alte aufschluchzte.

„Nehmen sie mein Fahrrad, schnell! Sie können den Mann vielleicht noch einholen!“

Ich blickte erneut den Weg entlang, dann schüttelte ich grinsend den Kopf. „Kommen sie“, meinte ich dann, nahm ihren Arm und wir zwei gingen gemütlich weiter, während ich mit der anderen Hand ihr Rad führte.

„Sie müssen den Dieb verfolgen. Das ist kein Grund, so dämlich zu grinsen. Wo wollen sie mich eigentlich hinführen?“

Ich konnte das Grinsen einfach nicht unterdrücken, als ich jetzt mit dem Kopf in Richtung des Geflüchteten zeigte. „Dort hin, sehen sie?“

„Ich sehe nichts, junger Mann. Auf die Entfernung kann ich kaum etwas erkennen.“

Ja, das merkte ich schon, als sie mich fast umgefahren hatte. „Na, dann lassen sie sich mal überraschen!“

Minuten später standen wir vor dem auf dem Boden liegenden Räuber. Bingo stand vor dem Mann, der seinen Kopf mit beiden Armen schützte, und knurrte in einer Art und Weise, die selbst mir Angst einjagte. Die Tasche lag zwischen dem Mann und dem Hund und ich nahm sie jetzt auf und gab sie der Frau zurück. Dann kramte ich mein Handy hervor und rief die Polizei.

„Nehmen sie den Hund weg, der ist ja gemeingefährlich!“, jammerte der junge Mann am Boden. „Hunde sind an der Leine zu führen! Ich werde sie verklagen.“

„Jetzt hör mal gut zu, mein Freund“, wies ich den Dieb zurecht. „Wenn du weiter so eine große Klappe hast, dann verabreiche ich dir eine Tracht Prügel, noch bevor die Polizei kommt.“

Trotzdem leinte ich Bingo an, denn ein Bußgeld wollte ich nun auch nicht riskieren.

Die Polizei ließ sich Zeit und die alte Dame nahm ihr Fahrrad wieder an sich und ging ein paar Schritte bis zu einer Parkbank, auf der sie sich niederließ. Ich stand mit Bingo vor dem Mann, der sich jetzt leicht zu mir umdrehte. „Das ist Freiheitsberaubung“, versuchte er erneut mich einzuschüchtern, insbesondere, als er bemerkte, dass der Hund wieder an der Leine war.

Ich schob meine Jacke ein wenig zur Seite, so dass er meine Pistole sehen konnte.

„Wie wäre es, wenn du versuchst zu flüchten. Ich verspreche auch, dass ich den Hund nicht losmache, sondern dich lediglich erschießen werde!“

Der Kerl bekam große Augen und drückte seinen Kopf wieder in den Dreck. „So ist es recht“, murmelte ich und wandte mich an Bingo. Während ich dem Tier den Kopf streichelte, sprach ich auf ihn ein: „Gut gemacht, mein Freund. Das war eine reife Leistung! Hast dir eine extra Portion Futter verdient.“ Fort war der Gedanke an verminderte Rationen.

Zwei Polizisten schlenderten heran und ich hatte den Eindruck, als wären sie auf einem gemütlichen Spaziergang. Einer von ihnen, ein dicker, schwitzender Kerl, legte dem Räuber Handschellen an, der andere befragte mich nach dem Vorfall.

„Der hat eine Waffe“, krähte der Dieb plötzlich und beide Polizisten griffen an ihre Holster.

Ich hob beschwichtigend die Arme. „Keine Sorge, alles legal. Ich bin Privatdetektiv und besitze einen Waffenschein.“ Die Männer entspannten sich.

„Und er hat den Hund frei herumlaufen lassen“, versuchte es der Kriminelle erneut. „Das ist doch verboten!“

Der dicke Polizist sah den Räuber eingehend an, dann meinte er ruhig: „Davon sehe ich nichts. Der Hund ist angeleint. Und Handtaschenraub? Ist das etwa nicht verboten? Du hältst jetzt einfach mal den Mund, verstanden?“

Der andere Polizist befragte jetzt die alte Frau, dann nahmen sie den Räuber in die Mitte und zogen gemütlich schlendernd davon. Keiner von beiden hatte noch nach meiner Waffe oder dem Waffenschein gefragt.

„Komm Bingo, gehen wir nach Hause. Du hast dir dein Essen für heute reichlich verdient und ich habe jetzt auch Hunger“, sprach ich auf den Hund ein, dann setzten wir unseren Weg durch den Park fort. Wir hatten uns jetzt beide eine gute Mahlzeit verdient.

Spür - Nase

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