Читать книгу Spür - Nase - Jürgen Ruhr - Страница 5
II.
ОглавлениеVorsichtig fuhr ich in das Parkhaus. Obwohl ich meine Hände mit mehreren Papiertaschentüchern abgewischt hatte, rutschte meine rechte Hand immer wieder über das Lenkrad. Von dem gegessenen Stück Frikadelle hatte ich ein unangenehmes Aufstoßen, fast so, als wäre das Fleisch nicht mehr gut gewesen. Aber das konnte eigentlich nicht sein, denn Curry-Erwin bot nur beste und frische Sachen an.
Das Thaigericht schlug mit satten dreißig Euro zu Buche, doch Erwin versicherte mir, dass dies ein Sonderpreis für mein Testessen sei. Und die Benutzung seiner Schürze zum Abwischen meiner Hände bekam ich gratis dazu.
Wie ich erfuhr, lag Herr Weser noch in der Notaufnahme. Man hatte für den alten Querulanten bisher kein geeignetes Zimmer gefunden. Als ich in den Raum trat, sah der Alte mir misstrauisch entgegen.
„Herr Lumpers, was machen sie denn hier?“, fragte er ohne eine Begrüßung. „Ich hatte die Frau Enssel erwartet. Haben sie Jennifer hierhergebracht? Und wo ist sie?“
„Einen schönen guten Tag, Herr Weser“, gab ich mich höflich. Wieso konnte der Mann sich eigentlich nie meinen Namen merken? „Lärpers heiße ich, Jonathan Lärpers.“
„Ja, ja“, murrte er, „wo also ist Jennifer? Herr Heisters hat mir zugesagt, dass sie sich um mich kümmern würde.“ Und wie ein beleidigtes Kind fügte er hinzu: „Wenn schon die Christine nicht kommen kann ...“
„Frau Enssel ist unabkömmlich“, erklärte ich. „Der Oberstaatsanwalt hat sich überraschend angekündigt und nun wird sie im Studio benötigt.“
„Und da schickt man ausgerechnet sie, Herr Lüllers? Ich will, dass Jennifer kommt. Sofort!“
Ich schüttelte den Kopf: „Ich kann ja gerne wieder gehen, doch momentan bin ich der Einzige, der zur Verfügung steht. Glauben sie mir, Herr Weser, mir passt das auch nicht.“
„So, so. Es passt ihnen also nicht, einem armen, kranken Mann helfen zu müssen! Was sind sie nur für ein Mensch, Herr Klüsters! Glauben sie etwa, dass es mir Spaß macht, hier vor mich hin zu siechen?“
„Was haben sie denn überhaupt, Herr Weser?“
„Das geht sie überhaupt nichts an, Löklers!“, fauchte der Alte. Eigentlich konnte er doch nicht allzu krank sein, wenn er mich dermaßen anschrie. Sekunden später trat eine Schwester in den Raum.
„Was ist denn hier los?“ Sie kam auf mich zu und hob drohend den Zeigefinger. „Sie sollten hier nicht so herumschreien, mein Herr. Was machen sie überhaupt hier? Das ist die Notaufnahme.“
Ich hob beschwichtigend meine Hände. „Herr Weser wollte mich sehen, er braucht unsere Hilfe. Und geschrien habe nicht ich, sondern er.“
Die Schwester sah Weser scharf an. Schließlich grunzte der dicke, alte Mann und schüttelte den Kopf: „Nein, ihn wollte ich nicht sehen. Frau Weru sollte hierherkommen und dann hat Herr Heisters mir zugesagt, dass Frau Enssel mir hilft. Aber niemals dieser ... dieser ... Tölpers.“
Die Schwester drehte sich zu mir und schob mich sanft in Richtung Tür. „Kommen sie, Herr Tölpers. Sie sollten den Patienten jetzt alleine lassen. Er braucht Ruhe!“
„Lärpers. Ich heiße Jonathan Lärpers und nicht Tölpers“, korrigierte ich aufgebracht. Dank der wenigen Minuten mit Weser war ich schon fast wieder am Ende mit meinen Nerven. Als wir fast an der Türe standen, hörten wir Herrn Wesers Stimme hinter uns.
„Schwester, Schwester! Lassen sie den Mann hier.“ Jetzt klang seine Stimme resigniert. „Wenn mir Heisters niemand anderen schicken will, dann muss ich wohl mit dem Mann da vorliebnehmen!“
Die Krankenschwester drehte sich um und stemmte resolut die Hände in die Hüften. „Sie wissen aber wohl, was sie wollen, Herr Weser? Klingeln sie, wenn etwas sein sollte und verschwenden sie nicht meine Zeit!“ Ohne ein weiteres Wort verschwand sie auf den Gang hinaus.
Ich trat erneut zu Herrn Weser ans Bett. „Also, was wollen sie? Warum müssen wir ihnen helfen?“
„Sie müssen mir überhaupt nicht helfen, Härpers! Christine sollte mir helfen.“
Ich stöhnte gequält auf. „Frau Weru befindet sich in ihrem wohlverdienten Urlaub und ansonsten steht niemand zur Verfügung“, erklärte ich gereizt. „Das habe ich ihnen doch schon gesagt!“
Weser grummelte etwas vor sich hin, dann bemerkte er: „Wenn sie nur wollen würden, dann könnte man Christine aus dem Urlaub holen! Aber sie wollen ja nicht!“
„Wollen würden und hätte können“, gab ich von mir und warf einen Blick auf meine Uhr. „Wenn sie mir nicht bald sagen, was sie von uns wünschen, dann hilft ihnen niemand. Ich habe gleich noch einen Termin und muss noch quer durch die Stadt fahren. Also, worum geht es, Herr Weser?“
„Quatsch. Das ist doch Quatsch“, krähte der Alte. „Meinen sie, sie könnten einen Herrn Weser mit diesem Terminquatsch unter Druck setzen? Was haben sie schon für wichtige Termine, Grütters?“
Ich sah Weser kurz an, dann drehte ich mich um und schritt auf die Tür zu. Dem Alten war nicht zu helfen und dieser Unsinn hier ging mir gewaltig auf die Nerven. Ich würde Bernd anrufen und ihm berichten, dass Weser meine Hilfe ablehnte.
„Püllers, bleiben sie gefälligst hier, verdammt!“, vernahm ich die Stimme des Alten hinter mir. „Sie kommen jetzt unverzüglich wieder zu mir oder ich klingle nach der Schwester.“
Ich blieb stehen und antwortete ohne mich umzudrehen: „Nur, wenn sie mir endlich sagen, worum es überhaupt geht. Ansonsten können sie sehen, wie sie alleine zurechtkommen.“
Der Alte seufzte vernehmlich. „Ja, meinetwegen. Sind sie sicher, dass Christine nicht aus dem Urlaub geholt werden kann? Für die Aufgabe braucht man Fingerspitzengefühl, Einfühlungsvermögen un...“
Ich stand mittlerweile wieder neben ihm. Mein gewollt böser Blick schien den alten Mann nicht zu stören. „Verdammt, Weser, sagen sie endlich, was sie von mir wollen. Wir werden Frau Weru garantiert nicht aus dem Urlaub zurückholen, also: worum geht es?“ Ich musste mich sehr zusammenreißen, um die letzten Worte nicht herauszuschreien.
„Wülkers, sie haben kein bisschen Feingefühl“, erneut seufzte der Dicke theatralisch. „Geben sie mir doch mal meine Hose. Die liegt dort über dem Stuhl.“
Wollte er sich jetzt anziehen und von mir nach Hause gefahren werden? Dazu hatte ich keine Zeit. Trotzdem reichte ich ihm die Hose, die zahlreiche Schmutzflecken aufwies.
Weser kramte in den Taschen herum und reichte mir schließlich einen Schlüssel an einem Ring mit Anhänger. Als ich die Aufschrift auf der Plakette las, konnte ich ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Dick eingraviert stand dort ‚Genie‘.
„Gärpers, das ist der Schlüssel zu meinem Haus. Wieso grinsen sie eigentlich so dämlich? Na egal. Es geht um Bingo.“
„Bingo?“, echote ich. Hatte der senile Alte mich wegen eines dämlichen Spiels zu sich kommen lassen? „Das ist jetzt nicht wahr, oder?“
Weser nickte ernsthaft. „Sie müssen sich um Bingo kümmern.“
Ich sah den Mann wütend an. „Sagen sie mal, Weser, haben sie keine anderen Probleme als ein dämliches Spiel? Soll ich etwa für sie Bingo spielen? Das können sie sich abschminken!“
„Ein Spiel?“ Weser richtete sich mühsam im Bett auf. Jetzt war ihm anzusehen, dass es ihm nicht gut ging. Fast tat der Kerl mir leid. Aber nur fast ...
„Bingo ist kein Spiel“, fuhr er fort. „Ja sicher, Bingo ist schon ein Spiel, aber dieser Bingo nicht.“
Der Alte verwirrte mich zusehends. Ich schaute ihn fragend an.
„Jetzt gucken sie nicht so blöd, Julpers. Bingo ist ein Hund. Um genauer zu sein: Bingo ist der Hund eines Bekannten, der im Krankenhaus liegt. Und ich betreue das Tier, bis er wieder zu Hause ist. Verstanden, Höppers? Das ist doch ganz einfach, das sollten selbst sie verstehen.“
„Lärpers“, korrigierte ich automatisch. Hier ging es um irgendeinen verdammten Köter und es musste ausgerechnet mich treffen! Stöhnend dachte ich an meinen Termin, der immer näher rückte. Jonathan Lärpers war wirklich auf den Hund gekommen.
„Gehen sie, Särpers und kümmern sie sich um den Hund. Das ist ein ganz liebes Tier und sobald ich aus dem Krankenhaus wieder heraus bin, können sie Bingo wieder zu mir bringen.“
„Was ist das denn für ein Hund?“, fragte ich noch, während ich schon in Richtung Tür ging.
„Ein Mallenar. Und Futter finden sie in der Küche und im Keller. Sie können aber auch selber Futter kaufen. Die Hundeleine hängt übrigens an der Garderobe.“
Ich drehte mich noch einmal um und sah, wie der Alte überlegte.
„Ach ja. Das Hundespielzeug liegt neben seinem Körbchen in dem hinteren Raum neben dem Wohnzimmer. Vergessen sie ja nichts mitzunehmen! Und fassen sie auf keinen Fall etwas in meinem Haus an!“ Weser seufzte wieder lautstark. „Ach, wäre doch Christine hier.“
Ich machte mir Gedanken um den Köter. Mit Hunden kannte ich mich nicht aus und was in aller Welt war ein ‚Mallenar‘? Ein Dackel, ein Mops oder was? „Was ist ein Mallenar?“, fragte ich, um in dieser Beziehung wenigstens vorbereitet zu sein.
Weser knurrte. „Das wissen sie nicht? Wie ungebildet sind sie eigentlich, Märpers? Ein Mallenar ist ein belgischer Schäferhund. Mann, das weiß doch jedes Kind.“
Während Weser weiter leise vor sich hin schimpfte, verließ ich das Zimmer. Im Gang kam mir die Schwester entgegen und ich wandte mich kurz an sie: „Entschuldigen sie. Können sie mir sagen, was Herr Weser für eine Krankheit hat? Wie lange wird er hierbleiben müssen?“ Je eher ich den Köter wieder loswurde, desto besser.
Die Schwester schüttelte den Kopf: „Das kann ich ihnen nicht sagen, da ich es nicht weiß. Herr Weser muss erst noch untersucht werden. Aber auch wenn ich es wüsste, dürfte ich es ihnen nicht sagen. Datenschutz, verstehen sie. Sie sind doch kein Angehöriger.“
Ich nickte und wollte gerade weitergehen, als sie hinzufügte: „Ich kann ihnen aber verraten, dass ein Nachbar Herrn Weser bewusstlos auf dem Gehweg vor seinem Haus gefunden und die Ambulanz verständigt hat.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Was dem Mann nun aber fehlt, werden wir erst noch feststellen müssen.“
Fluchend quälte ich mich durch den Verkehr. Hunde, Hunde und immer wieder Hunde. Ich stand diesen Tieren an sich neutral gegenüber, doch lieber waren sie mir, wenn sie sich weit genug entfernt befanden. Nicht, dass ich Angst vor Hunden hätte, doch im Grunde konnte ich mit ihnen nichts anfangen. Wozu war so ein Tier schon gut? Es kostete eine Menge Geld, fraß Unmengen an Futter und hinterließ überall Tretminen.
Ich hupte und quetschte mich in eine Lücke. Hinter mir erschall ein wütendes Hupkonzert und im Rückspiegel sah ich den ausgestreckten Mittelfinger des Fahrers. Was interessierte mich das schon! Jonathan Lärpers, Privatdetektiv und Personenschützer, hatte einen Termin und musste pünktlich erscheinen. Trotzdem ging es nur schleppend voran und ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass ich auf jeden Fall zu spät kommen würde.
Scheiß Herr Weser, scheiß Hunde und scheiß Nachbarschaftsstreit. Wieso hatte Bernd eigentlich nicht mich anstelle von Birgit zum Schutz dieser Musikerin abgestellt? Dass diese Künstlerin unbedingt nach einer Frau als Personenschutz verlangt hatte, war doch eigentlich kein Argument.
Die kleine Eigenheimsiedlung lag weit im Norden Mönchengladbachs. Akkurat geschnittene Rasenflächen, penibel saubere Vorgärten und Gehwege, sowie streng den Vorschriften entsprechend geparkte Fahrzeuge verrieten mir, dass es sich um eine äußerst gut bürgerliche Siedlung handelte. Ich parkte direkt vor der Garageneinfahrt des Herrn Bersmann, dem Mann mit dem Hund.
Keine zwei Minuten später klopfte es an meine Seitenscheibe. Ein dürrer Mann mit schulterlangen, fettigen Haaren bedeutete mir, das Fenster herunterzukurbeln. Ich lächelte ihn an und stieg aus meinem Wagen.
„Hier können sie nicht parken“, begrüßte mich der Dürre, der einen halben Kopf kleiner war als ich. Ich schätzte ihn auf einen Meter fünfundsiebzig. „Sie stehen genau vor der Garageneinfahrt, also steigen sie mal schnell wieder ein und fahren sie woanders hin!“
„Herr Bersmann? Edgar Bersmann?“
„Woher wissen sie meinen Namen?“
Ich lächelte und streckte dem Mann meine Hand entgegen. Bersmann war neunundsechzig Jahre alt und Rentner. Soviel wusste ich immerhin aus der Akte. „Jonathan Lärpers von der Detektei Argus. Sie haben uns angerufen wegen ihres Streits mit dem Nachbarn. Es wurde ein Termin mit ihnen gemacht.“
Bersmann blickte auf seine Uhr am Handgelenk. „Lärpens? Sie sind zehn Minuten zu spät. Unser Termin war um fünfzehn Uhr und jetzt ist es fünfzehn Uhr zehn.“ Er sah mich kopfschüttelnd an und blickte dann auf mein Auto. „Sind sie bei der Post beschäftigt?“
„Detektei Argus. Und es tut mir leid, wenn ich etwas später dran bin, doch der Verkehr hat mich aufgehalten. Und dann war da noch eine Baustelle in ...“
„Schon mal davon gehört, dass man auch früher losfahren kann? Heutzutage müssen sie mit viel Verkehr rechnen. Das ist keine Ausrede!“ Dann meinte er eine Spur freundlicher: „Na, dann kommen sie mal ins Haus, ich erkläre ihnen, worum es geht.“
Im Haus empfing uns ein fürchterlich kläffendes Wollknäuel von zirka zwanzig Zentimeter Länge. Der Hund - sofern man so etwas Hund nennen konnte - bellte mich an, wich aber ständig vor mir zurück.
„Niedlich“, bemerkte ich und verschluckte ein: ‚Eine Fußhupe.‘ „Was ist das für eine Rasse, ein Pudel?“
Bersmann lachte. „Ein Pudel? Hallo, sie kennen sich aber mit Hunden wohl überhaupt nicht aus. Das ist Mopsi, ein ...“
„Ein Mops?“, fiel ich ihm ins Wort. Der Name ‚Mopsi‘ ließ ja auf kaum etwas anderes schließen.
„Ein Lhasa Apso.“
Ich sah mir den Hund genauer an, was der mit einem fürchterlichen Knurren quittierte. „Aha“, meinte ich dann.
„Kommen sie ins Wohnzimmer, dort ist es gemütlicher.“
Wieder wich der Köter vor mir zurück, doch wenigstens knurrte und bellte er jetzt nicht mehr. Bersmann wies auf einen Sessel. „Setzen sie sich. Sehen sie, Mopsi hat sich schon an sie gewöhnt. Sie werden noch beste Freunde werden.“
Daran glaubte ich zwar nicht, nickte aber ergeben.
„Darf ich ihnen einen Kaffee anbieten? Ich habe extra welchen aufgesetzt.“
Bevor ich noch antworten konnte, war der Mann auch schon wieder verschwunden. Ich sah mich unter dem wachsamen Blick des Hundes im Wohnzimmer um. Alles war penibel sauber und ordentlich. Ein Musterhaushalt. Als ich mich ein wenig erhob, um einen Blick aus der Glasfront in den Garten zu werfen, knurrte ‚Mopsi‘ warnend. Rasch ließ ich mich in den Sessel zurückfallen.
Ein paar Minuten später kehrte Bersmann mit zwei Bechern zurück, in der sich eine ziemlich dunkle Brühe befand. „Steht schon einige Zeit auf der Platte“, meinte der Dürre entschuldigend und nahm einen Schluck. Dann setzte er sich auf die Couch und Mopsi ließ sich mit einem Grunzen neben ihm nieder. Ich nippte an dem Gebräu und schaffte es, mein Gesicht nicht zu verziehen. Der Kaffee war ungenießbar.
„Nun, Herr Bersmann“, wandte ich mich an den Hundehalter, der inzwischen mechanisch das Wollknäuel streichelte. „Wie sie uns mitteilten, geht es um ihren Nachbarn, der von dem Hund gebissen wurde und sie nun verklagen möchte. Was stellen sie sich vor, soll die Detektei Argus in diesem Fall für sie tun?“
„Mopsi hat Guido nicht gebissen. Der ist absolut friedfertig.“
Dass der Hund so friedfertig sein sollte, bezweifelte ich zwar, meinte aber fragend: „Guido?“
„Ja, Guido“, nickte Bersmann. „Mein Nachbar Guido Ownatz. Mopsi hat ihn nicht gebissen.“
Ich blickte genervt auf den Köter. „Wenn dem so ist, dann haben sie doch nichts zu befürchten. Sie brauchen höchstens einen Anwalt, was soll ich denn für sie tun?“
„Nun“, der Dürre druckste ein wenig herum. „ich dachte, vielleicht könnten sie mit Guido reden und ihm klarmachen, dass Mopsi nicht beißt. Wenn ein ... ein ... nun also, ein kräftiger, junger Mann mit der nötigen Präsenz ein paar entsprechende Worte an Guido richten könnte, dann würde der vielleicht ...“
„Sie meinen aber jetzt nicht, dass ich ihren Nachbarn einschüchtern soll?“
„So direkt würde ich es nicht ausdrücken. Nur ein wenig Überzeugungsarbeit leisten ...“
Ich sah den Hundebesitzer kopfschüttelnd an. „Wir sind doch keine Schläger, die anderen ihren Willen aufzwingen“, bemerkte ich dann. „Wie gesagt: Sie benötigen einen Anwalt und keinen Privatdetektiv.“
„Bitte“, meinte Bersmann und es klang jetzt ein wenig weinerlich. „Sprechen sie doch wenigstens einmal mit Guido.“
„Na gut“, nickte ich und für mich klang es nicht einmal ein wenig gönnerhaft. „Wir können mit ihrem Nachbarn reden. Das schadet ja nicht. Aber ich werde ihn auf keinen Fall bedrohen oder einschüchtern. Nur damit das klar ist. Dann geben sie mir mal seine Rufnummer, damit ich einen Termin vereinbaren kann.“
„Das ist nicht notwendig. Guido ist jetzt zu Hause, das weiß ich genau.“ Bersmann lächelte verschmitzt. „Ich habe ihn ja eben noch beobachtet.“
Mich wunderte nichts mehr und so nickte ich lediglich erneut. „Aber der Kö... Hund bleibt hier.“
„Äh, hmm, also“, machte der Dürre. „Können sie nicht alleine zu Guido gehen und die Sache mit ihm besprechen?“
„Auf keinen Fall! Entweder gehen wir zusammen zu ihrem Nachbarn oder keiner. Sie können die Angelegenheit ja auch alleine mit ihm regeln.“
„Nein, nein. Gehen wir zusammen. Und Mopsi darf nicht mit?“
Diesmal ließ mich ‚Mopsi‘ ohne Knurren und Kläffen die Diele passieren. Es schien mir sogar so, als würde sich grimmige Freude in dem kleinen Hundegesicht widerspiegeln. Freude darüber, dass ich endlich sein Refugium verließ.
Die Tür des Nachbarhauses öffnete sich, noch bevor ich klingeln konnte. Ein Männchen, das mich stark an Herrn Weser erinnerte, stand im Türrahmen und sah uns feindlich an. Er mochte vielleicht einen Meter achtundsechzig groß sein, war enorm dick und trug eine Glatze. Dafür prangte über seiner Oberlippe ein buschiger Bart, der inzwischen wohl seine Farbe verloren hatte. Jedenfalls waren die Barthaare schlohweiß.
„Was wollen sie?“, fragte er anstelle einer Begrüßung, dann sah er seinen Nachbarn an: „Was willst du, Edgar?“
„Guten Tag, Herr Ownatz“, zog ich die Gesprächsführung an mich, bevor sich die zwei in die Haare kriegen konnten. „Mein Name ist Jonathan Lärpers von der Detektei Argus. Wir wollen wegen der ... Vorfälle mit ihnen reden.“
„Da gibt es nichts zu reden. Edgar, wieso schleppst du mir hier einen Polizisten an?“
Ich schüttelte den Kopf. „Kein Polizist, Herr Ownatz. Ich bin Privatdetektiv. Sehen sie, unsere Detektei Arg...“
„Das ist mir piepegal“, unterbrach mich der Dicke. „Es gibt nichts zu reden. Und damit basta.“ Er wollte die Haustür zudrücken, doch inzwischen stand mein Fuß dazwischen.
„Doch Herr Ownatz. Wir müssen miteinander reden. Wenn sie ihren Nachbarn vor Gericht bringen wollen, dann sollten sie sich einiger Dinge bewusst sein.“ Ich improvisierte und wusste eigentlich nicht, wovon ich redete. Doch das schienen der Dicke - und sein Kontrahent - nicht zu merken. Jetzt gewann ich an Fahrt und fügte hinzu: „Es wird Untersuchungen geben, ob sie wirklich von dem Hund gebissen wurden und eine Reihe medizinischer Tests werden erforderlich sein. Das kann sie unter Umständen mehrere Wochen in ein Krankenhaus bringen.“ Ich hoffte, jetzt nicht zu dick aufgetragen zu haben.
Ownatz sah mich fragend an. Seine Stimme klang ein wenig ängstlich, als er fragte: „Kann man das denn feststellen, ob ich gebissen wurde?“
Ich nickte voller Überzeugung. „Selbstverständlich. In dem von einem Hund gebissenen Körper bilden sich Antikörper, die die DNA des Hundes in sich tragen. Das Verfahren ist zwar umständlich, doch diese Antikörper können nachgewiesen werden. Unsere Detektei Argus beschäftigt mehrere Anwälte, die sich mit der Thematik bestens auskennen.“ Ich lächelte den Mann an und schoss meine schärfste Waffe ab: „Sollte sich herausstellen, dass sie nicht von Mopsi gebissen wurden, dann werden wir sie auf Schadenersatz, Wiedergutmachung und Freiheitsentzug verklagen. Sie werden für eine lange Zeit ins Gefängnis müssen.“ Ich unterdrückte mühsam ein selbstgefälliges Grinsen. Hauptsache der Mann glaubte mir den Blödsinn. In einem Land, in dem ein Mörder und Totschläger nicht einmal ins Gefängnis musste, wie kürzlich passiert, würde unsere Kuscheljustiz wohl kaum ein Verfahren wegen einer Hundebisslüge eröffnen.
Jetzt blickten mich beide Männer entsetzt an. „Mein Gott, das will ich aber nicht“, stöhnte der Hundebesitzer Edgar Bauersmann und Guido Ownatz hob beide Hände.
„Ich auch nicht, Edgar. Das kannst du mir glauben.“ Er sah mich hilfesuchend an: „Bitte kommen sie herein, ich habe auch Kaffee und Kuchen. Wir können doch über alles reden!“
Kurze Zeit später saßen wir in dem Wohnzimmer, das dem des Hundebesitzers erschreckend ähnelte. Hier war alles ebenfalls äußerst sauber und ordentlich. Ich musste an meine Wohnung denken und daran, vielleicht doch einmal ordentlich aufzuräumen. Lediglich der Kaffee des Herrn Ownatz war um Längen besser, als der seines Nachbarn. Doch den hatte Guido, wie ich ihn nennen sollte, auch frisch aufgebrüht.
Nachdem wir alle mit Kaffee und Kuchen versorgt waren, verkündete ‚Guido‘: „Also, Edgar, das musst du mir glauben, aber ich hatte nie vor, dich zu verklagen.“ Dann wurde er noch eine Spur kleinlauter und fuhr fort: „Mopsi hat mich nicht gebissen. Das habe ich nur erfunden. Es tut mir so leid ...“
„Aber warum?“, wollte ich wissen. Für mich war die Angelegenheit im Prinzip erledigt. Aber ich würde noch einen Bericht schreiben müssen und es wäre doch ganz nett, die Hintergründe mit einfügen zu können. „Herr Ownatz, warum um alles in der Welt haben sie das gemacht?“
„Guido, sagen sie doch Guido zu mir.“ Ownatz knetete seine dicken Wurstfinger und es war ihm deutlich anzusehen, dass er sich schämte. „Also ... eigentlich, nun im Grunde genommen ...“ er gab sich einen Ruck und blickte entschuldigend auf. „Also Edgar und ich, wir kennen uns schon viele, viele Jahre. Und bevor Edgar in Rente ging, sind wir immer gemeinsam spazieren gegangen. So oft es unsere Zeit zuließ. Ich bin ja schon länger Frührentner und habe mich immer sehr auf unsere Spaziergänge gefreut. Doch dann wurde Edgar auch Rentner und hat sich plötzlich Mopsi angeschafft. Ja und dann“, Guido seufzte vernehmlich, „hat er mehr mit dem Hund, als mit mir gesprochen und ich wurde ihm ganz egal.“
Jetzt fiel Bersmann ein und erhob sich halb: „Das ist nicht wahr, Guido. Ich habe auch viel mit dir gesprochen. Du hast keinen Grund auf Mopsi eifersüchtig zu sein!“
„Doch, doch Edgar“, widersprach Ownatz. „Du hast das nur nicht gemerkt. Mopsi war dir wichtiger als ich.“
Ich kam mir vor, wie in einer schlechten Dokusoap. Hier saßen zwei alte Leute und benahmen sich wie kleine, eifersüchtige Kinder. Es wurde Zeit, mich zu verabschieden.
„Mopsi brauchte doch meine Aufmerksamkeit“, antwortete der Hundebesitzer weinerlich. „Er war doch gerade eben aus dem Tierheim zu mir gekommen und so klein und hilflos. Hast du denn kein Verständnis für so etwas?“
In diesem Moment ging mir ein Licht auf. Nur ein Licht, nein eine ganze Sonne: Dies war die Lösung meiner Probleme. Das Tierheim. Ich würde den Köter von Herrn Weser dort vorübergehend ‚parken‘. Wenn Weser dann aus dem Krankenhaus kam, könnte ich den Hund wieder aus dem Tierheim holen. Eine vortreffliche Idee!
„Also meine Herren“, versuchte ich, die Angelegenheit nun zu einem Ende zu führen. „Dann gehe ich einmal davon aus, dass wir uns einig sind? Ich schlage vor, sie reichen sich jetzt die Hände, vertragen sich und in den nächsten Tagen erhalten sie, Herr Bersmann unsere Rechnung.“
Die beiden erhoben sich und gaben sich feierlich die Hand. Dann zog Ownatz den Hundehalter in einer rührenden Geste an sich und umarmte ihn. Hätte das nicht so dämlich ausgesehen, wie der kleine dicke Mann, den großen Dürren umarmte und dabei nicht einmal bis an dessen Brust kam, wären selbst mir die Tränen der Rührung gekommen. Oder auch nicht. Also eher nicht.
„Du darfst Mopsi auch einmal an der Leine führen“, erklärte Bersmann seinem wiedergewonnenen Freund und sah dem strahlend ins Gesicht.
„Das wäre wirklich nett von dir“, entgegnete Guido und die beiden umarmten sich erneut.
Mir kam eine Idee. „Wie wäre es, wenn sie sich auch einen Hund anschaffen würden, Herr Ownatz?“, schlug ich vor und musste an Bingo den belgischen Schäferhund denken. Doch dann schüttelte ich den Kopf. Ownatz würde den Köter später vermutlich nicht wieder zurückgeben, also war dies keine Option. „Vielleicht ebenfalls ein Tier aus dem Tierheim. So einen kleinen Rasa Atto. Sind doch ganz süß die Tierchen.“
„Lhasa Apso“, riefen beide gleichzeitig wie aus einem Mund. „Aber danke Herr Lärpers, das ist eine hervorragende Idee. Nicht wahr Guido? Wir besorgen dir einen Hund aus dem Tierheim und ich berate dich dabei.“
„Das würdest du für mich tun? Ich könnte es nie wieder gut machen, Edgar.“ Erneut lagen die beiden sich in den Armen.
Ich fand alleine zur Tür.