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Flucht auf Fahrrädern von Hinterpommern gen Westen

Gerd Brehm (* 1929) berichtet:

Zusammen mit meinem Vater und meinem 1931 geborenen Bruder Harm ging ich also in unserer Männergruppe per Fahrrad auf die Flucht. Unsere Räder mit Anhänger waren hochbeladen und schwergängig. Vater hatte keinen Anhänger, dafür transportierte er außer vielen Gepäckstücken noch zwei Jagdwaffen. Insgesamt transportierten wir pro Rad in Kisten, Koffern, großen Taschen und Rucksäcken mehr als zwei Zentner Gepäck, so dass wir die Räder oft schieben mussten.

Unsere Mutter (*1907) und meine beiden jüngeren Brüder (* 1936, 1939) ging mit unserem kriegsgefangenen französischen Chauffeur in unserem während des Krieges dienstlich zugelassenen Personenkraftwagen in der zweiten Gruppe getrennt auf die Flucht. Das Auto war ebenfalls mit viel Gepäck beladen, zum Teil außen aufgebunden, und es war mit 80 Litern extra für die Flucht aufgesparten Benzins voll betankt und führte Reservekanister mit. Unterwegs, so war es abgesprochen, wollten sich beide Gruppen bei den Forstverwaltungen in Mecklenburg, Schleswig-Holstein, im Hannoverland oder in Hessen melden, um für die andere Gruppe Spuren über das Verbleiben zu hinterlassen. Wir sollten uns erst ein halbes Jahr später wiedersehen.

Unterwegs hatten wir oft Tiefflieger- und Bombenangriffe durch russische, später durch englische oder amerikanische Flugzeuge. Fast jede Nacht mussten wir uns ein anderes Quartier besorgen. Massenquartiere, die oft verlaust waren, mieden wir möglichst. Unsere Verpflegung – alles war seit Kriegsbeginn äußerst knapp und rationiert – musste förmlich erbettelt werden. Das Radeln mit großem Gepäck und den schweren Anhängern verursachte großen Hunger. Ständig musste ich befürchten, unterwegs noch aus dem Treck herausgeholt und zum Wehrdienst verpflichtet zu werden, weil mein Jahrgang jetzt auch schon einberufen wurde. Vater war als Schwerkriegsbeschädigter einigermaßen sicher.

Zur 52. Fluchtnacht bezogen wir am 25. April 1945 in Ahrensbök bei Lübeck zu dritt ein kleines Gaststättenzimmer, in dem wir bis zum 31. Juli 1945 “wohnen” durften, weil Vater dort auf Anweisung der Schleswiger Fortverwaltung einen schwerverwundeten Revierförster vertreten musste.

Kurz vor der Kapitulation rückten hier Anfang Mai die englischen Besatzungstruppen ein. Bei der letztmöglichen Amnestie für Jagdwaffen, die wir immer noch mit uns führten, bekam ich auf Grund meiner guten Englischkenntnisse, als ich meinen Vater zur Abgabe begleitete, vom Besatzungskommandanten ein Angebot, als Dolmetscher bei ihm zu arbeiten. Ich willigte sofort ein. Von nun an hatten wir vorerst immer genug zu essen und erhielten auch englische Zigaretten, die wir als Nichtraucher zum Tausch gegen neue Schuhsohlen oder Fahrradreifen gut gebrauchen konnten.

Am 1. August 1945 setzten wir unsere Vagabundenreise durch Deutschland auf unseren bepackten Fahrrädern in Richtung Südwesten fort, weil wir hofften, bei Verwandten nahe Kassel oder Frankfurt/Main etwas über unsere Mutter und Brüder zu erfahren. Am 4. September 1945 tauchte unsere Mutter völlig unerwartet bei unseren Verwandten in der Nähe von Kassel auf. Sie hatte in Wettmar bei Celle bei einem Forstamt Aufnahme gefunden.

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Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern

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