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Hereinbrechende Gestirne

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Langsam wand sich eine weiße Mercedes E-Klasse Limousine den Berg zum El paraíso en el charco hinauf. Denn es war das erste Mal, dass Sebastian Gommez Sanches diesen schmalen, kurvigen Weg hinauffuhr und dass will schon was heißen. Immerhin fuhr er schon seit fünfzehn Jahren Taxi auf dieser Insel. Daher dachte er bisher, dass er sie wie seine eigene Westentasche kennt. Doch hierhin hatte es ihn noch nie verschlagen und wäre die junge Frau an der Fähre nicht in sein Taxi gestiegen, dann hätte sich daran vermutlich auch nichts geändert.

Diese Frau ist echt merkwürdig!‘, dachte er erneut, als er sie mittels des Rückspiegels betrachtete. Nicht im Sinne von hässlich oder etwas Ähnlichem, ganz im Gegenteil sie war sogar äußerst attraktiv, wenn auch etwas zu dürr für seinen Geschmack. Nur hatte ihr Blick etwas, was man am besten mit Gebieterisch und Durchdringlich beschreiben konnte, und dieser verunsicherte ihn. Ohne es zu merken, wischte er sich zum wiederholten Male mit seinem Unterarm den Schweiß von der Stirn, während er sie eingehend betrachtete.

Neben einen wallenden schwarzen Rock trug sie ein hautenges ebenfalls schwarzes Spagetti-Top, unter dem sich deutlich zwei kleine Ringe abzeichneten, und zwar dort, wo er sie normalerweise nicht vermuten würde. Zudem trug sie noch weiteren äußerst merkwürdigen Schmuck. Das Amulett, dass sie an einer feinen, aber massiven Kette um den Hals trug, sah aus wie ein chinesisches Ying/Yang Symbol, nur war dieses dreigeteilt und der einzige Ring, den sie an ihrer rechten Hand trug, hatte eine Art Ringschelle vorne dran.

All dass, sowie ihre langen, schwarzen und scheinbar seit längerem nicht gewaschenen Haaren, und ihre blasse Haut, ließ ihm als streng gläubiger Katholiken an einem gefallenen Engel denken. Mittels eines Kopfschüttelns versuchte er sich, von diesem Gedanken zu befreien, während er zum hellen Vollmond hinaufsah. ‚Mist, dass auch noch!‘, fluchte er daraufhin leise, während er hastig ein Kreuz schlug und dann sein Kruzifix berührte, dass er an einer einfachen Kette um den Hals trug.

Während er noch ein stummes: Vater unser, betete, nahm er erleichtert zur Kenntnis, dass hinter der nächsten Kurve eine Lichtung mit einer Ansammlung von einfachen Häusern und Hütten auftauchte und überglücklich vernahm er kurz darauf, dass die geheimnisvolle Frau hier ihre gemeinsame Fahrt beenden wollte.

Abrupt stoppte er sein geliebtes Taxi vor dem nächstbesten Haus und kassierte schnell das Fahrgeld. Nachdem er sich für das üppige Trinkgeld bedankt hatte, mit dem er, wenn er ehrlich war, nicht gerechnet hatte, stieg er eilig aus. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte er sich nach hinten, öffnete schnell den Kofferraum und stellte ihr Gepäck, das lediglich aus einer Tasche und einem Rucksack bestand, einfach neben seinen Wagen ab. Erst dann sah er wieder hoch und bemerkte, dass die junge Frau noch im Wagen saß. Vor Unlust schnaufend ausatmend, ging er daraufhin zum Fond und öffnete die Tür auf der Beifahrerseite.

„Wenn Sie so nett wären?“, streckte ihm die junge Frau ihre rechte Hand entgegen, wodurch sein Blick unwillkürlich auf ihren merkwürdigen Ring fiel. Diesen schien sie noch dadurch zu betonen, indem sie ihren Ringfinger etwas von den anderen ab streckte.

„Hm, ja!“, räusperte er sich noch einmal verlegen, bevor er ihre Hand ergriff, woraufhin sie zufrieden lächelnd aus den Wagen stieg.

„Oh nein, nicht schon wieder!“, schreckte Martin mitten aus einem dieser sich endlos wiederholenden Alpträume herausgerissen hoch, wobei er seinen rechten Oberschenkel krampfhaft umklammert hielt. Denn wie immer völlig unvorhersehbar schoss ihm ein unangenehmes Stechen mit solcher Wucht durch sein rechtes Bein, dass er sich ohnmächtig vor Schmerz auf seiner Schlafstatt hin und her wälzte.

Später, nachdem diese wahnsinnige Pein endlich abgeklungen war, lag er völlig verschwitzt und außer Atem, noch eine Zeitlang apathisch auf den Rücken, während er einen Satz von Ernest Henley wie ein Mantra vor sich hin betete. Dieses Mantra mit dem Wortlaut: „Ich bin der Meister meines Schicksals und meiner Seele Kapitän“, hatte ihn ein Psychologe, am Ende seines einjährigen Klinikaufenthalts, mit auf dem Weg gegeben, damit er es aufsagt, wenn es ihm wie eben erging. Mechanisch rieb er dabei mit seiner rechten Hand kreisförmig über seine linke Brust, während sich langsam seine Atmung wieder beruhigte.

Warum er immer und immer wieder diesen Satz runter betete, war ihm mittlerweile schleierhaft. Denn einen Sinn ergab dieser Ausspruch für ihn keinen. Da er weder das Gefühl hatte der Meister seines Schicksals noch der Kapitän seiner Seele zu sein. Beides entsprang vielmehr einem Wunschdenken. Während er weiter bewusst tief ein- und ausatmete, sah er sich unsicher um, wobei er zufrieden feststellte, dass Roswita wohl schon gegangen war, um ihre Kneipe zu öffnen. Was bedeutete, dass er allein war in ihrem kleinen Einzimmerapartment.

Früher wäre es Martin niemals in dem Sinn gekommen, sich mit einer älteren Frau einzulassen. Doch vermittelte Roswita ihm das Gefühl, ein vollständiger Mann zu sein. Und auch wenn sie ein wenig einfach gestrickt war, musste er ihr doch immer wieder zugestehen, dass ihre Ansichten seinen eigenen Weltanschauungen einiges voraushatten. Auch, so fand er, konnte man sie nicht mit anderen Frauen in ihrem Alter vergleichen. Was wohl nicht zuletzt daran lag, dass er noch nie zuvor einer Hippie-Frau begegnet war.

Nach zwei weiteren tiefen Atemzügen rollte er sich aus dem Bett und startete auf den Bodenfliesen liegend sein allmorgendliches Trainingsprogramm. Denn wenn er schon nicht mehr ein ganzer Mann war, dann wollte er zumindest den Rest nicht vernachlässigen. So war er nach den selbst auferlegten 100 Liegestütze und der gleichen Anzahl von Klappmessern erneut außer Atem und noch stärker verschwitzt als vorher.

Noch auf dem Rücken liegend, sah er sich weiterhin keuchend nach einer Möglichkeit um, die ihm die noch fehlenden 100 Klimmzüge ermöglichte. Jedoch fand er keine. Daher beschloss er noch einen weiteren Moment auf den Boden, neben dem Bett liegen zu bleiben, damit sich seine Atmung und Puls wieder normalisierten.

Dabei befühlte er sein Geschlecht, das schlapp und fast schon ein wenig Wund zur Seite hing. Denn Roswita hatte ihn in der vergangenen Nacht hart rangenommen und war selbst nach dem zweiten, lange nach hinten herausgezögertem Orgasmus noch nicht vollends befriedigt, als er eigentlich nur noch schlafen wollte.

Deshalb beschlich ihn kurz das Gefühl, dass er auch in dieser Situation mal wieder jemanden ohnmächtig ausgeliefert gewesen war, wenn auch auf eine wesentlich angenehmere Art als sonst. Doch grämte er sich nicht lange darüber, da Roswita die erste Frau war, mit der er intim war, seitdem ihm diese unvorstellbare Gewalt angetan worden war.

Der geflieste Boden, auf dem er lag, war zwar hart jedoch angenehm kühl, ebenso wie der große Raum, der mit von außen angebrachten Fensterläden abgedunkelt war, um die Kraft der Sonne draußen zu halten. Und diese angenehme Kühle genoss er mit jedem Atemzug, bis er nicht mehr in der Lage war, seine Augen noch länger offen zu halten.

Ein paar Minuten später riss Martin seine Augen jedoch wieder überrascht auf, als ein Geräusch ihn weckte. „¡Holà! ¿Alguien en casa?", vernahm er kurz darauf eine nicht unsympathische, ihm jedoch unbekannte Stimme.

„Was?“, brummte er daraufhin verschlafen, bevor er seine Augen öffnete und eine fremde, junge Frau anstarrte, die in der offenen Eingangstür stand und ebenfalls überrascht zurückstarrte.

Erst dann registrierte sein noch lahmes Hirn, dass er noch immer nackt, vor ihr auf dem Fußboden lag und sein schlaffes Glied in der Hand hielt, mit der er es sofort schamhaft bedeckte.

„¡Holà, soy Martin!“, stammelte er verlegen, während er sich so hilflos vorkam, wie ein Käfer, der auf dem Rücken lag.

„Oh, dann bist du wohl der neue Lover von meiner Mutter!“, antwortete die junge, südländisch wirkende Frau im nahezu akzentfreien Deutsch, während ihr Blick unverdrossen auf seinen frisch gestählten Körper ruhte. „Na, da hat sie sich ja mal was Junges und Knackiges geangelt!“, sagte sie bewundernd, bevor sie die Tür hinter sich schloss und auf ihn zu kam. „Kann ich dir vielleicht helfen?“, sah sie ihn fragend an, als sie unmittelbar vor ihm stand.

„Ähm, wie meinst du denn das?“, bemühte er sich freundlich zu bleiben, und nichts Abwertendes in ihre Frage hineinzuinterpretieren. Dabei betrachtete er sie eingehend, wobei ihm nicht nur ihre attraktiven körperlichen Attribute auffielen, sondern auch, dass sie nur wenig jünger sein musste als er selbst, was ihm sofort das Blut schamhaft ins Gesicht trieb.

„Ach, ich dachte nur, es wäre einfacher,“, hielt sie kurz inne, ehe sie zum Bett hinüber ging, „wenn ich dir die hier reiche!“, hielt sie ihm eine seiner Prothesen hin.

„Oh!“, starrte er diese verstohlen an, während er irgendeine Regung in ihrem Gesicht suchte, die ihm verriet, was sie in diesem Moment dachte. „Ähm ja, danke!“, ergriff er schließlich lächelnd seinen künstlichen rechten Unterschenkel und Fuß, da er nichts Außergewöhnliches in ihrem Gesicht entdecken konnte. „Wenn du mir dann auch noch eine der weißen Stulpen dort hinten geben könntest, wäre ich dir sehr dankbar!“, zeigte er zum Nachttisch, bevor er sie fragend ansah. „Doch sag mal, wie heißt du überhaupt?“

„Oh, ach ja, ich heiße Sophia!“, lächelte sie ihn offen an. „Und nicht das du denkst, dass ich hier regelmäßig irgendwelche nackten Lover von meiner Mutter vorfinde!“, lachte sie, ehe sie ernst anfügte: „Nein, eigentlich ist es das erste Mal!“. Dann drehte sie sich um, um die besagten Stulpen zu holen, die wie kleine Rollmützen aussahen. „Warte mal!“, betrachtete sie ihn dann kritisch, als sie wieder auf ihn zu kam. „Ja doch, so müsste es doch eigentlich einfacher für dich sein!“, trat sie überraschend noch näher auf ihn zu, bevor sie vor ihm ein Stück in die Hocke ging. „So, nun bitte nicht erschrecken!“, hakte sie ihn einfach links und rechts in den Achselhöhlen unter und hob ihn hoch in die Luft, so als ob er nichts wiegen würde und setzte ihn dann sanft auf dem Bett ab.

Verblüfft und erneut ein wenig beschämt, sah er sie daraufhin an, wobei er lediglich ein leises: „Aber!“, als Protestbekundung hervorbrachte.

„Oh, kein Problem! Durch die Arbeit im Lager meines Vaters bin ich es gewohnt schwere Lasten zu heben. Auch wenn keine bisher so attraktiv war, wie du“, lächelte sie ihn weiterhin offen an.

„Ja, na dann…?“, versuchte er ebenfalls zu lächeln, wobei ihm ein wenig unwohl zu Mute war. Denn als schwere Last bezeichnet zu werden, und wie ein Paket einfach hochgehoben zu werden, beschämte ihm und kratzte an sein Selbstverständnis als Krüppel. Denn Worte wie Versehrter oder Invalide trafen es nicht im Entferntesten, was er im innersten fühlte.

Denn im innersten sehnte er sich danach, ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein, der zudem nicht andauernd schief angeschaut oder wie ein hilfloses Kind behandelt wird.

Bei diesem Gedanken versuchte er erneut, irgendeine Regung in ihren Blick zu erkennen. Doch stellte er überrascht fest, dass dort weder Mitleid noch versteckter Hohn zu erkennen war.

Daraufhin beruhigte er sich langsam wieder und besann sich seiner Situation oder vielmehr auf das Bild, dass er wohl gerade abgeben musste. „Tja, vielleicht sollte ich dann erst einmal das Badezimmer aufsuchen, bevor ich mich anziehe!“, sagte er nachdenklich, da er mit einem Mal den Drang verspürte, den unangenehmen Umstand zu beheben, dass bestimmt noch diverse Körperflüssigkeiten von Sophias Mutter an ihm hafteten und er zudem bestimmt nicht angenehm roch.

„Okay, dann lass ich schon mal das Badewasser ein!“, nickte Sophia zustimmend und wandte sich von ihm ab und dem Badezimmer zu.

Währenddessen war er von dieser doch etwas skurrilen Situation völlig überfordert. So schlüpfte er ungewohnt umständlich in seine künstlichen Gliedmaßen. Dann schüttelte er verlegen und dennoch amüsiert seinen Kopf hin und her, wobei ihm ein ungläubiges Lächeln übers Gesicht huschte. Denn weder Mutter noch Tochter störten sich an seinen Verstümmelungen und nahmen diese wie selbstverständlich hin, so als ob diese völlig normal waren. Zumindest ließen sie sich nichts anmerken, was er so außerhalb der Kliniken nicht kannte.

Jeder, wirklich jeder, den er bisher begegnet war, zuckte zumindest einmal kurz, wenn nicht sogar andauernd und dann auch nicht immer nur innerlich zusammen, wenn sie seine fehlenden Gliedmaßen bemerkten, und das nervte ihn zutiefst. Denn zusätzliches Mitleid von außen brauchte und wollte er nicht noch zusätzlich, denn davon besaß er schon genug.

Dennoch fiel es ihm schwer den Wunsch zu unterdrücken, sich auf der Stelle anzukleiden, um so schnell wie möglich aus Roswitas Wohnung zu verschwinden. Zwar war ihm so viel Nähe und gutgemeinte Aufmerksamkeit schon seit langem nicht mehr zuteilgeworden, dennoch vermisste er gerade seine gewohnte Einsiedelei. Doch dann besann er sich eines Besseren und machte sich auf dem Weg ins Badezimmer.

„Wie jetzt?“, stutzte er als er den Türrahmen des Badezimmers erreicht hatte. Dabei starrte er ungläubig auf Sophia, die in der fast gefüllten Badewanne lag und ihn erwartungsvoll ansah.

„Na ja, ich dachte, wenn ich schon mal da bin, könnte ich dir doch auch gleich den Rücken schrubben!“, lächelte sie kurz verschmitzt. „Na, nun komm schon her und lass dich einfach zu mir hinein gleiten!“, sagte sie dann lasziv, als er einen Moment später noch immer nicht reagiert hatte, wobei sie 2-mal mit der flachen Hand auf den Wannenrand trommelte, ehe sie ihm etwas von dem Badeschaum hinüber pustete.

„Ja, aber?“, stammelte er, während sein Blick an ihrem prachtvollen Busen geheftet blieb, der auf der Wasseroberfläche zu schwimmen schien. „Nun gut!“, murmelnd ging er schließlich zu ihr hin und setzte sich auf den Wannenrand. Verschämt drehte er sich jedoch ein wenig zur Seite, um seine mittlerweile stolze Männlichkeit ihrem Blickfeld zu entziehen.

Dabei betrachtete er sie verstohlen aus den Augenwinkeln heraus. Wobei er feststellte, dass sie wirklich hübsch war und so wie sie vor ihm in der Wanne lag, wirkte sie unheimlich sexy, auch wenn man sie nicht als klassische Schönheit bezeichnen konnte. Denn dazu war sie ein wenig zu stämmig, in Bezug auf ihre Muskulatur. So war ihm jetzt klar, warum sie vorhin kein Problem damit hatte, ihn vom Fußboden aufs Bett zu hieven. Dies muss sie wohl ebenso vom Vater geerbt haben, wie fast alle anderen körperlichen Attribute, mal abgesehen von der Nase und den unergründlichen grünen Augen, die den ihrer Mutter sehr ähnelten.

Bei dem Gedanken an Roswita fühlte er sich auf einmal mies, weshalb er unruhig auf dem Wannenrand hin und her rutsche, während er sich dazu zwang, seinen Blick von ihrem Körper abzuwenden. Stattdessen starrte er hinunter zu den Bodenfliesen, ehe er fragte: „Sophia, sag mal, hast du dir eigentlich mal Gedanken darüber gemacht, wie deine Mutter dies hier finden würde?“.

„Wie meine Mutter dies hier finden würde?“, wiederholte sie nachdenklich, bevor sie milde lächelte. „Ach so, nein das wäre kein Problem, denn du bist nicht der erste Mann, den wir uns teilen!“.

„Was?“, starrte er sie verblüfft an, ehe er: „Ja, aber?“, murmelte.

„Martin, dein: Ja, aber, entwickelt sich geradezu einem wahren Lustkiller!“, zogen sich zuerst ihre Augenbrauen nach unten, bevor sie wieder lächelte und sanft anfügte: „Ich wollte damit lediglich sagen, dass sie bestimmt nichts dagegen hat, im Gegenteil“.

„Was? Ja, …“, hielt er mitten im Satz inne, bevor er kleinlaut: „Na gut!“, einräumte. Dann entledigte er sich seiner frisch angelegten Prothesen, bevor er sich mit einem: „Also dann, fertig!“, sowie beidhändig an die Wannenränder gestützt, langsam, aber behände wie ein Kunstturner an den Bahren, zu ihr ins Wasser hinein glitt.

„Na, ich hoffe doch noch nicht!“, empfing Sophia ihn mit offenen Armen.

Neugierig bog Anne um die nächste Häuserecke, da sie das weiße Taxi bemerkt hatte, welches sich langsam den Berg zu ihrer Siedlung hinauf gequält hatte. Dabei fragte sie sich, wer von ihnen bereit war, ihr hart verdientes Geld für eine Taxifahrt auszugeben. Doch damit, Lottas Nichte daraus aussteigen zu sehen, hatte sie nicht erwartet. Hatte sie doch insgeheim gehofft, dass Angela direkt ins Wendland zurückkehrt, nachdem sie sich in Saint Tropez von einem kleinen Unfall erholt hat. Jedoch wusste sie, dass dies wohl mehr Wunschdenken war.

Und da dieser Wunsch sich offenbar nicht erfüllt hat, nahm sie sich im nächsten Moment vor, das Beste daraus zu machen. Darum konzentrierte sie sich darauf unverkrampft zu lächeln, wodurch sie jedoch unbedacht ausstieß: „Angela, wo um alles in der Welt kommst du denn auf einmal her?“.

„Hallo liebste Anne, es freut mich auch dich zu sehen!“, trat Angela ungeachtet dessen auf sie zu und umarmte sie lang und innig, bis es Anne zu viel wurde und sie ungehalten einen Schritt zurücktrat, zumal Angela so roch, als ob sie ihre Klamotten seit Tagen anhatte. Doch selbst einen Schritt von Angela entfernt verspürte Anne noch immer etwas auf ihrer Haut. Was, wie sie einen Augenblick später feststellte, Angelas kritischer Blick war, der sie von oben bis unten eingehend musterte.

„Man, unsere Athletin sieht man es ja mittlerweile tatsächlich an, dass sie Schwanger ist!“, sagte Angela kurz darauf bewundernd, ehe sie im nächsten Moment Annes Top einfach ein Stück hochzog. „Ja, wenn das mal kein süßer Spitzbauch ist!“, legte sie daraufhin ihre rechte Hand auf Annes Bauch und streichelte diesen dann mit zarten, aber festen Kreisbewegungen. „Da wird sich der Vater aber freuen!“, sah sie Anne vordergründig grinsend ins Gesicht, bevor sie anfügte: „Apropos, wo wir gerade von dem Vater reden, ist Ole eigentlich auch da?“.

„Du weißt genau das Ole nicht der Vater des Kindes ist! Also was soll das?“, nahm Anne Angelas Hand von ihrem Bauch. „Und nein, Ole ist nicht da! Er arbeitet mit den anderen Männern den Maibaum auf“, fügte sie so wütend wie schon lange nicht mehr hinzu, während sie sich sorgsam wieder bedeckte. Dabei fixierte sie Angela aus dem Augenwinkel heraus. ‚Nein, sie hatte Angela und ihre Spielchen wirklich nicht vermisst!‘, grollte sie innerlich, bevor sie kurz bewusst tief bis in den Bauch hinein atmete.

„Also dann“, besann sie sich wieder auf ihren eigentlichen Plan, wobei sie Angela mehr breit grinsend als lächelnd ansah. „Willkommen auf La Gomera! Soll ich dir vielleicht mit dem Gepäck helfen?“

„Nein danke!“, lächelte Angela ebenso zurück, ehe sie ihr Gepäck aufhob.

Mit schnellen, raumgreifenden Schritten ging Angela zur Finka hinüber, wobei sie schon von weitem die Deads mit Touch of Grey aus der Wohnküche Dröhnen hörte. Dort angekommen huschte ihr ein diebisches Lächeln übers Gesicht, während sie bewusst leise von hinten auf Leonora zuging, die am Arbeitstisch in die Musik versunken Brotteig knetete und dabei leise mitsummte. Kaum das sie hinter Leonora getreten war, legte Angela ohne Vorwarnung ihre Arme einfach um Leonoras Hüften, wobei sie sanft ihren Nacken küsste, bevor sie ihr laut ins Ohr schrie: „Hallo Lennie, hier hat sich ja wirklich gar nichts verändert!“.

Wie von Blitz getroffen, zuckte Leonora kurz zusammen, bevor sie ihre Hände aus dem Teig zog und diese so nach oben schnellen ließ, als ob sie sich ergeben wollte. Mit kreidebleichem Gesicht und stark pochendem Herzen drehte sie sich daraufhin langsam nach hinten um. „Angela, du? Du hast mich ja eben fast zu Tode erschreckt, so etwas kannst du doch nicht machen!“, sagte sie erbost, ehe auch sie zu Lächeln anfing. „Oh wie schön, dass du es doch noch rechtzeitig geschafft hast! Warte bitte einen Moment! Der Teig ist eh gleich fertig und kann dann gehen“, sah sie kurz hilflos auf ihre mit Brotteig verschmierten Hände, ehe sie ein paar abschließende Knetbewegungen machte und den Teich noch ein paar Mal mit Schwung auf die Arbeitsplatte knallte. Daraufhin ging sie zur Spüle und drehte den Wasserhahn auf, über den ein Schild klebte mit der Aufschrift: agua de lluvia, und wusch sich gründlich die Hände. Nachdem sie dann auch noch die Musik leiser gedreht hatte, wandte sie sich wieder Angela zu und nahm sie überschwänglich in den Arm. „Gut siehst du aus! Sag, wie geht es dir?“, dabei drückte sie sie fest an sich.

„Danke Lennie, wie immer alles in bester Unordnung. Unkraut vergeht halt nicht!“, erwiderte Angela die Umarmung. „Auch wenn ich nicht glauben kann, dass ich im Moment gut aussehe! Ehrlich gesagt, habe ich seit Tagen nicht geduscht, da ich auf der Fähre keine Kabine mehr bekommen habe. Doch das war mir egal, ich wollte doch unbedingt heute hier ankommen! Heute ist doch Beltane, oder?“

„Sicher Kind, sicher! In einer Stunde ziehen wir los. Nimm dir etwas zu essen und dann ab unter die Dusche! Beltane ist immerhin das Fest der Reinigung und dass solltest du nicht so begehen!“, griff sie sich an die Nase und winkte mit ihrer rechten Hand in Richtung des Badezimmers.

„Okay, ich geh mich dann mal frisch machen“, gab Angela ihr einen Kuss auf die Wange, bevor sie ihre Sachen von Boden aufsammelte und ging.

Wie bei einem Kind rieb Sophia Martin liebevoll mit einem frischen, harten Handtuch über den Rücken, die Brust und den Armen, wobei sie gleichzeitig immer wieder seinen Nacken küsste.

Martin saß währenddessen auf dem Wannenrand und genoss das behaglich, sinnliche Gefühl, welches sie mit dem Handtuch auf seiner Haut und in ihm auslöste. Doch als sie anfing seine Stümpfe vorsichtig zu trocknen, und zu betasten, öffnete er die Augen und sagte: „Nicht, dass mag ich gar nicht!“. Dabei legte er seine Hand auf ihre, um sie so am Weitermachen zu hindern.

„Oh, entschuldige bitte!“, sah sie überrascht und ein wenig gekränkt zu ihm hoch. „Das tut mir leid! Ich wollte diesen schönen Moment nicht zerstören“, erhob sie sich langsam und nahm sein Gesicht in ihre Hände, um zärtlich seine gekräuselten Lippen zu küssen, bevor sie sein Gesicht in ihren vollen Busen presste.

Kurz genoss Martin das Gefühl darin zu versinken, und ihren lieblichen Geruch in sich aufzusaugen. Doch dann mit einem Mal legte er seine Hände gegen ihr Becken und stieß sie unsanft von sich weg. „Danke, das reicht!“, sagte er dabei schroff, ohne aufzuschauen, wobei er schwer ein- und ausatmete.

„Ach Martin, nun komm schon! Ich hatte mich doch schon entschuldigt!“, sah sie mit einer Mischung aus Mitleid und Unverständnis zu ihm hinunter, bevor sie sich unsicher neben ihn auf den Wannenrand setzte, wobei sie den Wunsch unterdrückte, ihn in den Arm zu nehmen. Stattdessen legte sie ihren Kopf zur Seite und betrachtete ihn eine Zeitlang, bis sie die angespannte Stille nicht länger ertrug: „Weißt du, ich mag dich einfach so, wie du bist!“.

„Danke, dass ist nett! Nur, was weißt du denn schon großartig von mir. Außer das du mich vorhin hier vorgefunden hast, wobei es ziemlich offensichtlich war, dass ich die Nacht mit deiner Mutter verbracht habe“, sah er ihr ungläubig in die Augen, bevor er sich unsicher von ihr abwandte.

„Und das sagt mir, dass sie einen ziemlich guten Eindruck von dir haben muss. Ansonsten hätte sie dich nicht eingeladen über Nacht zu bleiben. Sie hat nämlich eine ziemlich gute Menschenkenntnis und hat bestimmt ebenso deine sehr schöne Aura bemerkt“, rückte sie vorsichtig ein Stück näher an ihn heran und küsste ihn sanft über den Rücken.

„Das ist ja man interessant! Ich habe also eine sehr schöne Aura und was genau siehst du darin?“, sah er sie irritiert an.

„Oh, du meinst, was ich genau darin sehe?“, lächelte sie ihn an, bevor sich konzentriert ihre Stirn kräuselte. „Also, zunächst einmal spüre ich nur deine Astralaura und die hat zurzeit sehr starke Blautöne, welche die darunterliegenden Purpurroten Töne überdecken.“

„Ach so, ja dann, dann ist ja alles klar!“, lachte Martin plötzlich spöttisch, während er sich daran machte seine Prothesen anzulegen. „Und ich kann mir denken das ist nichts Gutes, oder Hippiekind?“, drehte er sich zu ihr hin und warf ihr einen kurzen kritischen Blick zu.

Bei dem Wort Hippiekind musste Sophia grinsen, war ihr Vater doch der Antihippie schlecht hin und wie ihre Eltern zueinander finden konnten und sie dabei herauskommen konnte, ist ihr bis heute ein Rätsel. So gab sie sich mittlerweile mit der Annahme zufrieden, dass dies eigentlich nur mit Drogen zu tun haben konnte. Unabhängig davon konzentrierte sie sich weiter darauf, Martins Frage zu beantworten: „Okay, kurz zusammengefasst: Du bist ein spiritueller, kreativer und zielorientierter Mensch, nur neigst du zur manischen Depression und Isolation!“.

„Na super, dann hat deine Mutter dir also doch von mir erzählt. Das ist ja…“, fing er gerade an sich aufzuregen, da wurde er mitten im Satz dadurch unterbrochen, dass sich erneut die Wohnungstür öffnete.

Kopfschüttelnd sah Leonora Angela amüsiert hinterher, wobei sie Anne bemerkte, die die Begrüßung der beiden aus einigem Abstand beobachtet hatte. Kurz betrachtete sie Anne eingehend, ehe sie sagte: „Irgendwie verspüre ich gerade eine Spannung in der Luft, die noch nicht da gewesen ist, bevor Angela hier aufgetaucht ist. Hast du dafür vielleicht eine Erklärung?“.

„Ich, nein wieso?“, schüttelte Anne verneinend ihren Kopf, während sie dabei abwehrend ihre Arme vor der Brust verschränkte und auf den Boden starrte.

„Schade, denn ich wüsste nur zu gerne, warum Angela in dir so viele negative Gefühle auslöst“, setzte Leonora ein mütterliches Lächeln auf und ging ein paar Schritte auf Anne zu.

„Häh, wie kommst du denn auf so was?“, wurde Annes Stimme mit einem Mal eine Nuance tiefer und aggressiver.

„Oh, das ist nicht schwer zu erraten. Deine Körperhaltung und deine Stimmenlage sagen mehr als 1.000 Worte, Kind“, strich Leonora Anne aufmunternd über ihre verschränkten Arme.

„Okay, du hast ja Recht! Ich bin eine lausige Schauspielerin“, verzog Anne das Gesicht, wobei sie ihre Arme resignierend sinken ließ. „Ach, ich weiß auch nicht, Angela ist mir einfach zu extrem. Alles an ihr ist so…. Grrr!“, hob sie ihre Arme erneut in die Höhe, wobei ihre Finger eine krallenartige Stellung einnahmen. „Außerdem mag ich nicht, was sie mit Ole anstellt. Oh, …“, stockte sie mit einem Mal, wobei sie Leonora flehend ansah. „Das darfst du aber niemanden erzählen, versprochen? Und schon gar nicht Lotta!“

„Warum sollte ich ihr etwas verraten, was doch ganz offensichtlich ist?“, strich Leonora kurz über Annes mittlerweile rötlich schimmernden Wangen.

„Was, das ist jetzt schon offensichtlich?“, empörte sich Anne von neuen, während sie ihre Armmuskulatur anspannte.

„Nein, woher denn?“, konnte Leonora sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Angela ist lediglich eine schöne und selbstbewusste junge Frau, die ihre Umwelt mit ihren Reizen zu dominieren weiß. Kein Wunder also, dass ihr die Männer zu Füßen liegen! Die Männer meinen zwar immer das starke Geschlecht zu sein, doch sind sie es wahrlich nicht.“

„Tja, wenn das man alles wäre. Mit dieser Erkenntnis lebe ich schon lange!“, brummte Anne, bevor sie sich auf den Absatz umdrehte und die Küche ohne ein weiteres Wort verließ.

Paradies am Teich

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