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Helga und Herbert Baumann

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"Also wieder zwei Tage voller Anspannung und Stress, ja nichts Falsches sagen, sich ja nicht mit den falschen Leuten unterhalten, jedes Wort vorher auf die Goldwaage legen, das kann ja wieder lustig werden."

"Es gibt Schlimmeres Herbert" sagte Helga Baumann zu ihrem Mann "schließlich sind ja auch vernünftige Leute dabei. Wir sollten ganz unbefangen an die Sache herangehen und uns mehr mit der jüngeren Generation abgeben. Bei meinen Schwestern ist Hopfen und Malz verloren, die suchen doch alle krampfhaft nach irgendwelchen Wegen, an das Erbe ranzukommen. Gott sei Dank haben wir das nicht nötig."

"Ich habe das nicht nötig, ich" stellte Herbert Baumann fest "es ist immer noch meine Firma, die uns unseren Wohlstand garantiert. Dafür habe ich mir in den letzten 30 Jahren täglich den Arsch aufgerissen und keinen Feierabend gekannt. Tagsüber die Arbeiten auf den Baustellen kontrolliert, dann neue Kunden und Aufträge aufgerissen, und abends dann noch den Bürokram erledigt. Gut, dass Martin und Bianca bald übernehmen werden."

"Die Abende im Büro sind aber doch nicht nur Stress pur gewesen. Frau Lauermann hat dir die Stunden doch dort öfter mal versüßt. Dieser unscheinbaren Buchhaltungstante hätte ich gar nicht zugetraut, dass sie dich noch mal so aufgeilen konnte."

"Tja Helga, wenn zu Hause nichts mehr auf den Tisch kommt, geht man eben mal auswärts essen. So einfach ist das. Aber das ist ja schon etwas länger her und abgehakt. Oder etwa nicht?"

"Doch. Wir haben uns arrangiert, und das ist vernünftig gewesen. Wegen so was rennt man nach den vielen gemeinsamen Jahren nicht gleich auseinander. Außerdem soll man nach gemeinsam bewältigten Krisen besser miteinander umgehen können. Ich für meinen Teil kann das bestätigen. Aber dir scheint irgendwas Sorgen zu machen, oder täusche ich mich?"

"Ich habe keine Sorgen, da liegst du falsch. Ich fühle mich fit, der Laden läuft, den Kindern geht es gut. In meiner großen Modellbauwerkstatt kann ich mich herrlich mit den Bastelarbeiten ausleben, ich bin sehr zufrieden."

Herbert Baumann hatte nicht die Wahrheit gesagt. Als ihre beiden Töchter Anna und Petra geboren worden waren, war Helga Baumann zu Hause geblieben, und als dann noch Friedrich dazukommen war, ganz in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau aufgegangen. Ihre Eheregelungen waren klar: Herbert verdiente mit der Baufirma das Geld, Helga war für Haus und Kinder verantwortlich. Baumann hatte die Firma relativ zeitig, da war er gerade einmal 23 Jahre alt, übernehmen müssen, weil sein Vater an Krebs erkrankt und dann auch schnell verstorben war. Es war für ihn ein enormer Kraftakt gewesen, der ihn manche Nacht hatte nicht schlafen lassen. Aber er hatte sich durchgebissen und nach zwei Jahren enorm viel dazugelernt, und Selbstbewusstsein und Sicherheit gewonnen. Im Nachbarkreis gab es einen mächtigen Konkurrenten, die "Bockelmüller Bau GmbH". Bislang war man sich nur am Rande begegnet und nicht in die Quere gekommen. Baumann hatte damals sieben Angestellte und einen überschaubaren und schon älteren Fuhrpark. Ihm war schnell klar geworden, dass er mit dieser Größe nicht allzu lange überleben würde. Seine Firma musste wachsen, und das ging nur über eine Auftragsausweitung. Er ließ seine Angestellten die Ohren spitzen und konnten den einen und anderen Neukunden gewinnen. Im Nachbarkreis gelang ihm jedoch gar nichts. Dort hatte dieser Bockelmüller offensichtlich ein Monopol. Rein zufällig war er einmal am Wochenende in der Nachbarkreisstadt zu einem Clubkonzert mit einer Jazzband gewesen, und hatte dort eine nette junge Frau getroffen. Sie waren ins Gespräch gekommen und es hatte sich herausgestellt, dass sie eine Tochter von Bockelmüller war. Dass sie das war, war ihm völlig egal gewesen, er hatte sich für die Frau interessiert, und nicht für ihren Vater und dessen Geschäft. Sie hatten sich dann recht regelmäßig getroffen und eines Tages war er zur Vorstellung eingeladen worden. Er hatte Helgas Mutter sofort sympathisch gefunden, und sie ihn offensichtlich auch. Der alte Bockelmüller hatte aber nur eine Botschaft für ihn gehabt:

"Wenn Helga dich will, soll sie dich haben. Das ist mir egal, muss sie ja wissen. Aber eins sag ich dir: die Kreisgrenze ist deine Grenze, dahinter ist der Zutritt für deine Firma verboten. Ist das klar? Hier gelten nämlich meine Regeln. Und es gibt hier viele Leute, die von meiner Firma profitieren. In vielen verschiedenen Positionen. Also halt dich dran, sonst wirst du es bereuen."

Da sich seine Frau überhaupt nicht für die Entwicklungen in seiner Baufirma interessierte, war sie auch nicht über deren Lage im Bilde. Baumanns Unternehmen war im Verlaufe vieler Jahre tatsächlich gut gewachsen, und er war neben Bockelmüller der Platzhirsch in der Gegend geworden. Vor gut zwei Jahren hatte er die Zeit für reif gehalten, den Konkurrenten nach und nach auszubooten. Bockelmüller war da 88 Jahre alt gewesen und führte seinen Laden immer noch mit eiserner Hand. Er zahlte gut, schmierte unauffällig viele Behördenrädchen und war eine kreisbekannte Größe. Dazu kam, dass er sich in den vergangenen Jahrzehnten wie eine Spinne ein verfilztes Netz von Abhängigkeiten geschaffen hatte, in denen viele Entscheidungsträger gefangen eingeflochten waren, und nicht mehr herauskamen. Alle schuldeten Bockelmüller etwas, und er hatte sie in der Hand. Baumann hatte einen Versuch gewagt, Bockelmüller einen Auftrag in dessen Revier wegzuschnappen. Er war um läppische 80.000 Euro gegangen. Er war abserviert worden, und zwei Wochen später begann der Rachefeldzug des alten Bockelmüller erste Formen anzunehmen. In Baumanns Kreis gab es auf einmal gehäuft Probleme bei der Abnahme von Leistungen. Während die Behördenmitarbeiter früher gnädig über kleinere Mängel hinweggesehen hatten, waren sie jetzt so pingelig, dass Baumann äußerst aufwendige Nacharbeiten ausführen lassen musste. Die Zahlungen erfolgten erst nach nochmaligen Abnahmen, und offensichtlich auch noch absichtlich schleppend. Bei Ausschreibungen zog er jetzt immer öfter den Kürzeren. Die Liquidität seiner Baufirma nahm erschreckend schnell ab. In Erwartung einer weiteren Expansion hatte er in seinen Maschinenpark investiert. Jetzt saßen ihm die Banken mit den Zins- und Tilgungsplänen im Nacken.

Herbert Baumann war 67 Jahre alt, und hatte seinen Kindern eine gut aufgestellte Firma übergeben wollen. Er hatte sicher einen großen Fehler gemacht, und den Großteil der Überschüsse wieder in den Betrieb investiert. Dort sah er eine auf den ersten Blick beeindruckende Bilanzsumme (das große Anlagevermögen in Gestalt der teuren Maschinen), aber auch einen großen Batzen an Fremdkapital. Wenn es so weiterging, würde ihm der Laden bald nicht mehr gehören, und sein Lebenswerk wäre im Eimer. Das wollte er nicht hinnehmen und hatte mit seinen Kindern Bianca und Martin schonungslos Klartext gesprochen. Beide hatte er viele Jahre behutsam so gelenkt, dass Martin Bauingenieur, und Bianca Betriebswirtin geworden waren. Sie sollten sein Erbe übernehmen und die Firma weiter fortführen. Jetzt sah es so aus, als würde der Krake aus der Nachbarkreisstadt seine Tentakelarme um den Hals der Familie legen, um ihnen die Luft abzuschnüren und sich mit der Beute, der "Baumann-Baumeister GmbH", aus dem Staub zu machen.

Herbert, Martin und Bianca Baumann waren sich einig gewesen, dass sie sich nicht ergeben würden. Da sie den Filz in der Verwaltung nicht durchdringen konnten, kamen nach ihrer gemeinsamen Auffassung nur unorthodoxe Methoden in Frage, die sie höchstwahrscheinlich mit dem Rechtsstaat in Konflikt bringen würden. Aber so wie es aussah, konnten sie eine Katastrophe nur noch abwenden, wenn sie eben nicht rechtsstaatlich handelten. Ihr Gegenspieler tat das ungestört seit Jahrzehnten.

Der 90. Geburtstag - Eine rabenschwarze Kriminalkomödie

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